Expertin für digitales Lernen gibt Tipps„Dürfen unsere Kinder nicht überfordern“

Lesezeit 8 Minuten
Neuer Inhalt

Verena Pausder hat die HABA Digitalwerkstätten sowie die Firma Fox&Sheep gegründet. Die Berlinerin ist Mitglied im Innovation Council von Dorothee Bär und Vorständin des Digitale Bildung für Alle e.V.

  • Vom einen auf den anderen Tag sind die Kinder zuhause und sollen sich dort Dinge aus der Schule aneignen. Aber wie stellt man das an? Viele Eltern sind überfordert.
  • Verena Pausder hat unter anderem die HABA Digitalwerkstätten gegründet. Seit Jahren setzt sie sich für digitales Lernen ein.
  • Im Interview erklärt sie, warum die Coronakrise auch eine Chance für die Digitalisierung ist – und gibt uns praktische Tipps, wie wir nun mit unseren Kindern lernern können.

Wie lernen Kinder zuhause, wenn sie nicht in die Schule können? Welche digitalen Möglichkeiten gibt es? Darüber haben sich Eltern bis vor kurzem kaum Gedanken gemacht. Verena Pausder ist den meisten in dieser Frage sehr weit voraus. Die Gründerin der HABA Digitalwerkstätten und der Firma Fox & Sheep beschäftigt sich seit vielen Jahren mit den Möglichkeiten digitalen Lernens. Die Berlinerin ist Mitglied im Innovation Council von Dorothee Bär und Vorständin des Digitale Bildung für Alle e.V.. Im Interview erzählt die Mutter von drei Kindern, worauf es beim Lernen von zuhause ankommt und welche digitalen Seiten und Tools empfehlenswert sind.

Frau Pausder, arbeiten Sie derzeit im Homeoffice?

Ja, und es bei uns wahrscheinlich wie bei fast allen Familien in Deutschland gerade. Es ist eine extreme Situation, in der man Lehrerin und Mutter ist, versucht den Haushalt zu schmeißen, den eigenen Job am Laufen zu halten und mit echt vielen Unsicherheiten umzugehen.

Sie haben drei Kinder, wie beschäftigen die sich?

Die sind 2, 9 und 12 Jahre alt. Den großen Kindern habe ich klare Strukturen vorgegeben, sonst würde man jeden Tag aufs Neue den Ablauf mit ihnen verhandeln. Wir haben feste Zeiten für Schule, Pause, Mittagessen und Freizeit abgemacht. Während der Schularbeit hat jeder einen Schreibtisch und in unserem Fall auch jeder einen eigenen Desktop. Ich leite an, aber muss nicht die ganz Zeit daneben sitzen. Das ist der Punkt, an dem mein Thema, die digitale Bildung eine Rolle spielt.

Sie setzen sich schon seit Jahren für das Thema mit Ihrem Verein „Digitale Bildung für Alle“ ein. Wie erleben Sie gerade das Vorgehen der Schulen, den aktuellen Unterricht mit digitalen Mitteln fortzusetzen?

Es gibt ja viele Einzellösungen, viele Improvisationen, viele Versuche. Was fehlt, ist das große Konzept. Manche Lehrkräfte verteilen die Lerninhalte über eine Cloud, über PDFs, einige schreiben den Eltern eine Mail, in der steht, was die Kinder machen sollen. Viele Eltern fühlen sich überfordert und mit zusätzlicher Verantwortung alleine gelassen. Das kann nicht sein. Natürlich ist das, was wir erleben, eine Ausnahme. Es zeigt sich trotzdem sehr deutlich, welche Schulen und welche Lehrkräfte sich wenigstens schon mal ein bisschen mit digitaler Bildung auseinander gesetzt haben.

Wo und wie Kinder mit dem Internet lernen

Lernangebote im Internet für Kinder

Sofatutor.com

Online-Lernhilfe von Pädagogen, alle Fächer mit Übungen, 30 Tage kostenlos

Simpleclub.com

Lernangebote von Studenten für Schüler*innen ab der 7. Tage, kostenloses Hilfspaket für Schulen

scoyo.com

Interaktive Lernvideos und Übungen für die 1. bis 7. Klasse. Zwei Wochen kostenlos

schlaukopf.de

Online-Übungen für alle Schüler aller Schulformen, kostenlos

Lehrermarktplatz.de

Von Lehrkräften erstellte Unterrichtsmaterialien für alle Fächer, die jetzt auch an Eltern weitergegeben werden können, zum Teil kostenlos.

