Empfehlungen der RedaktionDas sind die besten Kinder- und Jugendbücher in 2022

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Portrait of a smiling little boy at home, he's wearing adult's glasses and pretending to read his parent's book

Mit dem richtigen Buch macht Lesen sehr viel Freude.

Jedes Jahr erscheinen rund 9000 Bücher für Kinder und Jugendliche in Deutschland. Da ist es gar nicht so leicht, den Überblick zu behalten! Deswegen empfehlen wir an dieser Stelle jeden Monat zwei bis drei neue Werke aus dem Bereich der Kinder- und Jugendliteratur. Mal für ganz Kleine, mal für Grundschulkinder, mal für Teenager, mal für junge Erwachsene. Hier finden Sie eine Übersicht mit allen Empfehlungen aus 2022. 

Bei der Auswahl der Bücher legen wir besonderen Wert auf Abwechslung und Spannung, aber auch auf eine hohe literarische Qualität. Es geht uns darum, Bücher vorzustellen, die besonders sind. Und nicht nur solche, die einen besonders hohen Rang in den Verkaufslisten innehaben.

Die besten neuen Kinderbücher im Dezember 2022

Hannes Wirlinger, Volker Fredrich: „Das Weihnachtsduell der Großmütter“, Tulipan-Verlag, 56 Seiten, 18 Euro, ab 3 Jahren

Die beiden rivalisierenden Großmütter Cäcilia und Elfriede kennt man schon aus dem Buch „Das Duell der Großmütter“. Darin versuchen sie, sich im Freibad beim Turmspringen zu überbieten. Beide waren in jungen Jahren professionelle Turmspringerinnen und haben nichts verlernt. Sie waren damals auch befreundet, aber ein Streit hat die beiden entzweit. Weil ihre Enkelsöhne Hubert und Otto befreundet sind, kreuzen sich ihre Wege ab und zu zwangsläufig.

Nach der Episode im Freibad ist einige Zeit vergangen, in diesem Buch ist Winter, die beiden alten Damen verstehen sich zumindest an der Oberfläche wieder so gut, dass sie mit ihren Enkeln gemeinsam den Weihnachtsmarkt besuchen. Weil die Eltern der Kinder in diesem Jahr beide an Heiligabend arbeiten müssen, wünschen sich Hubert und Otto, mit den beiden Omas zusammen Weihnachten zu feiern. Die sind natürlich alles andere als begeistert, willigen aber den Kindern zuliebe ein. Wie man sich denken kann, wird es zunächst kein harmonisches Fest. Schon im Advent versuchen die Großmütter, einander zu überbieten. Wer backt die tolleren Plätzchen? Wer hat die tollere Deko? Schließlich wird entschieden, dass der Abend bei Cäcilia verbracht wird, Huberts Oma. Die ist schwer im Stress, versucht aber, sich das nicht anmerken zu lassen. Das wird nicht besser, als Elfriede ankommt und an allem herummäkelt. Doch als die beiden zufällig alte Fotos vom Turmspringen entdecken, nimmt der Abend eine Wendung. Plötzlich erinnern sie sich daran, dass sie mal Freundinnen waren und vergessen darüber den Truthahn im Ofen, der natürlich verbrennt. Das ist nicht das einzige Chaos, das an diesem besonderen Heiligabend noch ausbrechen wird. Aber am Ende haben alle vier doch einen schönen Abend gehabt und vor allem gelernt, dass Weihnachten nicht perfekt sein muss.

Ute Krause: „Feiern die auch mit?“ Gerstenberg-Verlag, 32 Seiten, 13 Euro, ab 4 Jahren

Auch zu dieser Geschichte gibt es mit „Wann gehen die wieder?“ ein Vorgängerbuch. Mittlerweile hat sich die Patchwork-Familie aus Räubern, Drachen und Prinzessinnen ganz gut zusammengerauft. Auf Weihnachten freuen sich nun alle, auch wenn es für insgesamt 41 Personen sehr viel zu organisieren gibt, vor allem, was die Geschenke angeht.

Das Besondere an diesem Buch: Es hebt die Vorteile einer Patchwork-Familie heraus, die eben nicht nur aus Mutter-Vater-Kind besteht. Zum Beispiel diese: „Zu Nikolaus bekommen wir doppelt so viel Schokolade wie andere Kinder.“ „Wir besorgen zwei schöne Tannenbäume, einen für Weihnachten bei Papa und einen für Weihnachten bei Mama.“ Aber auch die schwierigen Seiten werden nicht verschwiegen. Dass es zwischen den Eltern Streit gibt, wo zuerst gefeiert wird. Dass die Kinder die ganze Zeit unterwegs sind zwischen alten und neuen Familien und Großeltern. Dass Eltern auch mal traurig sind, weil die Kinder die Geschenke in der anderen Familie besser finden. Alles in allem beleuchtet das Buch diese spezielle Familienkonstellation von allen Seiten und holt deshalb diejenigen Kinder ab, die ihr Weihnachten genau so verbringen. 

Rieke Patwardhan: „Weihnachten mit Gisela“ dtv-Verlag, 32 Seiten, 15 Euro, ab 4 Jahren

Eigentlich erwartet Tonis Familie zu Weihnachten einen Star, der mit ihnen feiern soll. Der war ihnen in einem Lotterie-Brief vom „Verein für ein fröhliches Weihnachtsfest“ als „besonderer Gast“ angekündigt worden. Ein Hauptgewinn also. Alle spekulieren darüber, wer wohl zu Besuch kommen wird. Ein Prinz? Eine Politikerin? Ein Filmstar? Ein Fußballer, wie Toni hofft? Mit dem Brief gerät die Familie in einen Organisations-Rausch: Noch mehr und noch bessere Kekse backen als sonst. Einen noch schöneren Weihnachtsbaum kaufen. Die Wohnung noch sauberer putzen. Noch leckereres Essen kochen. Am Heiligabend machen sich alle schick und warten gespannt, wer da an der Tür klingeln wird. Als es endlich klingelt, ist der Schreck zunächst groß. Denn da steht eine alte Frau mit einem Rollator, bunten Klamotten, einem geflickten Sack und einer Katze: Gisela. Weil die Familie mit diesem besonderen Gast nicht gerechnet hat, zieht sie einfach das geplante Star-Programm mit Gisela durch und der gefällt es. Im Laufe des Abends erzählt die alte Gisela sehr viel aus ihrem bewegten Leben und es stellt sich heraus, dass sie zwar arm und alt, aber eben doch ein ganz besonderer Gast ist - nur halt etwas anders als gedacht.

Die besten neuen Kinder- und Jugendbücher im November 2022

Lisa Harmann/Katharina Nachtsheim: Wir alle sind Familie. 10 echte Familien laden uns in ihr Leben ein, Fischer Sauerländer, 64 Seiten, 16 Euro, ab 5 Jahre 

Wer zu viele Conni-Bücher liest, bekommt den Eindruck, Familie müsse immer so aussehen: Mama, Papa, Bruder, Schwester, Mama arbeitet Teilzeit. Auch konservativ eingestellte Menschen, die keine Conni-Bücher lesen, hätten die Welt gerne so. Dass Familie aber sehr viel mehr als das oben genannte Modell bedeuten kann, zeigen Lisa Harmann und Katharina Nachtsheim in ihrem neuen Buch. Die Bloggerinnen und Autorinnen von „StadtLandMama“ stellen darin zehn ganz unterschiedliche Familien vor und kommen ihnen ganz nah. Das Buch ist das erste Kinderbuch der beiden Autorinnen. 

Da ist zum Beispiel Mia, die nur mit Orthesen laufen kann, Fynn, der alleine mit seinem Vater Christopher lebt, Jonas, Amelie, Linnea und Noah, die immer wieder mit Pflegegeschwistern zusammen leben oder Paul, der zwei Mütter hat. Jede Familie wird genau vorgestellt, Laura Rosendorfer untermalt die Portraits mit hübschen Illustrationen, am Ende gibt es aber auch immer ein richtiges Foto der Familien. Schließlich existieren sie alle wirklich und nicht nur im Buch. Hinten im Buch gibt es noch einen Steckbrief zum Selbstausfüllen mit verschiedenen Fragen zur eigenen Familie.

