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Interview mit Psychologin Jana Lieberz„Einsamkeit ist gefährlicher als Übergewicht”

Lesezeit 6 Minuten
Frau sitzt alleine im Flur Getty

Einsamkeit ist ein ebenso großer Risikofaktor wie das Rauchen.

Köln – Frau Lieberz, Sie beschäftigen sich an der Universität Bonn im Rahmen einer Studie mit Einsamkeit – ein großes Thema in Zeiten der Pandemie. War die Corona-Krise Anlass, dieses Thema aufzugreifen?

Jana Lieberz: Nein, unsere Studie läuft seit 2018. Wir arbeiten eng mit der Universität von Haifa zusammen. Einsamkeit ist generell seit einigen Jahren ein wichtiges Thema in der Wissenschaft. 2010 gab es dazu eine erste große US-amerikanische Metaanalyse, bei der ein möglicher Zusammenhang zwischen Einsamkeit und vorzeitiger Sterblichkeit untersucht wurde. Sie ergab, dass Einsamkeit ein ebenso großer Risikofaktor ist wie das Rauchen und sogar ein noch größerer als Übergewicht. Das soziale Umfeld eines Menschen hat also einen extremen Einfluss auf seine psychische und physische Gesundheit.

Zur Person

Jana Lieberz, 28,  ist Psychologin und wissenschaftliche Mitarbeiterin in der „Sektion für Medizinische Psychologie der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie“ am Universitätsklinikum Bonn.

Was genau ist das Thema Ihrer Studie?

Unsere Studie besteht aus zwei Phasen. Der erste Teil, der sich mit den biologischen Grundlagen beschäftigt, ist inzwischen abgeschlossen. Ziel war herauszufinden, inwieweit Einsamkeit mit einem verringerten zwischenmenschlichen Vertrauen einhergeht und ob dieser Mangel an Vertrauen für die Betroffenen im Hinblick auf soziale Interaktionen problematisch ist. Der Hintergrund ist: Zwischenmenschliches Vertrauen ist einerseits essentiell für die Entstehung und Aufrechterhaltung positiver sozialer Beziehungen. Gleichzeitig ist es jedoch immer mit dem Risiko verbunden, enttäuscht zu werden und selber zu Schaden zu kommen.

Und der zweite Teil?

Mit dem haben wir im vergangenen Jahr begonnen. Dabei geht es um eine Intervention gegen Einsamkeit. Wir schauen, ob man nicht schon im Vorfeld eingreifen kann, bevor sich eine Erkrankung manifestiert. Können positive Erfahrungen mit anderen Menschen das Gefühl von Einsamkeit reduzieren? Oder braucht jemand mehr Hilfe als nur ein nettes Gespräch.

Die Studie

Die „GIF-Studie“ wird von Dr. Dirk Scheele geleitet. Finanziert wird die Studie von der deutsch-israelischen Stiftung für wissenschaftliche Forschung und Entwicklung (German-Israeli Foundation for Scientific Research and Development, GIF). In dem Projekt arbeitet ein interdisziplinäres Team aus Psychologinnen, Psychotherapeutinnen und Medizinern zusammen.

Für den zweiten Teil der Studie werden noch Probanden gesucht. Interessenten können sich melden unter: gif2-studie@uni-bonn.de

Wie könnte eine solche Intervention aussehen?

Geplant sind über mehrere Wochen Gruppensitzungen, die von einem Therapeuten angeleitet werden. Bislang hat uns Corona einen Strich durch die Rechnung gemacht, weil die Gruppensitzungen nicht stattfinden konnten. Aber das wird sich hoffentlich bald ändern.

Kommen wir noch einmal zurück auf Teil eins. Wie testet man, ob jemand einem anderen Menschen vertraut, und was hat das mit den biologischen Grundlagen von Einsamkeit zu tun?

Teilgenommen haben 82 Männer und Frauen zwischen 18 und 58 Jahren. 42 von ihnen hatten wir mit Hilfe eines Fragebogens als einsam eingestuft, die übrigen 40 waren sozial gut eingebunden. Sie mussten verschiedene Aufgaben lösen, zum Beispiel jemandem Geld leihen, ohne zu wissen, was derjenige damit macht und ob sie es wiederbekommen werden. Während dieses Vertrauensspiels wurde eine MRT, einer Magnetresonanztomografie gemacht, mit der ihre Hirnaktivität gemessen wurde. Die Entscheidungen, die die Probandinnen und Probanden trafen, hatten übrigens durchaus reale finanzielle Auswirkungen, denn teilweise hing davon die Höhe ihrer Aufwandsentschädigung ab.

Was können Sie uns über die Ergebnisse sagen?

Es zeigte sich, dass die einsamen Probandinnen und Probanden im Vergleich zu denen der Kontrollgruppe eine verringerte Hirnaktivität in Hirnregionen zeigten, die unter anderem mit zwischenmenschlichem Vertrauen assoziiert sind. Auch das Zusammenspiel mit anderen Regionen des Gehirns war verringert. Außerdem fanden wir heraus, dass einsame Menschen weniger gut als andere auf positive Gespräche reagieren.

