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Rassismus im Alltag„Könnt ihr ein Kind in die Kita holen, das so aussieht wie ich?“

Lesezeit 11 Minuten
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Sie spreche Rassismus in ihrer Familie nicht von sich aus an, sagt Rahwa aus Köln.

  • Nach dem Tod von George Floyd ist Diskriminierung von Schwarzen Menschen im Alltag auch in Deutschland ein Thema.
  • Dabei geht es nicht nur um offenen Rassismus, sondern auch um den, der durch Privilegien weißer Menschen entsteht.
  • Mütter von Schwarzen Kindern berichten von ihren Alltagserfahrungen und wie sie und ihre Kinder damit umgehen.

Köln – Wir stellen wieder alle gemeinsam und sehr betroffen fest, dass es in Deutschland Rassismus gibt. Dabei sollte das längst nicht mehr die Frage sein. Sondern, wie wir es schaffen, dass der Rassismus in Kürze nicht wieder unsichtbar gemacht wird. Von denen, die glauben, gar nichts damit zu tun haben, weil in ihren Augen nur einzelne böse Menschen rassistisch sind, die Schwarzen Menschen das Leben zur Hölle machen.

Bewusstsein für Rassismus schaffen – das braucht Zeit

Wer so denkt, vergisst die Privilegien, die er genießt: Kein Weißer muss sich fragen, ob er seiner Hautfarbe wegen einen Job nicht bekommt. Oder eine Wohnung nicht. Oda Stockmann, Mutter eines Schwarzen Jungen, ist Diversity-Trainerin und versucht, ein Bewusstsein für genau diese Strukturen zu schaffen.

Das aber sei nur in vielen, kleinen und unermüdlichen Schritten möglich. Es fange mit der Sprache an. Deshalb schreibe sie vorzugsweise von Schwarzen Menschen, und meint damit die von Rassismus Betroffenen. Mit Weißen folglich jene, die solche Erfahrungen nicht machen. Die Adjektive markieren also nicht die Hautfarbe, sondern die unterschiedlichen Erfahrungen, die man in dieser Gesellschaft macht.

Und es hört nicht auf, bei den fehlenden Kinderbüchern, die bereits eine vielfältige Welt als selbstverständlich zeigen könnten. Auch deshalb hat Oda Stockmann einen eigenen Online- Shop eröffnet, wo sie unter anderem Kinderliteratur empfiehlt, in denen auch mal Schwarze Jungen zu ganz normalen Helden werden.

Wir haben Oda Stockmann und zwei andere Mütter gefragt, wie sie die aktuelle Debatte sehen und warum die weißen Privilegierten unter uns mehr damit zu tun haben, als wir wahrhaben wollen.

Britt W., Köln

Ich beschäftige mich seit über 20 Jahren mit Rassismus, nicht erst, seitdem ich Mutter eines afrodeutschen Kindes bin. Die aktuelle Debatte bietet am Ende nicht viel Neues. Eigentlich müsste schon jedem alles klar sein. Warum also jetzt, frage ich mich. Natürlich finde ich es gut, dass es so breit diskutiert wird. Manchmal habe ich aber Angst, dass die Leute, die aufgeklärt werden müssten, mit noch mehr Abwehr reagieren.

Es tut immer noch vielen weißen Menschen weh, wenn man sie darauf aufmerksam macht, dass sie in einer rassistisch geprägten Gesellschaft leben. Sie reagieren manchmal entsetzt, brechen sogar in Tränen aus, wenn man ihnen ihren Rassismus vorhält. Davon hat meine Tochter mir erzählt. Viele Weiße erkennen nur den offenen, nicht aber den strukturellen, den subtilen, den internalisierten Rassismus.

Wir alle wachsen mit Klischees und Vorurteilen auf

Meine Tochter erlebt beides. Je nachdem, mit wem sie unterwegs ist. Fährt sie mit anderen Schwarzen Mädchen in der Bahn, hat sie schon mal unerträgliche Sprüche gehört. Die fallen seltener oder weniger heftig aus, wenn sie in einer gemischten Gruppe draußen ist.

