TabuthemaWieso auch Männer nach der Geburt unter Depressionen leiden können

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Viele Männer fühlen sich nicht ernst genommen und mit ihren Sorgen allein gelassen.

  • Viele Männer fühlen sich bei und nach der Geburt ihres Kindes hilflos oder entwickeln sogar Depressionen.
  • Die wenigsten können offen über Probleme sprechen, manche fühlen sich nicht ernst genommen und allein gelassen.
  • Benjamin Dittrich hat deswegen eine Selbsthilfegruppe gegründet, in der Männer über alles reden können.

Köln – Auch für Männer kann der Weg in Vaterschaft steinig sein und vor allem, wenn sie zum ersten Mal Vater werden. Die meisten Männer fühlen sich hilflos, einige entwickeln sogar Depressionen nach der Geburt. Die wenigsten können offen über diese Probleme sprechen, viele fühlen sich nicht ernst genommen und allein gelassen. Benjamin Dittrich hat in Köln im Verein „Schatten und Licht e.V." deshalb eine Selbsthilfegruppe gegründet, in der Männer über alles reden können.

Herr Dittrich, Sie haben die erste Männergruppe des Vereins „Schatten und Licht“ im Dezember 2018 gegründet. Der Verein bietet Menschen eine Anlaufstelle, die Depressionen nach einer Geburt entwickeln. Wie kam es zu der Gründung der Gruppe nur für Männer?

Benjamin Dittrich: Meine Partnerin war Teil einer Gruppe in Köln und dort kam es öfter zur Sprache, dass es gar keine entsprechende Gesprächsmöglichkeit für Männer gibt. Dabei haben auch einige Partner der Frauen eine Geburt als traumatisch erlebt. Als ich gehört habe, dass jemand gesucht wird, der eine Männergruppe leitet, habe ich mich sofort gemeldet, weil ich mich dank meines Berufs in dem Bereich auskenne.

Worüber sprechen Männer bei Ihnen in der Selbsthilfegruppe?

Benjamin Dittrich: Es geht nicht nur um das Thema Geburt. Es geht auch um die Beziehung zum Kind oder die Rolle als Vater. Eine traumatische Geburt ist aber dennoch oft das Hauptthema. Entweder hat eine Frau unter dem Krankenhauspersonal gelitten, medizinisch ist etwas schief gelaufen oder das Kind ist verstorben. Die Erfahrungen sind auch für Männer sehr belastend, und auch sie brauchen einen Raum, um sich darüber auszutauschen.

Das heißt, woanders können Männer nicht über diese Themen sprechen?

Benjamin Dittrich: Das ist eine sehr gute Frage. Theoretisch schon, aber es ist häufig so, dass die Rolle des Mannes den Betroffenen im Wege steht. Sowohl die Frau als auch der Mann denken oft: Der Mann muss stark sein, sie dürfen nicht als schwach gelten und zugeben, dass es ihnen schlecht geht. Aber trotzdem brauchen auch Männer manchmal den Austausch über ein intimes Thema. Das kann mal ein guter Freund sein, bei dem sie sich auslassen können, oder eben eine Selbsthilfegruppe. Hier sehen sie, dass es auch anderen so geht.

Über welche Themen sprechen Männer bei Ihnen denn nicht so gerne?

Benjamin Dittrich: Häufig ist das die eigene Hilflosigkeit. In Situationen, bei denen sie die Partnerin unter der Geburt völlig ausgeliefert erleben und nichts tun können. Sie kennen sich eventuell medizinisch nicht so gut aus und entsprechend sind sie in der Rolle gefangen, zuzuschauen und darauf zu vertrauen, dass alles klappt. Sie können nicht einschreiten. Nach der Geburt geht das Thema dann aber weiter. Dann können sie nicht zugeben, dass sie die Situation belastet hat.

Wie erleben Sie diese Situation?

Benjamin Dittrich: Ich möchte ein Beispiel geben: Um auf die Selbsthilfegruppe aufmerksam zu machen, habe ich Werbung bei Facebook geschaltet. Dort habe ich dann gesehen, dass zwar auch viele Frauen auf „Gefällt mir“ geklickt haben - aber es kamen auch von weiblicher Seite viele Lach-Smileys. Es wirkte, als hätten die Frauen kein Verständnis dafür, dass auch Männer unter der Geburt leiden oder sie als traumatisch erleben. Da wurde mir klar, warum Männer Zuhause nicht über ihre Gefühle zur Geburt sprechen wollen. Das war bitter. Ich habe die Werbung dann wieder zurückgenommen - ich wollte nicht, dass die Männer noch ein schlechteres Gefühl haben.

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Was bringen die Gespräche in Ihrer Gruppe den Teilnehmern?

Benjamin Dittrich: Zunächst ist es so, dass die Männer erfahren, dass es auch noch andere gibt, die ähnlich fühlen. Das hilft schon. Sie sehen, dass sie nicht schwach sind. Und das Sprechen hilft - manche thematisieren es nirgends sonst, nicht bei ihrer Partnerin, Freunden oder Familie.

Wieso ist es überhaupt so, dass nicht akzeptiert wird, dass auch Männer ein Trauma von der Geburt haben können?

Benjamin Dittrich: Ich könnte mir vorstellen, dass es an dem Rollenbild liegt. Die Geburt wird oft körperlich gesehen. Da die Frauen die körperlichen Schmerzen erleben und verarbeiten müssen, wird oft geglaubt, dass es den Männern entsprechend gut gehen muss - sie können den Geburtsschmerz körperlich ja nicht empfinden.

Was muss sich ändern, damit dieses Thema aus der Tabu-Ecke kommt?

Benjamin Dittrich: Es hilft, dieses Thema ins öffentliche Bewusstsein zu bringen. Zu zeigen, dass es noch andere gibt, die ähnlich empfinden und zu zeigen, dass es „normal“ ist, so zu fühlen. Es hat bereits geholfen, dass das Thema Depressionen in den vergangenen Jahren präsenter in der Öffentlichkeit ist.

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