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Verstörend oder verbindend?Wenn die Geschwister beim Gebären zuschauen

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Geschwister, die bei der Geburt des neuen Familienmitglieds dabei waren, sind später seltener eifersüchtig. Doch kommt es auf die Umstände der Geburt an.

Köln – Als Ilkas drittes Kind in der heimischen Badewanne zur Welt kommt, schneidet die vierjährige „große“ Schwester die Nabelschnur durch. Der Papa hilft ihr dabei, während die Zweijährige auf dem Schoß der Oma zuschaut. „Wir hatten alle Tränen in den Augen“, erzählt Ilka, die selbst Hebamme ist. Eine Hausgeburt in Anwesenheit der Geschwister? Für Ilka einfach nur natürlich – und wunderschön. Doch das sehen nicht alle so. 

Schon wenn Frauen erwägen, im Geburtshaus oder gar zu Hause zu entbinden begegnet ihnen Skepsis. „Wow, mutig“, sagen die Leute dann und meinen oft: leichtsinnig. Und dann auch noch weitere Kinder zuschauen lassen? 

Keine Geschwisterkinder im Kreißsaal

„Im Kreißsaal halte ich nichts von Geschwistern als Begleiter“, sagt Hebamme Heike Schürmann aus Coesfeld. „Generell bin ich skeptisch, Geburten als Event zu inszenieren, als eine Art Fernsehshow. Einige Frauen schreien in der Klinik, es fließt Blut, dazu kommen Hektik, Notfälle und weiße Laken.“

Das könne Kinder schon auch traumatisieren – wenn das Licht in der Klinik hell ist und die Umgebung für kleine Kinder eh schon fremd und bedrohlich ist mit all den Ärzten und Pieps-Tönen und Schläuchen.

Hausgeburt mit der ganzen Familie

Bei Hausgeburten sieht sie das anders, die Geschwister hier dabei zu haben, hält sie für absolut in Ordnung. Statistisch gesehen sind das jedoch nicht viele. Nur knapp über 5000 Hausgeburten hat es laut Deutschem Hebammenverband im Jahr 2017 in Deutschland gegeben. Bei wie vielen davon die Geschwister dabei waren, wird in den Erhebungen nicht erfasst.

Wichtig ist es, die Kinder gut vorzubereiten und eine Ansprechperson dabei zu haben, die Fragen beantworten kann oder mit rausgeht, wenn entweder die Mama oder die Kinder doch kurz Abstand wollen. Bei Ilkas dritter Geburt war darum die Oma dabei. Sie hat während der Wehen mit den Größeren gespielt. Als Vertrauensperson, die für sie da war – auch falls ihre Mama doch in die Klinik gemusst hätte.

Vera war bei den Geburten ihrer Brüder dabei

Als traumatisierend hat auch Vera die Geburten ihrer Brüder nicht empfunden. Sie war zwölf, als ihr Halbbruder zu Hause zur Welt kam und 14 als der nächste kam. Besonders an die erste Geburt denkt sie immer noch gern: „Ich habe sie als unheimlich schön in Erinnerung. Ich war überhaupt nicht geschockt.“

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Sie hatte die Hebamme bereits vorher kennengelernt, war bei Untersuchungen dabei gewesen und hatte ihre Tante vor Ort, an die sie sich mit Fragen wenden konnte. Besonders schön findet sie, dass sie bis heute eine so tiefe Verbindung zu ihren Brüdern hat.

„Dabei zu sein, wie selbst mein Stiefpapa ein Rührungstränchen verdrückt, hat mich tief berührt“, sagt Vera. Sie fühlte sich ernst genommen, nicht außen vor. Auch sie durfte die Nabelschnur durchtrennen. „Da war keine Eifersucht, ich war jedes Mal einfach nur froh, dass das Baby endlich da war.“

Weniger Eifersucht auf das Geschwisterkind

Auch Ilka erzählt von diesem Phänomen. Nach der Geburt habe es kaum Eifersüchteleien zwischen den Geschwistern gegeben. „Ich war ja nicht plötzlich weg und in der Klinik und kam dann mit dem Baby wieder, sondern sie waren dabei und haben den ganzen Prozess miterlebt.“

In der Schwangerschaft haben sie gemeinsam das Buch Runas Geburt: Meine Schwester kommt zur Welt“ gelesen. Sie haben darüber gesprochen, dass Mama lauter atmen wird als sonst und vielleicht auch mal ein bisschen schimpft, „so wie man schimpft, wenn sie sich das Knie aufgeschlagen hat“. Und dass es aber wieder gut sein wird, wenn das Baby da ist. 

Die große Schwester trennt die Nabelschnur durch

Auch Laura, die ihr drittes Kind in Anwesenheit ihrer acht und elf Jahre alten Töchter bekam, hält die Vorbereitung für das Wichtigste. Sie hatte ursprünglich gar keine Geburt mit Publikum geplant, aber die Hebamme war so toll mit ihren Großen, bezog sie so gut mit ein.

„Unsere Töchter waren bei allen Ultraschalluntersuchungen dabei“, erzählt sie. Sie haben sich sogar zusammen den Kreißsaal im Krankenhaus angeschaut, um zu wissen, wo die Mama hinkommt, wenn es mit der Hausgeburt nicht klappen sollte.

Die große Schwester durfte die Nabelschnur durchtrennen und zusammen mit der kleineren Schwester das Baby mit dem Maßband vermessen und in der Tuch-Waage der Hebamme wiegen. „Auch sie waren nie eifersüchtig oder haben das Baby als störend empfunden – eher wickeln und schuckeln sie und kümmern sich.“

Geburt mit Geschwistern: die Kinder einbeziehen

So ähnlich war es bei Ilkas Hebamme, auch sie bezog die Geschwister bei den Hausbesuchen mit ein. Dass sie bei der Geburt dabei sein würden war eher eine logische Konsequenz. Als die ersten Wehen schließlich losgingen und Mama in der Wanne lag, hörte sie aus dem Nebenzimmer die Kindergeburtstags-CD, schließlich gab es hier ja gleich was zu feiern! Als das Baby geboren war, reichte ihm die Zweijährige erstmal eine Quietscheente ins Wasser.

Was Hausgeburten mit Geschwistern angeht, ist Hebamme Heike Schürmann ganz auf ihrer Seite. Sie sagt: „Frauen, die zu Hause entbinden, ticken oft anders als Frauen, die in die Klinik gehen und am liebsten gleich eine PDA bekommen würden.“

„Frauen, die zu Hause gebären, sind anders“

Sie vertrauten ihrem Körper, seien in ihrer heimischen Umgebung entspannter als in einem klinischen Schichtsystem, fühlten sich geborgen. „Das hat natürlich Einfluss auf den Geburtsverlauf, der dann auch für die Kinder ein schönes Ereignis sein kann.“

Sie war selbst als Zwölfjährige bei der Geburt ihrer Cousine dabei – und wusste seitdem, dass sie Hebamme werden wollte. Auch ihr zweites Kind kam zu Hause zur Welt, ihr großer Sohn verschlief das Ereignis allerdings im Kinderzimmer.

Was all diese Mütter vereint, ist, die Selbstverständlichkeit, die sie in einer Geburt sehen. Dass es durch das Einbeziehen der Geschwister kaum zu Eifersucht auf das neue Baby gekommen sei. Dass es für sie nichts Besonderes war, die Geschwister dabei zu haben, sondern einfach etwas ganz Natürliches, Unaufgeregtes. Zu Hause, in vertrauter Umgebung. In die Klinik hätten sie ihre Großen aber nicht mitgenommen. 

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