Auf der IntensivstationWie Ärzte um das Leben von Covid-19-Patienten kämpfen

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Intensiv

Blick in ein Zimmer der Intensivstation in der Uniklinik Aachen

  • Die Uniklinik Aachen hat eine der größten und besten Intensivkliniken des Landes.
  • Wer schwer an Covid-19 erkrankt, dem kann hier geholfen werden oder nirgendwo.
  • Über einen Monat haben wir die Ärzte und Pfleger durch die zweite Welle begleitet.

Aachen – Ihr Mann wird sterben. Frau B. spricht nicht gut Deutsch, aber das hat sie verstanden. Nur begreifen kann sie es nicht. An einem Dienstag Ende November steht sie um kurz nach 15.30 Uhr in der siebten Etage der Universitätsklinik Aachen und weint. Vor ihr faltet Daniel Schick, Assistenzarzt im zweiten Jahr, die Hände vor dem Bauch, beugt sich leicht nach vorn und bleibt für einen Moment ganz ruhig.

Herr B. liegt vielleicht zehn Meter weiter, hinter einer Glastür, die sich nur öffnet, wenn jemand eine Schlüsselkarte davor hält. Flur 20, Station 3 der Klinik für Operative Intensivmedizin, die hier alle nur „OIM3“ nennen. Der Bart stoppelig. Die Augen geschlossen. Ein Tubus zur Beatmung steckt in seinem Mund, ein Schlauch in der Haut an seinem Hals, wenige Zentimeter über dem Schlüsselbein, so dick wie ein Daumen und leuchtend rot. Weil die Lunge von Herrn B. den Gasaustausch nicht mehr allein schafft, fließt sein Blut vollständig durch ein graues Gerät neben dem Bett, ECMO heißt es. Darin wird es mit Sauerstoff angereichert und zurück in die Venen gepumpt. Aus türkisen Boxen, Perfusoren, bekommt Herr B. Medikamente gespritzt, die ihn all das ertragen lassen. Norepinephrin, Sufentalin, Esketamin, Midazolam, Insulin, Heparin. Sie halten seinen Kreislauf stabil, seine Körperfunktionen aufrecht. Und ihn im künstlichen Koma. Seit über einem Monat.

Draußen, vor der Tür, fragt der Mann, den Frau B. zum Übersetzen mitgebracht hat, noch einmal: „Aber er hat noch Chancen? Er kann es noch schaffen?“ Schick schaut abwechselnd beiden in die Augen, dann sagt er: „Ja, kann er. Aber ich möchte ehrlich mit Ihnen sein: Er ist schwer krank, sein Zustand ist sehr kritisch.“ Frau B. schluchzt.

Drei Tage später ist ihr Mann tot.

Lage auf Intensivstationen ist anders als sonst

Schick verabschiedet sich, lässt Desinfektionsmittel über die Hände laufen und setzt sich wieder an einen der Computer im Ärzteraum. Auf dem Bildschirm zeigen Tabellen und bunte Graphen das bisschen Leben, das noch in den Menschen steckt, die sie behandeln.

„Im Moment“, sagt Schick, „kann das hier alles schon sehr frustrierend sein.“

Sterben gehört auf Intensivstationen dazu. Jeden Tag sterben Menschen auf den Intensivstationen in ganz Deutschland, an Orten wie der OIM3 mit dem grünen Boden, dem langen Gang, an dessen Ende ein Fenster auf Felder blicken lässt. Und doch ist gerade etwas anders, hier und in allen anderen Krankenhäusern.

venenkateter

Ärzte bei der Behandlung eines Covid-19-Patienten

Bevor die Pandemie kam, so legen es Erhebungen aus der Vergangenheit und Einschätzungen von Experten nahe, überlebten etwa neun von zehn Patienten einen Aufenthalt auf einer deutschen Intensivstation. Von den schwerkranken Covid-Patienten aber starb während der ersten Welle im Frühjahr jeder Fünfte. Von denen, die beatmet werden mussten, die Hälfte. Oft, nachdem die Ärzte wochenlang um ihr Überleben gekämpft hatten.

