Vom Figurwahn befreienWie Eltern eine Ess-Störung beim Kind erkennen und vorbeugen

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Viele Jugendliche fühlen sich in ihrem Körper nicht wohl. 

  • Wie können wir Kinder und Jugendliche dabei unterstützen, eine gesunde Beziehung zu ihrem Körper und zum Essen aufzubauen?
  • Was muss man tun, damit Kinder sich vom Figurwahn befreien und zufrieden sind?
  • Dr. Catherine Senécal liefert in ihrem Buch hilfreiche Strategien für Eltern.

Köln – Kinder und Jugendliche sind heute massivem Druck ausgesetzt, was ihre Figur angeht. Die Mädchen meinen, möglichst schlank sein zu müssen, die Jungen möchten so viele Muskeln wie möglich aufbauen. Dieser Druck kann zu Ess- und Verhaltensstörungen führen.

Wie können Eltern es schaffen, ihre Kinder zu jungen Menschen zu machen, die selbstbewusst und zufrieden mit ihrem Körper sind? Wie können wir alle Kinder und Jugendliche dabei unterstützen, eine gesunde Beziehung zu ihrem Körper und zum Essen aufzubauen?

Die kanadische Psychologin Dr. Catherine Senécal beschäftigt sich in ihrem Buch „Du bist gut so, wie du bist: So befreien Sie Ihr Kind vom Figurwahn“ mit all diesen Fragen.

Das Buch ist in acht Kapitel eingeteilt:

Kann man Ess-Störungen und Problemen der Körperwahrnehmung bei Kindern und Jugendlichen vorbeugen?

Es ist sehr wichtig, bereits im Vorschulalter und während der ganzen Kindheit an einem positiven Körperbild zu arbeiten, denn es besteht ein Zusammenhang zwischen einem negativen Körperbild, der Entstehung von Ess-Störungen, einem schwachen Selbstwertgefühl und depressiven Symptomen. 

Bei der Entstehung von Ess-Störungen spielen psycho-soziale Faktoren wie sozialer Druck und allgemeiner Schlankheitskult eine große Rolle. Vor allem den sozialen Faktor können Eltern beeinflussen. Die wirksamsten Maßnahmen zur Verringerung der Symptome von Ess-Störungen und der Sorge um das Gewicht sind folgende: eine bessere Medienerziehung, um eine kritischere Haltung gegenüber den präsentierten Inhalten zu erlangen, Gedanken und Verhalten neu ausrichten und Maßnahmen, die auf ein normales Körpergewicht abzielen.

Prinzessin und Superheld: Geschlechterklischees bei kleinen Kindern

Von klein auf verinnerlichen Kinder die Erwartungen, welche die Gesellschaft an Jungen und Mädchen hat. Sie erkennen früh, wie wichtig es ist, dem Körperbild zu entsprechen, das von der Umwelt favorisiert wird. Bei Mädchen geht es meist darum, hübsch auszusehen und schlank zu sein, Männer wollen möglichst viele Muskeln. Es gibt für Jungen und Mädchen nicht nur unterschiedliche Spiel- und Anziehsachen, auch die Kleidung der Mädchen ist sehr oft kürzer und körperbetonter als die der Jungen. Zum einen können sie sich dadurch nicht so gut bewegen wie Jungen, zum anderen werden sie schon sehr früh auf ihren Körper reduziert und sexualisiert. Eltern könnten zunächst einmal darauf achten, Kindern keine übertrieben klischeehaften, sondern geschlechtsneutrale Spielsachen und Kleidung zu kaufen. Es ist wichtig, dass die Kleidung bequem ist, damit sich Jungen und vor allem auch Mädchen darin frei bewegen können. 

Außerdem sollten Eltern mit ihren Kindern darüber sprechen, welche Körperbilder manche Spielzeug- oder Film-Figuren transportieren, beispielsweise Barbie und Batman. Fragen Sie zum Beispiel: Kennst du in unserer Familie jemanden, der einen Körper wie diese Figur hat? Welche Opfer muss wohl jemand erbringen, damit sein oder ihr Körper so aussieht? Glaubst du, dass dann im Leben noch viel Zeit zum Spielen ist? Brauchen Menschen, die du am meisten liebst, einen perfekten Körper, damit du sie lieb hast?