„Bei manchen sind Süßigkeiten zum Frühstück erlaubt, einige wohnen in einem Haus, andere in einer Wohnung, mal gibt es ein Elternteil, an anderes Mal gleich mehrere Bezugspersonen. Keine Familie gibt es ein zweites Mal. Alle sind verschieden“, schreiben Harmann und Nachtsheim im Vorwort. Es ist ihnen wichtig, dass Kinder sicher sein können, dass alles Familie ist, nicht nur das oben genannte Modell Vater-Mutter-zwei Kinder. Das sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein, ist es aber immer noch nicht. Das Buch gibt Eltern und Kindern, die nicht ins typische Muster passen, auf diese Weise das gute Gefühl, genau richtig zu sein, so wie sie sind. Das ist schön.

Silke Schlichtmann: Reißaus mit Krabbenbrötchen, mit Zeichnungen von Jens Rassmus, Hanser, 261 Seiten, 15 Euro, ab 10 Jahre

Opa Peter wird schusselig. Sein Handy liegt im Kühlschrank, er hat 23 Gläser Senf im Schrank, bringt einiges durcheinander und fällt sogar von der Leiter. Seine Tochter Gitte macht sich Sorgen und möchte ihn in einem Altenheim unterbringen. Das finden Enkelin Jonte und ihre Geschwister unmöglich. Vor allem Jonte ist sehr eng mit ihrem Großvater und besucht ihn oft. Sie kann mit ihm über alles reden. Dass er in letzter Zeit irgendwie anders ist, stört sie nicht. Im Gegensatz zu ihrer Mutter Gitte, die darin die Anzeichen einer beginnenden Demenz sieht.

Jonte will auf keinen Fall, dass der Opa ins Heim muss und reißt deshalb mit ihm und ihrem besten Freund Schippo nach Husum aus, damit der Opa am Besichtigungstermin des Heims nicht da ist. In Husum war der Opa auf Hochzeitsreise und erinnert sich sehr warmherzig an diese Fahrt, auf der er das beste Krabbenbrötchen seines Lebens gegessen hat.

Der Trip verläuft nicht ganz glatt, Polizei kommt ins Spiel, aber am Ende werden Kinder und Opa sicher abgeholt. Und plötzlich gibt es eine Lösung, mit der alle einverstanden sind: Opa zieht in eine Mehrgenerationen-WG. Ein wunderbar warmherziges Buch, das den Konflikt zwischen den Generationen nachzeichnet.

Jan Weiler: Max. Memoiren eines Schulanfängers. Mit Illustrationen von Ole Könnecke, Hanser, 115 Seiten, 16 Euro, ab 5 Jahre

Jan Weiler kennt man als Journalist und Autor, mit seinen Büchern über das Pubertier ist er bekannt geworden. In diesem Buch erzählt er aus dem Leben des Schulanfängers Max. Die Episoden greifen zum Teil auf ältere Geschichten zurück, die Jan Weiler vor Jahren über den kleinen Max verfasst hat. Der erzählt in einem kindertypischen atemlosen Ton aus seinem Leben, jedes Kapitel beginnt mit dem Wort „Also“.

Für die Memoiren eines Schulanfängers ist der erste Schultag natürlich ein wichtiger Meilenstein. Max erzählt von der Feier und seiner randvollen Schultüte und wundert sich, dass er trotzdem nur eine Süßigkeit am Tag essen darf. Einkaufen geht er lieber mit Papa, „weil der sich nicht so gut auskennt und man viel mehr bekommt als bei Mama“. Er erzählt vom Fußballspielen mit den blöden Mädchen und wie es ist, wenn er nicht einschlafen kann: „Das ist für Mama und Papa sehr wichtig, dass ich einschlafe, ich weiß auch nicht warum“.

Für Erwachsene ist es recht amüsant, bekannte Situationen aus der Sicht des Kindes zu hören. Kinder werden Max komplett verstehen. Die 36 Geschichten eignen sich gut zum Vorlesen am Abend. 

Die besten neuen Kinder- und Jugendbücher im Oktober 2022

Helen Rutter: Ich heiße Billy Plimpton, Atrium-Verlag, 288 Seiten, 15 Euro, ab 10 Jahre

Billy Plimpton ist ein zwölf Jahre alter Junge, der Schlagzeug spielt, extrem lustig ist, seine Oma liebt, gerade auf die weiterführende Schule gekommen ist und stottert. Wenn er sich selbst beschreiben soll, kommt das Stottern aber an allererster Stelle. Der Sprachfehler hemmt ihn komplett, noch schlimmer wird das, als er in der neuen Schule anfängt.

Dabei ist eigentlich sein großer Traum, als Komiker auf einer Bühne zu stehen. Doch statt sein Talent auszubauen, schleicht er allein durch die Schule, versucht unsichtbar zu sein und so wenig wie möglich zu sprechen. „Ein stummer Schüler zu sein, hat Vorteile und Nachteile. Ich sehe vieles, was andere nicht bemerken. Wäre ich Teil einer Gruppe und würde darauf warten, zu Wort zu kommen, dann hätte ich all das nicht bemerkt.“

Teil einer Gruppe wäre der schüchterne Billy natürlich trotzdem gern, aber dann müsste man ja sprechen. Zum Glück lässt seine Klassenkameradin Skyla nicht locker und freundet sich mit ihm an. Ansonsten gibt es weitere Elemente, die ein Schulroman, der in England spielt, braucht: einen fiesen Mitschüler, der eigentlich auch bloß eine arme Sau ist, einen zugewandten Lehrer und eine Herausforderung, die es zu meistern gilt. Bei Billy ist das zunächst das Referat „Was mich ausmacht“, das er als Stotterer mit allen Mitteln umgehen will. Als er schließlich eine Lösung findet (Plakate statt Worte) und langsam auftaut, wagt er sich als nächstes an einen Talentwettbewerb heran und wird Mitglied in einer Band. Immer im Rücken den fiesen Mobber William Blakemore, von dem er sich zum Glück immer weniger einschüchtern lässt.

Gegen Ende der Geschichte stirbt Billys geliebte Oma, die er Großbutter nennt. Er kann sich kaum von diesem Schlag lösen, aber letztendlich schenkt ihm dieser Verlust ungeahnte Kraft für sich selbst.

Inka Lindberg: We fell in love in october, Moon Notes, im Verlag Oetinger, 360 Seiten, 15 Euro, ab 16 Jahre

Für Lisa war das weitere Leben vorgezeichnet: Ausbildung zur Bankkauffrau in einer Kleinstadt, zusammenbleiben mit ihrem Freund Max, Haus bauen und Kinder kriegen. Doch Lisa will dieses Leben nicht und hat das Gefühl zu ersticken und sagt: „Ich war nicht sicher, wann ich mich das letzte Mal wirklich lebendig gefühlt hatte.“

An einem Tag, als ihr im Job alles zu viel wird, ein Fehler passiert und der ältere Kollege mal wieder in ihren Ausschnitt schaut, kündigt sie einfach, packt ihre Sachen und fährt mit dem Bus nach Köln. Sie will einfach nur weg. Über ein Couchsurfing-Portal landet sie in der WG der Tätowiererin Karla und damit in einer komplett anderen Welt. Zunächst taucht sie in das Nachtleben ein. Für Kölner besonders schön: Es kommen viele echte Orte wie „Der Stiefel“ oder „Bumann & Sohn“ vor. Außerdem lernt sie über Karla die queere Community kennen. Wie selbstverständlich die Menschen mit ihren Identitäten und Liebschaften umgehen, ist für Lisa aus der Kleinstadt völlig neu. Nach und nach merkt Lisa, dass sie sich in Karla verliebt. Ihre Oma Sybille hilft ihr schließlich dabei, ihr neues und altes Leben wieder zu sortieren. 

Martin Baltscheit/Barbara Jung: Diva allein im Wald, Beltz & Gelberg, 40 Seiten, 14 Euro, ab 4 Jahre

Hundedame Diva lebt für ihr Leben gern in der Stadt. Sie liegt im Morgenmantel auf dem Sofa, nascht Pralinen, hört Musik und liest Klatsch- und Modezeitschriften. Ein anderes Leben kann sie sich nicht vorstellen. Alles, was normale Hunde machen, findet sie sogar ekelig und unwürdig. Natürlich muss auch sie mal, erledigt das aber unter größtmöglicher Peinlichkeit und nennt es „die Schande“.

Mit der Natur in Kontakt kommt Diva erstmals über eine kleine Maus. Kaum haben sie sich angefreundet, schnappt eine Eule die Maus weg. Beim Versuch, die neue Freundin zu retten, läuft Diva hinterher und gerät immer tiefer in den Wald, wo sie nun wirklich gar nicht sein möchte. Denn sie ist sich sicher, dass sie als feine Stadtfrau keine Instinkte mehr hat, mit denen sie hier zurechtkäme.

