Ärztin„Betroffene Frauen bekommen zu wenige Informationen über Abtreibungen“

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Anfang 2019 ist der Paragraf 219a reformiert worden. Kritikern geht die Reform nicht weit genug. 

Köln/Berlin – Die Ärztin Alicia Baier ist Gründerin der Gruppe „Medical Students for Choice Berlin“, die sich für eine bessere medizinische Ausbildung und mehr Informationen zum Thema Abtreibungen einsetzt. Im Interview erklärt sie, warum die jetzige Gesetzeslage die Lage von Frauen, die einen Abbruch durchführen wollen, nicht verbessert und wieso sie die neue Liste der Bundesärztekammer kritisch sieht. 

Wie bewerten Sie die Situation von Frauen in Deutschland, die einen Schwangerschaftsabbruch durchführen lassen möchten?

Alicia Baier: Für ein so wohlhabendes Land mit einem eigentlich modernen Gesundheitssystem ist die Situation für ungewollt Schwangere auffallend schlecht. Es fängt an mit dem Informationsdefizit. Das Internet ist voll von unseriösen Seiten, die mit falschen Informationen Frauen von einem Schwangerschaftsabbruch abhalten möchten. Ärzte hingegen dürfen auf ihren Internetseiten weiterhin nur angeben, ob sie Abbrüche durchführen oder nicht, aber nicht über den Eingriff informieren.

Unter Zeitdruck ist es schwer, herauszufinden, was die nächsten Schritte sind. Zudem verzögern strafgesetzliche Vorschriften wie Beratungspflicht und Wartezeit die medizinischen Abläufe. Dies kann insbesondere für bereits entschiedene Frauen sehr belastend sein. Weil sich die Anzahl der Praxen und Kliniken, die Schwangerschaftsabbrüche anbieten, seit 2003 fast halbiert hat, werden die Fahrtwege für Frauen weiter und die Kosten für die Betroffenen steigen. Der Eingriff selbst wird von den Krankenkassen zudem nicht übernommen. Oft können Frauen auch die Methode für ihren Schwangerschaftsabbruch nicht wählen, da in ihrer Region nur eine Methode angeboten wird.

Was bringt die Liste mit Ärzten, die Abtreibungen durchführen, die es jetzt neu bei der Bundesärztekammer gibt?

Baier: Diese Liste verbessert das jetzige Informationsangebot eigentlich gar nicht. Sie ist unvollständig – es werden nur 87 Stellen von 1200 gelistet, bei denen man Abtreibungen in Deutschland durchführen lassen kann. Da fehlen also ganz viele Adressen – fast alle stammen aus Berlin und Hamburg. Die Senate dieser beiden Städte hatten zuvor schon Listen geführt. Diese Informationen waren schon zugänglich – das ist keine Verbesserung.

Es ist auch nicht zu erwarten, dass künftig sehr viel mehr Ärzte ihre Adresse auf diese Liste schreiben lassen. Denn Schwangerschaftsabbrüche sind immer noch ein kontroverses Thema. Ärzte, die Abtreibungen durchführen, müssen Angriffe von Abtreibungsgegnern befürchten. Deshalb kann ich mir gut vorstellen, dass vor allem Mediziner, die außerhalb von Ballungsräumen praktizieren, nicht auf einer zentralen Liste stehen möchten. Solche Listen existieren bereits im Internet, allerdings werden diese von Abtreibungsgegnern verfasst. Sie verfolgen damit eine Prangerwirkung. Daran erinnert die Liste der Bundesärztekammer.

Erweckt diese Liste nicht auch den Eindruck, dass es nur 87 Ärzte in Deutschland gibt, die eine Abtreibung durchführen?

Baier: Wenn man nur die Information dieser Liste hat und sich darauf verlässt, dass dort die Praxen aus Deutschland aufgeführt sind, die eine Abtreibung durchführen, könnte man der Meinung sein: „Oh je, in meinem gesamten Bundesland gibt es also niemanden!“.

Bekommen Frauen, die eine Abtreibung durchführen lassen möchten, durch die Liste genügend Informationen?

Baier: Die Informationen, die auf dieser Liste stehen, sind nicht besonders ausführlich. Frauen, die sich über einen Schwangerschaftsabbruch informieren möchten, finden dort nur die Anschrift und die Methode, welche der Arzt anbietet – einen medikamentösen oder operativen Abbruch. Bei einem operativen Schwangerschaftsabbruch gibt es zwei mögliche Eingriffe. Die aktuelle und sicherste Methode ist die Absaugung. 15 Prozent der Ärzte arbeiten mit einer veralteten Methode, der Ausschabung. Darüber können sich Frauen mit dieser Liste nicht informieren.

Zudem ersetzt die einheitliche Listung nicht den persönlichen Eindruck, den Ärzte und Ärztinnen auf ihren Praxiswebseiten vermitteln können. Dort könnten Frauen Informationen finden, die ihnen Vertrauen geben, wenn sie nach einem Arzt suchen. In welcher Atmosphäre zum Beispiel die Abtreibung stattfindet und wie der Eingriff dort ablaufen wird. Frauen erfahren auch nicht bis zu welcher Woche die Praxen eine Abtreibung durchführen. Manche Praxen bieten Schwangerschaftsabbrüche nur bis zur achten oder zehnten Schwangerschaftswoche an.

Führt diese Informationslage zu Problemen?

