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Interview„Habt keine Angst vor mir!“

Lesezeit 8 Minuten
2008 verlor Barbara Pachl-Eberhart bei einem Unfall an einem unbeschrankten Bahnübergang ihren Mann und beide Kinder.

2008 verlor Barbara Pachl-Eberhart bei einem Unfall an einem unbeschrankten Bahnübergang ihren Mann und beide Kinder.

Frau Pachl-Eberhart, vor sechs Jahren haben sie durch einen Autounfall Ihren Mann und Ihre beiden Kinder verloren. Kann man aus einem solchen Alptraum je wieder aufwachen?

Barbara Pachl-Eberhart: Jein. Ich habe gelernt, damit zu leben. Aber die Tatsache, dass ich meine Familie verloren habe, bleibt bestehen – wie alles andere, das im Laufe eines Lebens geschieht. Die Frage ist nur: Welchen Platz geben wir ihm in den vielen, vielen Bausteinen unseres Lebens? Ich habe für den Tod meiner Familie einen versöhnlichen Platz in der Ordnung meines Lebens gefunden.

Barbara Pachl-Eberhart, geboren 1974 in Wien, ist ausgebildete Volksschullehrerin. Bis 2009 arbeitete Sie – zeitweise mit ihrem Mann – als Clown bei den Rote Nasen Clowndoctors. Über den Unfalltod ihrer Familie hat sie zwei Bücher geschrieben:

Vier minus drei – Wie ich nach dem Verlust meiner Familie zu einem neuen Leben fand. Integral 2010, Taschenb. 9,99 €

Warum gerade du? Persönliche Antworten auf die großen Fragen der Trauer, Integral 2014, Hardcover 17,99 €

Was war für sie das Schlimmste?

Pachl-Eberhart: Meine Art und Weise, schnell auch bejahend mit dem Tod meiner Familie umzugehen, wurde von manchen Menschen in meinem Umfeld nicht gutgeheißen. Das hat mich erschreckt. Ich habe im Krankenhaus vier Tage lang intensiv von meinen Kindern Abschied nehmen können, ich habe ihre Nähe gespürt und war mir auch nach ihrem Tod sicher, dass sie noch da waren. Ich war sicher: Sie wollen, dass ich glücklich bin und nicht in Sack und Asche gehe. Da bin ich bei einigen auf Widerspruch gestoßen, und das war nicht einfach zu ertragen. Ich hatte halt meine persönlichen Bewältigungsmechanismen – jeder sollte da seinen eigenen Impulsen folgen dürfen.

Wie sind Sie danach mit diesem urplötzlichen Verlust umgegangen?

Pachl-Eberhart: Man stellt sich immer vor, dass so ein plötzlicher Unglücksfall das Schlimmste ist, was einem passieren kann. Aber ich habe sofort auch die andere Seite gesehen: Sie mussten nicht leiden. Sie waren nicht jahrelang schwer krank, auch wenn das sicher ein anderes Abschied nehmen ermöglicht hätte. Es hat mich getröstet, dass es so schnell gegangen ist und sie schnell bei Gott in guten Händen waren. Ich habe später auch viel geweint, aber das kam nicht sofort.

Wann kam das?

Pachl-Eberhart: Es kam in Schüben, zuerst vor allem nachts. Es war wie ein plötzliches Erwachen aus einem Alptraum, nur dass der Alptraum leider real war. Es kam, wenn ich durch das Haus ging und merkte, die Schränke sind noch voller Spielzeug, mit dem niemand mehr spielen wird. Ein kritischer Moment war ein paar Tage nach dem Tod der drei, als ich Geburtstag hatte und eine Freundin sagte: „Das ist der erste Geburtstag deines neuen Lebens“. Das hat mir sehr wehgetan. Mir wurde schlagartig klar, dass dieser Unfall auch für meinen Lebensentwurf radikale Konsequenzen hatte.

Was hat ihnen damals in der schlimmsten Zeit geholfen?

