Liebe zu drittWie die Beziehung von Simon, Johannes und Matthias aussieht

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Simon, Johannes und Matthias leben in einer Dreier-Beziehung zusammen in Köln.

Köln – Zu dritt in einem Bett schlafen, zu dritt in den Urlaub fahren, zu dritt die Aufgaben im Haushalt aufteilen. Nein, dabei geht es nicht um Mutter-Vater-Kind. Und auch nicht um eine 3er-Studenten-WG. Simon (29), Johannes und Matthias (beide 28) sind ein Pärchen zu dritt. Ein Trärchen.

„Das Outing zur Homosexualität ist ja schon eine Sache für sich und ein längerer Prozess. Deshalb haben wir vorher nie darüber nachgedacht, ob wir uns einen dritten Partner vorstellen können – und schon gar nicht damit gerechnet, auch zufällig jemanden kennenzulernen“, erzählen Simon und Johannes. Denn gestartet ist das „Trärchen“, so nennen sich die drei selbst, erst einmal wie die meisten anderen Menschen in Liebesbeziehungen auch: als Pärchen. Simon und Johannes waren bereits vier Jahre zusammen, als sie auf einer WG-Party auf Matthias getroffen sind. Erst entwickelt sich zwischen den dreien eine Freundschaft, dann aber merken sie: Da ist mehr. Spätestens als ihnen Freunde sagen, dass sie sich bereits verhalten wie in einer Beziehung. Und dann? Wie fragt man jemanden, ob er Teil einer Dreier-Beziehung sein möchte? „Wir waren von Anfang an offen miteinander und haben über alles gesprochen. Deswegen war das auch nie ein Tabu-Thema, zu sagen: Bei mir entwickelt sich da was“, sind sich die drei einig.

Kommunikation – einer der Aspekte, der laut Sozialwissenschaftler Stefan Ossmann von der Universität Wien vor allem in polyamorösen Beziehungen stark ausgelebt wird. Sprich: In solchen Beziehungen, in denen mehrere Personen gleichzeitig involviert sind, und sich gegenseitig oder einzelne Partner der Beziehung lieben. „Poly-Paare sprechen im Vergleich zu monogamen sehr viel über ihre Beziehung. Das führt dazu, dass diese oft sehr reflektiert geführt wird – auch, weil alles natürlich viel aufwendiger zu organisieren ist als bei einem Paar“, sagt Ossmann, der seit 2013 im Rahmen eines Forschungsprojekts an der Universität Wien zum Thema Polyamorie forscht. Ohne Kommunikation funktioniere schließlich schon eine Beziehung zu zweit nicht – zu dritt schon gar nicht.

Und deshalb schwört das Kölner Trärchen auch auf einen synchronisierten Google-Kalender, in dem alle Termine zeitgleich über alle drei Smartphones abrufbar sind. Einmal die Woche treffen sich Simon, Johannes und Matthias außerdem zu einem Teammeeting. „Es klingt unfassbar unromantisch, aber manche Sachen kriegen vielleicht sonst nur zwei Leute mit“, sagt Johannes. „So werden alle einmal wöchentlich auf Stand gebracht und wir besprechen, was gut und was schlecht läuft.“

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Nur ein geringer Prozentsatz outet sich

In den Augen des Trärchens ein entscheidender Vorteil: Vieles klärt sich allein dadurch, dass alle drei das gleiche Geschlecht haben. Und – ganz pragmatisch gesehen – schafft die dritte Person in der Beziehung natürlich auch neue Möglichkeiten für den Alltag: „Einer kann schon mal aufstehen und Frühstück machen, während die anderen beiden noch im Bett liegen“, sagt Simon lachend. Oder: Wo andere Pärchen darum streiten, dass der eine nur faulenzen und der andere lieber Spazierengehen will, kann sich das Trärchen aufteilen: Meist finden sich immer zwei, um etwas zu unternehmen, während der Dritte gerade Zeit für sich oder Ruhe zum Arbeiten braucht. „Unsere Beziehung ist also wie eine gute Gruppenarbeit“, sagen die drei.