Herr B. war einer von ihnen. Gestorben mit 52 Jahren. Seine Lunge hatte versagt, sein Immunsystem war so schwach, dass sich eine bakterielle Superinfektion in seinem Körper ausbreiten konnte. Herr B. war auch vorher kein gesunder Mann. Diabetes und Arthritis. Aber einer, der sicher noch 20, vielleicht 30 Jahre hätte leben können. Wenn er sich nicht mit SARS-Cov-2 angesteckt hätte. Nun ist er einer von 379, die das Robert-Koch-Institut einen Tag später im Lagebericht unter „Verstorbene“ auflisten wird.

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Und wenn Jan Petran, Oberarzt auf der OIM3, jetzt nicht alles richtig macht, dann ist auch der Mann neben Herrn B., Herr T. gleich tot. Blut in der Lunge. Warum, keine Ahnung, aber es muss da raus. Petran, 38, ein sportlicher Mann mit dunklen Haaren, zieht die Schutzkleidung an, Haube, Kittel, Brille, Handschuhe, FFP2-Maske, braucht dafür keine Minute, sprintet zum Bett. Gibt Noradrenalin, damit der Blutdruck von Herrn T. nicht einbricht, dann beginnt er abzusaugen, es zischt, der Patientenmonitor piept bedrohlicher als sonst, Petrans Brille beschlägt, er wirft sie weg, sie knallt gegen die Wand. Und dann liegt da ein schleimiger roter Klumpen. Aufatmen. Alles okay. Draußen, auf dem Flur vor dem Zimmer, wischt eine Putzfrau und singt dabei „Eins, Zwei, Polizei“.

Später wird Petran sagen, so dramatisch war das gar nicht, Blut in der Lunge, das könne bei Covid-Patienten schon mal passieren.

Aber klar, ein paar Minuten später und sie hätten ihn reanimieren müssen.

Maximaltherapie reicht oft nicht raus

Die Aachener Intensivklinik ist in Nordrhein-Westfalen die größte ihrer Art und eine der besten bundesweit. Über einen Monat haben sich die Ärzte und Pfleger der Stationen, auf denen die Coronafälle versorgt werden, OIM2 und OIM3, durch die zweite Welle begleiten lassen. Namen, Alter und Krankheitsverläufe der Patienten wurden zum Schutz ihrer Persönlichkeitsrechte in diesem Text verfremdet.

Bei wem Covid-19 ausbricht, bei wem die Krankheit kritisch verläuft, der bekommt kaum irgendwo eine so gute Behandlung wie hier. Die Uniklinik ist ein sogenannter Maximalversorger, hier wird Maximaltherapie gemacht. Doch das Maximum reicht oft nicht, um Menschen wie Herrn B. zu retten.

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Die Uniklinik Aachen von außen.

Wie Puppen liegen sie in den Zimmern, regungslos, ausdruckslos. Haut, Knochen, Muskeln, zwischen denen irgendwo noch eine Person steckt. Im Moment, sagt Petran, verlieren sie einen nach dem anderen von ihnen. Hier, auf der OIM3, werden die schlimmsten der schlimmen Fälle behandelt, eben die, die ein ECMO-Gerät, eine Herz-Lungen-Maschine, brauchen.

Gerade sind es fünf. Herr T. ist mit 65 Jahren der älteste von ihnen, bei noch älteren probieren sie das Verfahren in der Regel erst gar nicht. Nicht, weil es zu wenig Geräte gäbe. Aber eine ECMO ist die letzte Möglichkeit der Therapie, Petran oder einer seiner Kollegen schreibt dann „Ultima Ratio“ in die Patientenakte. Die ECMO ist nur ein Ersatzorgan auf Zeit. Man kann sie nicht mit nach Hause nehmen, wie eine Dialyse. Die Lunge muss von selbst irgendwann wieder Sauerstoff im Blut verteilen. Wenn das bei Covid-Patienten überhaupt funktioniert, dann oft erst nach über einem Monat im künstlichen Koma, was bereits einen 50-Jährigen zum Pflegefall macht. Mindestens für ein Jahr, manche für immer. Will man so etwas einem 80-Jährigen antun?