Das Körperbild: Wie definiert man Schönheit?

Diese Strategien schlagen Experten vor, um ein positives Körperbild bei jungen Menschen zu fördern:

  • Führen Sie Gespräche, um auf Schönheitsklischees und die Darstellung in den Medien aufmerksam zu machen. Heben Sie dabei die Vielfalt der Körperbilder hervor und sprechen Sie auch mal über Menschen, die für andere Eigenschaften als für ihr Aussehen bekannt sind.
  • Halten Sie Kinder zur sportlichen Betätigung an, bei der nicht das Aussehen, sondern die Funktionalität im Mittelpunkt steht. Statt Tanzen (vor allem Ballett), Eiskunstlauf oder Sportgymnastik wären zum Beispiel Basketball, Radfahren oder Karate besser. In der Pubertät ist Freizeitsport (nicht Leistungssport) hilfreich, um zu entdecken, was der eigene Körper leisten kann, statt nur auf sein Aussehen zu achten. Wenn Menschen einen Sport haben, den sie gerne machen und bei dem das Spielerische im Mittelpunkt steht, wird er zum angenehmen Freizeitvertreib und zur Methode der Stressbewältigung anstatt zu einer lästigen Aufgabe, die beim Abnehmen helfen soll.
  • Fördern Sie eine Null-Toleranz-Politik im Hinblick auf herabwürdigende Kommentare über den eigenen Körper und das Aussehen der anderen. 

Ganz allgemein gesehen können wir unseren Kindern dabei helfen, eine positive Beziehung zu ihrem Körper aufzubauen, indem wir ihnen beibringen, sanft mit dem eigenen Körper umzugehen, sich um ihn zu kümmern und ihn und die angenehmen Empfindungen zu beachten, die er uns schenkt. 

Für ein gutes Körperbild ist auch Vorsicht gegenüber den Medien geboten, denn den meisten Kindern und Jugendlichen ist nicht bewusst, welchen Prozess ein Bild durchläuft, bevor es veröffentlicht wird und wie viele Profis ein Model stylen, bis es so aussieht wie es aussieht. 

Ernährung in Kindheit und Jugend

Am besten wäre es, schon Kindern beizubringen, sich intuitiv zu ernähren. Also dann zu essen, wenn man hungrig ist, das, worauf man Appetit hat und nur so viel, bis man satt ist. Diese Art der Ernährung respektiert Hunger- und Sättigungsgefühle. Eltern sollten bei diesen Signalen nicht dazwischen funken. Wenn Kinder und Jugendliche also zwischen den Mahlzeiten sagen, dass sie Hunger haben, müssen wir dieses Bedürfnis befriedigen, um auf das Körpersignal zu reagieren. Wenn Sie Ihr Kind auf sein Sättigungsgefühl hören lassen, indem sie fragen: „Was sagt dir dein Magen?“, wird es in der Lage sein, seinen Hunger selbst zu regulieren.

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Wichtig ist auch, keine Nahrungsmittel zu verbieten, damit sie nicht zur Obsession werden. Wenn die Süßigkeit auch am nächsten Tag noch zur Verfügung steht, wird das Kind irgendwann in der Lage sein, seinen Konsum zu regulieren. Lassen Sie die Kinder fühlen und beschreiben, wie es ihnen geht, wenn sie zum Beispiel zu viele Süßigkeiten gegessen haben. Süßigkeiten sollten zudem nie mit dem Ziel gegeben werden, Emotionen eines Kindes aufzufangen. Nahrung sollte auch nichts sein, dass man sich verdient, sondern einfach ein Teil des Lebens. 

