AlkoholismusTrocken durch Schock

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Verlässliche Studien zum Erfolg der konfrontativen Methode gibt es nicht.

Verlässliche Studien zum Erfolg der konfrontativen Methode gibt es nicht.

Köln – Werner König war eher verärgert als neugierig. Seine Frau hatte ihm Familienbesuch angekündigt, doch in der Sitzgruppe im Wohnzimmer saßen außer seinen Angehörigen auch Freunde und ein fremder Mann. Den stellte seine Frau als Experten für Suchtfragen vor. Ehe König protestieren konnte, erklärten ihm Verwandte und Freunde, sie könnten seine Trinkerei, die er erfolgreich verheimlicht zu haben glaubte, nicht mehr ertragen. Sein Sohn drohte sogar, er werde den Enkel „nicht mehr zu einem ständig betrunkenen Opa geben“. Für Werner König, der mit seiner vielen Freizeit als Rentner ohnehin wenig anzufangen wusste, eine unerträgliche Vorstellung. Eine Diskussion blockten die Verwandten ab. Sie würden einen „Spaziergang um den Block“ machen, sagten sie. Für alles Weitere sei der Suchtexperte zuständig.

Sauer aber abstinent

So etwa spielte sich der Beginn der Entwicklung ab, die Werner König (Name geändert) trocken werden ließ. „Er war wie seine Angehörigen erleichtert, dass jemand kam und alles in die Hand nahm, Ordnung in sein Leben brachte und ihm den Weg wies“, sagt Jörg Petersson, Psychologe für Suchterkrankungen in Köln. König trat schon am nächsten Tag eine Entgiftung an, durchlief eine dreiwöchige Motivationstherapie, wechselte dann in eine ambulante Therapiegruppe. Etwa drei Jahre ist das her. Seine Frau Renate melde sich regelmäßig und berichte, dass ihr Mann weiter trocken und zufrieden sei, erzählt Petersson. „Er grollt mir immer noch, weil ich ihn herumkommandiert habe, gibt aber zu, dass es das Beste für ihn war. Fast alle Betroffenen sind lange Zeit sauer auf mich – aber sie bleiben abstinent.“

Suchtnotruf Köln e. V. 0221/19700

Suchthilfe Köln Webseite von Jörg Petersson www.schnelle-hilfe-koeln.de

Blaues Kreuz 0221/527979

Sozialdienst Kath. Männer 0221/20740

Suchtambulanz der LVR-Kliniken Wilhelm-Griesinger-Straße 23, 51109 Köln, 0221/89930

Suchtberatung der Diakonie Brandenburger Straße 23, Köln 0221/1603873

Anonyme Alkoholiker Domstraße 58, 50668 Köln 0221/19295

www.anonyme-alkoholiker.de

„Konfrontative Intervention“ nennt der Psychologe das Konzept, mit dem er sich von der verbreiteten Annahme absetzt, der Suchtkranke müsse erst seinen Tiefpunkt erreichen, bevor er zum Wandel bereit sei. Bei den Anonymen Alkoholikern heißt es: „Wir erkennen, dass wir nur durch die völlige Niederlage unsere ersten Schritte auf dem Weg zur Befreiung und Stärke tun können.“ Mit seiner Methode ziehe er den Tiefpunkt vor, sagt Petersson. „Ich organisiere ihn.“ So könne er die Leidenszeit der Betroffenen und ihrer Angehörigen, die gekennzeichnet sei von Schuldgefühlen und Heimlichtuerei, „drastisch abkürzen“.

Suchtarbeit in USA direktiver

Als Pionier des „Interventionismus“ bei Alkoholkrankheit gilt der amerikanische Bischof Vernon E. Johnson (1920-1999). In den USA konzentriert sich die Suchtarbeit laut Petersson traditionell mehr auf die „aktive Intervention in den Familien“ und sei „weitaus direktiver“ als in Deutschland. Hierzulande müssten die Betroffenen erst von selbst eine Motivation entwickeln, bevor sie zur Beratung gingen. „Mir haben Alkoholiker beigebracht, was Alkoholismus ist“, sagt der 64-jährige, der seinen Berufsweg als Leitender Psychologe der Suchtklinik Thommener Höhe in Daun begonnen hat. Sein Konzept der „Schnellen Hilfe“ – sowohl für Familien als auch im Betrieb – bietet er sowohl von Köln aus als auch in Osnabrück an.