„Wenn ich Menschen nur noch als Fälle sehe, höre ich auf“

Schon bei manchen Männern wie Herrn B. und Herrn T., Männern im mittleren Alter, hilft das alles auch nach einem Monat nichts, das Virus hat ihre Lunge einfach zu kaputt gefressen, und dann muss Petran irgendwann Sätze sagen, wie diesen, an einem hellen Nachmittag, in seinem Büro, zu einer Ehefrau, während der halben Stunde Besuchszeit, die sie noch erlauben: „Es wäre vielleicht gut, wenn Sie sich Gedanken darüber machen, was Ihr Mann gewollt hätte, falls es nicht wieder besser werden sollte.“

Petrans Frau ist Hausärztin. Zum Jahresende, sagt er, bekommt sie haufenweise Essenskörbe von Patienten, als Dank. Er nicht.

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Jan Petran

Es klingt nicht verbittert, wenn er das erzählt. Petran sagt: „Wir begleiten oft Menschen auf dem Weg zum Tod. Und wir retten welche, die kurz davor stehen. Beides ist mein Job und ich mache ihn gern. Wenn ich merken würde, dass ich zynisch werde, dass ich Menschen nicht mehr als Menschen, sondern als Fälle sehe. Dann höre ich auf.“

Petran entscheidet nie allein, ob und wann eine Maschine abgestellt wird, sondern immer im Gespräch mit Kollegen und auch den Angehörigen. Aber er ist es oft, der diese Gespräche beginnen muss. Er sieht die Patienten jeden Tag, er geht an ihr Bett, schaut auf die Vitalparameter, schaut auf die Befunde aus dem Labor, sieht, ob sie besser werden. Muss den Zeitpunkt erkennen, ab dem eine Therapie nicht mehr hilft, sondern nur Leid verlängert. Ab dem jemand zwar noch an Maschinen überleben, aber ohne sie nie mehr leben kann.

Manchmal ist das eindeutig, etwa wenn der Patient etwas bekommt, das schon grausam klingt: therapierefraktärer septischer Schock. Dann kommt nicht mehr genug Blut im Gehirn an. Dann müssen sie aufgeben.

Mussten sie in letzter Zeit oft. Bis jetzt hat kein Covid-Patient während der zweiten Welle die OIM3, eine Station, die in der ECMO-Therapie, so sagt es der Klinikchef, zu den erfahrensten in Deutschland gehört, lebend verlassen. Warum das so ist, weiß niemand. Vielleicht weil sich kleinere Krankenhäuser mittlerweile trauen, auch schwere Covid-Verläufe zu behandeln, Menschen, die sie noch im März oder im April an die Uniklinik überwiesen hätten. Damals haben hier einige überlebt, der 54-Jährige ohne Vorerkrankungen, bei dem sie immer wieder dachten: Das war's jetzt. Und der heute wieder zu Hause ist, bei seiner Frau und seinen zwei Kindern und wieder laufen lernt. Die 45-jährige Opernsängerin, ebenfalls Mutter von zweien, 11 und 13. Ein Brief von ihr hängt noch auf der Station: An die Ärzte, Krankenpfleger(innen), Therapeuten der OIM3, ich bin dankbar, dass ich noch lebe und meine Kinder ihre Mutter nicht verloren haben und mein Ehemann seine Frau nicht verlieren musste.

Im kommenden Jahr, wenn die Impfung da und verteilt ist, will sie wiederkommen. Und für die Patienten Weihnachtslieder singen.