Das merken auch die anderen Tiere und haben schnell ein Auge auf sie geworfen. Soll lecker sein, so ein feines Hündchen. Diva scheint das nicht zu bemerken und verhält sich sehr überheblich den Waldbewohnern gegenüber, die in ihren Auge keinen Stil haben. Aber am Ende merkt sie, wie wichtig Zusammenhalten ist. 

Die besten neuen Kinder- und Jugendbücher im September 2022

Helen Rutter: Neun Wünsche für Archie, Atrium-Verlag, 256 Seiten, 17 Euro, ab 10 Jahre

Früher wusste Archie ganz genau, was er sich wünschen soll: Millionär werden oder coole Turnschuhe haben zum Beispiel. Nichts davon ging je in Erfüllung. Irgendwann nervte ihn die ständige Wünscherei, zu der seine Mutter ihn bei jeder Gelegenheit aufforderte. Heute sieht er das anders, denn das war zu einer Zeit, als seine Mutter noch mit ihm sprach.

Seit sein Vater bei ihnen zuhause ausgezogen ist, liegt sie nur noch still im Bett. Wenn er von der Schule kommt, muss er sich selbst eine Dose Ravioli warm machen und ist den restlichen Tag allein. Traurig. Hätte Archie noch einmal einen Wunsch frei, würde er sich deshalb einzig und allein wünschen, dass seine Mama endlich wieder glücklich ist. Denn durch ihre Dauer-Traurigkeit fällt für Archie auch fast alles an Freizeit flach, was er gern machen würde. Und: „Sie stiehlt alle Gefühle.“ Sein Vater hat eine neue Freundin, bei ihnen fühlt er sich auch nicht wirklich willkommen.

Archie ist nicht nur deswegen ein Junge, den man sofort ins Herz schließt und aufheitern will. Er hält sich auch für ein Kind, das zu nichts zu gebrauchen ist und wirklich gar keine Talente hat. Dabei liebt er Fußball, sortiert gerne seine Sticker und bewundert den Fußballer Lucas Bailey. Er verbringt auch viel Zeit mit seiner Freundin Maus, aber auch ihr kann er nicht alles erzählen, was ihn beschäftigt. Eines Tages stürzt er mit dem Fahrrad. Als er wieder zu sich kommt, steht sein großes Vorbild Lucas Bailey vor ihm. Er sagt: „Wenn du morgen früh aufwachst, hast du neun Wünsche frei.“ Und so kommt es.

Zuerst weiß Archie nicht so recht, was er damit anfangen soll und wünscht sich Dinge wie den ganzen Tag im Bett bleiben und Fifa spielen. Als er merkt, dass Lucas Bailey sein Versprechen wahr macht, überlegt er sich genauer, was er sich wünscht. Und ganz langsam wird sein Leben besser.  

Anja Janotta: Fanny und der fast perfekte Fee, Gulliver/Beltz, 144 Seiten, 11 Euro, ab 10 Jahre

Wie eine Fee normalerweise auszusehen hat, ist ja klar: rosa Rüschenkleid, lange Haare, spitzer Hut und Stab mit Sternchen. Jerome jedoch sieht ganz anders aus. Erstmal ist er ein Mann, also ein Fee. Dann hat er lange Haare, komplett tätowierte Arme und trägt dazu Metal-Shirt und Lederjacke. Noch befindet er sich in der Ausbildung und macht derzeit ein Praktikum als Fee.

Eines Tages sitzt dieser seltsame Typ bei Fanny vor der Balkontür. Er kommt auf ihre Bestellung, denn sie hat sich bei einer Fee gewünscht, dass die Ferien schnell umgehen, weil ihre beste Freundin Cidem so lange verreist ist. Sie selbst muss mit ihren Eltern zuhause bleiben, denn sie müssen arbeiten. Dazu kommt, dass sie nach den Ferien nicht mehr mit ihrer Freundin auf dieselbe Schule gehen wird. Eine Horrorvorstellung.

Und hier kommt Jerome ins Spiel. Er zieht bei ihr ein – aber nur Fanny kann ihn sehen – und hilft, wo er kann. Auch dabei, sich mit Kim anzufreunden, der als Einziger mit ihr auf die neue Schule geht und den Fanny echt gut findet. Und das, obwohl es am Anfang so aussieht, als würde der Fee in Ausbildung nichts hinkriegen.  

Oren Lavie/Anke Kuhl: Konrad Kröterich und die Suche nach der allerschönsten Umarmung, Fischer/Sauerländer, 40 Seiten, 16 Euro, ab 4 Jahre

Eines Morgens wacht Konrad Kröterich von Keks auf und hat von der perfekten Umarmung geträumt. Sofort erzählt er allen davon und macht sich auf die Suche durch den Wald, um genau diese perfekte Umarmung im echten Leben zu finden. Das ist erstens sehr ungewöhnlich, denn Konrad Kröterich von Keks lebt allein und genießt das sehr, er unterhält sich am liebsten mit seinem Spiegelbild. Zweitens ist die perfekte Umarmung in echt natürlich nicht so leicht zu finden.

Er versucht es bei der Giraffe, aber die ist zu hoch. Der Goldfisch ist zu glitschig, die Schlange zu eng, der Tiger zu wild, die Schildkröte zu hart, der Igel zu pieksig. Konrad Kröterich von Keks umarmt den ganzen Tag lang alle Tiere, die ihm begegnen. Aber keine der Berührungen fühlt sich für ihn so an wie die in seinem Traum.

Traurig geht er wieder nach Hause und gibt eine Zeitungsanzeige auf. Er sucht noch immer nach der perfekten Umarmung, probiert und probiert, aber ist nicht zufrieden. Bei der ganzen unerledigten Suche passiert aber ganz nebenbei etwas Wunderschönes: Die Knuddelei scheint ansteckend zu sein, plötzlich liegen sich alle in den Armen. 

Die besten neuen Kinder- und Jugendbücher im August 2022

Jenny Valentine: Ich bin Joy. Mit Bildern von Claire Lefevre, dtv/Reihe Hanser, 207 Seiten, 13 Euro, ab 9 Jahre

Allein das Cover dieses Buches sprüht vor guter Laune: Vor gelbem Hintergrund sieht man ein bunt angezogenes, grinsendes Mädchen mit Herzchen-Sonnenbrille und bunten Luftballons in der Hand. Es ist die Titelheldin Joy Appleboom. Sie ist immer gut gelaunt und große Optimistin. Was daran liegen könnte, dass sie in ihrem bisherigen Leben mit ihren Eltern und ihrer großen Schwester stets auf Weltreise war. Doch eines Tages zieht die Familie zum Großvater in das verregnete England und Joy geht zum ersten Mal in ihrem Leben in eine richtige Schule. Eigentlich hat sie sich darauf gefreut, doch in der Realität ist das dann doch nicht so einfach, vor allem die Sache mit dem Freunde finden.

Doch Joy sieht in allem das Gute und wurschtelt sich auf humorvolle Art durch. Es macht Spaß zu lesen, wie sie immer besser in ihrem neuen Alltag besteht. Sie tut sich dabei leichter als ihre Schwester Claude, die oft schlecht gelaunt ist. Joy dagegen sieht in allem das Positive und liebt neue Situationen. Bald schon findet sie eine Aufgabe und will die alte Eiche auf dem Schulhof retten, die gefällt werden soll. Bei dieser Aktion findet sie auch Freunde und Verbündete. Erheiternd ist zudem Joys Beziehung zum grummeligen Großvater und wie sie von Anfang an versucht, sich gut mit ihm zu verstehen. Und das gelingt!

Die ganze Geschichte ist leicht und lustig geschrieben. Man schließt diese besondere Familie und Joy sofort ins Herz und will einfach immer weiter lesen. Vor allem ist es spannend, wenn Joy von ihren Aufenthalten in anderen Ländern erzählt und was sie mit anderen Kindern auf Sansibar, in New York oder Mumbai gespielt hat. Ganz nebenbei lernt man auf diese Weise etwas darüber, dass das Leben nicht automatisch so sein muss, wie man selbst es kennt. Das öffnet den Kopf.

