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Folgen der Corona-ZeitUnter diesen Symptomen leiden Kinder und Jugendliche

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Viele Kinder und Jugendliche leiden in der Corona-Zeit an psychischen Problemen.

Viele Kinder und Jugendliche leiden in der Corona-Zeit an psychischen Problemen.

Köln – Mehr als 80 Prozent der Kinder und Jugendlichen sind in der Corona-Zeit psychisch belastet gewesen. Schulprobleme, weniger soziale Kontakte, beeinträchtigte Freundschaften und Streit in der Familie: Diese Aspekte der COPSY-Studie der Uniklinik Hamburg-Eppendorf greift auch Silvia Schneider auf. Schneider ist Professorin für Klinische Kinder- und Jugendpsychologie an der Ruhr-Universität Bochum und Sprecherin der Fachgruppe Klinische Psychologie und Psychotherapie der Deutschen Gesellschaft für Psychologie. Für die Staatskanzlei NRW hat Schneider einen Bericht erstellt, der die prekäre Lage der jüngeren Generationen in der Pandemie noch einmal verdeutlicht.

Die Daten der COPSY-Studie, die Schneider in ihrem Bericht zitiert, sind zu drei unterschiedlichen Zeitpunkten in der Pandemie entstanden. Mehr als 1000 Kinder und Jugendliche von elf bis 17 Jahren wurden nach ihrem Befinden befragt: im Mai und Juni 2020, im Dezember 2020 und Januar 2021, und im September und Oktober 2021.

Dass sich mehr als dreiviertel aller Befragten belastet fühlt, ist für Silvia Schneider keine Überraschung: „Das spielt sich leider in dem Rahmen ab, in dem ich es erwartet habe. Die Empfänglichkeit dafür, psychische Störungen zu entwickeln, ist im Kindes- und Jugendalter besonders hoch. Wenn jemand eine Störung entwickelt, dann fängt es da an.“ Kinder würden besonders unter Angstzuständen leiden, Jugendliche unter depressiven Phasen.

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Psychische Störungen starten meist im Kinder- und Jugendalter

75 Prozent aller Menschen mit psychischer Störung bilden diese bis zu einem Alter von 24 Jahren aus, wie Schneider in einer eigenen Studie untersucht hat. 50 Prozent sogar in der Altersspanne unter 14 Jahren. Gleichzeitig sind Kinder und Jugendliche in der Forschung unterrepräsentiert. Während gerade durch Schul- und Kitaschließungen die Situation von Kindern und Jugendlichen in der Öffentlichkeit zwar besonders im Fokus stand, gab es wenige wissenschaftliche Untersuchen dazu.

„Viele Entscheidungen im Kinder- und Jugendbereich werden aus dem Bauch heraus getroffen und sind nicht evidenzbasiert“, sagt Schneider. Das liege vor allem daran, dass die Forschung mit Kindern sehr viel aufwändiger ist. „Erwachsene kann man einfach vor einen Fragebogen setzen. Für die Auswertung einer Verhaltensbeobachtung eines Kleinkindes brauche ich deutlich länger.“ Das sei in der Konsequenz teurer, mehr Fördergeld würde benötigt.

Corona-Folgen: Gute Prävention spart am Ende Geld

„Dabei rechnet sich diese Geld am Ende mittel- und langfristig. Weil dann in gute Prävention investiert werden kann“, sagt Schneider. Gerade zum jetzigen Zeitpunkt, in der akute Schul- und Kitaschließungen nicht anstehen, könne man darüber nachdenken, wie man in Zukunft eine so starke Belastung von jüngeren Menschen vermeiden könne. Diese Botschaft habe sie auch bei ihrem Vortrag in der Staatskanzlei deutlich machen wollen.

„Keine andere Generation hat so sehr unter den Folgen der Pandemie gelitten wie Kinder und junge Menschen. Geschlossene Kitas und Schulen, Erkrankungen und Quarantäne in der Familie, Kontaktbeschränkungen – Kinder haben auf sehr vieles verzichten müssen“, sagt der amtierende Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) auf Anfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“ zum von Schneider erstellten Bericht. „Aufholen nach Corona für Kinder und Jugendliche“ muss das Leitmotiv der kommenden fünf Jahre sein.“

Jugendlichen besser zuhören

Thomas Kutschaty von der SPD kritisiert hingegen den bisherigen Umgang der Landesregierung mit Kindern und Jugendlichen. „Wir müssen die Perspektive wechseln und jungen Menschen endlich besser zuhören - das ist auch eine Lehre aus der Pandemie“, sagte er dieser Zeitung. Sein Vorschlag: Ein Betroffenenrat in Missbrauchsfällen, eine Kinderbeauftragte und viele Einzelmaßnahmen in den Ämtern und Bildungseinrichtungen.

Auch Silvia Schneider plädiert für Maßnahmen in Schulen. „Wir brauchen niedrigschwellige Angebote. Sozial benachteiligte Familien sind stärker belastet, über die Schule kommen wir aber an alle Kinder ran.“

„Zu sehr entscheidet die Herkunft und nicht Fleiß und Talent über das, was im Leben möglich ist“, sagt Kutschaty. Bei Hendrik Wüst klingt das ähnlich: „Wir müssen ihre Talente und Fähigkeiten erkennen, sie fördern und ihnen die bestmöglichen Chancen für ein gutes Leben geben.“

Einschlafprobleme oder Schwierigkeiten beim Essen

Denn die konkreten Folgen der Belastung wiegen schwer, für Kinder wie für Eltern, wie Schneider erklärt. „Bei ganz kleinen Kindern bis zum dritten Lebensjahr äußert sich das vor allem in Regulationsproblemen. Die Kinder tun sich schwer, sich zu beruhigen. Die klassischste Situation ist die beim Schlafen: Das Kind braucht länger um einzuschlafen, oder nach dem Wachwerden wieder einzuschlafen“, sagt sie. Auch das Füttern könne zum Problem werden, wenn die Eltern versuchen das Kind zu ernähren, und es sich weigert. Kleinkinder würden außerdem besonders viel schreien. Das führe auch zu einer zusätzlichen Belastung der Elternteile.

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„Die Eltern müssen auch an sich selber denken“, sagt Schneider. „Es darf nicht die totale Aufopferung geben. Man muss zwischendurch auch mal seine Kräfte sammeln können, gerade in Zeiten von Quarantäne und Lockdown.“ Abpuffern könnten die Eltern die Symptome ihres Kindes auch durch Gespräche über die Pandemie und über den Nutzen der Quarantäne. In einer „Toolbox“ hat Schneider Tipps für Eltern zusammengefasst, mit denen die in der COPSY-Studie aufgeführten negativen Effekte der Pandemie, wie erhöhter Medienkonsum, weniger Bewegung und vermehrtes Essen von Süßigkeiten, abgemildert werden können.

„Strukturen beizubehalten ist enorm wichtig“, sagt Schneider. „Dazu sollte man immer zur gleichen Zeit aufzustehen, gesund essen und vor dem Schlafen früh genug in einen Ruhezustand überwechseln. Kinder brauchen außerdem viel motorische Aktivität – also Bewegung.“ Diese Tipps könnten auch in kommenden Corona-Wellen noch von Bedeutung sein: In der dritten Phase der COPSY-Befragung im Herbst 2021 war nur eine leichte Entspannung der Situation erkennbar.

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