Konzept Intervention

Eine Intervention beginnt meist damit, dass sich ein Angehöriger oder Arbeitskollege, eventuell auch der Chef des Suchtkranken ohne dessen Wissen an Petersson wendet. Zum Konzept gehört, dass der Therapeut ihnen, die oft nicht wissen, wie sie sich verhalten sollen, die Verantwortung abnimmt. Er organisiert vorab den Behandlungsablauf von der Entgiftung bis zur ambulanten oder Langzeittherapie, spricht bei zwei oder drei Treffen mit Verwandten oder Kollegen ab, was diese bei der unverhofften Konfrontation sagen sollen – erst danach kommt der Alkoholkranke selbst ins Spiel. So war es auch bei Werner König. Seine Frau rief bei Petersson an, man traf sich in einem Café in der Innenstadt, sie erteilte ihm den Auftrag, und bei Treffen der „Interventionsgruppe“ – Ehefrau, Sohn, Schwiegertochter, eine Studienfreundin und ein Freund – wurde die Inszenierung mit verteilten Rollen und Texten eingeübt. Eines ist Petersson wichtig: Die unvermeidlich aufkommende Frage nach dem Warum wehre er grundsätzlich als müßig ab. Stattdessen stelle er die Frage: Was ist zu tun? Auch weil er im Laufe vieler Jahre die Überzeugung gewonnen hat, Alkoholabhängigkeit sei zu einem großen Teil genetisch bedingt. Sei der Missbrauch einmal chronisch, spielten die ursprünglich auslösenden Faktoren keine Rolle mehr.

Konfrontative Intervention

Doch die konfrontative Intervention ist umstritten. „Das Risiko ist groß, dass die Person zumacht“, sagt Christa Merfert-Diete, Sprecherin der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen. In Deutschland gebe es eine andere Tradition als in den USA, hierzulande habe sich das System der Beratungsstellen bewährt. „In einem persönlichen, vertraulichen Gespräch, in der Sache bestimmt, wird die Motivation der Menschen gefördert, ihr Verhalten zu ändern.“ Die konfrontative Intervention hält sie für „nicht kompatibel mit dem Hilfsangebot in Deutschland“. Doch wie einen Alkoholiker dazu bewegen, sich beraten zu lassen, bevor er an den Tiefpunkt kommt? Merfert-Diete verweist auf öffentliche Aufklärung und die „frühe Ansprache durch den Hausarzt“.

Verlässliche Studien zum Erfolg der konfrontativen Methode gibt es nicht. „Ob sie gut oder schlecht ist, kann ich nicht beurteilen“, sagt etwa Harald Seeger, der 27 Jahre Erfahrung mit Suchtarbeit hat und die Kölner Fachstelle des Blauen Kreuzes leitet. Der Aufbau von Druck könne sinnvoll sein bei Leuten, deren Abhängigkeit „chronifiziert“ sei, aber solche verschrecken, die sich in einer früheren Phase befinden. Um zu verhindern, dass der Abhängige sich überfallen fühlt, wird die Methode in den USA inzwischen auch in abgewandelter Form praktiziert: Die Mitglieder des Interventionsteams geben dem Alkoholkranken einige Tage vor dem entscheidenden Treffen Bescheid, dass sie sich an einen professionellen Berater gewandt haben. Manche Fachleute halten trotzdem daran fest, eine Intervention ergebe kaum Sinn, weil sie den Betroffenen in einem künstlichen Rahmen dazu bringe, Hilfe anzunehmen. Sie schaffe keine dauerhafte Bereitschaft zur Abstinenz – und könne sogar Vorbehalte gegen Therapien fördern.

Beratungsstellen

Für Zögernde sei es besser, aus freien Stücken eine Beratungsstelle aufzusuchen, sagt Seeger. In Köln gibt es fünf davon, eine vom Blauen Kreuz und jeweils zwei in Trägerschaft der Diakonie und des Sozialdienstes Katholischer Männer (siehe Kasten). Nach der Erfahrung des Kölner Fachstellenleiters zerfällt die Klientel des Blauen Kreuzes – etwa 300 pro Jahr – in drei Drittel. Das erste lasse sich nach einmaligem Besuch nicht mehr blicken, das zweite „geht den Weg ein Zeit lang mit“, suche also etwa eine Selbsthilfegruppe auf und breche dann den Kontakt ab. Das letzte Drittel aber entscheide sich für eine Langzeittherapie. Die Beratung sei nur einer von mehreren Bausteinen im Hilfesystem, zu dem ebenso die betriebliche Suchthilfe gehöre. Auch diese habe den Vorteil, für den Abhängigen kostenlos zu sein. Was für die konfrontative Intervention, die Familien in Auftrag geben, nicht gilt.

„Die traditionelle Suchthilfe setzt die Motivation des Betroffenen voraus“, entgegnet Petersson den Kritikern. Er dagegen habe zahlreiche zunächst unwillige Suchtkranke erreicht. 80 Prozent der konfrontierten Betroffenen gingen in eine Behandlung. Dagegen brauche es viel mehr Zeit, bis sich ein Trinker freiwillig an eine Beratungsstelle wende. In einem stimmt der Suchtexperte seinen Kritikern jedoch zu: Nach der Therapie rate auch er Betroffenen zum Besuch einer Selbsthilfegruppe. „Ich verstehe mich nur als Starter.“

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