Cece Bell: El Taubinio, Loewe Graphix, 248 Seiten, 15 Euro, ab 10 Jahre

Die Autorin und Illustratorin dieses herzerwärmenden Comic-Romans, Cece Bell, verlor im Alter von vier Jahren nach einer Hirnhautentzündung ihr Gehör. Sie hat also sehr früh gelernt, von den Lippen abzulesen, sich zu den Bildern im Fernsehen eigene Geschichten auszudenken und das Verhalten ihrer Mitmenschen zu deuten. Aus diesen Erfahrungen hat sie nun das wunderbare Buch „El Taubinio“ gemacht. Die autobiografischen Züge sind gewollt und nicht versteckt, die Protagonistin heißt ebenfalls Cece und sieht genauso aus wie ihre Erschafferin.

Im Buch erzählt sie ihre Geschichte. Wie sie mit vier Jahren nach einer Hirnhautentzündung ihr Gehör verliert und sich nach und nach daran gewöhnt. Wie sie ein Hörgerät bekommt, das sie hasst (später kommt auch noch eine Brille dazu). Wie sie glaubt, dass sie in der Schule alle anstarren. Und wie sie plötzlich merkt, wie genau dieses Gerät, das Phonic Ear, sie zur Superheldin „El Taubinio“ macht. In ihrem Alter Ego fühlt sie sich stark und gut, obwohl das echte Leben nicht gerade einfach für sie ist. Ein Mut machendes Buch, das viel Verständnis vermittelt. Auf Apple+ gibt es die Geschichte sogar als Serie.

Susanne Böse/Christine Faust: Grummeln, weinen, lachen: Was kleine Monster so machen, Arena, 13 Euro, ab 3 Jahre

Man würde ja meinen, dass Monster immer nur böse sind und Angst und Schrecken verbreiten. Vor allem, dass alle anderen Angst vor ihnen haben. Aber so ist es nicht. Die bunten und liebenswerten Monster Zwicki, Stierchen und Wuseli beweisen in diesem kleinen Buch, dass es auch für Monster noch viel mehr Gefühle gibt. Wut zum Beispiel.

Stierchen hat sich sehr viel Mühe mit einem Turm aus Bauklötzen gegeben und ihn dann einfach selbst mit dem Arm umgestoßen. Er ist total sauer und macht eine brummendes Geräusch wie ein ganz großer Stier. Zwicki dagegen hat Angst. Er sitzt oben auf seinem Lieblingsfelsen und traut sich nicht mehr herunter. „Oh je, oh je, oh je“, jammert er leise und mit fiepsiger Stimme. Weil seine Freunde ihm helfen, geht alles gut, alle sind am Ende wieder fröhlich und feiern eine lustige Party zusammen. Der Sound dazu? Drei Monster, die total ausgelassen sind und sich freuen. Das macht gute Laune.

Kleine Kinder lieben Bücher, die irgendetwas können. Geräusche sind da natürlich ganz weit vorne. Hier können sie die Monstersounds immer wieder per Knopfdruck abspielen. Und das Beste: Das Buch hat auch einen Aus-Schalter.

Die besten neuen Kinder- und Jugendbücher im Juli 2022

Leo Timmers: „Tiefseedoktor Theodor“,  Schaltzeit-Verlag, 40 Seiten, 15 Euro, ab 4 Jahre 

Tiefseedoktor Theodor gleitet jeden Tag mit seinem Unterwassertauchboot runter ins Meer und schaut, welche Tiere hier Hilfe benötigen. Da ist zum Beispiel das Seepferdchen, das nicht gut sehen kann und immer irgendwo gegen schwimmt. Doktor Theodor findet in seinem Boot die passende Brille und schon wird das Seepferdchen zum glücklichen Sehpferdchen. Oder da ist der Hai, der so schreckliche Zahnschmerzen hat, bis Doktor Theodor ihm endlich den faulen Zahn zieht. Auch dafür hat er die passende Ausrüstung an Bord. Oder die Krake, der einfach alle acht Arme weh tun und die dringend Hilfe braucht. Oder der traurige Blauwal, der sich einsam und hässlich fühlt, weil er so groß und schwer ist. Für alle Tiere im Meer hat Tiefseedoktor Theodor ein offenes Ohr und auch die richtige Behandlung.

Eines Tages braucht er selbst Hilfe, denn sein Tauchboot geht kaputt und verfängt sich auch noch in einer Pflanze. Da Theodor ein Mensch ist, muss er aber dringend wieder an die Luft, um zu atmen. Die Zeit wird also knapp für ihn. Zum Glück gibt es all die Tiere unter Wasser, denen er schon so oft geholfen hat. Natürlich sind die in dieser Notsituation für ihn da.  

Alice Oseman: „Loveless. Wann endlich beginnt meine Story?“, Loewe-Verlag, 480 Seiten, 16,95 Euro, ab 14 Jahre

Georgia ist 18 Jahre alt und hat noch nie jemanden geküsst. Keinen Jungen und auch kein Mädchen. Es gab da eine kleine Schwärmerei in der Schule für Tommy, aber am Abend der Abschlussfeier nach dem Abi, als es endlich die Gelegenheit gibt, sich den ersten Kuss ausgerechnet von ihm abzuholen, ekelt sie sich plötzlich einfach nur, als er ihr näher kommt.

Irgendwie gab es in Georgias Leben bisher weder einen Jungen noch ein Mädchen, das sie irgendwie attraktiv und anziehend gefunden hätte. Sie verschlingt zwar romantische Filme und Bücher, mit echten Menschen kann sie aber nicht so viel anfangen. Nur bei ihren Freunden Pip, einem lesbischen Mädchen, und dem stillen Jason taut Giorgia auf und kommt aus sich heraus. Ansonsten ist sie extrem schüchtern und introvertiert.

Wie gut, dass die beiden gemeinsam mit ihr an die Durham University kommen. Da die Geschichte in Großbritannien spielt, wohnen sie auf dem Campus in verschiedenen Häusern. Georgia hat sich fest vorgenommen, auf dem College ein offenerer Mensch zu werden und sich endlich für jemanden zu interessieren. Sie tut dafür auch alles, geht sogar in Clubs und auf Partys, aber irgendwie stoßen sie Menschen ab.

Natürlich bekommt sie als Mitbewohnerin die extrem aufgedrehte Rooney, die hübsch und sexy ist und mit jedem gleich ins Gespräch kommt. Unterschiedlicher könnten zwei Menschen nicht sein. Aber man ahnt es: Die beiden lernen voneinander. Über viele Irrungen und Wirrungen – unter anderem zieht Georgia in Betracht, etwas mit ihrem besten Freund Jason anzufangen - stolpert die Clique durchs erste Unijahr. Und am Ende des unterhaltsam zu lesenden Romans findet jeder seinen Platz. Georgia akzeptiert, dass sie einfach kein Interesse an Sex hat. Und so liefert der Roman ganz nebenbei viele Infos über das A in LGBTQIA*, das für Asexualität steht. 

Annejan Mieras: „Hanno und der Notfall“, Gerstenberg-Verlag, 192 Seiten, 14 Euro, ab 9 Jahre

Eines Abends beim Essen rückt Hannos Mutter mit der unangenehmen Wahrheit heraus. Pien, das Mädchen, das sitzen geblieben ist, die mit den Zöpfen und Fischaugen, soll eine Weile bei ihnen wohnen. Und zwar ausgerechnet in Hannos Zimmer. „Warum?“, fragt der entsetzt. „Es ist ein Notfall. Ihre Mutter ist sehr müde“, antwortet die.

Verständlicherweise rast es in der nächsten Zeit in Hannos Kopf und Körper. Was soll dieses Mädchen in seinem Zimmer? So oft es geht verzieht er sich von zuhause, wo er ja offensichtlich doch nicht willkommen ist. Er ist eifersüchtig auf das Mädchen und hat das Gefühl, dass sie ihm das normale Leben versaut.

Eines Nachts sieht er, dass in seinem Zimmer Licht brennt und Pien etwas in ein rotes Heft schreibt. Er wird neugierig. Und erfährt nach und nach, dass Pien ihren Vater vermisst. Sie erzählt, dass sie eine polnische Prinzessin ist und ihr Vater einfach verschwand. Aber dass er ihr ein Buch mit polnischen Gedichten überließ, das ihr sehr wichtig ist. Hanno weiß nicht, ob er das glauben soll. Aber er erkennt, dass hinter dem nervigen Mädchen in seinem Zimmer eine ganz schön traurige Geschichte steckt.  

