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Streitfrage der WocheOhne Kinder Urlaub machen - Dürfen Eltern das?

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Keiner nervt und will Eis und Sandburgen bauen – ohne Kinder zu verreisen klingt für viele Eltern verlockend.

  • Viele Eltern sind im Alltag stark gefragt und könnten eine Auszeit gebrauchen. Sollten sie auch mal ohne Kinder verreisen?
  • Claudia Lehnen findet, dass gerade in der Pandemie eine Sondererholung für all diejenigen, die sich immer nur um andere kümmern, dringend nötig ist.
  • Isabell Wohlfarth will gemeinsam mit ihren Kindern Urlaub machen und hätte im Alltag lieber mehr Entlastung.

Köln – Pro: Claudia Lehnen findet, dass Eltern heute ihre Kinder in einer Perfektionskultur großziehen müssen. Wirtschaftliche Produktivität, Qualitytime mit Kind, Superhaushalt - überall wird Bestleistung gefordert. Gerade während Corona führte das für viele in den Zusammenbruch. Jetzt ist Sondererholung nötig für diejenigen, die sich immer nur um andere kümmern.

Als ich ein knappes Jahr alt war, verreisten meine Eltern, ich blieb bei meinen Großeltern. Man erzählt sich, ich hätte mich dort an deren Kühlschrank hochgezogen und nacheinander mit großer Sorgfalt ein Ei nach dem anderen auf den Linoleumboden patschen lassen. Meine Eltern genossen derweil das Alpenglühen. Es war in den späten 70er Jahren und irgendwie schien es damals akzeptiert, dass Eltern auch kleiner Kinder Auszeiten für sich in Anspruch nehmen. 

Die Zeiten haben sich geändert. Wer heute Kinder hat, zieht sie in einer Perfektionskultur groß, in der an allen Fronten Bestleistung erwartet wird. Super-Karriere, Qualitytime mit Kind, Körper straff, Küche Schöner Wohnen. Es verwundert nicht, dass hinter dieser Glanzfassade nun Mütter und Väter zum Vorschein kommen, die unter der Last der Fremdbestimmung fast zusammenbrechen.

Denn Eltern kümmern sich sieben Tage die Woche um andere: Nach acht Stunden im Job hetzen sie zur Kita, organisieren das Blockflöteüben, kaufen glutenfreies Müsli für die Tochter, kutschieren die Schwiegermutter zum Skat, besuchen Elternabende und die Samstagsspiele des Jugendfußballvereins, pauken Latein-Vokabeln, machen sich mitten in der Nacht auf, um den Halbwüchsigen von der Party abzuholen und irgendwann muss auch noch jemand die angetrocknete Tomatensoße vom Herd kratzen. 

„Manche weinen einfach nur noch“

In einer Studie im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung berichtet jede zweite Mutter von starker beziehungsweise äußerster Belastung. Anne Schilling, Geschäftsführerin des Müttergenesungswerks sagt: „Frauen, die zur Mütterkur kamen, waren schon immer sehr erschöpft. Die aber, die jetzt zu uns kommen, sind am Anschlag. Manche weinen einfach nur noch.“

Es ist genug! Und an der Zeit, Eltern zu entlasten. Sie brauchen zusätzlich zum Familienurlaub echte Auszeiten. Ohne den Druck, sich rund um die Uhr um andere kümmern zu müssen. Sie brauchen ein Netzwerk, das sich anbietet, den Nachwuchs die Eier aus dem Kühlschrank werfen zu lassen, während Eltern ein paar Tage nur schlafen, fernsehen und Pizza im Bett essen. In der Sonne liegen. Spazieren gehen. Dem Wald beim Rauschen zuhören, ohne nebenbei Streit um den größeren Tannenzapfen schlichten zu müssen. 

Übernachtungsmöglichkeiten in Schulen und Kitas

Sie brauchen Institutionen, die einspringen, wenn die Großfamilie nicht vorhanden ist: Kitas und Schulen, die Übernachtungsmöglichkeiten anbieten. Sie brauchen Sonderurlaub. Sie brauchen eine Gesellschaft, die hoch schätzt, was sie weitgehend unentgeltlich tun: Trotz Produktivität in der Arbeitswelt Kinder großziehen und damit nicht nur das Gemeinwohl stärken, sondern auch den Sozialversicherungssystemen und der Wirtschaft überhaupt eine Zukunft ermöglichen.

Sie brauchen dafür Verbündete unter denjenigen, die keine Kinder aufziehen. Denn Haushalte, in denen Kinder leben, sind in Deutschland längst in der Minderheit. Und sie werden weniger. Kein Wunder. Elternsein ist unter den jetzigen Bedingungen ein Modell, das in den Burnout treibt. Das muss sich ändern. Regelmäßig auftanken für alle könnte ein Anfang sein.