Auch in anderen, typischen Pärchen-Sachen lebt sich das Trärchen aus. Obwohl viele Kleinigkeiten des Alltags eben nicht auf drei, sondern auf zwei Personen ausgerichtet sind – abseits des gemeinsamen Faulenzens an Sonntagen auf der Couch und der 3er-Reihe im Flugzeug vielleicht. „Bei jedem Gewinnspiel heißt es zum Beispiel: Sie dürfen eine Begleitperson mitnehmen. Oder: Welche eine Person trage ich für meine Lebensversicherung ein?“, sagt Johannes. Aber an all das gewöhne man sich. Küssen können sich die drei auch nacheinander, im Hotel schlafen sie ohnehin im Doppelbett, egal ob es überhaupt ein Beistellbett gibt oder nicht.

Die Basis von Polyamorie ist emotionale Bindung

„Es geht auch gar nicht darum, Vor- oder Nachteile im Vergleich zwischen monogamen und polyamorösen Beziehungsmodellen zu finden“, sagt Stefan Ossmann. Polyamorös zu sein, das suche man sich schließlich nicht aus – ebenso wie es keine bewusste Entscheidung zwischen Hetero- und Homosexualität gebe. Doch seit wann gibt es Polyamorie historisch gesehen? Schließlich ist diese Art von Beziehungsform noch nicht allzu lange präsent in der Gesellschaft. Laut Schätzungen geht Ossmann davon aus, dass heute etwa fünf Prozent der Menschen im deutschsprachigen Raum poly empfinden. In der gesamten Gesellschaft würden nur etwa 0,5 Prozent diese Form der Liebe auch aktiv ausleben. Und davon wiederum oute sich nur ein Zehntel der Personen auch offiziell.

„Polyamorie kann mit dem Lebensstil, dem Zeitgeist heutiger Generationen zusammenhängen“, sagt Stefan Ossmann. Aus dem 18. und 19. Jahrhundert etwa gebe es keine Nachweise für Verbindungen, die wir heute als polyamorös bezeichnen würden. Formen von offenen Beziehungen sind heute dagegen gängiger. Wobei es hierbei zu unterscheiden gelte: „In meinem Verständnis ist Sexualität ein Trieb, ein Verlangen. Liebe als Emotion dagegen ein Bedürfnis. Wer also das Verlangen hat, sexuell mit mehreren Menschen zu verkehren, würde wahrscheinlich den einfachen Weg gehen und eine offene Beziehung führen. Die Basis von Poly aber ist eine emotionale Bindung zu mehreren Personen – und dazu gehört auch das ganze Drumherum. Den Eltern zu sagen, dass man mehrere Personen liebt. Feiertage zusammen zu verbringen. Sich hinsetzen und einen Urlaub planen“, erklärt Ossmann. Wenn auch jede sogenannte polyamoröse Beziehung – genau wie monogame auch – natürlich individuell anders ist. Und nicht nur wie im Falle des Trärchens aus drei Personen, sondern auch aus noch weiteren Personen bestehen kann.

Positive Vorbilder in der Gesellschaft fehlen

Den Eltern zu sagen, dass sie sich lieben – das liegt bei Simon, Johannes und Matthias bereits einige Jahre zurück. Und sie sind dabei auf gute Reaktionen gestoßen. In ihrem Arbeitsumfeld etwa wissen aber nicht unbedingt immer alle, dass sie eine Beziehung zu dritt führen. Simon arbeitet für ein Software-Startup, Johannes ist Rechtsmediziner, Matthias macht eine Ausbildung zum Koch. „Manche merken auch nicht, dass wenn ich von meinem Freund rede, es mal um Johannes und mal um Matthias geht“, sagt Simon schmunzelnd. Trotzdem glaubt Stefan Ossmann, dass das Thema Polyamorie im Laufe der vergangenen Jahre mehr in der Gesellschaft anzukommen scheint – und sei es beispielsweise durch das Aufgreifen der Thematik in Sendungen wie der Lindenstraße. „Für etwas, das sie nicht kennen, brauchen die Menschen oft positiv konnotierte Vorbilder. Dann wäre Polyamorie im Gesellschaftsbild vermutlich schon viel verbreiteter und akzeptierter“, vermutet Ossmann.

Genau zu dieser Aufklärung beitragen wollen Simon, Johannes und Matthias, indem sie ihre Beziehung öffentlich leben. Auf ihrem Instagram-Profil reiht sich ein Dreier-Selfie an das nächste: von Urlauben, Ausflügen, vom Alltag. Einem Freund beispielsweise konnten sie so schon Mut machen, sich zu outen. Und vielen anderen Leuten den Anstoß geben, über den Tellerrand zu schauen: „Es gibt eben nicht nur Beziehungen zu zweit. Und man kann damit genauso glücklich sein oder sogar glücklicher. Aber klar, das ist natürlich nicht für jeden etwas“, sagt Simon.