Die besten neuen Kinder- und Jugendbücher im Juni 2022

Neil Gaiman: Coraline. Illustriert von Aurélie Neyret, Arena Verlag, 170 Seiten, 15 Euro, ab 10 Jahre

Kinder, die Spannung und ein wenig Grusel mögen, werden dieses Buch lieben. „Coraline“ von Neil Gaiman zählt mittlerweile schon zu den Kinderbuchklassikern und ist nun in einer besonders ansprechenden Schmuckausgabe erschienen, die Illustratorin ist Aurélie Neyret.

Das Mädchen Coraline ist mit ihren Eltern in ein altes Haus gezogen, das ihr von Anfang an ziemlich seltsam vorkommt. Auch die  Nachbarn sind merkwürdig: Der Mann mit dem Schnurrbart erzählt ständig von seinem Mäusezirkus, die schrulligen Schauspielerinnen warnen vor dem tiefen Brunnen im Garten. Eines Tages stößt Coraline im Haus auf eine zugemauerte Tür und sieht dort dunkle Schatten verschwinden. Sie traut sich, hinter die Tür zu schauen und entdeckt eine Parallelwelt, in die sie mehr und mehr hineingerät, immer angetrieben von einer kitzeligen Mischung aus Neugierde, Angst und Spannung. Die scheinbar reale Welt und die andere Welt vermischen sich, auch ihre Eltern tauchen in beiden Welten auf. 

Das Buch und seine Zeichnungen sind  ein bisschen gruselig, aber natürlich gerade deshalb spannend.  

Preston Norton: Kurz mal mit dem Universum plaudern, Hanser-Verlag, 446 Seiten, 18 Euro, ab 13 Jahre

Jugendromane, die in Schulen spielen, sind für die Zielgruppe meist besonders interessant, schließlich lassen sich in diesem Umfeld sämtliche Charakter des jugendlichen Universums ansiedeln: das schöne Mädchen, der Sport-Freak, der Schul-König, der Nerd, das coole Skater-Girl. Preston Norton gibt diesem klassischen Genre aus Literatur und Film noch einen speziellen zusätzlichen Dreh.

Im Roman geht es um Cliff, der von allen nur „der Neandertaler“ genannt wird, weil er mehr als hundert Kilo wiegt und zwei Meter groß ist. Cliff nimmt die Nerd-Rolle in dieser Geschichte ein. Für ihn läuft es weder zuhause noch in der Schule rund. Mit seiner Familie lebt er in einem Trailer-Park und hat schon viel Leid gesehen. Sein Bruder hat sich das Leben genommen, mit den Eltern kommt er nicht klar. Zu alledem hasst er niemanden mehr als den widerlich coolen Aaron, Sie ahnen es, den Schul-König.

Eines Tages hat Aaron einen Unfall, der das gesamte Schulgefüge verändert. Er erlebt im Krankenhaus eine Nahtoderfahrung und erzählt, dass ihm Gott höchstpersönlich in dieser Situation eine To-do-Liste aufgetragen habe. Mit der Abarbeitung dieser Liste soll die Schule zu einem besseren Ort werden. Seltsamerweise gab es darin auch die Anweisung, bei diesem Projekt Cliff mit einzubinden. Der ist natürlich mehr als verwundert, als Aaron ihm das mitteilt. Obwohl er misstrauisch ist, lässt er sich darauf ein. Die Mitschüler verstehen natürlich nicht, warum ausgerechnet diese beiden so gegensätzlichen Jungen sich anfreunden. Aber die Aufgaben schweißen die beiden zusammen und machen Cliff selbstbewusster. Er muss schließlich sogar feststellen, dass die Liste weit mehr mit ihm zu tun hat, als er sich hätte träumen lassen.

Ein absolut liebenswerter und lustiger Jugendroman mit Tiefgang und Hoffnung für die, denen es nicht so gut geht.

Judith Merchant: Hanni hat Tomaten in den Ohren. Illustriert von Trixy Royeck, EMF-Verlag, 32 Seiten, 14 Euro, ab 3 Jahre

Kinder und Hunde haben ein sehr selektives Gehör. Ihnen entgeht zum Beispiel niemals, wenn die Kühlschranktür geöffnet wird. Das Rufen von Mama und Papa (oder des Herrchens) scheinen sie dagegen ab und zu zu überhören. Warum bloß?

So geht es auch der kleinen Hanni. Sie hört einfach nicht, wenn Mama sie bittet, das Geschirr wegzuräumen oder die Zähne zu putzen. Sie ist immer so beschäftigt mit ihren Spielsachen und malt so gern. Sie hört ihre Mama einfach nicht.

Ihre Mutter glaubt ihr nicht ganz. Sie vermutet, dass ihre Tochter keine Tomaten auf den Augen, sondern in den Ohren hat und geht mit ihr zum Ohrenarzt. Der schaut mit seiner kleinen Trompete in Hannis Ohren und findet da allerhand Dinge, z.B. die Nachttischleuchte, einen Hahn, drei Löffel und eine Tomatenpflanze. Hanni wundert sich darüber kein bisschen. Der Ohrenarzt holt alles raus. Und tatsächlich: Als sie wieder zuhause sind, kann Hanni schon viel besser hören. Aber schließlich hatte sie ja auch wirklich Tomaten in den Ohren, wenn auch nur ganz kleine an einer Pflanze.

Ein lustiges Buch über die kleinen Pflichten des Alltags.

Hier stellen wir Ihnen die besten Bücher aus den anderen Monaten vor

Mai 2022:

Adam Baron: Atemlos. Auf der Jagd nach dem Phönix-Medaillon, Hanser Verlag, 352 Seiten, 17 Euro, ab 10 Jahren

Der Roman „Atemlos“ handelt von den zehnjährigen Kindern Cymbeline, genannt Cym, und Jessica. Ihre Geschichten werden in zwei parallelen Strängen erzählt, über den beiden Handlungssträngen liegt noch ein Krimi. Ein Kuscheltier verbindet die beiden Kinder, ohne dass sie es wissen. Irgendwie hängt alles miteinander zusammen. Doch der Reihe nach.

Cym lebt mit seiner Mutter allein, der Vater hat die Familie verlassen. Cym passt es überhaupt nicht, dass jetzt der neue Freund der Mutter mit seinen zwei Töchtern einziehen will. Auch Jessica erlebt viel Trubel mit ihrer Familie. Sie streitet oft mit ihrer Schwester Milly, der Vater bekommt Multiple Sklerose und kann nicht mehr arbeiten.

Der Krimi kommt in Fahrt, als Jessica mit ihrer Familie einen Ausflug an den Fluss macht und darin einen alten, verschlammten Teddy entdeckt. Es ist der Teddy, den Cym verloren hat und schmerzlich vermisst. Auch Jessica und ihre Schwester schließen den Bären sofort ins Herz. Seltsamerweise scheint es noch jemand auf das Kuscheltier abgesehen zu haben, der alles daran setzt, ihn in seine Finger zu bekommen. Aber wieso?

Und was hat es mit dem Phönix-Medaillon auf sich? Bei einem Ausflug ins Museum entdeckt Cym, dass das Medaillon eine Fälschung ist. Aber wo ist dann das echte? Irgendwie hängt alles zusammen und durch Zufall werden die Kinder in ein turbulentes Abenteuer hineingezogen. Die parallel verlaufenden Kapitel berühren sich lange nicht, nur der Teddybär ist zunächst ein Verbindungsglied. Im Verlauf des Buches nähern sich die Erzählungen an und Cym und Jessica begegnen sich. Cym bekommt seinen Teddy wieder und die Diebe werden gefasst.

Der Roman vereint einen spannenden Kinderkrimi mit zwei Familiengeschichten, bietet also jede Menge Stoff, mit dem man sich identifizieren kann und den man gespannt verfolgen kann.

Katja Reider: Weltbeste kleine Schwester. Illustriert von Hildegard Müller, 136 Seiten, 13 Euro, ab 8 Jahren

Kleine Geschwister werden selten so richtig ernst genommen. So ergeht es auch der zehnjährigen Rosa mit ihrer großen Schwester Johanna und ihrem großen Bruder Matti. Nicht genug, dass Rosa dauernd die alten Klamotten ihrer Geschwister auftragen muss, die beiden Großen halten sie außerdem für das Baby auf Lebenszeit.