Pachl-Eberhart: Eine lebensrettende Sofortmaßnahme war, dass ich sehr schnell angefangen habe zu schreiben, Briefe an meine tote Familie und Mails an meine Freunde, um ihnen zu erklären, wie es mir geht und ihnen auch zu sagen: „Ihr braucht keine Angst vor mir zu haben. Ich brauche jetzt Leute, die einfach da sind und mir zeigen, wie das Leben weitergeht. Oder Leute, die mein Auto zum Service fahren oder mal meinen Rasen versorgen.“ Solche ganz lebenspraktischen Hilfen übersieht man leicht. Man denkt oft, Trauer sei nur ein psychisches Problem. Geholfen hat mir auch, dass ich angefangen habe zu trommeln. Da konnte ich mich abreagieren.

Sie haben über den Tod Ihrer Familie ein Buch geschrieben. Durchlebt man dann nicht noch einmal alles aufs Neue?

Pachl-Eberhart: Doch, natürlich das tut man. Aber ehrlich gesagt: Ich hätte selber gerne ein solches Buch gelesen. Ich habe alle Buchgeschäfte abgegrast nach einem Erfahrungsbericht, der Mut macht. Zum Schreiben ermutigt haben mich letztlich auch meine Freunde. Viele von Ihnen haben mir gesagt, dass ihnen meine Briefe geholfen haben, mit ihrer eigenen tiefen Trauer klar zu kommen.

War denn das Schreiben für sie auch eine Art Therapie, um die eigenen Trauer zu überwinden?

Pachl-Eberhart: Bestimmt, obwohl es nicht meine eigentliche Motivation gewesen ist. Ich hatte aber einen sehr strengen Lektor hatte, der die Gabe hatte, seine Finger genau auf die wunden Punkte zu legen. Es gab da ein paar Stellen im Manuskript, wo er sagte: „Da schummeln Sie sich selbst noch über etwas hinweg.“ So konnte ich im Schreiben noch mal einen Schritt der Verarbeitung machen.

Kann man Trauer überhaupt je überwinden?

Pachl-Eberhart: Ich trau mich zu sagen: ja! Aber man muss unterscheiden. Natürlich heißt es nicht, dass ich nie mehr im Leben traurig bin aus Sehnsucht zu meiner Familie. Kurioserweise taucht der Schmerz gerade in Momenten großer Freude auf. Vielleicht deshalb, weil Freude viel schöner sind, wenn man sie teilt. Dann wird mir klar, wie sehr mir Thimo, Fini und mein lustiger Mann Heli fehlen. Trotzdem: Trauer ist die Emotion der Veränderung. Irgendwann findet man eine neue Ordnung, dann ist für mich der klassische Prozess der Trauer abgeschlossen. Das ist der Moment, indem ich wieder Boden unter den Füßen habe und aus freien Stücken „ja“ zu seinem Leben sagen kann.

Sie haben schnell einen neuen Partner gefunden

Pachl-Eberhart: Ja. Nach vier Monaten. Mein Arbeitgeber hatte mich freigestellt. So hatte ich vier Monate lang Zeit, mich neu zu ordnen. Hinzu kam, dass ich wieder ein Kind haben wollte. So öffnete ich mich für die Idee eines neuen Partners. Und auf einmal stand dieser Mann in der Wohnung von Freunden. Ich habe gleich gemerkt: Der hat was.Wir sind bis heute zusammen.

Wie sehr hat Ihnen Ihr Partner bei der Trauerbewältigung geholfen?

Pachl-Eberhart: Rückblickend würde ich sagen, dass ich mit der richtigen Trauer erst beginnen konnte, als ich die Rückendeckung durch meinen neuen Partner hatte. Die Gespräche mit ihm haben mir unglaublich geholfen, meine neue Ordnung zu finden. Mit meinen Freunden und meiner Familie wäre das nicht so gut gegangen, die waren ja alle selber so betroffen. Geholfen hat mir daneben aber auch, dass ich die ganze Zeit über therapeutische Begleitung hatte.

