Samenspenderkinder erzählen„Wir wollen wissen, wo wir herkommen – keinen Unterhalt“

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Viele Kinder von Samenspendern berichten, dass sie sich oft auch in der Familie allein und melancholisch gefühlt haben, bevor sie von ihrer wahren Herkunft erfuhren. (Symbolbild)

  • Viele Kinder, die durch eine Samenspende entstanden sind, wissen bis ins Erwachsenenalter nicht, wer ihr Erzeuger ist.
  • Die drei Frauen in dieser Geschichte wurden in der Essener Praxis von Prof. Thomas Katzorke gezeugt. Er behält die Namen der Spender unter Verschluss und steht deshalb derzeit vor Gericht.
  • Mona, Sophie und Alina (Namen von der Redaktion geändert) erzählen, wie sie erfuhren, dass sie Samenspenderkinder sind und wie sie seitdem nach der zweiten Hälfte ihrer Identität suchen.

Köln – Stellen Sie sich vor, Sie wachsen als Kind ganz normal mit Mutter und Vater auf und erfahren als Erwachsener, dass ihr Vater gar nicht ihr Vater ist. Sie sind aber auch kein Kuckuckskind und nicht adoptiert worden, sondern durch eine Samenspende entstanden. Wer ihr Erzeuger ist, lässt sich nicht so einfach herausfinden, weil der Arzt, in dessen Praxis Sie gezeugt worden sind, angeblich die Unterlagen nicht mehr hat beziehungsweise den Samenspendern Anonymität zugesichert hat. Was wie eine Filmszene klingt, ist das Leben von Mona, Alina und Sophie (die Namen wurden von der Redaktion geändert). Sie alle wurden in den 1980er-Jahren im Zentrum für Reproduktionsmedizin Novum in Essen gezeugt, wissen aber nicht von wem.

Der Arzt hat selbst eine Tochter mit seinem Samen gezeugt

Leiter des 1981 gegründeten Zentrums ist Prof. Dr. Thomas Katzorke. Der Reproduktionsmediziner gilt als einer der renommiertesten Ärzte auf diesem Gebiet, ist aber vor allem deshalb bekannt, weil 2018 herauskam, dass er der Vater einer Frau ist, deren Mutter er mit seinem eigenen Samen „behandelte.“ Katzorke gibt auch zu, zwei oder drei Mal selbst „gespendet“ zu haben. In den 1970er- und 1980er-Jahren im Uniklinikum Essen sei die Insemination damals Pionierarbeit gewesen, sagte er gegenüber der „Westdeutschen Allgemeinen Zeitung“.

Dass Katzorke auch ihr Vater ist, können die drei Frauen aus diesem Artikel sicher ausschließen. Wie die mit seinem Samen gezeugte Frau sind sie in mehreren DNA-Datenbanken registriert. Mittels einer Speichelprobe kann man hier nach genetischen Übereinstimmungen mit anderen Mitgliedern suchen. Bei der Überprüfung gab es keine Übereinstimmungen mit Katzorkes Tochter, sie sind also keine Halbschwestern.

Internetseiten zum DNA-Abgleich

www.ancestry.de www.23andme.com www.familytreedna.com www.myheritage.de

Die Unterlagen sind angeblich verschwunden

Seit der Gründung im Jahr 1981 sind in Katzorkes Praxis tausende Kinder durch Samenspende gezeugt worden. Gegen den Mediziner laufen derzeit mehrere Gerichtsverfahren, weil einige dieser Samenspenderkinder Auskunft über ihre genetischen Väter verlangen, die Katzorke ihnen nicht gibt. Er behauptet, dass alle Unterlagen von vor 1996 nicht mehr existierten und er zudem den Spendern damals Anonymität zugesichert habe. Dabei wäre er in der Pflicht, Auskunft zu geben.

Der Verein Spenderkinder und die Rechtslage

Im Verein Spenderkinder haben sich etwa 200 durch Samenspende gezeugte Erwachsene aus ganz Deutschland und teilweise im Ausland zusammen getan. Der Verein möchte für die Perspektive der Kinder sensibilisieren, die durch Samenspende oder andere Formen der Familiengründung mit Samen oder Eizellen einer dritten Person entstanden sind.

Ein weiteres Ziel ist Information über die rechtlichen Rahmenbedingungen, psychologischen Herausforderungen und ethischen Fragestellungen dieser Arten der Familiengründung.