Das ändert sich, als die Eltern die drei für ein Wochenende alleine zuhause lassen, um zu einer Familienfeier zu fahren. Johanna organisiert sofort eine Sturmfrei-Party in der Wohnung und Matti geht zu einer Horrorfilm-Nacht. Rosa soll möglichst nicht stören und in ihrem Zimmer bleiben. Natürlich geht das Wochenende schief. Die Party eskaliert, Matti kriegt Angst, kann das aber nicht zugeben. Sehr lustig und liebevoll beschreibt Katja Reider, wie alles aus dem Ruder läuft und wie am Ende Rosa, die eigentlich nicht stören soll, dafür sorgt, dass alles gut ausgeht und dass es allen wieder gut geht.

Als die Eltern zurückkommen und die drei in einem blitzblank geputzten Wohnzimmer beim friedlichen Kartenspiel sehen, kommt ihnen das doch verdächtig vor. Aber die Geschwister halten zusammen und verraten nichts.

Debbie Tung: „Quiet Girl“, Loewe Graphix, 184 Seiten, 15 Euro, ab 14 Jahren

Alles ist immer so laut! Alle reden so viel! Alle wollen so viel mitteilen! Debbie geht es ganz anders. Sie ist ein ruhiges Mädchen und geht nicht gerne unter Leute. Sie hasst telefonieren. Wenn sie was zu sagen hat, schreibt sie lieber Textnachrichten. Auf Partys steht sie immer abseits. Wenn ihr jemand etwas erzählt, weiß sie nichts zu antworten und hat das Gefühl zu verschwinden. Das Miteinander mit anderen strengt sie an, sie braucht sehr viel Zeit für sich alleine, um ihre Batterien wieder aufzuladen. Ein perfekter Tag ist für sie, wenn es draußen regnet und sie mit einer Tasse Tee und einem Buch auf dem Sofa liegen kann.

Debbie ist sich nicht sicher, ob mit ihr alles in Ordnung ist. Schließlich können alle um sie herum gar nicht genug von sich preisgeben und sind gern unter Leuten. Aber sie ist eben einfach glücklich mit sich selbst. Und mit Jason, der sie so akzeptiert, wie sie ist. Auch ohne viele Worte. Was soll daran verkehrt sein?

In kurzen Comic-Abschnitten gibt „Quiet Girl“ einen warmherzigen Einblick in das Leben einer introvertierten Frau und hilft so anderen Menschen, denen es auch so geht. Und denen, die sonst immer laut sind.

April 2022: 

Julya Rabinowich: „Dazwischen: Wir“, Hanser Verlag, 307 Seiten, 17 Euro, ab 14 Jahren

Passender als jetzt hätte der Jugendroman „Dazwischen: Wir“ der in St. Petersburg geborenen Autorin Julya Rabinowich kaum erscheinen können, in dem es um die geflüchtete Madina geht. Mit ihrer Mutter und ihrem kleinen Bruder Rami ist Madina vor dem Krieg geflohen und in einem mittelgroßen Ort untergekommen. Der Krieg könnte jeder Krieg sein, der Ort jeder Ort. Mit ihrer Familie wohnt Madina bei ihrer besten Freundin Laura und deren Mutter. Sie fühlt sich sicher, angekommen und integriert, auch in der Schule. Trotzdem bleibt tief in ihrem Inneren das Gefühl, Geflohene zu sein, irgendwie anders als die anderen.

Der Roman ist aus Madinas Perspektive geschrieben. Julya Rabinowich gelingt es, die Sprache leicht, jugendkonform, mitten aus dem Leben und trotzdem poetisch-nachdenklich klingen zu lassen. Madina erzählt manchmal fast atemlos, aber immer so, dass man sich direkt angesprochen fühlt. Als würde sie neben einem sitzen und von ihrem Tag berichten. Etwa wenn Madina beschreibt, wie es sich anfühlt, auch nach langer Zeit noch als die Geflüchtete markiert zu werden: „Dieser leicht misstrauische Blick, der sagt: Du bist nichts, aus dir wird nichts. Dieser Blick, der sich an dir festklebt, um dich zu überführen. Weil du sowieso schuldig bist. Im Geheimen. Diesen Blick habe ich gut studiert. Und ich habe gelernt, mich ganz groß zu machen.“

Aus den misstrauischen Blicken werden im Laufe des Romans echte Bedrohungen. Rassistische Schmierereien tauchen auf, und jeden Donnerstag skandiert eine Gruppe auf dem Hauptplatz: „Ausländer raus!“, erst wenige, dann immer mehr. Madina fühlt sich an den Krieg erinnert und hat Angst. Aber sie schafft es, im Ort Verbündete zu finden und sich schließlich gegen die Hetze zu wehren.

Der Roman zeigt Jugendlichen wie Erwachsenen, wie wichtig es gerade jetzt ist, Ausgrenzung und Hass schon im Keim zu ersticken.  

Julya Rabinowich: „Dazwischen: Wir“, Hanser Verlag, 255 Seiten, 17 Euro, ab 14 Jahren

Juri Johansson: „Von Schildflöten, Herdmännchen und Großmaulnashörnern“, ab 5 Jahren

Kinder lieben Wortverdrehereien, vor allem, wenn sie mit lustigen Tierbildern kombiniert sind. All diese Voraussetzungen erfüllt das Buch „Von Schildflöten, Herdmännchen und Großmaulnashörnern. Das kleine Lexikon bislang kaum bekannter Tiere“ von Juri Johansson und tollen Illustrationen von Stefanie Jeschke. „Für dieses Lexikon der kaum bekannten Tiere haben Forscher über viele Jahre hinweg auf der ganzen Welt diese seltenen Tiere beobachtet – und Erstaunliches herausgefunden“, heißt es in der Buchbeschreibung.

Da gibt es zum Beispiel das häusliche Pyjama-Lama, das bevorzugt Sofalandschaften besiedelt, das namensgebende Großmaul-Nashorn, das umso mehr erzählt, je weniger es über eine Sache Bescheid weiß oder das Herd-Männchen, das als der beste Koch im gesamten Tierreich gilt und ständig neue Gerichte entwickelt. Doch so toll das Herd-Männchen auch kocht, dem Magichnicht-Habicht wird das ganz sicher trotzdem nicht schmecken. Ein besonders liebenswertes Tierchen ist die Schlamassel-Assel, die für ihre Tollpatschigkeit berühmt ist. Doch auch die ewig beleidigte Schmolle muss man einfach ins Herz schließen.

Juri Johansson: „Von Schildflöten, Herdmännchen und Großmaulnashörnern“, Kraus Verlag, 44 Seiten, 14,90 Euro, ab 5 Jahren

Maria Scrivan: Nicht genug, ab 8 Jahren

„Nicht genug“ von Maria Scrivan erzählt von Natalie, die das Gefühl hat, nie genug zu sein: nicht sportlich genug, nicht stylish genug, nicht talentiert genug. Dabei hat sie jede Menge Talente! Sie zeichnet und schreibt zum Beispiel gerne, liebt ihre Katze und ihren Hund, fährt gerne Fahrrad, verbringt am liebsten Zeit mit ihrer besten Freundin Lily und versteht sich gut mit ihren Eltern. Eigentlich könnte alles gut sein, aber Natalie hat immer das Gefühl, nicht genug zu sein. Sie fühlt sich uncool, tollpatschig und nerdig. Sie meint, nicht genug coole Freunde zu haben, nicht genug Talent und nicht genug Style. Maria Scrivan zeichnet die verschiedenen Episoden aus Natalies Leben in kleinen Comics, die man entweder nacheinander weg oder auch einzeln lesen kann.

Als sich eines Tages ihre Freundin Lily von ihr abwendet, muss Natalie sich plötzlich auf ihre Stärken besinnen und für sich alleine bestehen. Der große Tag kommt beim Geschichten-Wettbewerb in der Schule. Nach und nach entdeckt die gar nicht nerdige Natalie, dass sie das ziemlich gut kann – und macht damit ihren zweifelnden Leserinnen ganz nebenbei ganz viel Mut.

Das Buch: Maria Scrivan: Nicht genug. Loewe Graphix, 239 Seiten, 15 Euro, ab 8 Jahren

März 2022:

Stephanie Schneider, Stefanie Scharnberg: „Grimm und Möhrchen“, ab 5 Jahren

Wissen Sie, was ein Zesel ist? Nun, ein Zesel gehört nicht in die Kategorie Drache, Einhorn, Greif, er ist also kein Fabelwesen, sondern ein echtes Tier, das es allerdings nur sehr selten gibt. Ein Zesel ist eine Mischung aus einem Zebra und einem Esel. Dass dieses Tier sprechen, geschweige denn lesen und schreiben kann, darf allerdings bezweifelt werden. Nun sind wir also doch in der Welt der Fiktion angekommen.

