Kolumne „In Sachen Liebe“Warum Familie für Annette Frier das Allergrößte ist

Lesezeit 4 Minuten

Köln – Endlich Fachfrau!, hab’ ich gedacht, als die Redaktion mich gebeten hat, Teil des „In Sachen Liebe“-Teams zu werden. Tatsächlich ist die Liebe ja der Grund, warum ich meinen Beruf mache. Geht’s letzten Endes denn nicht in allen Dingen um die Liebe? Und machen wir nicht alle unsere Erfahrungen mit Beziehungen?

In der Familie zum Beispiel. Da habe ich selbst großes Glück. Meine Familie ist ’ne Bank. Also, im übertragenen Sinne. Wir halten zusammen. Wenn mir Menschen im Familien-Detox kurz vor oder nach Weihnachten, Ostern, zu runden Geburtstagen und vergleichbaren Familienzusammenkünften von ihrer „schrecklichen Verwandtschaft“ berichten (zuletzt erzählte mir eine alte Bekannte mit zittriger Stimme und vorwurfsvollem Zucken der Augenlider von der despotischen Übergriffigkeit ihrer Schwiegermutter), dann bin ich einerseits schockiert, andererseits aber – fein raus.

Wir treffen uns in großer Familienrunde wöchentlich. Das hat Vorteile. Du bist im Prinzip chronisch auf dem laufenden: jüngste Darmspiegelung des Schwagers, aktuellstes Telefonat meiner Mutter mit ihrer alten Schulfreundin Uschi, neueste Mathematiknote meines Neffen, Schwesternpläne für die kommende Woche… Wir kommen somit fast nie zu der etwas unangenehmen, von Hüsteln und betretenem Lächeln begleiteten Frage: „Und? Wie geht’s dir so? Alles okaaay?“ Das ist gut, denn wenn einmal und mit zunehmendem Alter immer häufiger eben nicht alles okay ist, dann sind diese Momente oft großer Anlass für kleinen Kummer.

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Einander übers Jahr entfremdete Verwandte drucksen herum, Floskeln wie „könnte schlechter sein“ oder „ach, das ist ’ne lange blöde Geschichte!“ landen bestenfalls ungehört im geduldigen Flor des Wohnzimmerteppichs. Es kann aber auch richtig unangenehm werden. Dann trifft die lahme Frage nach dem aktuellen Gesundheitszustand auf eine von jovialem Lächeln begleitete Überheblichkeit nach der Devise: „Schön, dass du fragst, das geht dich aber heute genauso wenig an wie an den restlichen 364 Tagen des Jahres, an denen wir keinen Kontakt hatten.“ Gnädig gefolgt von Tante Inges ausführlicher „und dann noch das“-Krankheitsgeschichte. Klar, auch das geht vorbei, alles halb so wild. Aber schön ist anders.

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Doch wie gesagt: So weit kommt’s bei uns erst gar nicht. Kein Raum für Tiefsinn. Keine peinlichen Pausen. Nie. Bei uns wird geredet. Immer. Hier ein kleiner fragmentarischer Auszug vom vorigen Wochenende. Wir saßen zu 14 am Esstisch meiner Mutter. Anwesend waren sämtliche bereits erwähnten Familienverdächtigen. Stellen Sie sich bitte alle Wortbeiträge mehr oder weniger gleichzeitig vor. Letztlich fielen die folgenden Sätze in einem Zeitraum von maximal 30 Sekunden. Stimmenspaghetti an Sonntagsspargel, bitte sehr:

Gib mir mal das Salz bitte!

Owei, sieht ja schlimm aus, wieso drückst du den nicht aus?

Wir hatten vorgestern letzten Drehtag.

Wann geht’s los?

Ich begreife nicht, warum es so schwer ist, aus der Kirche auszutreten.

Frag den Papa, ich misch’ mich da nicht ein!

Hat die das gepostet?

Jetzt wird der Habeck gehypt, wart mal ab, der landet auch aufm Boden der...

Das Salz bitte!

Keine Kohlehydrate, kein Alkohol ab 18 Uhr.

Woher will der das wissen?

Steht direkt neben dir.

Und das wäre?

Hab ich dir doch erzählt, schon letzte Woche.

Wie, Ihr seid Weihnachten schon weg?

Die werden sich noch umgucken, die Briten.

Warum bist du denn so empfindlich?

Da hat aber jemand Spargel gegessen, bevor er Pippi machen war.

Wieso hat mir das keiner erzählt?

Salz ist leer.

Zuhören ist schwer. Vielleicht das Schwerste überhaupt. Gilt gleichermaßen für sprachlose und sprechende Familien – hart, aber gerecht. Family, I love you.

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