Vor allem setzt sich der Verein für das Recht auf Kenntnis der biologischen Abstammung ein. Im Juli 2018 ist das „Gesetz zur Regelung des Rechts auf Kenntnis der Abstammung bei heterologer Verwendung von Samen" (SaRegG) in Kraft getreten. Seitdem gibt es das bundesweite Samenspender-Register. Es speichert 110 Jahre lang personenbezogene Angaben von Samenspendern und Empfängerinnen im Zusammenhang mit ärztlich unterstützten künstlichen Befruchtungen. So können auf diese Weise ab Juli 2018 gezeugte Kinder bei einer zentralen Stelle erfahren, wessen Samen bei der künstlichen Befruchtung verwendet worden ist. Die Daten werden beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM, Standort Köln) gespeichert. Darüber hinaus wurde im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) verankert, dass der Samenspender keine Unterhaltspflichten gegenüber dem Spenderkind hat, Ansprüche auf Sorgerecht, Unterhalt oder ein Erbe entfallen. 

Seit 2018 gibt es das Samenspenderregistergesetz, das festlegt, dass alle Kinder, die ab dem 1. Juli 2018 gezeugt wurden, bei einem Zentralen Register Auskunft bekommen können (siehe Kasten). Wichtig: Alle anderen Samenspenderkinder haben das Recht auch. Vorher gezeugte Spenderkinder können sich an die Samenbanken und die Einrichtungen der medizinischen Versorgung wenden, die vorhandene personenbezogene Angaben von Samenspender und Empfängerin 110 Jahre aufbewahren müssen, wie das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte auf seiner Seite schreibt.  Im Jahr 2013 hat die ebenfalls in der Praxis Katzorke in Essen durch Samenspende gezeugte Sarah P. vor dem Oberlandesgericht Hamm die Herausgabe des Spendernamens erstritten. Die Berufungsrichter entschieden, dass sie einen Anspruch gegen den Mediziner auf Herausgabe des Namens habe, fasst das Rechtsmagazin Legal Tribune Online“ den Fall zusammen. Weiter heißt es dort: „Bereits mit Urteil vom 31. Januar 1989 (Az. 1 BvL 17/87) hat das Bundesverfassungsgericht den Anspruch eines Kindes auf gerichtliche Klärung seiner Abstammung als Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts angesehen.“

„Ich gebe grundsätzlich keine Stellungnahmen mehr ab.“

Warum Katzorke die Daten der Spender nicht herausgeben will, wissen die drei Frauen nicht. Er selbst wollte sich auf Anfrage nicht dazu äußern und schreibt: „Ich gebe grundsätzlich keine Stellungnahmen mehr ab.“

Am 14. September 2020 hat vor dem Landgericht Essen eine öffentliche Verhandlung gegen Katzorke begonnen. Bereits 2017 wurde er dazu verurteilt, Auskunft über die Identität von damals drei Klägern und einer Klägerin zu geben. Das hat er bis heute nicht getan. Jetzt soll die Auskunft zwangsvollstreckt werden. „Für die angebliche Vernichtung der Unterlagen gibt es mindestens drei sich widersprechende und sehr ungenaue Darstellungen. Es tauchen auch immer wieder neue Unterlagen auf, die angeblich vernichtet worden sind. Am ersten Prozesstag hieß es plötzlich, etwa 50 Akten aus der Zeit vor 1996 seien noch vorhanden. Bislang sollten es vier bis fünf sein“, berichtet Anne Meier-Credner, Vorstandsmitglied des Vereins Spenderkinder (siehe Kasten), die im Gericht dabei war. Eine Entscheidung wird bis Ende des Jahres erwartet.

Drei Samenspenderkinder erzählen ihre Geschichte

Mona, Alina und Sophie sind alle Anfang der 1980er-Jahre in Katzorkes Praxis gezeugt worden. Alle drei haben mehrmals Kontakt zu ihm aufgenommen und immer nur gehört, dass keine Unterlagen aus der Zeit vor 1996 mehr vorlägen. Hier erzählen sie ihre Geschichten. Die Namen von Mona, Alina und Sophie sind nicht echt und auf Wunsch der Frauen geändert, auch um die Intimsphäre ihrer Familien zu wahren. 

Mona, 36 Jahre alt:

Mona weiß erst seit drei Jahren, dass ihr Vater gar nicht ihr Vater ist. Sie hatte aber schon immer das Gefühl, dass etwas in ihrer Familie nicht stimmt: „Wenn meine Eltern Streit hatten, hat meine Mutter immer gesagt: ‚Lass‘ mein Kind in Ruhe, sonst sage ich ihr die Wahrheit‘.“ Weil sie sich in ihrer Jugend von den Verwandten väterlicherseits so wenig angenommen fühlt, fragt sie konkret nach, ob ihr Vater vielleicht nicht ihr Vater ist – keine Antwort. „Es wurde immer wieder abgestritten. Man hat mir sogar eingeredet, dass ich ein Aufmerksamkeitsproblem hätte und die Familie zerstören wolle. Mir wurde immer das Gefühl gegeben, nicht normal zu sein“, erzählt Mona, die sich oft sentimental und orientierungslos fühlt, bis sie von ihrer Herkunft erfährt.

