Adoption„Happy End nach acht Jahren Kampf – plötzlich lag ein Baby neben uns“

Endlich das eigene Kind auf dem Arm – davon hatte Thorsten Beyer jahrelang nur träumen können. Dann änderte sich plötzlich alles.
Copyright: Thorsten Beyer
Köln – Schon an jenem Tag auf dem Oktoberfest, als sie sich das erste Mal trafen, beschlossen Thorsten Beyer und seine spätere Frau Tanja in einer lustigen Bierlaune, wie sie einmal ihre gemeinsame Tochter nennen würden. Es war der Beginn einer großen Liebe. Sie konnten da noch nicht ahnen, wie schwierig es einmal werden würde, ihren Wunsch vom Kind tatsächlich zu leben. „Man hört und sieht ja immer nur, wie die Babys vom Himmel fallen“, erinnert sich Thorsten Beyer, „und wir dachten, es geht auch bei uns so schnell.“ Doch während überall im Freundeskreis plötzlich Kinder geboren wurden, passierte bei Thorsten und seiner Frau einfach gar nichts.
Dass es nicht sofort klappen könnte mit dem Schwangerwerden, auf diese Idee seien sie zunächst gar nicht gekommen. „Schon nach den ersten vergeblichen Versuchen waren wir total irritiert und fühlten uns ohnmächtig“, erzählt er. Eine neue Situation für ihn. „Ich war ein Typ, der mitten im Leben steht und daran gewöhnt war, alles geregelt zu bekommen“, sagt er. „Doch diese biologische Sache konnten wir einfach nicht kontrollieren.“
Gleichzeitig kam die ständige Nachfrage, wann es denn nun endlich auch bei ihnen soweit sei. „Wir haben den gesellschaftlichen Druck sehr stark gespürt“, erzählt Beyer, der mit seiner Familie in Köln lebt. „Ich bin aber von Anfang an offen damit umgegangen und habe, wenn die Kinder-Frage kam, auch einfach gesagt: Es funktioniert leider nicht, wir haben ein Problem.“ Oft sei das Gegenüber dann erstmal verstummt. „Teilweise bin ich sogar konfrontativ auf die Leute zugegangen. Auch um zu zeigen, was diese Art des Fragens anrichten kann.“
Männer sprechen kaum über ihren unerfüllten Kinderwunsch
Laut einer aktuellen Studie hat fast jedes zehnte Paar zwischen 25 und 59 einen unerfüllten Kinderwunsch. Viel bekommt man davon aber meist nicht mit. Wie schwierig das Kinderkriegen sein kann, darüber werde in der Gesellschaft nicht groß gesprochen, sagt auch Thorsten Beyer. Das Thema sei noch stark tabuisiert. Wie viele davon betroffen sind, das hätten auch sie erst bemerkt, als sie selbst offen über ihren eigenen unerfüllten Kinderwunsch gesprochen haben. „Dann sind die Barrieren gefallen und viele haben sich uns geöffnet. Und fast jeder kannte jemanden, der das gleiche Problem hatte.“
Buchtipp
Gerade Männern falle es seiner Meinung nach schwer, über ihren unerfüllten Kinderwunsch zu sprechen. „Viele sehen sich so als der große, starke Typ, der es nicht schafft, sich fortzupflanzen. Nur wenige wollen das thematisieren“, erklärt er. Dabei sei ein unerfüllter Kinderwunsch doch für Männer genauso schlimm. „Für mich war es das.“
Seine emotionale Geschichte vom Auf und Ab ihrer Reise zum Kind erzählt Thorsten Beyer im Buch „Der neunte Storch“. Ein Herzensprojekt, wie er selbst sagt. Er wolle damit seinen Teil dazu beitragen, das Thema sichtbarer zu machen. Dabei ist das Buch, trotz des realen Dramas, keine schwere Kost. Beyer erzählt in leichtem, unterhaltsamen Ton, mit persönlichen Anekdoten, Witz und Selbstironie. „Ich bin mit vielen Situationen auch nur klargekommen, weil ich es so humorvoll genommen habe.“
Wahrsager und Kräuterhexen sollen Fruchtbarkeit bringen
Um der Fruchtbarkeit auf die Sprünge zu helfen, unternahmen Thorsten und Tanja Beyer so einiges. „Wir haben zunächst bestimmt 20 nicht-medizinische Maßnahmen versucht – von Vitaminpillen über Wahrsager, speziell gemixte Kräutertees bis hin zur Fruchtbarkeitsmassage.“ Sie hätten alles mitgemacht, immer in der Hoffnung, dass es doch noch klappt. „Das hat eine Menge Geld und Nerven gekostet“, sagt Beyer. Während sie in der Republik herumfuhren, auf der Suche nach dem ultimativen Mittel, wurden alle Familien in ihrem Umfeld scheinbar mühelos größer. „Der Schlag ins Gesicht war für uns, als der Vorname, den wir einst für unsere Tochter erdacht hatten, im Freundeskreis vergeben wurde – und das sogar gleich mehrfach.“
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Nachdem auch eine Insemination beim Frauenarzt erfolglos blieb, gingen sie den Weg in die Kinderwunschklinik. „Wir sind da voller Hoffnung reinmarschiert. Ich dachte, in den 2000er Jahren in einem modernen Land muss das ja funktionieren“, sagt Thorsten Beyer. „Als es dann auch beim zweiten Versuch nicht geklappt hat, waren wir am Boden.“ Auch weitere Versuche scheiterten. „Dann fing die Leidensphase richtig an, weil uns die Optionen ausgegangen sind.“ Insgesamt acht Mal sollten sie es am Ende probieren.
