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Autorin im InterviewWas müssen wir über Männer und Sex wissen, Katja Lewina?

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Katja Lewina 

Katja Lewina hat sich 2020 in ihrem Bestseller-Buch „Sie hat Bock“ anhand ihrer eigenen Biografie mit weiblichem Begehren und Sexualität beschäftigt, sehr persönlich über Missbrauchserfahrungen, Scham- und Lustgefühle geschrieben. In ihrem neuen Buch „Bock“ geht es um Männer und Sex. Ein Gespräch.

Frau Lewina, wie reagieren Männer darauf, dass Sie als Frau über männliche Sexualität schreiben? Katja Lewina: Etliche Männer fühlen sich natürlich herausgefordert, mein Buch argwöhnisch zu betrachten oder es sogar übelst zu kritisieren. Dabei habe ich mich ja sehr bemüht, nicht über Männer zu schreiben, sondern das Buch mit Männern zusammenzuschreiben, indem ich etliche getroffen und ausführlich zu ihrer Sexualität befragt habe. Ich habe auch mit Experten gesprochen. Eigentlich sprechen in diesem Buch sehr viele männliche Stimmen.

Was hat Sie in diesen Gesprächen am meisten interessiert? Da ich Ende 30 bin, war ich total neugierig zu erfahren, was mit Männern und Frauen jenseits der 40 passiert, in und nach der sogenannten midlife crisis, weil es mir auch einen persönlichen Ausblick gegeben hat, wohin man so steuert im Leben. Schön fand ich zu erfahren, dass das Bedürfnis nach sexuellen Begegnungen niemals aufhört. Wir kommen als sexuelle Wesen auf die Welt und bleiben das bis zum Ende. Die Sehnsucht nach Körperkontakt und Befriedigung reißt niemals ab, ist also nicht gekoppelt an Fortpflanzung oder eine Art der Virilität.

Zur Person

Foto: Lucas Hasselmann

Katja Lewina, 1984 in Moskau geboren, hat drei Kinder und lebt mit ihrem Mann in der Nähe von Berlin. Sie hat Slawistik, Literatur und Religionswissenschaften studiert. Sie ist freie Journalistin und Autorin. Ihr Buch „Sie hat Bock“ (2020) ist wie ihr neues Buch „Bock“ beim DuMont-Buchverlag erschienen.

Was hat Sie überrascht? Viele Ahnungen, die ich hatte, was Männlichkeits-Klischees angeht, haben sich bestätigt. Bin ich potent genug? Bin ich männlich genug? Kann ich lang genug? Ist er groß genug? Diese Fragen hatten einen enorm großen Stellenwert bei allen Männern, die ich befragt habe. Aber auch solche Fragen: Wie kann ich mein Gesicht wahren? Wie kann ich in der Welt bestehen? Potenz findet ja nicht nur im Bett statt, sondern auch darüber hinaus. Es hat mich überrascht, wie fragil das eigene Bild unter dem Männlichkeitsdruck ist.

Frauen zweifeln an ihrem Körper, Männer leiden an Versagensdruck? Ja. Da, wo die Frau möglichst klein und mädchenhaft sein soll, also bloß nicht zu viel, geht es beim Mann ganz oft darum, nicht zu wenig zu sein, nicht zu weich, nicht zu sensibel, nicht zu impotent.

Wann ist ein Mann ein Mann: Diese Frage hat Herbert Grönemeyer 1984 aufgeworfen. Wie lautet Ihre Antwort? Ein Mann ist dann ein Mann, wenn er sagt, dass er ein Mann ist. Das macht sich nicht am Geschlechtsteil fest, sondern allein an dem Gefühl, das jemand hat. Die meisten Menschen haben da ein relativ klares Gefühl.

Natürlich geht es in „Bock“ auch um Pornos. Wie stark sind Männer davon beeinflusst? Sehr stark. Die Männer in Pornos können drei Stunden lang ohne Pause, haben gestählte Körper, große Penisse. Pornos erzeugen besonders bei Männern sehr viel Druck. Wenn man diese entmenschlichte Form der Sexualität häufig konsumiert, hat man kein Gespür mehr zu sich selbst oder zu seinem Gegenüber.

13-Jährige, die noch keine eigenen sexuellen Erfahrungen gemacht haben, halten Pornos für die Realität. Aber alle anderen doch nicht. Klar wissen alle, dass da nur eine Show ist, so wie der Fernsehfilm. Trotzdem machen die Bilder viel mit einem und formen die Erwartungen, die wir an einen gelungenen Sexualakt stellen. Viele Praktiken werden als geil angesehen, auf die wir nie selbst gekommen wären. Das sind Dinge, die unsere Fantasien beeinflussen. Das muss nicht nur schlecht sein. Aber wir brauchen viel mehr Diversität bei der Darstellung von Sexualität. Wo es Konsens zwischen Mann und Frau gibt, verschiedene Körper, und wo es nicht die ganze Zeit nur darum geht, dass der Mann der stahlharte Typ ist und die Frau kniend und passiv alles mit sich machen lässt.