Als kleines Kind zeigte ihr eine Verkäuferin auf dem Weihnachtsmarkt einen Schal mit Giraffen darauf und meinte zu ihr, sowas trage man dort, wo sie herkomme. Heute geht meine Tochter in die achte Klasse, in der es vier Mädchen mit afrikanischem und türkischem Hintergrund gibt. Bei Gruppenarbeiten bleiben die vier immer übrig. Meine Tochter will aber auch mal mit anderen Kindern in ein Team und hat die anderen Mädchen darauf angesprochen. Das habe sich zufällig ergeben, hieß es. Es ist aber offensichtlich ein Muster, das sich wiederholt. Es sind viele unterschwellige Mechanismen, die ausreichen, um Menschen auszuschließen. Sie zu Anderen zu machen. Und niemandem, außer den Anderen, fällt das auf.

Wir alle wachsen mit Klischees und Vorurteilen auf. Die abzulegen, funktioniert nicht per Entschluss. Das erfordert lebenslanges Lernen. Ich selbst bin in den 80ern aufgewachsen und damals sagte man das N-Wort ohne Widerspruch. Auch ich habe das als Kind selbst benutzt. Ich habe meiner Tochter erklärt, dass sich das Bewusstsein für Rassismus erst entwickeln musste. Nur weil man mit einem Afrikaner zusammen ist, macht einen das nicht frei von rassistischen Vorstellungen.

„Sehe mich selber als Verbündete meiner Tochter"

Heute als Mutter eines Schwarzen Kindes habe ich meine Antennen sehr sensibilisiert. Und wenn dein Kind diskriminiert wird, dein eigenes Fleisch und Blut, dann fühlt man mit. Man kann es nie in Gänze nachvollziehen, weil man als Weiße diese Erfahrungen einfach nicht macht. Aber als Mutter geht es mir sehr nah. Ich sehe mich selber als Verbündete meiner Tochter. Wenn sie, wenn ein Kind Rassismus erlebt, darf man das Erlebte nicht relativieren oder erst einmal in Frage stellen. Das ist ein Fehler, den einige weiße Eltern machen. Ach, das war doch nicht schlimm. Oder nicht so gemeint. Wenn das Kind Rassismus erlebt, muss man es ernst nehmen und ihm sagen, dass diejenigen, die es beschimpfen oder ausgrenzen, dumm sind. Es liegt nicht an ihm selbst.

Wenn man Weißen die Lage spiegelt, wehren sie ab. Das ist die White Fragility, die Zerbrechlichkeit der Weißen, die nicht über ihren Status, ihre Privilegien und die Machstrukturen nachdenken wollen. Es ist doch nicht schlimm, wenn man als Weißer verunsichert ist. Man darf nur nicht erstarren, sondern sich Rat holen. Diese Anstrengung ist nichts im Vergleich zu dem, was die Menschen durchmachen, die von Rassismus betroffen sind.

Oda Stockmann aus Bonn, weiße Adoptivmutter eines Schwarzen Jungen

Es gab nicht den einen Moment, in dem ich den Rassismus als solchen in Deutschland bemerkt habe. Aber in dem Augenblick, als mein weißer Mann und ich unseren Schwarzen Sohn adoptierten, waren wir plötzlich so auffällig wie bunte Hunde. Der Blick ging vom Kinderwagen zu uns und wieder zurück. Die Menschen rätselten, wie das zusammenpasst. Mein Sohn ist jetzt 8 Jahre alt und macht tatsächlich andere Erfahrungen als ein weißer Junge.

Die heile, weiße Welt

Was mich erschrocken hat, war, dass ich mich selbst als liberal und weltoffen empfunden hatte. Ich musste mir aber eingestehen, dass ich mir noch nie wirklich Gedanken über Rassismus gemacht hatte. Ich hatte gar keine Erfahrungen und befand mich komplett in der weißen, für mich heilen Welt. Man kann sich als weißer Mensch ja tatsächlich entscheiden, ob man sich damit beschäftigen will oder nicht. Für mich allerdings war das irgendwann keine Frage mehr.

Mein Kind macht Ausgrenzungserfahrungen wie ich sie selbst nie gemacht habe. Wir neigen dann schnell mal dazu, zu sagen, er macht diese Erfahrungen, weil er Schwarz ist. Das allein ist schon ein typisch weißer Denkfehler. Er macht die Erfahrung nicht, weil er Schwarz ist, sondern weil es Rassismus gibt. Es hat gedauert, bis ich das wirklich verstanden habe.