Bloß nicht den Kindern die Wahrheit sagen

Von der Schwester ihres Vaters hört sie schließlich, dass sie durch eine künstliche Befruchtung entstanden ist. Auf Nachfrage wiederholen die Eltern, dass man damals wegen Fruchtbarkeitsproblemen den Samen des Vaters gesammelt und der Mutter in der Praxis von Professor Katzorke eingesetzt habe. „Sie sind dort sehr intensiv von ihm darauf geimpft worden, dass man das Thema Samenspende niemals innerhalb der Familie kommunizieren sollte, weil das nur zu Problemen mit dem Kind führe“, erzählt Mona. Katzorke habe außerdem versichert, dass die Spender ausschließlich Medizinstudenten aus Essen seien. 

Die Mutter lässt sich damals fremden Samen einsetzen und schläft danach noch einmal mit ihrem Mann. „Für meinen Vater war die Illusion wichtig, dass ich doch sein leibliches Kind sein könnte“, glaubt Mona. Danach sei nie mehr über das Thema gesprochen worden, auch innerhalb der Familie sei nur kommuniziert worden, dass man sich in der Klinik „Unterstützung geholt“ habe.

Mit 26 wird Mona ungeplant schwanger und beginnt wegen zunehmender Ängste eine Therapie. Sie fragt die Mutter erneut nach dem prägenden Satz, den sie in ihrer Kindheit so oft zu ihrem Vater gesagt hat: „Lass‘ mein Kind in Ruhe, sonst sage ich ihr die Wahrheit.“ Wieder keine Antwort. Die Wahrheit erfährt sie erst weitere sieben Jahre später beim Kaffeetrinken im Garten ihrer Mutter. Mona sagt: „Mama, letzte Chance, ganz aufrichtig, aber ich weiß, irgendwas ist nicht in Ordnung. Wolltest du mit diesem Satz damals etwas anderes sagen?“ Die Mutter erzählt zunächst wieder von der künstlichen Befruchtung mit dem Samen ihres Mannes. Aber sie will noch mehr sagen. Sehr zögerlich, weil sie Angst hat, ihren Mann zu enttäuschen: Man habe damals fremdes Sperma zur Befruchtung benutzt. Ihnen sei gesagt worden, dass sie nicht darüber reden dürften.

Ist meine Oma jetzt überhaupt noch meine Oma?

„Als endlich die Wahrheit draußen war, war ich im ersten Moment beruhigt und erleichtert. Auf der anderen Seite waren ganz viele neue Fragen da: Wer weiß davon? Wo komme ich her? Und ist meine Oma, die gerade gestorben ist, überhaupt noch meine Oma?“ Weil es in Essen so viele Spenderkinder gibt, fragt sie sich auch, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, dass einer ihrer Ex-Freunde vielleicht ihr Halbbruder ist. Als gelernte Krankenschwester hatte sie auch mit vielen Ärzten zu tun. Und die Samenspender von damals sollen ja Medizinstudenten gewesen sein. „Vielleicht ist ein ehemaliger Kollege mein Vater gewesen. Ich war auch selbst oft Patientin und bin oft operiert worden. Vielleicht von meinem Vater?“, fragt sie sich.

Das Verhältnis zu dem Mann, den sie Papa nennt, beschreibt sie als gut, aber angeknackst: „Natürlich habe ich nach wie vor einen sozialen Papa und der ist ganz toll. Er ist der, der nachts kam, wenn ich geweint habe und der auch heute noch an meiner Seite ist. Allerdings muss ich zugeben, dass da jetzt ein großer Bruch ist, seitdem ich Bescheid weiß. Er kann nach wie vor nicht mit mir über das Thema sprechen. Doch er hat mir neulich gesagt, dass ich für ihn immer noch seine Tochter bin und er mich lieb hat. Ich muss das so akzeptieren.“