Anton

Lern-App für Deutsch, Mathe, Sachkunde, Bio und Musik für die 1. bis 10. Klasse.

khanacademy.org

Englische Lernvideos und Aufgaben vom Kindergarten bis zur 13. Klasse, kostenlos

bettermarks.com

Interaktive Matheaufgaben für die 4. bis 10. Klasse, die den Schulen, kostenlos

Matific.com

Interaktive Matheaufgaben vom Kindergarten bis zur 6. Klasse, derzeit 60 Tage lang kostenlos

ClassNinjas

Mathe-App für die 5. bis 8. Klasse, kostenlos.

Antolin.de

Lese-Plattform für Grund- und Sekundarschulen, kostenlos.

learnattack.de/corona

Nachhilfetool für Schüler*innen ab der 5. Klasse, zwei Monate kostenlos

Busuu.com

Fremdsprachen-App für jede Altersgruppe, kostenlos.

Duolingo.com

Fremdsprachen-App und Webunterricht, kostenlos

Kreativer Zeitvertreib im Internet

Stop Motion Studio (App)

Digitales Daumen-Kino, Filme erstellen und bearbeiten, kostenlos

Bookcreator

App zur Erstellung von interaktiven Geschichten, mit Bildern, Videos und Sounds, kostenlos

Puppet Pals (App)

Digitales Kasperletheater, kostenlos

Filmstudio für Kinder

Eigene Filme erstellen, kostenlos

Scratch Coding

Software, um Geschichten und Spiele zu erstellen, kostenlos

Weitere Links für Kinder

stbib.koeln.de

Digitalangebot der Stadtbibliothek Köln wie Literatursuchmaschine für Facharbeiten, Duden Basiswissen für alle Fächer von Klasse 5 bis 13.

www.zdi-portal.de/mint-trotz-corona-linkliste-fuer-zuhause

Zukunft durch Innovation.NRW ist eine Gemeinschaftsoffensive zur Förderung des naturwissenschaftlich-technischen Nachwuchses in Nordrhein-Westfalen und bietet derzeit eine Linkliste zu Lernplattformen und Apps

Tipps des Deutschen JugendInstituts

www.dipf.de

Das Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformationen stellt Lernangebote im Netz vor

www.dlr.de

Tipps für die schulfreie Zeit gibt das Deutsche Luft-und Raumfahrtzentrum

www.bpb.de/lernen/die-politikstunde

Eine Unterrichtsstunde in Politik täglich von 11 bis 11.45 Uhr, aber auch danach noch abrufbar

Das Mindestmaß an digitaler Bildung wäre was?

Damit ist zumindest auch immer gemeint, dass es einen Rückkanal gibt. Dass wer, eine Frage hat und Feedback braucht, sich auch weiterhin an den Lehrer oder die Lehrerin wenden kann. Aber da sind wir ziemlich schlecht aufgestellt. Jetzt rächt es sich, dass wir das Thema so lange haben schleifen lassen.

Welche Versäumnisse kritisieren Sie?

Wissen Sie, von den 3,5 Milliarden Euro aus dem Digitalpakt der Bundesregierung in dieser Legislaturperiode wurden nach einem Jahr nur ein Bruchteil abgerufen. Das liegt nicht daran, dass die Schulen keinen Bedarf hätten, sondern dass schlichtweg Lehrkräfte oder Verantwortliche fehlen, die ein Konzept erstellen. Man ist sich bis heute in vielen Fällen überhaupt nicht einig darüber, welche Infrastruktur eine Schule braucht und was man den Kindern eigentlich beibringen möchte.

Bislang haben in der Tat überhaupt nur 12 Länder Fördergelder beantragt. Wie müsste der Idealfall in Ihren Augen denn jetzt aussehen?