Viele Menschen sind nach dem Tod von George Floyd erschüttert. Aber ich weiß nicht, wie viele davon wirklich die Schlussfolgerung daraus ziehen, etwas dazu lernen zu müssen. Ich weiß, dass die gesamte Aufklärungsbranche gerade gnadenlos überlastet ist. Anfragen kommen von allen Seiten. Vielleicht tut sich diesmal was.

Aber ich bin der festen Überzeugung, dass es einen großen Unterschied gibt zwischen: Ich als weiße Person bin gegen Rassismus. Und: Ich bin antirassistisch aktiv. Ich arbeite wirklich daran, bilde mich weiter, und mische mich ein und versuche nicht mehr unbewusst vom rassistischen System zu profitieren. Denn das, was wir häufig unter Rassismus verstehen, ist aktiver Rassismus. Leute, die Menschen "anderer" Herkunft und Hautfarbe verprügeln oder beschimpfen. Es geht natürlich viel weiter. Man muss sich als weißer Mensch schlau machen. Bücher lesen, Podcasts hören, sich bei professionellen Beratern und Beraterinnen informieren.

Gegen Rassismus: Eigene Denkprozesse verändern

Was aber nicht geht, ist die Menschen, die von Rassismus betroffen sind, einfach mit Fragen zu behelligen und womöglich an deren Traumata zu rühren. Es ist nicht deren Aufgabe, uns unseren Rassismus zu erklären. Diejenigen von uns, die weiß sind, müssen sie unterstützen. Wir müssen uns bewegen, dahin gehen, wo es für uns schmerzhaft wird. Das ist natürlich schwierig, wenn man glaubt, es gar nicht nötig zu haben. Etwas an seinen eigenen Denkprozessen zu verändern, ist nicht nur eine kleine Anstrengung, sondern es ist harte Arbeit. Sich klar zu machen, dass man unbewusst andere verletzt, passt natürlich nicht ins eigene Weltbild.

Wir müssen aber begreifen, dass wir Privilegien haben, ohne es wahrzunehmen. Ich habe nie denken müssen, ich kriege diese Wohnung nicht, weil ich weiß bin. Ich kriege den Job nicht, weil ich weiß bin. Meine helle Hautfarbe ist reiner Zufall und in einem rassistischen System wie diesem ein Glück. Das darf nicht sein. Wer das unter weißen Menschen anspricht, der stößt manchmal auf eine Abwehrhaltung. Das ist normal. Das ging mir auch so. Da muss man halt durch.

Wie erklärt man seinem Kind Rassismus?

Wie kann ich nun mein Kind darauf vorbereiten, dass es Rassismus erfährt? Das ist wieder eine recht weiße Sicht der Dinge. Wie kann ich mein Kind darauf vorbereiten, dass es sich beim Rennen hin und wieder die Knie aufstößt? Das Kind wird auf jeden Fall Rassismus erfahren, weil es ihn gibt.

Die Frage muss doch heißen, was man dagegen tun kann. Ich als Mutter kann mein Kind nur bestmöglich auffangen, wenn es schlimme rassistische Erfahrungen macht. Es trösten und ihm Recht geben in seiner Einschätzung. Ich kann es fragen, ob ich mit dem Lehrpersonal oder mit den Eltern reden soll.

Man muss aber von allen erwarten können, dass sie die Erfahrungen des Kindes als Rassismus anerkennen und es als solchen benennen. Damit das Kind eine Sprache dafür findet, was mit ihm passiert. Damit alle Kinder, die es sehen, eine Worte dafür haben. So können sie Rassismus für alle eindeutig sichtbar machen. Das wichtigste aber ist, wie wir Erwachsene es ihnen vorleben und uns selber weiterbilden. Wie immer, wenn wir etwas verändern wollen.

Rahwa T., aus Köln, Mutter von vier Kindern

Ich habe das Thema Rassismus in meiner Familie nie von mir aus angesprochen. Für mich hat es sich falsch angefühlt, meine Kinder auf mögliche Anfeindungen vorzubereiten, die sie gar nicht verstanden hätten. Was genau hätte ich ihnen denn auch sagen sollen? Meine Kinder sind alle hier geboren, und es gab lange Zeit einfach keinen Anlass, unsere Hautfarbe oder unsere Herkunft irgendwie besonders zu erwähnen.