Dabei gäbe es noch mehr zu besprechen. Mona erfährt, dass ihr mittlerer Bruder auch ein Spenderkind ist, allerdings von einem anderen Erzeuger, wie sie über eine DNA-Datenbank weiß. Ihren Eltern habe man aber in der Praxis gesagt, dass das Sperma vom gleichen Spender komme. „Mein Bruder will das gar nicht so genau wissen und hat auch keinen DNA-Abgleich mit unserem Vater gemacht. Er stützt sich ein bisschen auf die Hoffnung, dass er doch von ihm sei könnte“, sagt sie. Dann gibt es noch einen weiteren Bruder, der tatsächlich ein gemeinsames Kind ihrer Eltern ist. „Und das sieht man auch.“

„Prof. Katzorke hat mir gestanden, dass er die Daten noch hat“

Auf der Suche nach ihrem Vater schreibt Mona zweimal Prof. Katzorke an, erfährt aber nur, dass alle Unterlagen aus dieser Zeit vernichtet worden seien. Als 2018 heraus kommt, dass Katzorke der Vater einer in seiner Praxis gezeugten Frau ist, meldet sie sich erneut. Dieses Mal reagiert er. „Wir haben lange telefoniert. Für mich wirkte er da sehr sensibel und sehr gebrochen, so wie man ihn gar nicht kennt. Er hat mit mir sehr offen darüber gesprochen, dass seine Familie und seine Töchter nicht begeistert sind“, erzählt Mona. Er habe ihr auch gestanden, dass er die Daten noch habe und noch wisse, wer damals in den 1980er-Jahren Samen gespendet habe. Insgesamt habe es in den Anfangsjahren der Praxis nur 40 oder 50 Spender gegeben. Mona schlägt ihm vor, diese Männer zu kontaktieren und ihnen mitzuteilen, dass sich in der Praxis die Anfragen häuften. Wer Interesse habe, könne sich melden. „Er hat gesagt, dass könnte er nicht machen, weil er damals diesen Herren Anonymität versprochen habe. Ich glaube, dass diese gefühlte Ehre und Verpflichtung gegenüber den Spendern für ihn die oberste Priorität hat“, sagt Mona.

Nur Experimente und Nummern

Vom Prozess erhofft sie sich nun, dass „Herr Katzorke versteht, dass wir nicht nur Spenderkinder sind. Man bekommt sehr oft den Eindruck, dass wir nur irgendwelche Experimente und Nummern in irgendwelchen Ordnern sind, die er geschaffen hat.“ Auch die Samenspender selbst möchte sie dazu motivieren, Kontaktanfragen zuzulassen oder den Kontakt selbst aufzunehmen: „Wir sind ja Menschen, die sie geschaffen haben. Wir wollen gar kein Geld. Wir haben einfach das große Bedürfnis, unsere zweite Hälfte ausfindig zu machen und uns so selbst besser zu verstehen.“ 

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Sophie, 32 Jahre alt:

Sophie erfährt kurz vor ihrem 30. Geburtstag durch eine Blutkonserve, dass ihr Vater nicht ihr Vater ist. Zu der Zeit liegt er mit einem Herzinfarkt im Krankenhaus und bekommt Blut – das falsche. Die Blutgruppe passt nicht zum Rest der Familie. Sie spricht den Arzt darauf an, der bestätigt ihr, dass es die Kombination dieser Blutgruppen innerhalb einer Familie so nicht geben kann. Sie und ihre Schwester fragen ihre Mutter danach, doch die schweigt zunächst. „Ich habe mir tausend Dinge überlegt: Wurde ich im Krankenhaus vertauscht? Adoptiert? Wurde unsere Mutter vielleicht vergewaltigt?“, erzählt Sophie.

„Ich bin traurig und wütend, dass sie uns so lange angelogen haben“

Irgendwann sagt die Mutter zu ihnen: „Ihr seid meine leiblichen Kinder“ und erzählt von der Samenspende. Sophie und ihre Schwester haben Verständnis für die Entscheidung, sind aber enttäuscht darüber, dass die Eltern es ihnen nicht gesagt haben. „Ich bin traurig und wütend, dass sie uns so lange angelogen haben und uns nicht vertraut haben. Ich habe mich sehr alleine gefühlt“, erinnert sich Sophie. Die Schwestern machen einen DNA-Test und erfahren, dass sie denselben Spender haben, wer es ist, wissen sie nicht. „Herr Katzorke hat unseren Eltern damals wohl gesagt, dass man Sperma von meinem Vater und mehreren anderen Männern mischen muss, damit die Wahrscheinlichkeit höher ist, wirklich schwanger zu werden“, erzählt Sophie. In der Datenbank haben die beiden außerdem zwei weitere Halbgeschwister-Treffer. Ihr Vater weiß noch immer nicht, dass die Schwestern das Geheimnis kennen. „Als wir es herausgefunden haben, war er sehr krank und nicht ansprechbar. Später wussten wir dann nicht, wie er reagiert, ob er sich dann noch mehr in sich zurückzieht als ohnehin schon. Also haben wir es ihm nicht gesagt“, sagt sie. 

