Nicht nur für PromisWie ein deutsches Paar eine Leihmutter suchte – und fand

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Nachdem sie zwei Kinder selbst ausgetragen hatte, brachten das dritte und vierte Kind von Ayda und Robbie  Williams 2018 und im Februar 2020 Leihmütter zur Welt.

  • Wenn Paare keine Kinder bekommen können, ist oft eine Leihmutter die letzte Option. In Deutschland ist das Austragen eines fremden Kindes allerdings verboten.
  • Oliver und Ana suchten sich deshalb Hilfe bei einer ihnen völlig unbekannten Frau und gegen Bezahlung – in Kalifornien.
  • Hier erzählt das Paar aus Düsseldorf seine Geschichte. Doch es gibt auch Kritik an einer „riesigen Industrie” – und außerdem rechtliche Grauzonen in Deutschland.
  • Unser großes Dossier.

Francesca Kennedy legt sich die Hand auf die Brust und lächelt. Ihre Augen sind auf das Tablet gerichtet, darauf sieht sie sich selbst: verschwitze Haare im Gesicht, ein Neugeborenes im Arm. Oliver Canjé, der neben ihr steht. legt einen Arm um Francesca, wischt nach rechts, das nächste Bild erscheint. Er, sitzend, als er dem Baby die Flasche gibt. „Stillen Francesca? Das war für uns nie ein Thema.“

„Nein“, sagt Francesca, hebt abwehrend beide Hände: „Dadurch entsteht eine tiefe Verbindung mit dem Kind. Für mich wäre das viel zu hart gewesen, diese Beziehung wieder abzubrechen“. Francesca hat Joan zwar zur Welt gebracht, seine leibliche Mutter ist die aber nicht. Sie hat das Kind nur ausgetragen, als Leihmutter, für Oliver Canjé und seine Frau Ana Santiñá.

Unfruchtbarkeit, gescheiterte Versuche künstlicher Befruchtung oder bei homosexuellen Paaren die biologische Unmöglichkeit auf natürlichem Wege Kinder zu bekommen: für viele Paare bleibt eine Leihmutter oft die einzige Option.

Das deutsche Gesetz bezeichnet sie als sogenannte „Ersatzmutter“ und definiert sie als eine Frau, die auf Grund einer Vereinbarung bereit ist, sich einer künstlichen oder natürlichen Befruchtung zu unterziehen oder einen nicht von ihr stammenden Embryo auszutragen. Genau das ist nach dem Embryonenschutzgesetz in Deutschland aber verboten. Doch das Gesetz hat eine Grauzone: Paare können ins Ausland reisen, dort das Kind austragen lassen und dann mit nach Deutschland nehmen.

Mit der Entscheidung für Leihmutterschaft hängt nicht nur die Frage zusammen, ob man das Leben seines ungeborenen Kindes einer fremden Frau anvertrauen möchte. Leihmutterschaft ist zwangsläufig mit komplexen medizinischen, rechtlichen und ethischen Fragen verbunden. Paare, die sich dafür entscheiden, müssen sich mit Eizellenspenden, In vitro Befruchtung und Adoptionsrecht auseinandersetzen. In der Gesellschaft ist währenddessen oft von ausgebeuteten Frauen die Rede, von gekauften Kindern, künstlich geschaffenem Leben und der Frage wie der Staat reagieren sollte.

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Gerade bei heterosexuellen Paaren gehe der Entscheidung für eine Leihmutter fast immer eine Leidensgeschichte voraus, erzählt Oliver. „Auch wir sind schon mit einer hohen emotionalen Belastung reingegangen.“ Ana hatte Brustkrebs, Chemotherapie, anschließend die Nachricht: Eine natürliche Schwangerschaft sei nicht mehr möglich, auch von einer künstlichen Befruchtung rate man ab. Die Entscheidung für eine Leihmutter fiel schwer: „Aber was wäre die Alternative gewesen?“

Im August hatte die FDP Politikerin Kathrin Helling Plahr dafür plädiert, Leihmutterschaft aus nicht-kommerziellen, altruistischen Motiven zu erlauben. Das wäre beispielsweise bei Schwestern oder Freundinnen der Fall. „Es geht um die konsequente Legalisierung moderner, reproduktionsmedizinischer Möglichkeiten, die in vielen Ländern ganz selbstverständlich zum Einsatz kommen“, so Helling Plahr.

