Kritik von BehindertenverbändenBluttests auf Trisomie ab 1. Juli Kassenleistung

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Werden weniger Babys mit Down-Syndrom geboren, wenn man das schon in der Schwangerschaft herausfinden kann?  

Berlin – Nach jahrelangen Beratungen und ethischen Diskussionen werden die vorgeburtlichen Bluttest auf Trisomien ab 1. Juli von den Krankenkassen bezahlt. Der zuständige Bewertungsausschuss habe jetzt auch die Vergütung der ärztlichen Beratung zu den Tests beschlossen, berichtete das „Deutsche Ärzteblatt“. Damit beginne für viele werdende Eltern, aber auch Ärztinnen und Ärzte eine neue Ära.

Bereits 2019 hatten der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) von Ärzten, Kliniken und Krankenkassen sowie das Bundesgesundheitsministerium prinzipiell grünes Licht für den Test gegeben. Zuvor hatte auch der Bundestag über die Frage diskutiert, wie weit die Tests zu mehr Abtreibungen und einer Selektion behinderter Menschen führen werde. Die Tests sollen deshalb nur „in begründeten Einzelfällen bei Schwangerschaften mit besonderen Risiken“ durchgeführt werden und keinesfalls zur Routineuntersuchung werden, heißt es. Voraussetzung für eine Kostenübernahme ist eine intensive ärztliche Beratung.

Bisher musste man die Tests selbst bezahlen

Die nicht-invasiven Pränataltests (NIPT) werden bereits seit 2012 in Deutschland angeboten, mussten aber bisher aus eigener Tasche bezahlt werden. Bei den Tests werden ab der zehnten Schwangerschaftswoche Erbgutbestandteile des Kindes aus dem Blut der Schwangeren isoliert und auf Gendefekte wie Trisomie 21, aber auch 18 und 13 untersucht. Befürworter bezeichnen die Tests als zuverlässig und risikoärmer als die seit den 70er Jahren zur Schwangerschaftsvorsorge gehörenden invasiven Tests. Bei Biopsien der Plazenta oder Fruchtwasseruntersuchungen komme es immer wieder zu Fehlgeburten. „Es erscheint nicht begründbar, den betroffenen Schwangeren dieses risikoärmere Testverfahren vorzuenthalten; die Tests sind in Deutschland zugelassen und verfügbar“, schrieb G-BA-Chef Josef Hecken bereits 2019.

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Sorge vor „regelmäßiger Selektion“

Behindertenverbände und die katholische Kirche stehen den neuen Tests dagegen kritisch gegenüber. Sie beförderten eine „besorgniserregende Tendenz in Richtung einer regelmäßigen Selektion“, so die Deutsche Bischofskonferenz. Auf die Feststellung des „unerwünschten Merkmals“ Trisomie erfolge zumeist der Abbruch der Schwangerschaft. Bereits jetzt führten rund 90 Prozent der Trisomie-Verdachtsfälle zum Tod des Embryos.

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Der Berufsverband der Frauenärzte (BVF) begrüßte die Zulassung grundsätzlich. Allerdings: „Der Aufklärung und der genetischen Beratung kommt eine besondere Bedeutung zu“, erklärte Verbandspräsident Klaus Doubek gegenüber dem „Ärzteblatt“. Es bestehe jetzt eine komplett neue Situation: „Vereinfacht gesagt: Gibt die Schwangere eine ausreichende Angst oder Sorge an, so reicht diese subjektive Angst oder Sorge aus, um als Indikationsstellung beziehungsweise Handlungsgrundlage zur Durchführung des NIPT herangezogen zu werden“, erklärte Doubek. „Das ist ein tiefgreifender Paradigmenwechsel.“

Debatte um Gentests beginnt erst

Um die NIPT künftig nicht zu einem Routineverfahren für Schwangere werden zu lassen, wird in der Mutterschaftsrichtlinie darauf hingewiesen, dass es enge Indikationen für diese Tests gibt. In der Realität werden die Tests nach den Erfahrungen der Frauenärztinnen und -ärzte aber schon jetzt immer häufiger in Anspruch genommen. „In direktem Zusammenhang damit stehen die kontinuierlich sinkenden Kosten“, sagt Doubek. Zu Beginn hätten sie für die Schwangeren bei mehr als 1.000 Euro gelegen. Im Laufe der Jahre habe es aber einen deutlichen Preisverfall durch die Konkurrenz der Testanbieter gegeben.

Dabei ist absehbar, dass die Debatte über solche Gentests erst anfängt. Schon jetzt bringen Wissenschaft und Gentech-Unternehmen immer neue Verfahren auf den Markt, mit denen geborene Menschen, aber auch Ungeborene auf ihre Veranlagung für Krankheiten wie Diabetes, Demenz oder Brustkrebs getestet werden können. Sogar komplette Analysen des Erbguts sind machbar - und auch immer billiger zu haben. Der Druck auf Frauen, ein gesundes Kind zu gebären, steigt. Und zunehmend stellt sich die Grundsatzfrage, wie die Gesellschaft mit Behinderungen und Krankheiten umgeht, die möglicherweise erst in Jahrzehnten ausbrechen. (kna)

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