„Wir wollen wissen, wo wir herkommen. Keinen Unterhalt“ 

Auch sie fragen in der Praxis von Dr. Katzorke an, bekommen aber ebenfalls nur die Antwort, dass es aus der Zeit vor 1996 keine Daten mehr gebe. „Angeblich gibt es aber noch einen ominösen Ordner mit Spendernamen“, weiß Sophie. Vom Prozess erhofft sie sich nun, dass Katzorke diese Daten herausgeben muss, damit die Samenspenderkinder endlich erfahren, von wem sie abstammen: „Er soll uns endlich geben, was uns zusteht. Das sind ja nur ein paar Daten, aber die bedeuten uns viel. Wir wollen keinen Unterhalt. Wir wollen wissen, wo wir herkommen.“ 

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Wolfgang Oelsner und Gerd Lehmkuhl: Spenderkinder - Künstliche Befruchtung, Samenspende, Leihmutterschaft und die Folgen: Was Kinder fragen werden, was Eltern wissen sollten, 19,99 Euro

Alina, 36 Jahre alt:

Alina sagt man schon mit zehn Jahren, dass ihr Vater nicht ihr Vater ist. „Meine Eltern hatten sich schon lange überlegt, dass sie mir das irgendwann mal erzählen wollten, aber dann Schwierigkeiten, den richtigen Zeitpunkt zu finden“, erinnert sich Alina. Als Kind liest sie eines Tages etwas über Eizellenspende. Als sie ihre Mutter fragt, was sie davon hält, erfährt sie die Wahrheit über ihre Entstehung. „Das war für mich sehr überraschend, ich habe nie Verdacht geschöpft. Es war aber nicht schlimm. Die Beziehung zu meinem sozialen Vater hat die Enthüllung nicht verändert. Allerdings war auch völlig klar, dass ich wissen will, wer mein biologischer Vater ist“, erzählt sie. Wer sie gezeugt hat, hat sie auch heute mit 36 Jahren noch nicht herausgefunden.

„Ich wollte, dass er weiß, dass es mich gibt“

Zum ersten Mal wendet sie sich 2004 mit 20 Jahren an die Praxis von Prof. Katzorke, motiviert von einem Bericht, in dem Katzorke behauptet, dass es für Samenspenderkinder gar nicht wichtig sei, ihren biologischen Vater zu kennen. „Ich wollte, dass er weiß, dass es mich gibt und dass ich mich sehr dafür interessiere, wer mein genetischer Vater ist“, erinnert sie sich. Sie schickt auf Anfrage Kopien ihrer Geburtsurkunde, der Ausweise ihrer Eltern und eine Schweigepflichtentbindung, erhält aber keine Antwort. Drei Jahre später versucht sie es noch einmal und hört, dass ihr erster Brief nie angekommen sei, sie dürfe aber gerne vorbei kommen. Es folgt ein Gespräch in der Praxis mit Prof. Katzorke „Das war nett, aber es war auch direkt klar, dass ich keine Auskunft bekommen würde. Herr Katzorke sagte dann auch zu mir, dass Gene nicht so wichtig seien“, erzählt Alina. Sie findet weitere Samenspenderkinder, die in der Essener Praxis gezeugt wurden und ihren Vater suchen. Zusammen gründen sie 2009 den Verein Spenderkinder.

Mittlerweile sieben Halbgeschwister

Alina registriert sich auch in mehreren DNA-Datenbanken, um ihre Gene abzugleichen. Auf diese Weise findet sie mehrere Halbgeschwister, die ebenfalls alle in Essen gezeugt wurden und nicht wissen, von wem. „Ende Juli haben wir uns zu viert getroffen, das war sehr schön. Mittlerweile sind wir zu siebt“, erzählt sie. Ihr aktuell ältester Halbbruder ist im September 1981 gezeugt worden. „Es würde also ausreichen, in den allerersten Unterlagen der Praxis nachzuschauen. Vermutlich erinnert sich Katzorke auch noch an seine ersten und langjährigen Spender. Man könnte prüfen, ob etwa Augenfarbe, Haarfarbe oder Blutgruppe mit den anderen Halbgeschwistern übereinstimmen“, meint Alina. Sie gibt die Hoffnung nicht auf, eines Tages zu erfahren, wer ihr biologischer Vater ist.

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