Wir leben in einem Viertel, in dem bereits eine gewisse Vielfalt herrscht. Die Menschen empfinde ich hier als offen. Richtig ist, dass es hier nur wenige Dunkelhäutige gibt. Das fällt natürlich irgendwann auf. Eines Tages wurde meine zweitälteste Tochter in der Kita als „Schokolade“ verspottet. Sie konnte das erst gar nicht verstehen, vor allem weil sie spürte, dass es nicht freundlich gemeint war. Ich musste ihr erklären, dass es wohl mit ihrer Hautfarbe zu tun hatte. Dass wir etwas brauner sind als manche andere.

„Könnt ihr bitte ein Kind in die Kita holen, das so aussieht wie ich?"

Irgendwann kam sie verzweifelt nach Hause. Einer muss mir helfen, meinte sie. Könnt ihr bitte ein Kind in die Kita holen, das so aussieht wie ich? Das hat mir sehr leid getan. Ich weiß, dass weder Kita noch Schule Rassismus dulden würden. Aber es gibt ihn nun mal. Jetzt weiß meine Tochter eben, dass es dumme Menschen gibt, die andere fertig machen, nur weil sie anders aussehen, an etwas anderes glauben oder eine andere Sprache sprechen. Meine Tochter kann solche Äußerungen ignorieren, habe ich ihr gesagt, oder dagegen halten, wenn sie möchte. Sie soll sich aber auf keinen Fall schlagen und wenn sie Angst hat oder überfordert ist, kann sie einen Erwachsenen um Hilfe bitten. Das hat bisher tatsächlich funktioniert.

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In der Schule wurden die Beleidigungen heftiger. Erst wollte sie es nicht ansprechen, aber dann wurde es zum Thema in der Klasse. Die Lehrerin geht sehr vorbildlich damit um, finde ich. Das ist ein großes Glück. Trotz dieser Vorfälle habe ich mir noch nie ernsthaft Sorgen um meine Kinder gemacht. Wenn ich in den USA leben würde, hätte ich die Kinder wahrscheinlich tatsächlich irgendwie vorbereitet. Vor allem meinen Sohn. Schwarze Männer haben es noch schwerer. Und tatsächlich ist es auch hier so: je dunkler sie sind, desto heftiger werden sie angegangen.

„Meine Tochter denkt mit elf Jahren über ihre Identität nach"

Ich will niemandem sagen, was er tun oder lassen soll im Umgang mit Menschen. Jeder müsste eigentlich wissen, wann er sich einmischen soll. Wenn alle ihren Menschenverstand nutzen, dann muss ich niemanden auf irgendwas aufmerksam machen. Lasst die Menschen einfach in Ruhe, die anders sind. Sie schränken doch niemanden ein! Ich habe die gute Erfahrung gemacht, dass Leute hier was sagen, wenn man belästigt wird. Hören Sie mal auf, lassen sie die Frau mal in Ruhe. Das habe ich schon erlebt. Ich selbst habe natürlich auch Leute im Vorbeigehen murmeln hören, geh’ dahin, wo du herkommst. Das sind Menschen, die haben generell ein Problem damit, dass es hier bunt ist. Das nehme ich nicht ernst.

Ich werde auch öfter gefragt, woher ich komme. Aber das verstehe ich. Ich bin dann nicht beleidigt. Die Menschen sind neugierig und ich habe ja tatsächlich noch eine Verbindung zu meiner Heimat Eritrea. Ich finde, es ist anders, wenn Menschen hier geboren und aufgewachsen sind, wie meine Kinder. Meine älteste Tochter wurde auch immer wieder nach ihrer Herkunft gefragt. Früher war es für sie ganz klar und sie antwortete: Aus Deutschland. Die Fragen ließen aber nicht nach. Jetzt sagt meine Tochter, sie kommt aus Eritrea. Wenn die Leute dich darauf aufmerksam machen, dass du einfach nicht deutsch sein kannst, weil du nicht so aussiehst, dann kommen Zweifel auf. Ich kann meiner Tochter nicht sagen, was sie fühlen soll. Sie denkt jetzt mit ihren elf Jahren genau über ihre Identität nach. Ich beobachte das und versuche, sie stark zu machen.

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