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Zu wenig BewegungJedes dritte Kind hat in der Pandemie zugenommen

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Viele Fußballmannschaften trainieren seit einem Jahr kaum oder mit Abstand.

Viele Fußballmannschaften trainieren seit einem Jahr kaum oder mit Abstand.

Köln – Kinder und Jugendliche haben sich im zweiten Lockdown deutlich weniger bewegt als im ersten vergangenes Frühjahr. Das zeigt eine Langzeitstudie des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT).

Vor einem Jahr zog das Team um Studienleiter Alexander Woll noch eine positive Bilanz: Die Kinder und Jugendlichen hatten sich im Frühjahr 2020, als Sportvereine und Freizeitangebote wochenlang geschlossen waren, sogar mehr bewegt als vor der Pandemie. Nun sei die tägliche Bewegungszeit von über zwei Stunden im ersten Lockdown auf etwa eine Stunde gesunken. Dafür saßen die Befragten jeden Tag durchschnittlich dreieinhalb Stunden vor einem Handy-, Computer- oder Fernsehbildschirm. Vor der Pandemie waren es täglich etwas mehr als zwei Stunden. Jedes dritte der 1770 befragten Kinder gab außerdem an, in den letzten Monaten zugenommen zu haben.

Bewegung ist für die Entwicklung extrem wichtig

Christine Joisten von der Kölner Sporthochschule haben die Zahlen aus Karlsruhe nicht überrascht. „Der Bewegungsmangel bei Kindern und Jugendlichen war schon vor der Pandemie ein großes Problem“, erklärt die Sportmedizinerin. „Dabei ist Bewegung essenziell für die physische, psychische und motorische Entwicklung.“ Besonders Koordination und Kondition lernt der Körper nur in Bewegung, die in Deutschland oft in Sportvereinen stattfindet.

Fast jedes zweite Kind hierzulande ist Mitglied in einem. Doch der Vereinssport fällt seit Monaten aus. Der Deutsche Olympische Sportbund bezeichnet den Bewegungsmangel in der Corona-Pandemie als „heimliche Seuche im Hintergrund, unter der Kinder und Jugendliche zunehmend leiden“ und fordert einen möglichst schnellen Zugang zu organisierten Angeboten. In Köln ist im Moment Sport unter freiem Himmel mit höchstens fünf Kindern bis 14 Jahren erlaubt.

Sportvideos sind gute Alternativen, aber die soziale Interaktion fehlt als Antrieb

Sportwissenschaftlerin Joisten warnt vor Alarmismus. Zwar falle der Vereinssport seit Monaten aus, viele junge Menschen hätten sich aber draußen, mit Online-Videos oder Trainingsplänen für Zuhause gute Alternativen gesucht. Sie hofft sogar, dass Sportvideos auch die Kinder motivieren, die aus Angst und Scham keinen Sport in der Öffentlichkeit machen. „Trotzdem lässt sich der Mannschaftsgeist natürlich nicht ersetzen.“ Soziale Interaktion gilt für Kinder als wichtigster Antrieb, um Sport zu machen.

Dass sich viele im ersten Lockdown sogar mehr bewegt haben als vorher, führen die Karlsruher Wissenschaftler auf das verhältnismäßig gute Wetter zurück. Außerdem hatten viele Kinder und Jugendliche mehr Freizeit, weil zu Beginn des Homeschoolings viele Unterrichtsstunden ausfielen. Beides galt im Winter nicht mehr. Dazu kommt wohl der Frust über die langanhaltende Situation, der viele demotivierte, wie die Forscher vermuten.

Gesundheit der ganzen Familie entscheidend

Die Kölner Sportwissenschaftlerin Joisten sagt außerdem: „Wir wissen aus Studien, dass die Bewegungsfreude der Kinder im hohen Maß auf ein Gesundheitsbewusstsein in der Familie zurückgeht.“ Bereits der Body-Mass-Index der Mutter während der Schwangerschaft habe einen Einfluss auf die spätere Gesundheit des Kindes.

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Aus ihrer Forschung kennt Joisten auch die sozialen und finanziellen Einflussfaktoren auf Bewegung und Gesundheit. „Natürlich haben Familien mit Garten in der Pandemie einen großen Vorteil.“ Aber auch ohne Garten könne man sich im Alltag mehr bewegen. „Auch eine Kissenschlacht zwischen den digitalen Unterrichtsstunden zählt.“

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