„An schlimmen Tagen fühlt es sich so an, als sterben sie wie die Fliegen weg“

Vielleicht aber war es für die, die während der zweiten Welle auf die OIM3 mussten, schon zu spät, als sie ankamen. Vielleicht konnte man diese Menschen einfach nicht retten. Petrans Kollege Christoph Thiele, ebenfalls Oberarzt, sagt an einem Wintermorgen: „Wir probieren alles, was die Medizin hergibt. Und trotzdem fühlt es sich an schlimmen Tagen so an, als sterben uns die Covid-Patienten weg wie die Fliegen.“

Es ist schon Dezember geworden, Deutschland ist noch nicht hart, sondern nur wellenbrechergelockdownt, als Oberarzt Thiele an einem Vormittag auf der OIM2 sitzt, drei Ärztinnen, zwei Pflegerinnen und einen Pneumologen um sich herum, und die Röntgenbilder der acht Patienten durchklickt, die hinter Glasscheiben rechts und links vor ihm liegen. Es ist nicht schwierig, Covid-19 auf solchen Aufnahmen zu erkennen. Wie die Wolken eines aufziehenden Sturms schieben sich weiße Flächen über beide Lungenflügel. Infiltrate, die in das Gewebe eindringen und es über die Zeit zerstören. Sie sorgen dafür, dass der Mensch, dem es gehört, kaum noch atmen kann. Ist nur noch sehr wenig Schwarz unter dem Weiß zu erkennen, sagt Thiele „gruselig“ oder „Horror!“.

Thiele ist ein großer Mann, 35 Jahre alt, der Telefongespräche gern mit kleinen Scherzen beginnt und Sätze gern mit einem „Ja?“ beendet, wenn er Dinge erklärt, so als wolle er sich stets vergewissern, dass man ihn auch richtig verstanden hat.

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Christoph Thiele

Auf Thieles Station, Etage 2, liegen die Covid-Intensivpatienten, die kein ECMO-Gerät brauchen. Die meisten von ihnen überleben. Manche sind noch wach. Da ist Herr S., 82, ein Greis. Er beginnt zu beten, immer und immer wieder, als die Mediziner seine Sauerstoffversorgung kontrollieren.

Da ist Frau W., 39, keine Vorerkrankungen. Hochschwanger. Sie hat Angst, das sieht man, und Schmerzen, das hört man. Und keinen Appetit. Einen Joghurt schafft sie am Tag. „Sie müssen essen, wirklich, bitte essen Sie was“, sagt Thiele bei der Visite zu ihr. Frau W. aber will nur nach Hause, zu ihrem Mann. Thiele dreht sich zu seinen Kollegen. „Sie muss mal wieder mit ihm telefonieren, das wird sie beruhigen“, sagt er. „Wo ist denn ihr Handy?“ Das Handy ist noch eingeschlossen, auf einer anderen Station, eine Ärztin verspricht, es zu besorgen. Auf einer Intensivstation, das lernt man hier, muss das Personal immer auch ein bisschen Sozialarbeiter und Psychologe sein. Den Menschen ein Gefühl von Sicherheit geben, während vor, hinter, über und neben ihnen die Alarme nie aufhören, das Gegenteil zu tun.

Vor wenigen Tagen noch hatte Thiele die Befürchtung, Frau W.s Sättigungswerte würden so schlecht, dass er sie ins Koma legen und beatmen muss. Dann hätten sie auch das Kind holen müssen. Stattdessen hat er es mit einer Maschine versucht, die sauerstoffangereicherte Luft in ihre Nase bläst. Funktioniert. Eine Woche, drei negative Abstriche später kann sie auf die Normalstation.

Thiele sagt: „Wirklich sicher sein, dass eine Entscheidung richtig war, kann man sich immer erst hinterher.“

Manches, was passiert, können die Mediziner nicht erklären

Als es losging, als im März nur 35 Kilometer entfernt eine Karnevalsparty den Ort Heinsberg zu dem machte, was Experten „Hotspot“ nennen, hatte die Behandlung von Covid-19 noch etwas Tragisches und Herausforderndes zugleich. So unterschiedlich waren die Krankheitsverläufe der Patienten. Jeden Tag lernten sie in Aachen, was für schreckliche Tricks dieses Virus noch kennt, dass es nicht nur die Atemwege befällt, sondern dass es auch die Nieren angreift, die Blutgefäße und zu einer überschießenden Reaktion des Immunsystems führen kann.

