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Jasmin Gerat„Ich dachte, alle kriegen das hin mit den Kindern – nur ich nicht“

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Schauspielerin Jasmin Gerat hat zwei Töchter und sagt, dass sie das Muttersein immer noch jeden Tag ein wenig üben muss.

  • Die Schauspielerin Jasmin Gerat hat zwei Kinder und war beim ersten Kind nicht gut auf die Schwierigkeiten vorbereitet.
  • Davon erzählt sie im Buch „Mütter aus Deutschland“ von Bloggerin Tanya Neufeldt.
  • Das ganze Interview mit Jasmin Gerat dürfen wir hier veröffentlichen.

Köln – Mütter – ihre Aufgaben waren jahrelang selbstverständlich, aber es findet ein Umdenken statt, meint Tanya Neufeldt. In ihrem neuen Buch „Mütter aus Deutschland“ hat sie 30 sehr unterschiedliche Mütter interviewt, um zu zeigen, dass es „die Mutter“ gar nicht gibt.

„Dieses Projekt hat mir doch noch einmal eine ganz andere Perspektive auf das Muttersein gegeben“, sagt sie. Raus aus der eigenen Blase und rein ins Leben von Frauen mit Kindern, die wir aufgrund von Geographie, Alter oder Herkunft vielleicht sonst nie kennengelernt oder wahrgenommen hätten.

Jede Mutter hat ihre Geschichte und ist geprägt von ihrer Mutter

Die Rucksäcke, die Frauen trügen, seien einfach sehr unterschiedlich. „Ich bin viel, viel vorsichtiger mit Beurteilungen und Bewertungen. Jede Mutter hat ja ihre Geschichte, und jede Mutter ist auch geprägt von ihrer Mutter und die wiederum von ihrer Mutter.“

Da ist die vollzeitarbeitende Frau, die Mutter von Pflegekindern, die aus schwierigen Verhältnissen kommen – oder die Schauspielerin, die immer mal wieder lange bei den Kindern ist – und dann wieder lange weg, weil sie dreht. 

Jasmin Gerat hat zwei Kinder und freut sich über mehr Wertschätzung für Mütter

Jasmin Gerat zum Beispiel. Sie hat zwei Kinder und war bereit, Teil des Projekts zu werden – auch weil sie hinter der Idee steht, Mütter in all ihrer Vielfalt zu zeigen und weil die Erlöse des Buches in die Unterstützung von geflüchteten Frauen fließen. Sie freut sich über die Entwicklung hin zu mehr Wertschätzung von Müttern, denn das führe dazu, dass sie „endlich auch mal sagen dürfen 'Ich kann nicht mehr'“.

Das Porträt, das über Jasmin Gerat im Buch erschienen ist, dürfen wir hier in voller Länge veröffentlichen:

„Das Spannende an Kindern ist, dass ich üben darf, über meine alten Verhaltensmuster hinauszuwachsen.“ Jasmin wurde das erste Mal mit 28 Jahren Mutter und war davon überzeugt, eine lässige Hippie-Mutter zu werden, die ihre Kinder überall mit hinnimmt. Die Realität sah allerdings anders aus.

Gerat: „Ich dachte, alle kriegen es hin, nur ich nicht“

„Die ersten Jahre war ich richtig sauer, dass mich niemand darauf vorbereitet hatte. Alle sagten immer nur, wie schön es ist. Aber diese Ehrlichkeit unter Müttern, dass man sich traut zu zeigen ‚Ich kann nicht mehr‘, die gab es vor zehn Jahren noch gar nicht. Das fängt ja jetzt erst langsam an. Ich dachte, alle kriegen es hin, nur ich nicht.“

Mittlerweile hat sie eine zweite Tochter, acht Jahre trennen die beiden. „Das Leben kam dazwischen...“, sagt sie lachend zum Altersabstand.

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Es muss nicht alles sofort funktionieren – es dauert ein Leben lang

„In unserer Gesellschaft wird nach wie vor vorausgesetzt, dass Frauen Kinder kriegen und von vornherein damit zurechtkommen.

