Unverstanden, unerkanntWas Hochbegabung für Kinder wirklich bedeutet

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mädchen unterricht dpa

Hochbegabte sind oft schneller als andere, vor allem im Denken. Daraus ergeben sich häufig Missverständnisse mit anderen (Symbolbild).

Köln – Was hochbegabte Kinder und Jugendliche im Alltag brauchen, erklärt Julia Rau. Sie arbeitet in Köln als Beraterin für Hochbegabung, Hochsensibilität und Karriere-Entwicklung und ist selbst hochbegabt. 

Frau Rau, woran erkennt man ein hochbegabtes Kind – abgesehen von den gängigen Tests?

Julia Rau ist Coach für Hochbegabte.

Julia Rau ist Coach für Hochbegabte.

Hochbegabte sind oft schneller als andere, vor allem im Denken. Daraus ergeben sich häufig Missverständnisse mit anderen. Etwa, wenn der Hochbegabte schon mit der Lösung des Problems beschäftig ist, während die andere Person noch dabei ist, das Problem an sich zu erklären. Viele fühlen sich vor allem anders als andere.

Wie äußert sich das?

Manche fühlen sich einfach anders, können das aber nicht so richtig einordnen, andere können mit den Themen der anderen Gleichaltrigen nicht viel anfangen und fühlen sich dadurch nicht zugehörig. Jeder entwickelt dann seine eigene Strategie damit umzugehen. Viele Mädchen verstecken zum Beispiel ihre Hochbegabung, da es ihnen wichtiger ist, vom Umfeld anerkannt und gemocht zu werden.

Und die Jungs?

Sie sind manchmal auffälliger, haben „spektakulärere“ Interessen oder spielen den Klassenclown. Allerdings denken viele bei dem Wort hochbegabt sofort an Kinder, die außergewöhnliche Dinge leisten und schon mit sechs Jahren Computerprogramme schreiben oder Ähnliches. Viele Hochbegabte sind aber nicht so. Die meisten wissen noch nicht einmal etwas von ihrer Hochbegabung. Die Bilder, die wir im Kopf haben, sind Extreme. In der Realität sieht es anders aus.

Wie sollten sich Eltern hochbegabter Kinder verhalten?

In vielen Dingen sind sie wie alle anderen Kinder auch. Aber in kognitiven Dingen sind sie oft schneller oder weiter als Gleichaltrige, neugieriger, haben manchmal vielfältigere Interessen und eben eine hohe Auffassungsgabe. Entscheidend ist: Was macht der Hochbegabte für individuelle Erfahrungen? Welche Anregungen erhält er? Schlecht ist, wenn dem Kind durch die Eltern gespiegelt wird, dass es als anstrengend empfunden wird. Mit genervten Sätzen wie: „Das musst du doch jetzt noch nicht wissen.“ Dann stellt sich bei dem Kind schnell das Gefühl ein: Ich bin anders, ich bin schlecht. Besser ist, wenn die Eltern dem Kind mitgeben: Du bist in manchen Bereichen anders als andere. Aber das ist nicht schlimm. Anders bedeutet nicht gleich falsch. Viele haben sonst ihr Leben lang das Gefühl, etwas stimme nicht mit ihnen.

Was sollten Erwachsene sonst noch vermeiden?

Hochbegabung bedeutet nicht, dass man alles gut kann oder alles weiß. Daher sollten Eltern ihre Kinder nicht unter Druck setzen und zu viel erwarten. Etwa, dass sie sich mit dem Kind immer unterhalten können wie mit einem Erwachsenen. Oder dass jetzt andauernd super Noten her müssen. Nicht alle Hochbegabten haben automatisch gute Noten. Das Gegenteil ist oft der Fall.

Warum schreiben manche Hochbegabte denn schlechte Noten?

Dinge zu wiederholen und auswendig zu lernen – was in der Schule ja häufig gefordert wird – das liegt ihnen meist überhaupt nicht. So können viele Flüchtigkeitsfehler entstehen. Eltern und das Umfeld fragen sich dann: Warum ist er oder sie hier so schlecht? Vielleicht, weil er oder sie sich nicht richtig gefordert fühlt in der Schule. Viele haben Probleme mit Routine-Aufgaben. Darauf haben Hochbegabte oft schlichtweg keinen Bock. Wenn es für andere schwierig wird, laufen sie dagegen zur Hochform auf. Recherchieren, Projektarbeit, um die Ecke denken – das finden Hochbegabte super.