Nach Stefan Ossmanns Wahrnehmung waren es zu Beginn seiner Recherchen im Jahr 2014 etwa 80 Prozent der Menschen, die bei Vorträgen nichts mit dem Begriff Polyamorie anzufangen wussten. Heute im Jahr 2020 sei die Verteilung genau andersherum. „Das Thema ist wohl nach den ersten Medienberichten vor allem so durch die Decke gegangen, weil es spaltet: Man kann sich darüber empören, es auf sich selbst beziehen. Und feststellen, dass neben all den verschobenen gesellschaftlichen Grundwerten – sei es im Bezug auf die früher selbstverständliche Eigentumswohnung oder den unbefristeten Job – nun auch die stabile, monogame Beziehung nicht mehr sicher sein muss“, sagt Ossmann.

Mehr Liebe, mehr Aufmerksamkeit

Sicher ist für Simon, Johannes und Matthias aber: Ihre Beziehung bedeutet für sie durch die höhere Personenanzahl auch gleichzeitig mehr Liebe. Mehr Aufmerksamkeit. „Manchmal auch zu viel Aufmerksamkeit, je nachdem“, scherzt Johannes.

Eifersucht ist bei den dreien übrigens nie ein Thema. Obwohl manchmal auch zwei ohne den dritten etwas unternehmen, sich Dinge anvertrauen, oder auch intim miteinander werden? „Natürlich hat man vielleicht mit dem einen andere Erinnerungen als mit dem anderen – aber zwischenmenschlich ist die Bindung zu allen untereinander gleich stark, da gibt es keine Unterschiede, zu wem man sich mehr hingezogen fühlt“, meint Johannes. Simon ergänzt: „Wir haben ja nicht nur eine Beziehung zu dritt, sondern jeweils auch eine Beziehung zu zweit. Und die darf auch in allen Facetten ausgelebt werden.“ Sauer wäre man höchstens, würden zwei von ihnen einen Urlaub ohne den dritten planen: „Da wüsste ich auch, dass ich wirklich was verpasse. Den ganzen Rest kenne ich ja nach all den Jahren schon“, sagt Johannes. „Oder wenn zwei ein neues Restaurant ohne den dritten ausprobieren, das wäre noch viel schlimmer“, fügen die anderen beiden lachend hinzu.

Die Aufklärung muss sich ändern

Eine WG-Party hat schon einmal aus zwei Personen drei gemacht. Die Chance aber, dass aus dem Trärchen ein Vierchen wird, schätzen die drei als relativ gering ein. „Wir suchen zumindest nicht aktiv danach und können es ohnehin nicht planen. Wir würden uns aber selbst widersprechen, wenn wir einen vierten Partner komplett ausschließen würden.“

Auf dem Zukunftsplan stehe erstmal eher, sich eines Tages zu vergrößern. Mehr Wohnraum. Vielleicht Kinder. Und Ehe? „Dass das zu dritt noch nicht geht, stört uns weniger, als die breite gesellschaftliche Akzeptanz, die fehlt“, meint Johannes. „Ja, vielleicht hätte ich mich nicht mit 18 geoutet, sondern vielleicht schon mit 15, wenn in der Schule thematisiert worden wäre, dass man sich nicht dafür schämen muss, was man empfindet“, sagt Simon. „Die Aufklärung müsste sich wahrscheinlich ändern. Hat sie vielleicht schon ein stückweit“, sagt Matthias. Aber dass es völlig egal ist, wer man ist – davon sei die Gesellschaft immer noch sehr weit entfernt. Stefan Ossmann fällt dazu ein Zitat des ehemaligen Bürgermeisters von Berlin, Klaus Wowereit, ein: „Ich bin schwul – und das ist auch gut so!“ Das sei der Ansatz, den auch die Liebe zu mehreren Personen langfristig brauche.

Eigentlich also hat das Trärchen es schon zu Beginn seiner Beziehung und seinem Auftreten auf Instagram und Youtube nur bedingt verstanden, warum sich Leute für die Beziehung der drei interessieren. Und so glauben die drei auch: Wäre ihre persönliche Geschichte ein Hollywood-Streifen, dann würde er wohl in einer dramatischen Affäre enden. Denn: „Ja, unsere Beziehung ist anders, aber wir selber finden uns eigentlich nicht so spannend. Eher langweilig“, sagt Johannes schmunzelnd.

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