Mittlerweile ist alles geordneter. Es gibt einen „Behandlungsalgorithmus“, ausgedruckt, laminiert, an die Wände geklebt. Und einen sogenannten Eskalationsplan. 15 Betten stehen insgesamt für Covid-Patienten auf der OIM2 und OIM3 zur Verfügung, acht auf der internistischen Intensivstation. Fast alle sind durchgängig belegt. 25 weitere könnten sie schnell einrichten, 41 dazu, mit ein bisschen mehr Zeit.

Auch wissen sie nun, dass das Ebola-Mittel Remdesivir nicht in der Phase schwerer Entzündungen hilft, wie einst angenommen. Stattdessen geben sie Dexamethason, das, zu diesem Ergebnis kommen zumindest einige Studien, die Sterberate bei Coronapatienten signifikant senken könnte.

Und doch, manches, das hier passiert, können sich die Mediziner immer noch nicht erklären. Warum gerade jetzt? Eine 76-jährige Frau, schwerer Verlauf. Ihre Vorerkrankungen füllen beinahe eine A4-Seite. Über Wochen lag sie auf der OIM2, so kurz vor dem Tod, dass die Ärzte beschlossen hatten, keine weiteren Rückschläge behandeln zu wollen. Und genau ab da, als wollte ihr Körper alle eines Besseren belehren, wurde es auch besser. Morgen für Morgen, bis an einem Montag eine Assistenzärztin, ein Pfleger und ein Student sie in den Fahrstuhl schieben, zehn Stationen nach oben fahren. Das Einzelzimmer ist schon vorbereitet, Fotos hängen an der Wand, auf denen sich Klippen gegen die Gischt stemmen. Hier soll sie nun aufwachen und wieder atmen lernen.

Der Greis aber, der immer wieder betete, stirbt. Multiorganversagen.

Petran und Thiele haben meistens gute Laune bei der Arbeit. Fast alle hier haben das. Nur so stehen sie das durch, das ständige Umziehen, das ständige Doch-wieder-Versuchen, die ständigen Rückschläge. Nur so gelingt es, zu verdrängen, dass der Gegner um einen herum schwirrt, unsichtbar, und, wenn man nicht aufpasst, auch einen selbst erwischen kann und die eigene Familie gleich mit. Ohne diesen Zusammenhalt im Team, sagt Thiele, wäre das alles nicht auszuhalten.

Aachen Team

Oberarzt Jan Petran mit seinem Team bei der täglichen Visite der Patienten.

Mitte Dezember die Nachricht, dass ein Kollege sich infiziert hat, ein junger Mann, der jetzt auf der internistischen Intensivstation liegt. Eine Ärztin auf der OIM2 sagt: „Ich habe Asthma, ich bin Diabetikerin. Wenn ich mich anstecke, ist das vielleicht mein Todesurteil. Ich denke einfach nicht daran.“ Die Weihnachtstage, hat sie beschlossen, wird sie mit ihren Eltern erst im Januar nachfeiern. Davor hat sie frei.

Ein anderer Morgen auf der OIM3. Katherina Range, 48 Jahre alt, seit 26 davon in der Intensivpflege und wirklich von allen ausschließlich Schwester Kathi genannt, so steht es auch auf ihrem Namensschild, spricht gerade noch über Dinge, von denen die meisten Menschen außerhalb eines Krankenhauses nichts verstehen, von Interleukinen, Procalcitonin-Studien und pathophysiologischen Veränderungen, aber jetzt muss sie mal los, zu Herrn A. Er, 52, im Koma und an der ECMO, liegt auf dem Rücken, jetzt soll er auf den Bauch. Verbessert die Wirkung der künstlichen Beatmung. Doch ein falscher Handgriff, eines der unzählbaren Kabel, das sich vom Körper löst, und er könnte sterben. Schutzausrüstung an. Schwester Kathi greift das Laken. Ein Pfleger und ein Student heben den Mann langsam an.