Was fällt hochbegabten Kindern im Alltag schwer?

Manche tun sich schwer damit, Freunde zu finden. Es hilft ihnen meist schon, wenn sie eine einzige gleichgesinnte Person oder einen Freund haben. Es müssen nicht zwangsweise ganz viele Freunde sein. Viele versuchen sich ständig anzupassen an die Mehrheit – und das sind eben fast 98 Prozent – was für sie natürlich sehr anstrengend ist. Viele Hochbegabte machen sich schon als kleine Kinder Gedanken um die Welt, das ist bei ihnen oft besonders intensiv ausgeprägt. Es fällt ihnen manchmal nicht leicht, ihren Platz in der Welt zu finden.

Elternwerkstatt

Hochbegabte

Wie man sie erkennt – wie sie ticken – was sie brauchen

Montag, 10. September, 19 Uhr

studio dumont, Breite Straße 72, 50667 Köln

Darüber diskutieren: Julia Rau, Coach für Hochbegabte, Mensa-Mitglied, Prof. Dr. Christoph Wewetzer, Leiter der Städtischen Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters, Köln-Holweide

Moderation: Wolfgang Oelsner, Pädagoge und Kinderpsychotherapeut

FREIER EINTRITT

Ist die Pubertät für hochbegabte Jugendliche eine besonders schwierige Phase?

Hochbegabte Jugendliche machen sich in der Pubertät besonders viele Gedanken um sich und ihre Zukunft. Wie soll es nach der Schule weitergehen, wo ist mein Platz in dieser Welt, wer bin ich? Besonders Entscheidungen zum Thema Beruf bereiten ihnen oft Kopfzerbrechen. Viele hochbegabte Teenager haben mehrere Talente und könnten ganz verschiedene Wege einschlagen. Welcher der richtige sein könnte, wissen sie oft nicht. Auch das Thema Freundschaften und Beziehungen ist für manche eine Herausforderung, besonders wenn sie an den typischen Aktivitäten in diesem Alter kein Interesse haben, wie mit der Clique rumhängen, abends weggehen oder Ähnliches. Für sie ist es nicht immer leicht, Gleichgesinnte oder einen Partner zu finden.

Was hilft Hochbegabten?

Dass sie ihre Talente gut kennen, denn oft sind sie selbst nicht überzeugt, dass sie überhaupt welche haben. Sie empfinden sich selbst als nicht so außergewöhnlich. Für sie ist es ganz normal, dass sie Dinge sehr schnell verstehen. Sie haben ein sehr weites Denken und sehen daher auch gleich ihre eigene Begrenzung, das, was sie noch nicht können. Und Abwechslung und vielfältige Anregungen helfen auch. Die meisten von ihnen lieben Herausforderungen. Ab dem Teenager-Alter geht es ja auch darum, eine berufliche Richtung zu finden.

Warum verschweigen manche Eltern die Hochbegabung?

Weil in vielen Köpfen immer noch die Klischees vorherrschen von den hochbegabten Wunderkindern oder den Hochbegabten, die irgendwie sozial auffällig oder komisch sind. Die Betroffenen haben Angst, in eine Schublade gesteckt zu werden. Auch ich bin zurückhaltend damit. Denn die meisten anderen wissen ja auch gar nicht viel über Hochbegabung und was das wirklich bedeutet.

Was bedeutet es denn?

Zum Beispiel, dass Hochbegabte natürlich auch Unterstützung brauchen oder viele Fehler machen, vor allem manchmal bei ganz einfachen Dingen. Nicht selten stellen sie sich dümmer als sie sind, melden sich zum Beispiel nicht so häufig im Unterricht, obwohl sie die Antwort längst wissen. Weil sie nicht unangenehm auffallen oder als Streber bezeichnet werden wollen. Hochbegabung zu erkennen ist nicht immer einfach. Der Begriff hilft für die Orientierung, kann aber auch zu Schubladendenken führen. Es ist wie bei allen Kindern und Erwachsenen: Jeder hat seine Themen. Und bei allen hilft die Haltung und das Verhalten: Das bekommen wir hin!

Buchtipp

Breeedijk, Nauta, Rau: „Extrem beschenkt und sehr sensibel“, Beltz-Verlag, 219 Seiten, 16,95 Euro

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