Vielleicht so wie in den USA, in Großbritannien und den Skandinavischen Ländern. Es gibt ja sinnvolle Anwendungen wie zum Beispiel Google Classroom oder Microsoft Teams, Plattformen, die eine Interaktion zwischen Lehrern, Eltern und Schülern ermöglichen. Da loggt sich morgens um acht Uhr die Lehrkraft in den virtuellen Klassenraum ein und kann auch verfolgen, wenn die Kinder online gehen. Lehrer stellen Aufgaben, die innerhalb einer bestimmten Zeit gelöst werden sollen, und bleiben während dieser Zeit für jeden ansprechbar. Umgekehrt können sie auch mit jedem einzelnen Kind kommunizieren.

Das könnte Sie auch interessieren:

Davon sind wir weit entfernt.

Ja, aber es nützt auch nichts, jetzt in der Krise auf Politik und Schulen zu schimpfen. Alle geben ja gerade Ihr Bestes, alle sind überfordert. Es geht nun um Soforthilfe, darum, wie wir jetzt am besten arbeiten können. Deshalb habe ich gerade mit einer Sammlung sinnvoller Tools von Anbietern begonnen, die Kindern und Eltern helfen können, falls sie mit den Vorgaben aus der Schule nicht klar kommen. Die Situation bietet natürlich auch eine Chance.

Inwiefern?

Jetzt müssen sich alle zwangsläufig mit dem Thema beschäftigen. Jeder schmeißt zwar mit Anwendungen gerade nur so um sich. Aber die Hemmschwelle ist in dieser Krise notgedrungen überwunden und wir können vielleicht nach der schweren Zeit mit einer größeren Bereitschaft für diese Thema fundiert weiterarbeiten.

Abgesehen von den Lernangeboten wären viele Eltern dankbar dafür, schlicht sinnvolle Beschäftigungen für Kinder und Jugendliche zu finden. Was können Sie uns an digitalen Tools empfehlen?

Wichtige ist jetzt gerade, dass wir als Eltern uns und unsere Kinder nicht überfordern. Wir versuchen alle, irgendwie den Unterricht zuhause möglich zu machen. Wenn wir außerdem unbedingt digitale Anwendungen ausprobieren wollen, dann nur so, dass es allen Spaß macht. Ich gebe ein Beispiel: Es gibt einen so genannten Book-Creator für alle Plattformen und Devices. Hier kann das Kind zu seinem Hobby wie Reiten oder Basketball ein Buch erstellen, mit Texten, Videos und Bildern und am Wochenende kann die ganze Familie mal darin lesen. Das könnte Eltern gerade tatsächlich entlasten, weil ihre Kinder damit einige Zeit verbringen können.

Haben Sie noch ein Beispiel?

Es gibt gute Tools, um einen Stop-Motion-Film, also quasi ein digitales Daumenkino zu drehen. Kinder, nehmt Eure Lego- und Playmobil-Männchen, denkt Euch eine Geschichte aus, der eine macht Fotos, der andere stellt die Männchen in Position, unterlegt das Ganze mit Musik und präsentiert es Eurer Familie abends. Es geht nicht darum, digital das zu machen, was man auch genauso gut analog machen könnte. Sondern darum, digitale Tools als Kreativ-Werkzeug in dieser Phase zu nutzen.

Gibt es eine App, die Ihre eigenen Kinder besonders gerne nutzen?

Das ist tatsächlich der E-Book-Creator und die Software Scratch: Da gibt es tausende Sachen, die Kinder unterschiedlichen Alters ausprobieren können. Nochmal: Wir müssen familienkompatibel denken, weil man sich jetzt gerade nicht um jedes einzelne Kind im Detail kümmern kann.

Haben Sie Tipps an die Kinder, die sich jetzt vernetzen wollen, weil sie sich gerade nicht treffen können?

Eher an die Eltern. Schule ist ja vor allem auch dafür da, soziale und emotionale Kompetenzen und das Miteinander zu pflegen. Das fehlt gerade und wird mehr und mehr eingeschränkt. Daher der Appell an die Eltern, nicht so streng zu sein, was die Nutzung von Whats-App oder Messenger betrifft. Das ist die Art und Weise, wie Kinder und Jugendliche heute mit ihren Freunden in Kontakt zu bleiben.

KStA abonnieren