Es ist immer noch ein Tabuthema, dass es Mütter gibt, die ihr Kind zuerst gar nicht annehmen können. Aber auch wir Frauen müssen uns an die neuen Umstände und die Kinder gewöhnen. Das ist ja erst mal ein wildfremder Mensch. Und die Ansprüche sind so hoch, dass alles sofort funktionieren muss. Nein, muss es eben nicht. Es dauert ein Leben lang.“

Jasmin bindet ihre Familie von vornherein voll ein. Die Oma reist mit, wenn Jasmin in anderen Städten oder Ländern arbeitet. Als die Große ein Jahr alt ist, geht es für ein paar Wochen mitten in den afrikanischen Busch.

„Da war ein Dorf, in dem alle Kinder frei herumliefen und spielten. Die ganze Dorfgemeinschaft hat aufgepasst. Jeder fühlte sich verantwortlich. Das hat mich tief berührt. Das ist nicht so wie hier, wo viele geradezu degeneriert in ihrer Vierzimmerwohnung sitzen und sich jeder hauptsächlich um seinen eigenen Mist kümmert.“

Eins ist ihr in den Jahren als Mutter klar geworden: Kinder großzuziehen braucht ganz viel Zeit, Bewusstsein und Zuwendung

„Wir müssen umdenken. Die Zeit der schwarzen Pädagogik, mit der Kinder zurechtgestutzt wurden, damit sie wie Soldaten mitlaufen, ist vorbei. Wir sind die Generation, die mitgestaltet, was in der Zukunft passiert. Heute geht es darum, empathische Menschen großzuziehen, damit uns im besten Falle weniger Bomben um die Ohren fliegen.

In Deutschland muss die Gründung einer Familie nebenbei laufen – Vollzeit arbeiten, Haushalt perfekt schmeißen. Ich habe das Gefühl, da muss dringend eine neue Wertschätzung stattfinden. Und das meine ich im wahrsten Sinne des Wortes: Wert.“

Zwei Kinder mit einem großen Altersabstand zu bekommen, bringt auch große Herausforderungen. Während die Große mit acht Jahren aus dem Gröbsten raus war, musste Jasmin noch einmal ihr Tempo ändern und sich ganz neu und anders auf die Bedürfnisse der Kleinen einlassen. „Ich bin ein sehr freiheitsliebender Mensch. Ich liebe die Stille. Und jetzt habe ich zwei sehr quirlige Mädchen bekommen.“

Früher gehörte sie auch zu denen, die im Supermarkt die Augen rollten, wenn Kinder sich nicht benahmen

„Man hat einfach keine Ahnung, wie anspruchsvoll das Leben mit Kindern sein kann. Ich liebe ja die Wildheit meiner Mädchen. Aber sie ist halt auch anstrengend, man muss sie aushalten. Ich hätte nie geahnt, wie wichtig Grenzen sind.“

Man lernt mit Kindern seine eigenen Grenzen zu sehen, sie zu wahren und ihnen dabei zu helfen, ihre eigenen zu erkennen und zu schützen. Kommunikation ist für Jasmin ein Schlüsselwort.

„Es ist mir ganz wichtig, meinen Töchtern mitzugeben, dass alle Gefühle erlaubt sind, man sie aber auch vermitteln können und darüber reden muss“

Jasmins Eltern sind Kinder der Nachkriegsgeneration. Damals ging es ums schiere Überleben, Essen auf den Tisch zu bringen und die Kinder so ruhig zu halten, damit sie nicht noch mehr Arbeit machten.

„Wir haben hier die große Chance, empathische, kommunikative Kinder großzuziehen. Durch meine Kinder habe ich zum Beispiel gelernt, wie machtvoll eine Entschuldigung sein kann. Ich bin immer wieder erstaunt, was das auslöst, wenn ich mich bei meinen Kindern entschuldige. ‚Es tut mir leid‘, hört man ganz oft bei uns im Haus, und dann erleben meine Kinder immer wieder: ‚Ah, Mama, übt ja auch noch’. Jeden Tag.“ 

Buchtipp:Tanya Neufeldt, Mütter aus Deutschland, kladdebuchverlag, 2019

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