„Unsere Gesellschaft ist bei diesem Thema schon viel weiter, als der Gesetzgeber“. Auch das Elternschaftsrecht solle in diesem Zusammenhang an die reproduktionsmedizinischen Möglichkeiten angepasst werden. Vor allem, wer im Zuge einer Kinderwunschbehandlung als Elternteil angesehen werde, müsse diskutiert werden. Laut der Kölner Fachanwältin für Familienrecht, Carmen Grebe, gilt in Deutschland nämlich die Frau als Mutter, die das Kind zur Welt bringt. Das führt bei Leihmutter-Kindern zu Problemen bei der Anerkennung der Mutterschaft. Die einzige Option ist eine Adoption.

Auch dann, wenn das Kind aus der Eizelle der Mutter entstanden ist und somit deren DNA hat. Konkret, so Helling Plahrs Vorschlag, könnten beide Parteien vorab einen Vertrag abschließen. Notariell beurkundet und vom Familiengericht überprüft. Die Leihmutter verzichtete auf ihre Elternschaft, die Wunschmutter würde zur rechtlichen Mutter. Eine Frau vertraglich zu verpflichten, das neugeborene Baby abzugeben, selbst aus altruistischen Gründen, ist laut Anne Maier-Credner von Spenderkinder e. V. nicht zumutbar.

„Das würde dazu führen, dass Kinder als handelbare Objekte angesehen werden.“ Leihmutterschaft befriedige aus ihrer Sicht nur den Wunsch der Eltern. „Welche einschneidenden Auswirkungen dies auf die entstehenden Kinder hat, wird völlig außer Acht gelassen.“

Oliver Canjé stammt aus Düsseldorf, Ana Santiñá war seine Spanischlehrerin. Mittlerweile wohnen sie in einem Dorf bei Barcelona. Weder in Spanien noch in Deutschland gab es vor sieben Jahren Foren zum Austausch. „Wir hatten so viele Fragezeichen“, sagt Santiñá. Sie suchten im Internet, diskutierten, welches Land, welche Agentur in Frage käme, wie viel Geld sie zur Verfügung hätten. Letztendlich nahmen sie einen Kredit auf. „Man entscheidet kaufe ich ein Haus oder wagen wir das Projekt Leihmutterschaft“, sagt Oliver. Auch in Europa gibt es Länder, die Leihmutterschaft erlauben: Großbritannien, Griechenland und Portugal zum Beispiel. Die Voraussetzungen und gesetzlichen Regeln unterscheiden sich von Land zu Land.

Sowohl in den USA als auch in Kanada oder der Ukraine müssen die Leihmütter schon ein gesundes, eigenes Kind zur Welt gebracht haben. In den USA und Kanada wird vorab zudem geprüft, ob die Leihmutter finanziell abgesichert ist, um sicherzustellen, dass sie die Leihmutterschaft nicht als lukrativen Job sieht.

Eine Frau, die aus wirtschaftlicher Not heraus ihr Kind austrägt. Genau das wollten Ana und Oliver nicht. „Wir wollten nicht, dass eine Frau es machen muss“, sagt Ana. 2011 flogen sie nach Kalifornien, besuchten sieben Vermittlungsagenturen, sprachen mit Ärzten und Anwälten und lernten Leihmütter kennen. Vor ihrer Reise fertigten sie ein Onlineprofil an, erzählten ihre Geschichte und klickten sich parallel durch Profile von Leihmüttern. Erstmal zählten nur die Fakten: Alter, medizinische Vorgeschichte, Uniabschluss, sozialer Status – wie beim Online Dating. Dann, in Kalifornien, entschieden sie sich für Francesca Kennedy, damals 39 Jahre alt, zwei gesunde Kinder, verheiratet, Vegetariern, eine Leihmutterschaft erfolgreich abgeschlossen.

„Sie war mein Jahrgang“, sagt Oliver: Beide Kinder waren schon aus dem Gröbsten raus. Sie konnte sich ganz auf die Schwangerschaft konzentrieren. Wir haben uns sofort gut verstanden“. Francesca nickt: „Ihr wart so bodenständig, so wie ich.“ – „Wir haben einfach nach Bauchgefühl entschieden“, sagt Ana.

Alle Fragen und Eventualitäten wurden im Voraus vertraglich festgehalten. Wie steht Kennedy zur Abtreibung, falls das Kind behindert sein sollte? Wie viele Embryonen können transferiert werden? Bei welchen Entscheidungen werden sie kontaktiert? Francesca durfte sich anfangs nicht die Haare färben, musste auf Flugreisen verzichten. Falls es zu einer Fehlgeburt gekommen wäre, hätte sie nur die ersten Monatsraten erhalten, nicht den kompletten Betrag. Der Vertrag, meint sie, sei okay. Dennoch habe sie das Gefühl, dass die Eltern bevorzugt würden. „Ständig steht dort: es ist nicht dein Baby, nicht dein Baby.“ Aber natürlich, sagt sie mit einem Schulterzucken, würden die Eltern auch nur so geschützt.