Bitte nicht erschrecken, Herr A., wir müssen Sie einmal drehen.

Fertig. Schutzausrüstung aus. Die Kollegen schickt sie zum Mittagessen. Husch husch. 

Schwester Kathi, sagen die, wenn sie nicht im Raum ist, die hat Energie für zwei Kraftwerke. Ein wandelndes Lexikon, sagen die Kollegen. Wo nimmt die nur das Wissen her. Gut, dass Schwester Kathi das nicht hört, ihr wäre es sicher unangenehm, ihr war es auch ein bisschen unangenehm, als Deutschland klatschte, jeden Abend, vom Balkon.

Kathi

Katherina Range, von allen Schwester Kathi genannt

„Ich mach halt meinen Job, den habe ich gelernt“, sagt Schwester Kathi, die auch mal wache Patienten im Rollstuhl vors Krankenhaus schiebt, damit sie ihren Hund wiedersehen können, die Praktikanten Beatmungsmasken ins Gesicht drückt, damit die wissen, wie sich das für Kranke anfühlt. Und wenn es wirklich nötig ist, wenn das wirklich der Patientenwille ist oder der der Angehörigen, dann lässt sie im Zimmer auch mal ganz laut Helene Fischer laufen. Hat neulich geholfen, schwört sie.

Vor Kurzem war Frau A. da. Man habe ihr angesehen, wie fertig sie ist, sagt Schwester Kathi und deshalb habe sie zu ihr gesagt: „Wissen Sie, was Sie machen, wenn Sie zu Hause sind? Nichts! Machen Sie sich einen schönen Abend.“

Fast 5000 Covid-Patienten auf deutschen Intensivstationen

Wer hier arbeitet, dem muss in jedem Moment bewusst sein, wie schwer krank die Menschen sind, die hier liegen, auch die, die kein Covid haben und die sie ja auch noch versorgen, Menschen nach einer Operation am Herzen, manchmal das Gesicht noch ein wenig blutverschmiert. Dass einige von ihnen sterben werden. Und der darf trotzdem nicht die Hoffnung verlieren. Darauf, dass manche völlig überraschend überleben werden.

An einem Dienstag liegt Herr G. auf der OIM2, in dem Bett, in dem vor ihm die 76-jährige Frau schlief, bei der es plötzlich aufwärts ging. Ende November hat er sich angesteckt. Es ging schnell, an einem Mittwoch fühlte er sich krank, an einem Freitag hatte er das, was die Ärzte Luftnot nennen. Er musste ans Beatmungsgerät. Kurz darauf versagten auch seine Nieren. G. ist 59 Jahre alt, er hatte in der Vergangenheit schon einen Herzinfarkt, einen Schlaganfall, er hat Bluthochdruck und eine Lunge, die auch ohne Covid-19 chronisch kaputt war. G., ein Mann mit kurzen Haaren, ist, was Wissenschaftler und Politiker meinen, wenn sie von „Risikogruppe“ sprechen.

Draußen dämmert es. G. ist wach. Er atmet selbstständig. Ohne Maschine.

„Manchmal“, sagt er, „frage ich mich, was ich dem lieben Gott getan habe. Ich bin kein Arschloch, wirklich.“ Dann lacht er kurz auf.

„Hoffnungsträger der Station“ wird Oberarzt Thiele ihn später nennen.

Mittlerweile liegen fast 5000 Covid-Patienten auf deutschen Intensivstationen, über 800 starben an einem einzigen Tag, so viele wie noch nie, und auf dem Krankenhausvorplatz steht ein meterhoher Weihnachtsbaum.

Weihnachten, sagt G., will er wieder zu Hause sein. Erst mal kommt er auf die Normalstation. 

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