Wie haben Sie das gemacht?

Indem wir uns mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Studie unterhalten haben. Die Gespräche waren an alltägliche Smalltalk-Situationen angelehnt. Während die Kontrollprobanden danach deutlich besser gelaunt waren als vorher, war das bei den einsamen Probanden nicht der Fall. Was auch interessant war: Die Versuchsleiter wussten vorher nicht, ob ihr Gesprächspartner oder ihre Gesprächspartnerin einsam war. Dennoch haben sie überzufällig häufig richtig eingeschätzt, ob sich der oder die Betreffende einsam fühlte oder nicht.

Was schließen Sie daraus?

Dass verringertes Vertrauen nicht nur zu Einsamkeit führen kann, sondern eventuell auch dazu beiträgt, sie aufrechtzuerhalten, so dass man auf diese Weise in einen Teufelskreis gerät. Allerdings können wir nicht sagen, ob das verringerte Vertrauen zu Einsamkeit führt oder umgekehrt Einsamkeit das verringerte Vertrauen bedingt.

Wie unterscheidet sich Einsamkeit vom Alleinsein?

Einsamkeit ist etwas komplett anderes als Alleinsein. Es geht nicht darum, dass diese Menschen isoliert sind und keinen Kontakt zu anderen haben, sondern darum, dass sie sich einsam fühlen, und zwar unabhängig davon, wie groß ihr Netzwerk ist und wie viele Menschen sie täglich sehen oder treffen. Entsprechend konzipiert ist auch der verwendete Fragebogen, mit dem wir dieses subjektive Gefühl von Einsamkeit erfassen wollten.

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Wonach haben Sie gefragt?

Uns interessierten die verschiedenen Aspekte der Einsamkeit. Dass man sich zum Beispiel von anderen Menschen nicht verstanden fühlt und glaubt, dass einen niemand wirklich gut kennt. Oder das Gefühl hat, außen vor zu sein, zu wenig Kontakte zu haben. Auch wenn das objektiv betrachtet vielleicht gar nicht stimmt.

Inzwischen hat die zweite Phase Ihrer Studie begonnen. 2019, also noch vor Beginn der Pandemie, haben Sie erneut Probanden und Probandinnen gesucht. Wie viele haben sich auf Ihren Aufruf gemeldet?

Mehr als 5000, darunter viele junge Leute. Etwa 500 von ihnen sind für uns interessant. Kontakt haben wir bisher mit rund 60 Personen aufgenommen, wobei der Anteil der Frauen überwiegt. Das Geschlechterverhältnis beträgt ungefähr 3:1 zugunsten der Frauen.

Wie erklären Sie sich die hohe Zahl von jungen Menschen?

Das kann daran liegen, dass wir verstärkt über soziale Medien gesucht haben. Unsere Zielgruppe sind Menschen zwischen 18 und 65 Jahren. Allerdings muss ich zugeben, dass mich persönlich erschüttert hat, wie viele Studierende unseren Fragebogen ausgefüllt haben. Wir hatten auch Flyer in den drei Bonner Mensen aufgehängt und bekamen täglich 30 bis 50 Rückmeldungen. Und das nur von denjenigen, die die Mensa besucht haben.

Einsamkeit ist also keine Frage des Alters?

Absolut nicht, obwohl der Fokus bei diesem Thema häufig bei den Älteren liegt, die allein oder in einem Seniorenheim leben. Für jeden ist plausibel, dass diese Menschen schnell einsam werden können. Inzwischen weiß man, dass schon Mittzwanziger unter Einsamkeit leiden. Diese Altersgruppe wurde bisher in der Forschung weitgehend ignoriert, weil man denkt, dass gerade sie sozial gut eingebunden ist. Man hat einen Job oder studiert, hat also gute Voraussetzungen für soziale Kontakte.

Und fühlt sich dennoch mutterseelenallein. Was könnten die Gründe dafür sein?

Darüber wird in der Forschung gerade ein bisschen gestritten. Die sozialen Medien tragen sicher ihren Teil dazu bei, dass sich schon junge Menschen einsam fühlen. Bekommen sie auf den sozialen Kanälen auf ihre Posts nicht das positive Feedback, das sie erwarten, kann das ihre Einsamkeit sogar noch verstärken. Der andere Punkt ist, dass die Auswirkungen von psychischen Erkrankungen und sozialen Faktoren auf die Gesundheit der Menschen heute stärker in den Fokus gerückt sind als noch vor einigen Jahren. Auch die Betroffenen selber gehen heute anders mit psychischen Problemen um als früher und sprechen die Dinge offen an, statt sich dafür zu schämen. Ich glaube nicht, dass die Menschen heute unbedingt einsamer sind als früher. Man ist nur aufmerksamer geworden in der Politik und in der Gesellschaft.

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