Diese Geschichte beginnt mit dem einsamen und  schüchternen Buchhändler Grimm, der in einem beschaulichen Städtchen einen Laden führt. Und eines Tages sitzt da dieser kleine, verlorene Zesel namens Möhrchen zwischen den Büchern und wird zu Grimms sprechendem Haustier. Gemeinsam erleben die beiden jede Menge Abenteuer und Möhrchen mischt Grimms eintönigen Alltag gehörig auf.

Dabei ist das Wortspiel zu Grimms Märchen beabsichtigt, haben die kurzen  Kapitel doch alle etwas märchenhaftes. Auch sonst wartet der Zesel mit allerlei Wortverdrehungen auf – sehr zur Freude der kleinen Zuhörer. „Grimm und Möhrchen“ ist ein kurzweiliges Vorlesebuch mit lustigen Geschichten und detailreichen Illustrationen, die in ihrer Verrücktheit und Personenkonstellation ein wenig an „Pettersson und Findus“ erinnern und vor allem eins sind: eine unterhaltsame Zuflucht in eine heile Welt. Mit einem sehr niedlichen Zesel.

Stephanie Schneider, Stefanie Scharnberg: „Grimm und Möhrchen “, dtv, 128 Seiten, 14 Euro, E-Book: 9,99 Euro, ab 5 Jahren

Kirsten Boie: „Heul doch nicht, du lebst ja noch“, ab 14 Jahren

Die Wochen rund um das Ende des Zweiten Weltkriegs scheinen die deutsche Autorin Kirsten Boie umzutreiben. Nachdem sie im vergangenen Jahr in „Dunkelnacht“ von den grausamen Morden durch Nazis kurz vor dem Einmarsch der amerikanischen Truppen in einem bayrischen Dorf erzählt hat, kehrt sie nun mit  „Heul doch nicht, du lebst ja noch“ in ihre Heimatstadt Hamburg zurück.

Hermann ist 14 Jahre alt, ein Draufgänger und ehemaliger Leiter  einer Hitler-Jugend-Gruppe. Die Uniform trägt er noch, aber sonst hat er nicht mehr viel zu sagen. Zu Hause wartet sein Vater, der im Krieg beide Beine verloren hat, perspektivlos und jähzornig ist, und den Hermann mehrmals täglich zur Toilette tragen muss. Da tut es gut, dass Hermann zumindest die Kinder beim Fußballspielen auf der Straße herumkommandieren kann.

Genau bei diesem Fußballspiel würde Traute gerne mitmachen. Ihre Freundinnen sind weg oder gestorben, zu Hause wurde eine Flüchtlingsfamilie aus Ostpreußen einquartiert und Mutter und Vater sind den ganzen Tag in der Bäckerei beschäftigt. Um die Jungs endlich zu überzeugen, sie mitspielen zu lassen, stiehlt Traute eines der kostbaren Brote und versteckt es. Mit diesem Brot macht sie Jakob  sehr glücklich. Der jüdische Junge ist in den Trümmern untergetaucht, seit der Vater tot ist und die Mutter deportiert wurde. Mit Essen versorgt wird er eigentlich von einem älteren Herrn, doch als der nicht mehr auftaucht, verlässt der hungrige Jakob sein Versteck – und findet zufällig Trautes Brot.

So kreuzen sich die Wege der drei Jugendlichen. Kirsten Boie erzählt von ihrem eintönigen und doch so unterschiedlichen Alltag in einer ausgebombten Stadt, in der für Kinder und ihre Bedürfnisse kein Platz ist. All das macht sie sehr einfühlsam, auf jeden ihrer Protagonisten lässt sie sich kompromisslos ein, und zeichnet so für die jungen Lesenden ein vielschichtiges Bild dieser traurigen Zeit. Ihr gelingt dabei ein Balanceakt: Boie erzählt ohne zu beschönigen und gleichzeitig ohne zu traumatisieren. In diesem Punkt unterscheidet sich „Heul doch nicht“ deutlich von „Dunkelnacht“, das sehr dicht, fast schon verwirrend erzählt war und einige junge Lesende in seiner Grausamkeit sicherlich überfordert hat. „Heul doch nicht“ ist ausführlicher und verständlicher, viel näher an den Emotionen heutiger Jugendlicher dran und bietet somit neue Anknüpfungspunkte für Diskussionen.

Boie, fünf Jahre nach Kriegsende geboren, kennt die Geschichten aus dem Zweiten Weltkrieg nur von ihren Verwandten. Und so hat sie ein Buch über eine Zeit geschrieben, die sich junge Menschen heute zum Glück nicht vorstellen können – und es doch öfter tun sollten. Alleine, um sich klar zu machen, wie gefährlich  das ist, was gerade im Osten von Europa passiert.

Kirsten Boie: „Heul doch nicht, du lebst ja noch“, Oetinger, 176 Seiten, 14 Euro, E-Book: 9,99 Euro, ab 14 Jahren

Februar 2022: 

Anne Gröger: „Hey, ich bin der kleine Tod“, ab 10 Jahren

Makaber. Das ist das Wort, das einem zum Plot dieses Kinderbuches als Erstes einfällt. Und makaber geht es gleich in der ersten Szene los: Der elfjährige Samuel, seit einer gefühlten Ewigkeit Patient im Krankenhaus, inszeniert eine Notfallübung, weil er testen will, wie gut Krankenschwester Ada sich schlagen würde, wenn er  jetzt wirklich einen Herzinfarkt hätte. Hat er nicht. Aber man kann ja nie wissen. Denn Samuels Immunsystem ist „ein Schrottplatz“ und der Junge rechnet jeden Moment damit, zu sterben. Sieben Mal schon war er kurz davor, deswegen hat er sich selbst ein Leben im Hochsicherheitstrakt verordnet: Er desinfiziert alles und jeden. Verlässt nie das Zimmer. Und seine einzigen Kontakte sind seine Eltern sowie das Krankenhauspersonal. Mit anderen Kindern spielen? Auf keinen Fall mit diesen Keimschleudern! Doch dann verkünden die Ärzte, dass die letzte Therapie endlich angeschlagen hat. Samuel ist gesund, er darf nach Hause – und ein normales Leben führen. Doch wie geht das eigentlich?

Ab da wird es richtig makaber: Denn am ersten Abend zu Hause zieht plötzlich Frida in Samuels Zimmer ein. „Ich bin der kleine Tod“, sagt sie zu Samuel. Und weiter: „Ich bin hier, damit du mir das Leben zeigst. Ich will mal der große Tod werden. Da muss ich das wissen.“ Und Frida ist fest entschlossen, das Leben kennenzulernen. Da passt ihr Samuels Hochsicherheitstrakt gar nicht in den Kram. Mit fiesen Tricks bringt sie ihn schließlich doch noch dazu, die Wohnung zu verlassen und sich den Gefahren des Lebens auszusetzen. Denn schließlich will sie ihre große Prüfung bestehen: Sie muss Samuel holen. Zumindest denkt Frida das.

Wie gesagt: Alles sehr makaber. Aber auch wahnsinnig lustig. Denn Autorin Anne Gröger gelingt es auf fantastische Weise, die eigentlich sehr traurige Geschichte eines Jungen, der seine Kindheit im Krankenhaus verbracht und den Tod seines einzigen Freundes mit ansehen musste, einfühlsam aufzuschreiben. Dabei bleibt sie die meiste Zeit ganz nah bei ihrem Protagonisten, nur die gelegentlich eingestreuten Tagebucheinträge von Frida ermöglichen dem Leser Einblicke in die Gedanken des Mädchens. Zu keinem Zeitpunkt der Geschichte hat man jedoch das Gefühl, Gröger würde die Ängste ihres Protagonisten verspotten – im Gegenteil: Es ist eine Wohltat, mitzuerleben, wie dieser Junge seine Panik nach und nach ablegt, den Hochsicherheitstrakt langsam einreißt und beginnt, ein normales Leben zu führen.

In dem Kinderbuch „Hey, ich bin der kleine Tod – Aber du kannst auch Frida zu mir sagen“, geht es um Freundschaft und Mut, Liebe und Angst. Um die ganz großen Themen des Lebens eben. Locker und leicht aufgeschrieben. Und so witzig, dass man bei der Lektüre zuweilen Lach-Tränen in den Augen hat. Und sich dann doch ein bisschen schämt. Denn: Darf man das – bei einem so makaberen Plot? Wir finden: Unbedingt!