Claudia Lehnen, 43, hat Kinder seit sie 25 ist und weiß deshalb genau: Familienurlaube sind lustig, aufregend und unvergesslich. Sie stecken voller Überraschungen und niemand möchte sie missen. Mit Entspannung haben sie aber wenig zu tun.

Contra: Isabell Wohlfarth findet, dass der Urlaub eine super Gelegenheit ist, endlich intensiv Zeit mit den Kindern zu verbringen – wenn nur die Erschöpfung des Alltags nicht wäre, die mit in den Urlaub fährt.

Was sehne ich den Urlaub mit meinen Kindern herbei. So viele Dinge haben sich auf meiner imaginären Liste angesammelt, die ich mit ihnen erleben und in Ruhe tun möchte. Vorlesen, ohne auf die Uhr zu schauen. Ausflüge, ohne den nächsten Arbeitstag im Kopf zu haben. Hundert Runden Karten spielen, ohne zwischendrin die Spülmaschine auszuräumen. Gespräche führen, ohne über Schule und Aufräumen zu streiten. Ich will ganz da und nah sein.

Im Alltag mit Jobs, Schule, Haushalt und Verpflichtungen fallen solche Sachen zu oft hinten runter. Dauernd rattert die Wucht der „mental load“ im Kopf, ununterbrochen muss etwas geregelt und erledigt werden. Wir jagen fröhlich, aber kurzatmig durch die Wochen. Für intensive Momente bleibt oft zu wenig Zeit. Unser Urlaub mit den Kindern ist deshalb die Gelegenheit, endlich entspannte Familienzeit ohne die Ablenkung des Alltags zu genießen. „Quality time“ würden es Experten nennen.

Vor der Abreise bräuchten Eltern eigentlich erstmal Erholung

Gleichzeitig zeigt die Erfahrung vieler Familienurlaube: Es funktioniert selten, aus dem vollen Galopp familiärer Dauerrotation in ein entspanntes Ferienmiteinander zu kommen. Schon die Tage vor dem Urlaub sind für die meisten Eltern extra stressig. Bei der Arbeit muss noch hauruckmäßig alles festgezurrt und nebenher vieles für die Reise vorbereitet werden. Bis alle im Auto, Zug oder Flieger sitzen, haben wir halbe Nächte lang Wäscheberge gezähmt, Strandutensilien aus dem hintersten Winkel gekramt, verlegte Sonnenbrillen gesucht und Kinderfahrräder Tetris-mäßig in den Kofferraum gepuzzelt. Wenn die Kids dann am Tag der Abreise vorfreudig auf- und abhüpfen, wollen wir Eltern eigentlich nur eins: Schlaf und Erholung.

Stattdessen wird die Stressenergie der letzten Monate mitgeschleppt in den eigentlich heiß ersehnten Familienurlaub. Und es fällt mir oft schwer, wirklich so präsent und engagiert zu sein, wie ich es mir vorgenommen hatte. Stattdessen bin ich oft unfassbar müde. Das ist nicht nur wahnsinnig schade, es macht mich auch traurig. Schließlich haben wir nur diese Urlaubstage miteinander. Sie lassen sich nicht auf entspannte Zeiten verschieben – wenn die denn überhaupt kämen.

Mehr Entlastung im Alltag würde Eltern auch im Urlaub helfen

Natürlich kann Urlaub mit Kindern auch anstrengend sein. Aber wie Eltern damit umgehen können, hat sehr stark mit ihrem Belastungslevel zu tun – und das ist grundsätzlich viel zu hoch. Die Kinder aber deswegen im Urlaub loszuwerden, um sich erstmal vom Alltag zu erholen, das kann nicht die Lösung sein. Eltern müssten deshalb schon im täglichen Leben viel stärker entlastet werden, zum Beispiel durch realistische Teilzeitmodelle, finanzielle Unterstützung bei Wohn- und Lebenskosten und praktische Leistungen wie Haushaltshilfen.

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Würden Eltern, statt dauernd aus dem letzten Loch zu pfeifen, mehr Pausen zwischendurch bekommen, müssten sie auch nicht völlig abgebrannt in den Familienurlaub starten. Ja, vielleicht hätten sie sogar die Leichtigkeit, zusammen mit ihren Kindern ein bisschen vor Freude auf- und ab zu hüpfen, wenn der Tag der Abreise endlich da ist.

Isabell Wohlfarth (42), Redakteurin im Ressort Ratgeber/Magazin, freut sich sehr auf den Urlaub mit ihren drei Kindern. Sie weiß aber jetzt schon, dass sie erst einmal ziemlich erledigt sein wird, wenn alle im Auto sitzen.

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