Arbeit im Homeoffice„Schmerzen im Nackenbereich sind ein Warnsignal des Körpers“

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Ob im Nackenbereich oder in der Lendenwirbelsäule – durch eine schlechte Haltung und wenig Bewegung im Homeoffice klagen viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer über Verspannungen und Schmerzen.

  • In unserer Serie „Gesund durchs Jahr” widmen wir uns in jedem Monat einem anderen Themenbereich.
  • Im März beantworten Expertinnen und Experten Fragen rund um den Rücken.
  • In dieser Folge dreht sich alles um Rückenschmerzen – die im Homeoffice noch häufiger auftreten.

Köln – Rund ein Viertel aller Erwerbstätigen hat laut einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung Ende Januar im Homeoffice gearbeitet. Doch nur gut jeder zweite Arbeitnehmer in Deutschland, Österreich oder der Schweiz hat ein Arbeitszimmer, wie die Studie eines Bürostuhlherstellers zeigt. Der Rest improvisiert und sitzt am Küchentisch, auf dem Bett oder dem Sofa. Viele heimische Büros sind also nicht so gut und ergonomisch ausgestattet wie im Unternehmen. Schlechte Sitzpositionen und wenig Bewegung hinterlassen ihre Spuren: Jeder dritte Befragte klagt laut einer Untersuchung der Krankenkasse DAK vermehrt über Verspannungen und Schmerzen im Homeoffice. Schützt die Arbeit von zu Hause zwar vor dem Coronavirus, führt aber zu mehr Rückenschmerzen? Und was kann man dagegen tun, wenn es im Nacken zieht oder der Kopf vor lauter Verspannungen schmerzt? Ein Überblick.

Haben wir durch das Homeoffice alle mehr Rückenschmerzen?

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Stephan Grüner, Orthopäde

„Ist der Arbeitsplatz im Büro ergonomisch ausgestattet und der im Homeoffice nicht, kann dies zu Rückenschmerzen führen“, sagt Dr. Stephan Grüner, Orthopäde und Bezirksvorsitzender für Köln im Bundesverband für Orthopädie und Unfallchirurgie (BVOU). Einen Zuwachs an Patientinnen und Patienten durch Rückenprobleme konnte der Arzt in seiner Praxis allerdings nicht feststellen. „Wegen der Corona-Pandemie ist die Praxis weniger frequentiert.“ Doch vor allem die Schließung von Sportstätten bereitet dem Mediziner Sorgen – sie „verursacht einen Kollateralschaden“.

Die Physiotherapeuten Thomas Gillert und Frank Bertelsmeier gehen von einer Zunahme von Rückenproblemen durch das lange, starre Sitzen im Homeoffice aus. Sie engagieren sich im Berufsverband für Physiotherapeuten (Physio Deutschland – Landesverband NRW), in der Arbeitsgemeinschaft für Prävention des Verbandes und beraten im Gesundheitsmanagement und in der betrieblichen Gesundheitsförderung. „Durch meine Erfahrung kann ich sagen, dass die Rückenschmerzen im Homeoffice in der Pandemie zugenommen haben“, sagt Gillert. Schuld daran sei häufig ein nicht ergonomisch ausgestatteter Arbeitsplatz und die längeren Sitzzeiten im zu Hause: „In einem normalen Arbeitsleben sitzt ein Angestellter oder eine Angestellte rund 80.000 Stunden. Im Homeoffice fällt der Plausch auf dem Flur oder das Treffen in der Kaffeeküche aus und die Sitzzeit verlängert sich.“

Welche Rückenschmerzen werden durch langes Sitzen ausgelöst?

Häufiges und langes Sitzen könne die ganze Palette an Rückenschmerzen verursachen, sagt Grüner. Lenden-, Brust- und Halswirbelsäule können betroffen sein. Verspannungskopfschmerzen oder Schwindel können auftreten.

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Thomas Gillert, Physiotherapeut

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Frank Bertelsmeier, Physiotherapeut

Am Küchentisch in die Tasten des Laptops tippend und das Touchpad am Gerät bedienend, sitzen viele Arbeitnehmer „wie eine krumme Gurke oder eine Banane“ auf dem Stuhl. Die Rückenmuskulatur habe das Bestreben uns immer wieder aufzurichten. „Sitze ich die ganze Zeit mit einem runden und nach vorne gebeugten Oberkörper vor dem Rechner, spannt sich die Rückenmuskulatur permanent an, um so den Rücken wieder aufzurichten. Aufgrund der Trägheit schafft sie es aber nicht und verspannt, was Schmerzen verursacht“, erklärt Gillert. Diese Fehlhaltung führe zu Rücken-, besonders jedoch zu Nackenschmerzen bis hin zu Versteifungen.

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Was sind die größten Fehler beim Arbeiten am Schreibtisch zu Hause?

Zu langes, starres Sitzen in Kombination mit zu wenig Bewegung ist der größte Fehler bei sitzenden Tätigkeiten, sind sich alle drei Experten einig. „Meldet sich mein Schulter- und Nackenbereich mit Schmerzen, ruft der Körper nach mehr Bewegung“, erklärt Frank Bertelsmeier. Dieses Unwohlsein gehöre dazu und sei ein Warnsignal des Körpers, um zu zeigen, dass es an Bewegung mangele.