Die Pubertät: Körper und Gefühle im Wandel

In der Pubertät sind Jugendliche besonders anfällig für Ess-Störungen, weil sich ihr Körper verändert und zum Beispiel bei Mädchen rundlicher wird. Die meisten Jugendlichen fühlen sich unwohl in ihrer Haut. Dieser Fragenkatalog hilft Ihnen dabei, bestimmte Anzeichen für die drohende Entstehung einer Ess-Störung bei Kindern zu erkennen:

  • Meidet das Kind Mahlzeiten im Familienkreis oder Restaurant?
  • Vermeidet es Mensa-Besuche mit Freunden? 
  • Neigt es dazu, weniger mit seinen Freunden zu unternehmen oder sich abzukapseln?
  • Macht das Kind mehr Sport?
  • Kommt es zu Stimmungsschwankungen? Ist es reizbarer oder trauriger?
  • Kocht das Kind viel für andere oder hat es die Kontrolle über die gemeinsame Küche übernommen?
  • Sammelt es Rezepte und Kochbücher?
  • Reagiert es streng auf Lebensmittel wie Fastfood, Chips und Süßigkeiten?
  • Hat sich der Kleidungsstil des Kindes verändert?
  • Isst es heimlich Süßigkeiten oder Chips?

Das Teeniealter – Körper und Umwelt in Aufruhr

Bei Jugendlichen ist es sehr wichtig, ein positives Körperbild zu formen. Diskutieren Sie mit Ihrem Kind offen über die Darstellungen von weiblichen und männlichen Körpern durch Medien und Gesellschaft. Entwickeln Sie mit Ihrem Kind eine kritische Perspektive auf das Körperbild, das in den Medien vermittelt wird. Machen Sie sich auch für Gleichberechtigung stark und üben Sie eine Null-Toleranz-Haltung gegenüber Mobbing. Vermitteln Sie in der Sexualerziehung den nötigen Respekt vor den eigenen Gefühlen und denen der anderen und arbeiten Sie dagegen, dass Frauen zu Objekten gemacht werden.

Wenn der Kummer übermächtig wird: Ess-Störungen und gestörte Nahrungsaufnahme

Zu den wichtigsten Ess-Störungen gehören: Lebensmittelvermeidung, Magersucht, Ess-Sucht, Bulimie (Ess-Brech-Sucht), Bigorexie (Muskelsucht). Ferner gibt es die Orthorexie nervosa, das ist der Zwang, besonders gesund zu essen. Wenn Ihnen eine dieser Störungen an Ihrem Kind aufgefallen ist, sollten Sie so schnell wie möglich eine Beratung in Anspruch nehmen, etwa bei der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung oder beim Bundesfachverband Essstörungen e.V.. Ess-Störungen sollten psychotherapeutisch behandelt werden. 

Mein Kind – mein Spiegelbild? Der Einfluss der Eltern

Bis heute legt keine Studie die Schlussfolgerung nahe, dass von den Eltern oder der Familiendynamik ein besonderer Risikofaktor für eine Ess-Störung bei Kindern ausgeht. Eltern sollte nicht die Schuld zugewiesen werden, vor allem nicht den Müttern. Ess-Störungen sind so komplex, dass ihre Ursachen nicht leicht zu ermitteln sind. Meist gibt es genetische, biologische und vor allem soziale Gründe dafür. Noch wichtiger als nach den Ursachen zu forschen, ist es, die aktuellen Mechanismen zu verstehen und alles zu tun, um das Kind zu unterstützen.

Es gibt einige Möglichkeiten für Eltern, zum positiven Vorbild ihrer Kinder zu werden:

  • Vermeiden Sie jeden Kommentar zu Aussehen und Gewicht ihres Kindes.
  • Verabschieden Sie sich von Diäten zum Zwecke der Gewichtsreduktion.
  • Vermeiden Sie jeden Kommentar zu Ihrem eigenen Aussehen und Gewicht.
  • Belohnen oder üben Sie Strenge durch etwas anderes als Nahrung.
  • Machen Sie Ihr häusliches Umfeld zu einer Schutzzone gegen den Druck von außen.
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