„Was das Wissen über Eizellenspende und Leihmutterschaft angeht, ist Deutschland Nordkorea“, sagt Jens Landwehr. „Niemand weiß richtig Bescheid, so entstehen falsche Meinungen und unser Land bleibt in Vorurteilen stecken“. Vor zwölf Jahren entschieden sich er und sein Partner Arens Landwehr ihren Kinderwunsch durch eine Leihmutter in Amerika zu erfüllen.

Die Landwehrs benötigten nicht nur jemanden zum Austragen, sondern auch eine Eizellenspenderin. Bei diesem Prozess ließen sie sich damals von einem deutschen Fernsehsender begleiten, demnächst veröffentlicht Landwehr ein Buch über ihre Geschichte: „Wir wollen uns nicht mehr erklären müssen, wir wollen aufklären.“ Deshalb gründeten sie 2017 den Verein zur Legalisierung von Leihmutterschaft. Sie wollen einen politischen Diskurs anregen.

Für Paare aus Deutschland ist der Verein oft die einzige Anlaufstelle für Informationen. Denn: „Natürlich ist Leihmutterschaft in Amerika auch einfach eine riesige Industrie“, sagt Landwehr. Mittlerweile vernetzt er sich international mit Ärzten, Psychologen und Leihmüttern aus Amerika und Kanada. Qualitätsstandards, an der sich deutsche Paare bei ihrer Suche im Ausland orientieren können, Finanzierungsmodelle und ethisch vertretbarere Bezahlmodelle für Leihmütter: Das Thema entwickle sich weiter, so Landwehr. „Trotzdem zwingt uns Deutschland immer noch dazu, Umwege zu gehen. Warum sollten nur gesunde, heterosexuelle Paare das Recht auf leibliche Kinder haben? Das ist einfach unfair.“ 

Wenn Francesca Kennedy von den Schwangerschaften erzählt, spricht sie von Reisen. Reisen die sie zusammen mit den Eltern macht, nicht mit dem Kind: „Es war, als würde ich auf das Baby einer Freundin aufpassen, nur eben in meinem Bauch.“ Nach jedem Ultraschalltermin rief sie Ana und Oliver an, erzählte von den ersten Tritten. „Trotzdem“, sagt Oliver, „diese versteckte Angst, diese Hilflosigkeit war immer da“. Und damit auch das Wissen: „Wir hängen von Dritten auf einem anderen Kontinent ab, die vor Ort sofort entscheiden müssen, wenn etwas passiert“. Einmal, in Spanien war es nachts, rief Francesca an. Im Ultraschall habe man gesehen, dass eine Niere kleiner sei, als die andere. Oliver: „Wir mussten uns gegenseitig stützen, gemeinsam entscheiden“.

„Unzureichende Rechtslage”

„Die Rechtslage in Deutschland ist seit drei Jahrzehnten unzureichend“ sagt Henning Beier, Mitglied der Nationalen Akademie Leopoldina, vom Universitätsklinikum der RWTH Aachen. Das Embryonenschutzgesetz, das die Leihmutterschaft verbiete, stamme aus dem Jahr 1990. „Viele neue, reproduktionsmedizinische Entwicklungen werden darin gar nicht erfasst“. Samenspenden sind in Deutschland beispielsweise erlaubt, Eizellenspenden hingegen verboten. Diese Ungleichbehandlung sei schwer zu rechtfertigen, so Beier.

„Paare werden dadurch gezwungen ins Ausland zu gehen, wo oft eine anonyme Spende praktiziert wird und dem Kind wiederum das verfassungsrechtlich verbriefte Recht auf Kenntnis seiner Abstammung verwehrt bleibt.“ Im dritten Monat besuchten Ana und Oliver Francesca. Das erste Mal sahen sie den geliehenen Bauch, mit ihrem Baby darin. „Sie hat unsere Hände genommen und sie auf ihren Bauch gelegt“. Zusammen gingen sie essen, suchten einen Kinderwagen aus.

Weniger Vorurteile in Amerika

Als die Verkäuferin Francesca zur Schwangerschaft gratulierte, wehrte diese ab, zeigte auf Ana und Oliver und einen Moment später wurden die beglückwünscht. „In Amerika geht man mit diesem Thema einfach offener, unkomplizierter um“, sagt Oliver. Auch jetzt, in dem Dorf bei Barcelona, sei die Entstehungsgeschichte von Joan kein Thema. In der Nachbarschaft wohnt noch ein weiteres Kind, das durch eine Leihmutter ausgetragen wurde.