Baier: Abtreibungsgegner dürfen Seiten führen, auf denen sie ganz gezielt Falschinformationen geben und schreckliche Bilder von blutigen Embryonen veröffentlichen. Es gibt auch Seiten von Gegnern, die informativ und seriös scheinen. Die Informationen sind aber nicht neutral, sondern tendenziös. Wenn sich eine Frau über Schwangerschaftsabbrüche im Internet informiert, stößt sie auf diese Seiten.

In Deutschland sind diese Seiten immer noch erlaubt, während in Frankreich solche Falschinformationen verboten sind. Deutschland ist zudem eins der letzten Länder in Europa, das die bloße Information zum Schwangerschaftsabbruch kriminalisiert, weshalb eine Abschaffung des Paragrafen 219a wichtig ist. Dazu kommt, dass momentan eine emotional aufgeheizte Debatte geführt wird, an der sich viele Menschen ohne Fachkenntnisse beteiligen. 

Gesetze zu Schwangerschaftsabbrüchen

Ein Schwangerschaftsabbruch ist nach Paragraf 218 des Strafgesetzbuches in Deutschland verboten. Straffrei bleibt eine Abtreibung nur in Ausnahmefällen:

- wenn eine Frau sich bei einer staatlich anerkannten Stelle beraten lässt und der Abbruch bis zur 12. Schwangerschaftswoche durchgeführt wird

- wenn die Schwangerschaft durch eine Vergewaltigung zu Stande kam

- wenn ein Arzt bescheinigt, dass das Leben und die Gesundheit der Mutter in Gefahr ist und der Abbruch bis zur 22. Schwangerschaftswoche durchgeführt wird

Ärzten ist es verboten, für einen Schwangerschaftsabbruch Werbung zu machen. Das regelt der Paragraf 219a des Strafgesetzbuches. Im Februar einigte sich der Bundestag auf eine Reform der Regelung, die Ärzten mehr Rechtssicherheit bieten soll. Ärzten soll es erlaubt sein, über die Tatsache zu informieren, dass sie Abbrüche durchführen. Die Reform sieht auch vor, dass die Bundesärztekammer eine Liste führt – auf welcher Ärzte stehen, die eine Abtreibung vornehmen.

Sie sind Gründerin der Gruppe „Medical Students for Choice“, die sich für mehr Informationen zum Thema Abtreibung einsetzt. Wie müsste ein Angebot aussehen, das Sie positiv bewerten würden?

Baier: Der Schwangerschaftsabbruch dürfte kein Straftatbestand mehr sein, der Paragraf 219a und 218 müssten abgeschafft werden. Auch der reformierte Paragraf 219a bietet keine Rechtssicherheit. Es ist nicht klar, was Ärzte angeben dürfen und was nicht. So wurden in Kassel zwei Ärztinnen freigesprochen, die auf ihrer Webseite angegeben haben, dass sie den „operativen und medikamentösen Schwangerschaftsabbruch“ anbieten.

In Berlin hingegen wurden zwei Ärztinnen angeklagt, die auf ihrer Internetseite geschrieben hatten, dass sie den „narkosefreien medikamentösen Schwangerschaftsabbruch“ anbieten. Im 21. Jahrhundert erwarte ich, dass Ärzte ihre Patientinnen über Abtreibungen informieren dürfen, so wie es auch bei anderen medizinische Eingriffe erlaubt ist. Vor Werbung hingegen braucht niemand Angst zu haben: Die Berufsordnung der Ärzte verbietet Werbung für alle medizinischen Eingriffe, das ist also sowieso schon klar. Gleichzeitig müssten Abtreibungsgegner stärker eingeschränkt werden, damit sie keine Fehlinformationen verbreiten können und die Belagerungen vor Praxen müsste auch verboten werden. 

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Die Zahl der Praxen in Deutschland, die eine Abtreibung durchführen, sinkt. Was sind die Gründe dafür?

Baier: Dafür müsste man eine Studie machen, es gibt nur Hypothesen. Klar ist, dass es ein großes Defizit in der medizinischen Ausbildung gibt. Im sechsjährigen Medizinstudium an der Berliner Charité kamen bisher Schwangerschaftsabbrüche nur in einem Seminar am Rande vor. In der Lehre wurden nur die rechtlichen Aspekte vermittelt. Wir, als „Medical Students for Choice Berlin“, haben eine Änderung des Lehrplans erreicht. Es gibt jetzt ein Seminar, das sich gezielt mit Schwangerschaftsabbrüchen beschäftigt.

In der jetzigen Ausbildungssituation kann es dazu kommen, dass ein Gynäkologe in der fachärztlichen Weiterbildung nicht lernt, wie ein Schwangerschaftsabbruch funktioniert. Dabei ist es einer der häufigsten Eingriffe in der Gynäkologie – andere Eingriffe, die so oft benötigt werden, stehen normalerweise auf dem Lehrplan und werden in der ärztlichen Weiterbildung gelehrt. 

Anfeindungen und der legale Graubereich spielen zudem eine Rolle. Problematisch: Weil immer weniger Ärzte Schwangerschaftsabbrüche durchführen, steigt der Druck für die Ärzte, die den Eingriff noch anbieten. Es sollte deshalb mehr in der Ausbildung thematisiert werden, weil es ein essentielles Thema für die Frauengesundheit ist und Frauen darauf angewiesen sind, dass Ärzte Abbrüche anbieten.

Noch vor 50 Jahren starben unzählige Frauen in der BRD an unsicher und illegal durchgeführten Abbrüchen. Das zeigt uns: Wenn es keinen guten, legalen und sicheren Zugang zu diesem Eingriff gibt, dann riskieren wir die psychische und körperliche Gesundheit von ungewollt Schwangeren.

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