Ist der Kinderwunsch größer als die Beziehung?
Die Tortur des ewigen Hoffens und Enttäuschtwerdens ging auch an der Beziehung nicht spurlos vorüber. „Viele staunten, dass wir überhaupt noch zusammen sind“, erzählt Thorsten Beyer, „oft ist es so, dass dieser Kinderwunsch Paare zerfrisst.“ Weil es bei ihnen keine nachvollziehbaren biologischen Gründe für ihre Kinderlosigkeit gab, seien Schuldzuweisungen nie ein Thema gewesen. Und doch gab es einen kurzen Moment, in dem alles auf Messers Schneide stand. „Weil ihre biologische Uhr tickte, hat sich meine Frau gefragt, wer ihr wichtiger ist: ein Kind oder ich. Da habe ich wirklich Angst bekommen“, erinnert er sich. Sie ging zwei Wochen auf den Jakobsweg, um nachzudenken und Antworten zu finden. „Als sie wiederkam, hat sie sich zum Glück für mich entschieden.“ Zusammen hätten sie dann neuen Mut geschöpft und noch einen Befruchtungsversuch gestartet.
„Dieses Kind zu verlieren, das war der Tiefpunkt unseres Lebens“
Und dann wurde Tanja plötzlich schwanger. Und die beiden konnten es kaum glauben. An Weihnachten wollten sie es ihren Eltern verkünden. Es sollte doch noch alles gut werden. In der zehnten Woche aber konnte die Frauenärztin keinen Herzschlag mehr feststellen. „Dieses Kind zu verlieren, das war der Tiefpunkt unseres Lebens. Wir sind in ein tiefes Loch gefallen“, sagt Thorsten Beyer. Auch wenn Fehlgeburten sehr häufig sind, sei es mit der ganzen Vorgeschichte für sie zehn Mal so schlimm gewesen. „Für mich war es wahnsinnig schwierig, meine Frau so leiden zu sehen. In ihrem Körper fand eben alles statt“, sagt er. „Ich wollte für sie da sein, war aber auch selbst tottraurig.“
Zeit und Hilfe aus dem Umfeld hätten ihnen geholfen, den Verlust zu verarbeiten. Und ein Perspektivenwechsel. Sie beschlossen, dem Kinderwunsch nicht mehr einen so großen Stellenwert einzuräumen. „Wir haben Reisen gemacht und viel gefeiert und gemerkt: Auch dieser andere Weg ist lebenswert.“ Das wolle er mit seiner Geschichte auch anderen vermitteln, die in der gleichen Situation sind. „Ich möchte Mut machen und zeigen, dass es Hoffnung gibt, das Leben in eine positive Richtung zu lenken – ob ohne Kind, oder beispielsweise durch Adoption oder mit einem Pflegekind. Es gibt eben verschiedene Wege zum Glück.“
Adoptiveltern: „Ein kleines Mädchen ist geboren worden…“
Eine letzte Option aber wollten sie sich offen halten und bewarben sich beim Jugendamt in Köln als Adoptionseltern. Eine positive Erfahrung, so Thorsten Beyer. „Der Adoptionsprozess war sehr gut organisiert. Die Abläufe haben für uns total Sinn gemacht, weil es natürlich um das Wohl des einzelnen Kindes geht.“ Als sie schließlich den Schein „Geprüfter Adoptionsbewerber“ in den Händen hatten, geschah aber längere Zeit erst einmal nichts.
„Wir legten das Thema Kind dann nach etwa drei Jahren final zu den Akten und beschlossen, uns einen Hund zuzulegen.“ Ein Dackelwelpe als Kindersatz. Doch es sollte ganz anders kommen. „Völlig unerwartet kam plötzlich der Anruf vom Jugendamt. Am Tag zuvor war ein kleines Mädchen geboren worden und wir kamen als Eltern in Frage“, erzählt Beyer. „Damit hatten wir überhaupt nicht mehr gerechnet!“ Seine Frau sei so perplex gewesen, dass sie zur Mitarbeiterin des Jugendamts vor Schreck gesagt habe: „Aber wir wollten doch jetzt eigentlich einen Dackel!“
„Plötzlich lag da ein Säugling neben uns im Bett“
Dann ging alles ganz schnell. Gleich am nächsten Tag trafen sie sich mit dem Jugendamt, erfuhren mehr Hintergründe und mussten die Entscheidung treffen, ob sie das Mädchen wirklich aufnehmen wollten. Sie waren sich sicher. „Auf einmal hatte meine Frau ein zwei Tage altes Baby im Arm. Und acht Jahre Kampf wurden in wenigen Tagen zum Happy End.“
Richtig viel Zeit zur Vorbereitung blieb kaum. Nachmittags hätten sie sich im Drogeriemarkt noch wahllos mit Babysachen eingedeckt, erzählt Thorsten Beyer. „Und schon am nächsten Abend lag neben uns im Beistellbett ein Säugling, dort wo sich tags zuvor noch die Klamotten gestapelt hatten.“ Sie seien unfassbar glücklich gewesen. „Die Gefühle für dieses Kind, das war das Krasseste und Schönste, was ich je erlebt habe.“ Bis heute freue er sich jeden Tag über seine Tochter. „Wenn sie etwas Tolles macht, kommen mir manchmal die Tränen, weil ich es immer noch nicht glauben kann, dass wir dieses große Glück gehabt haben!“