Tipps für den ergonomischen Arbeitsplatz

Der Schreibtischstuhl sollte so hoch eingestellt sein, dass die Füße vollständig den Boden berühren können und die Knie in einem 90-Grad-Winkel ausgerichtet sind. Der Schreibtisch muss so hoch sein, dass er eine Verlängerung der Armlehnen des Stuhls ist und die Arme in einem 90-Grad-Winkel abgelegt werden können. Die Tastatur sollte so weit weg liegen, dass die Hände und Arme auf dem Tisch aufgelegt werden können. Der Bildschirm sollte idealerweise rund 50 Zentimeter entfernt stehen, dabei müssen noch alle Zeichen lesbar sein, sagt Frank Bertelsmeier. Die oberste Bildschirmzeile sollte dabei nicht über der Augenhöhe liegen.

Was kann ich tun, um meine Rückenschmerzen zu lindern oder erst gar keine zu bekommen?

Wer sich im Homeoffice an einige Tipps hält, kann Rückenschmerzen mit einfachen Mitteln vorbeugen oder dafür sorgen, dass sich Verspannungen lösen.

Arbeitsplatz besser ausstatten

„Ein schlecht eingerichteter Arbeitsplatz ohne Monitor oder eine hohe Lehne am Stuhl sind für den Rücken Gift“, sagt Grüner. Im ersten Schritt sollten Arbeitnehmer schauen, ob sie die Möglichkeit haben, ihren Arbeitsplatz zu Hause ergonomischer auszustatten. Schon der Anschluss eines weiteren Bildschirms, einer Tastatur und einer Maus an den Laptop könne die Sitzposition verbessern, wissen Frank Bertelsmeier und Thomas Gillert. Ein Bildschirm lasse sich mit Büchern oder Zeitschriften auch zu Hause erhöhen. Wie ein ergonomischer Arbeitsplatz aussehen sollte, lesen Sie im Kasten.

Richtige Sitzposition

Ob auf dem Bürostuhl, einem Hocker oder einem Küchenstuhl – die richtige Sitzposition gelinge auf jedem Stuhl. „Man sollte aktiv aufrecht sitzen“, beschreibt es Gillert. Dabei sollten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer darauf achten, auf den Sitzbeinhöckern zu sitzen, die Knie sind in einem 90-Grad-Winkel zum Boden und der Rücken wird aufgerichtet.

Position wechseln

„Es ist sehr wichtig, immer wieder die Position zu wechseln“, sagt Orthopäde Stephan Grüner. Auch wenn die Sitzposition auf dem Sofa nicht so gut ist, sei es sinnvoll, vom Küchenstuhl auf die Couch zu wechseln, um nicht in einer starren Haltung zu bleiben. „Zehn Prozent des Tages sollten idealerweise im Stehen gearbeitet werden. Das sind rund sechs Minuten in der Stunde“, erklärt Gillert. Wer keinen höhenverstellbaren Schreibtisch habe, sollte einen Blick in den Keller oder die Garage werfen, Bierstehtische hätten oft eine gute Höhe für einen Arbeitsplatz und böten genügend Abstellfläche für einen Laptop.

Mehr bewegen

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Mit unserer Serie „Gesund durchs Jahr“ legen wir den Schwerpunkt ganz auf Ihre Gesundheit. Jeden Monat gibt es dazu ein Schwerpunktthema, zu dem jede Woche ein neuer Artikel erscheint. Im März geht es um das Thema starker Rücken.

Das A und O gegen Rückenschmerzen sei mehr Bewegung, dabei sei es auch erstmal zweitrangig, welche Bewegung, sagen Bertelsmeier und Gillert. „Durch mehr Aktivität lässt sich auch ein schlechter, nicht ergonomischer Arbeitsplatz und die damit einhergehende Fehlhaltung kompensieren“, erläutert Bertelsmeier. Die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt mindestens 150 Minuten moderates Training in der Woche. Im Homeoffice-Alltag seien kleine Bewegungspausen wichtig: „In der Pause einen Spaziergang einlegen, zum Kaffeekochen in die Küche gehen oder beim Telefonieren etwas umherlaufen sind gute Möglichkeiten.“ Sich alle 30 Minuten kurz zu bewegen, sei optimal, sagt Gillert. Orthopäde Stephan Grüner rät: „55 Minuten konzentriert arbeiten und sich fünf Minuten bewegen – kurz etwas anderes machen.“

Welche Übungen kann ich am Schreibtisch zwischendurch machen?

Um anfänglichen Nackenschmerzen entgegenzuwirken, helfe es, den Kopf einfach von der maximalen Beugung (Kinn an der Brust) langsam in die Streckung (Kopf in den Nacken) und zurück zu bewegen. Dies sollte zehnmal wiederholt werden, sagt Thomas Gillert. Das geht direkt am Schreibtisch, aber: „Solche Übungen werden immer effektiver, wenn man sie im Stehen durchführt“, rät Frank Bertelsmeier. Wer den Körper aufrichtet, öffnet automatisch die Hüfte und aktiviert sämtliche Muskeln.

Neben der Mobilisation ist die Kräftigung wichtig. Zum Beispiel indem man die Hände hinter dem Kopf zusammenbringt, die Schulterblätter zur Wirbelsäule zieht und zehn bis 20 Sekunden die Spannung hält. Und die Dehnung. Dazu etwa das rechte Ohr zur rechten Schulter  neigen und gleichzeitig mit dem linken Arm entgegenziehen (und umgekehrt), um die Halsmuskulatur zu dehnen. „Das ist ein schönes Aktivierungsprogramm, was sich in den Homeoffice-Alltag integrieren lässt“, sagt Bertelsmeier.

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