Sie sind dann auch nach Wien gezogen. Wollten sie bewusst einen Schlussstrich ziehen?

Pachl-Eberhart: Nein, am liebsten wäre ich in der Steiermark geblieben und hätte das Haus, in dem wir gewohnt haben, gekauft. Aber mein neuer Partner lebte in Wien , also bin ich mit ihm gegangen.

Sie haben nun ein zweites Buch geschrieben. Warum?

Pachl-Eberhart: Es waren vor allem die vielen Fragen, die mir die Menschen in meinen Vorträgen gestellt haben. Da habe ich gemerkt: Es gibt noch so viel zu sagen. Außerdem habe ich mir selbst in diesem Buch die Erlaubnis gegeben, meine Trauer zu Ende gehen zu lassen, und ich wollte meine Leser mitnehmen in diesen Prozess.

Warum gerade du?

Montag, 17. November,

19.30 Uhr

studio dumont, Breite Str., Köln

Bestseller-Autorin Barbara Pachl-Eberhart berichtet, welch quälende Fragen sie in ihrer Trauer um ihre Familie begleitet haben, welche Antworten sie im Laufe der Jahre darauf gefunden und wie sie so wieder ins Leben zurückgefunden hat.

Tickets: 12,55 Euro (Abocard 10,55 Euro) unter ☎ 0221/ 2801

www.koelnticket.de

www.abocard.de

Ihrem Buch geben Sie „Persönliche Antworten auf die großen Fragen der Trauer“. Welche sind das?

Pachl-Eberhart: Das sind die Fragen, die einen nachts nicht schlafen lassen oder die beharrlich immer wieder kommen. Ich selbst habe gemerkt, dass man die Antworten auf diese Fragen nach und nach finden kann, in Form von Bildern, Handlungen oder Rettungsmaßnahmen, die man selber plötzlich für sich erfindet. Diesen ganzen Werkzeugkoffer an Erfahrungen möchte ich weitergeben.

Welche Antwort geben sie auf die Frage, die sich die meisten Trauernden stellen: Warum gerade du?

Pachl-Eberhart: Dazu gibt es viel zu sagen. Aber ein wichtiger Aspekt ist für mich: In diesem Satz fehlt das Verb. Und allein das ist eine große Chance, die Frage anders zu begreifen. Denn bevor wir uns fragen, warum ein Mensch gestorben ist, dürfen wir uns fragen, warum er gelebt hat. Und auf einmal purzeln die Antworten aus uns nur heraus. In den kleinen Antworten nach dem Sinn des Leben stecken manchmal kleine Hinweise auf den Sinn des Lebensendes.

Sie schreiben, dass die Nachfrage „Wie geht es dir?“ für Trauernde schwierig ist. Warum?

Pachl-Eberhart: Die Frage ist eine Floskel ist, bei der der Fragende oft nicht in die Tiefe schweifen und eigentlich nichts anderes als ein kurzes „gut“ hören will. Sagt man „schlecht“, dann fühlt sich der andere peinlich berührt und man muss gleich weitere Erklärungen abgeben. Wirkliche Gefühle aber sind etwas sehr Intimes. Das braucht einen tieferen Rahmen. Deshalb sollten Trauende auswählen dürfen, wem sie ihr Seelenkästchen öffnen wollen.

Was würden Sie Trauernden raten?

Pachl-Eberhart: Dass sie nicht den Anspruch an sich haben, alles alleine schaffen zu müssen, Man sollte sich irgendeinen Außenstehenden suchen, der einem hilft. Oder auch eine Trauergruppe. Darüber hinaus gibt es ein schönes Modell, in dem bestimmte Traueraufgaben beschrieben sind. z.B. eine neuartige Beziehung zum verstorben Menschen aufzubauen, sein Leben an die Realität ohne den Verstorbenen anzupassen und auch zu lernen, Gefühle auszudrücken ohne sich von ihnen überwältigten zu lassen und sie zu verdrängen. Diese Aufgaben sind für alle gleich, die Lösungen individuell.

Das Gespräch führte Angela Horstmann

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