Anne Gröger, Fréderic Bertrand: „Hey, ich bin der kleine Tod“, dtv, 208 Seiten, 13 Euro, E-Book: 9,99 Euro, ab 10 Jahren

Anna Böhm, Tim Warnes: „Heute hab ich Wut im Bauch!“, ab 4 Jahren

Eigentlich könnte es ein wunderschöner Sommertag sein. Perfekt, um zu schaukeln, rumzurennen und zu spielen, findet Nora. Eigentlich. Denn leider hat niemand Lust, mit der kleinen Katze zu spielen. Maus Pauli möchte lieber drinnen bleiben und malen. Esel Eddi muss den Gartentisch reparieren. Und Schäfli findet, dass Nora zu klein ist, um ihr in der Küche zu helfen. Mit jeder Absage wird die Wut in Noras Körper größer. „Im Kopf. Im Bauch. In den Füßen. In den Händen. Und weil sie so stark ist, muss sie unbedingt raus. Nora brüllt und wirft sich auf den Boden.“ Die kleine Katze weiß gar nicht, wo sie hin soll mit all ihren Gefühlen. Und da helfen auch die blöden Kommentare der älteren Tiere nicht. Bis sie schließlich im Garten auf Hund Lollo trifft. Wie er ihr hilft, die Wut in den Griff zu bekommen, wollen wir hier nicht verraten. Doch einen wichtigen Rat gibt der Hund Nora mit auf den Weg: „Jeder ist mal wütend, das gehört dazu.“ Und als die Wut verraucht ist, haben Pauli, Eddi und Schäfli doch noch Zeit, mit Nora zu spielen.

Anna Böhm hat ein einfühlsames Bilderbuch über das wohl mitreißendste aller Gefühle geschrieben. Ein Gefühl, das wir alle kennen – und das wir Kindern doch viel zu häufig aberkennen. Etwa, wenn wir mal wieder von ihnen verlangen, sich doch bitte ein bisschen mehr unter Kontrolle zu haben. Wie schwierig es ist, die Emotion in den Griff zu bekommen, lebt Kätzchen Nora den jungen Zuhörerinnen und Zuhörern gut vor und bietet ihnen gleichzeitig Lösungsvorschläge für den Umgang mit dem hitzigen Gefühl. Illustrator Tim Warnes hat Noras Gefühlsregungen in unverkennbaren Bildern festgehalten. Wenn die kleine, süße Nora den Mund aufreißt und schreit, weiß man genau, wie es sich anfühlt, so sehr wütend zu sein.

Anna Böhm, Tim Warnes: „Heute hab ich Wut im Bauch!“, Oetinger, 32 Seiten, 14 Euro, ab 4 Jahren

Januar 2022:

Adriana Popescu: „Wie ein Schatten im Sommer“, ab 14 Jahren

Weihnachten ist vorbei, das Wetter ist usselig und die Omikron-Welle rauscht auf uns zu: Da ist so eine sommerliche Romanze doch die perfekte Zuflucht! Und tatsächlich ist Adriana Popescus aktueller Jugendroman „Wie ein Schatten im Sommer“ im ersten Viertel der Geschichte genau das: eine leichte Liebesgeschichte.

Vio ist gerade mit ihren Eltern von München in das kleine Kaff Walddorf gezogen, doch die Ruhe gefällt ihr gut, denn zu Hause in München ist etwas Blödes passiert. Und dann lernt Vio auch noch Konstantin kennen, einen etwas unscheinbaren, aber total netten Typen, zu dem sie sich gleich hingezogen fühlt. Und das beruht auf Gegenseitigkeit. Auch sonst läuft es gut: In Mone findet Vio schnell eine neue Freundin, die Restaurant-Eröffnung der Eltern fluppt und die sommerliche Hitze lässt sich am Badesee ziemlich gut aushalten.

Doch immer öfter wird die Idylle von fremdenfeindlichen Kommentaren getrübt: Da sind die blöden Sprüche Vio gegenüber, als sich herausstellt, dass ihre Eltern aus Rumänien kommen. Da ist das im Bau befindliche Flüchtlingsheim, das mit ausländerfeindlichen Parolen besprüht wird. Da ist der brennende Container, in dem Kleidung gesammelt wurde. Mehr und mehr zweifelt Vio an ihren neuen Freunden: Wer könnte diese rassistischen Taten begangen haben? Haben Konstantins großer Bruder Robin und seine Freunde etwas damit zu tun? Und warum distanziert Konstantin selbst sich immer mehr von Vio – und lässt betrunken sogar fremdenfeindliche Sprüche vom Stapel?

Popescu schildert ihren Jugendroman abwechselnd aus der Sicht von Vio und Konstantin. So erlaubt sie dem Lesenden einerseits Vios Verletzlichkeit nachzuvollziehen und andererseits Konstantins Abrutschen in eine fremdenfeindliche Gruppe zu verstehen – zumindest annähernd. Denn in welche Hauptperson sie als Autorin sich besser einzufühlen vermag, kann sie nicht verhehlen, sie ist immer ein bisschen näher bei Vio, und das ist vielleicht der einzige Wermutstropfen dieser Geschichte.

In diesem Roman passiert nicht das ganz große Drama. Hier wird niemand sterben, nicht mal verletzt werden. Zumindest äußerlich. Denn es sind eher die flüchtigen Sprüche, die unterschwelligen Anschuldigungen, die rassistischen Tendenzen, die durch das Dorf wabern – und die niemanden so wirklich zu stören scheinen. Und genau das ist das eigentlich Dramatische an dieser Geschichte: die Alltäglichkeit. Ein Kaff wie Walddorf mit Menschen, die fremdenfeindlich sind, und anderen, die es einfach hinnehmen, gibt es viel zu oft. Eigentlich überall. Umso beeindruckender ist es, wie es Popescu gelingt, diese Alltäglichkeit in eine sommerliche Erzählung einzubetten. Denn das ist und bleibt ihr Roman: Eine leicht zu lesende Liebesgeschichte. Mit viel mehr Tiefe als man es am Anfang erwartet hätte. 

Adriana Popescu: „Wie ein Schatten im Sommer“, cbt, 480 Seiten, 14 Euro, E-Book: 9,99 Euro, ab 14 Jahren

Philip Waechter: „Ein Tag mit Freunden“, ab 4 Jahren

Das ist Waschbär. Waschbär hat Langeweile.“ So beginnt Philip Waechters aktuelles Bilderbuch. Doch leider helfen Waschbär weder ein spannendes Buch noch Sport gegen die Langeweile. Also beschließt er, einen Apfelkuchen zu backen. So ein leckerer Kuchen ist ja auch gut gegen Trübsinn. Blöd nur, wenn man dann keine Eier im Haus hat. Deswegen macht Waschbär sich auf den Weg zu Fuchs, um sich ein paar Eier zu borgen. Fuchs aber ist beschäftigt, er repariert sein Dach, hat aber keine Leiter. Also machen sich die beiden Freunde auf den Weg zu Dachs, denn „Dachs hat alles“. Unnötig zu sagen, dass es auch Dachs an etwas mangelt, wofür man die Hilfe eines weiteren Freundes braucht. Und so wird die Truppe an Tieren immer größer, bis man sich schließlich zu fünft am Bach trifft, wo Bär am Ufer sitzt und angelt. Und beim Fische fangen könnte der auch Hilfe gebrauchen. Letztlich verleben die Tiere gemeinsam einen wunderschönen Tag am Wasser – und Apfelkuchen gibt es am Ende natürlich auch noch.

Philip Waechter erzählt in „Ein Tag mit Freunden“ eine eigentlich unspektakuläre Story so kurzweilig und unterhaltsam, dass man sie wieder und wieder hören könnte – und die liebevollen Illustrationen anschauen möchte. Denn, und das ist die eigentliche Botschaft dieser Geschichte: Es braucht nicht viel, nicht mal einen Grund, um einen wunderschönen Tag ohne Langweile zu verbringen. Nur eines: Menschen (oder Tiere), die man gern hat. Und das ist in diesen Zeiten doch bedeutsamer denn je.

Philip Waechter: „Ein Tag mit Freunden“, Beltz & Gelberg, 28 Seiten, 14 Euro, ab 4 Jahren

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