Auch die Landwehrs begegneten in Essen zunächst keinen Vorurteilen. Doch jetzt am Gymnasium begegnet die Tochter Mitschülern und Mitschülerinnen, die ihre Geschichte noch nicht kennen. „In diesem Alter wird Geschlecht und Sexualität ein Thema“, sagt Landwehr. Deshalb sei es logisch, dass auch von den Kindern andere Fragen kommen. „Aber auch die Eltern sind skeptischer geworden“.

Bereits während dem Besuch in den USA waren Oliver und Ana voller Glücksgefühle, dennoch: Ana war oft sehr schlapp und müde gewesen sei. Zurück in Spanien dann der Grund: Ana war schwanger. „Ich war überzeugt davon, dass das ein Fehler ist“, sagt sie. Oliver fährt sich mit den Händen über das Gesicht, schüttelt den Kopf: „ Bei Joan war alles durchgeplant. Nichts haben wir dem Zufall überlassen“. „Und dann kam Henry“, sagt Ana, „und hat uns einfach umgehauen“.

Ob sie zu Henry, der in ihrem eigenen Bauch herangewachsen ist, eine engere Verbindung gehabt habe, ist sich Ana nicht sicher. „Joan war von Beginn der Schwangerschaft an präsent und wir haben uns mit jedem Tag mehr auf die Geburt gefreut.“ Doch ob man dies schon richtige Muttergefühle nennen könne, wisse sie nicht. „Ab dem Tag der Geburt waren diese Gefühle aber auf jeden Fall ohne Wenn und Aber vorhanden“. Irgendwann kamen die Beiden auf die Idee, für Joan Sprachnachrichten aufzunehmen, damit ihm nicht nur die Stimme von Francesca, sondern auch schon die seiner leiblichen Eltern vertrauter wurde. Beim Autofahren hörte Francesca The Beautiful South von Paul Heaten, das Lieblingslied von Ana und Oliver.

„Es war nie mein Kind”

Die Erste, die Joan nach der Geburt in den Arm nahm, war Francesca. Nur ein paar Minuten hielt sie ihn, bevor er zum abwiegen, messen und abhören gebracht wurde. Anschließend brachte ihn die Krankenschwester zu Ana und Oliver . „Ich kann nicht sagen, wie es sich anfühlt, das Kind wegzugeben“, sagt Francesca . „Denn es war nie mein Kind, also hatte ich auch nichts zum Weggeben“.

Thorn hat als Sozial- und Familientherapeutin jahrelange Erfahrung in der Kinderwunschberatung, sowie in der Aufklärungsarbeit mit Kindern, die durch eine Embryonen- oder Samenspende entstanden sind. Leihmutterschaft in Deutschland zu legalisieren, wäre für sie unter regulierten Bedingungen, die das Wohl der Leihmutter und aller involvierten Kinder sehr genau im Blick haben, vorstellbar. Denn die Studienlage zeigt: Die so gezeugten Kinder würden sich unauffällig entwickeln, und auch die Beteiligung der Leihmutter wirke sich nicht negativ auf das Kind aus. „Wichtig ist, dass die Familie offen und gelassen damit umgehen kann und das Kind frühzeitig aufklärt. Wir wissen mittlerweile auch, dass die Kinder der Leihmütter die Entscheidung ihrer Mutter verstehen können und mittragen.“

„Ich saß heulend im Flugzeug”

Nach der Geburt mieteten sich Oliver und Ana ein Haus an der Westküste, blieben noch drei Wochen in Kalifornien. Alle drei Tage holten sie Muttermilch von Francesca ab und fütterten Joan mit der Flasche. Sie versuchten Joan nach der Geburt so viel Körpernähe wie möglich zu geben. Wenn er an den Rückflug denkt, bekommt er eine Gänsehaut: „Da fiel die ganze Last von meinen Schultern, ich saß heulend im Flugzeug.“

Zwei Monate später kam auch Henry zur Welt. Die ersten Monate schliefen Oliver und Ana in getrennten Zimmern, da das eine, das andere Baby sonst immer weckte. Nur nachts trafen sich die beiden auf dem Flur. „Wie Zombies“, sagt Ana. Irgendwann aber, waren sie wie Zwillinge. Mittlerweile sind beide sieben Jahre alt, gehen in die Schule. Eifersucht würde es natürlich geben, meint Oliver aber wegen alltäglichen Dingen. Nur in der Familie gab es hin und wieder irritierte Blicke, einmal fragte Olivers Onkel, wer denn jetzt noch mal der richtige Sohn des Paares sei. Die Familie kann darüber mittlerweile lachen. Joan und Henry sowieso. Sie wuchsen in unterschiedlichen Bäuchen heran. Aber warum denn auch nicht? In Joans Familienalbum, das sie in der zweiten Klasse basteln mussten, spielt auch Francesca eine Rolle: Als Tante.  

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