Im Vorgänger „Sie hat Bock“ haben Sie sich mit der Frage beschäftigt, was sexistisch an unserem Sex ist. Wie lautet Ihre Antwort? So ziemlich alles. Wir wachsen ja mit Vorstellungen darüber auf, wie Sexualität zu funktionieren hat und wie sich die Sexualität von Männern und Frauen unterscheidet. Es gibt viele Zuschreibungen, die Druck ausüben, so dass wir uns falsch fühlen, wenn wir dem nicht entsprechen. Es gibt viele Mythen. Nur ein Beispiel: Frauen haben eher keine Lust auf Sex und müssen überredet werden, Männer müssen immer können und wollen möglich viele vögeln. Das sind Bilder, die wir mit uns herumtragen und die reale Auswirkungen haben. Statistiken besagen, dass Frauen deutlich seltener zum Orgasmus kommen als Männer. Sie befriedigen sich seltener und werden auch deutlich seltener von Männern oral befriedigt. Vieles haben wir so sehr verinnerlicht, dass wir kein richtiges Gespür mehr dafür haben, was wir eigentlich wollen, unabhängig von unserem Geschlecht.

„Ein ganz großes Problem ist das Ideal des Penetrationsorgasmus“, heißt es im Buch. Das müssen Sie erklären.

Es gibt immer noch eine große Fixierung auf Penetrationssex. Das ist der vermeintlich einzig richtige Sex und Mann und Frauen kommen so zum Orgasmus. Eine Frau, die das nicht kann, mit der ist etwas nicht in Ordnung. Dieser Gedanke spielt eine große Rolle. In „Sie hat Bock“ habe ich darüber geschrieben, dass ich schon häufiger meinen Orgasmus vorgetäuscht habe. Danach haben mich viele Frauen kontaktiert und offenbart, dass sie ihren auch oft vortäuschen, weil sie sich nicht trauen, dem Mann zu sagen, was sie brauchen. Frauen werden dazu erzogen, Männern ein gutes Gefühl zu geben. Wir haben gelernt: Es geht um die Befriedigung des Mannes. Das sehen wir ja auch in jedem Porno.

Warum haben Sie den Orgasmus vorgetäuscht? Bei mir hat sich das zufällig entwickelt. Ich habe beim ersten Mal mit diesem einen Mann keinen Orgasmus bekommen, weil wir uns noch nicht so gut kannten. Es war dann einfach sehr leicht, ihn vorzutäuschen und meinem Gegenüber das Gefühl zu geben: Es liegt nicht an dir, du hast es voll drauf. Je länger ich das gemacht habe, desto weniger hatte ich die Chance auf einen echten Orgasmus, ich konnte mich gar nicht mehr entspannen.

Bis Sie ihm die Wahrheit gesagt haben. Ja, das war ein harter und schrecklicher Moment. Ich weiß von Frauen, die lügen jahrelang. Ich weiß nicht, was in einer langen Beziehung passiert, wenn man irgendwann sagt: Sorry, ich bin noch nie gekommen. Für mich war es richtig gut. Beim Gespräch hinterher stellte sich heraus, dass es ihm natürlich ein verdammt gutes Gefühl gegeben hat, ich mich aber auch darin gut gefühlt habe, ihm ein gutes Gefühl zu geben und mich selbst als totale Sexbombe zu verkaufen. Bis der Punkt kam, an dem ich dachte: Was mache ich hier eigentlich?

Frauen reden untereinander über Sex und intime Sachen, Männer eher nicht. Hat sich das in Ihren Gesprächen bestätigt? Definitiv. Natürlich erzählen Männern sich auch mal, wenn es gerade wahnsinnig gut läuft oder mit wie vielen Frauen sie geschlafen haben. Aber sie stellen sich nicht hin vor ihre Freunde und sagen: Ich habe da ein emotionales oder körperliches Problem, für das ich mich schäme. Das ist eine wahnsinnig große Überwindung, für die meisten Männer zu groß. Mir tut das sehr leid, weil ich weiß, wie sehr ich davon profitiert habe, mit meinen Freundinnen über alles zu reden. Das ist ja auch eine tolle Möglichkeit, Scham loszuwerden. Dass Männer das nicht tun, halte ich für toxisch.

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Woran sollten Frauen arbeiten, wenn es um Sexualität geht? Frauen werden dazu erzogen, möglichst nicht laut zu sein, sich eher nicht zu wehren, kein Nein zu geben. Männer hingegen werden dazu erzogen, raubeinig zu sein, sich zu verteidigen, ihre eigenen Grenzen zu wahren. In der Sexualität können Frauen ihre eigenen Grenzen dann häufig auch nicht kommunizieren. Alle Frauen kennen das: Hier läuft gerade was schief, aber ich schaffe es nicht, mich zu artikulieren, weil ich keine laute, zickige, nervige Frau sein will. Daran müssen wir unbedingt arbeiten.

Woran sollten Männer arbeiten? An ihrer Kommunikation. Männer haben ganz oft das Gefühl, sie müssten nicht nachfragen, könnten einen zum Beispiel in einer Bar anlabern, auch wenn man gar keine Signale sendet. Männer sollten viel mehr nachfragen, sich der Reaktion ihres Gegenübers versichern, weil sie in ihrem Gefühl oft daneben liegen. Außerdem wünsche ich mir von Männern, dass sie sich stärker selbst hinterfragen: Wo verhalte ich mich vielleicht sexistisch? Wo objektiviere ich Frauen? Was erwarte ich von meiner Partnerin?

In „Sie hat Bock“ haben Sie extrem persönlich auch über Ihr Sexleben geschrieben, auch über eine Vergewaltigung. Welche Erfahrungen haben Sie mit dieser Offenheit gemacht? Was meine Schilderungen von sexueller Gewalt angeht, nur gute Erfahrungen. Es gibt viel Resonanz darauf, viele Frauen fühlen sich davon berührt. Es gibt ja kaum eine Frau, die in ihrem Leben keine sexuelle Übergriffigkeit oder sogar Gewalt erfahren hat. Die MeToo-Debatte hat da viel Kraft entfaltet und gezeigt: Es gibt nichts, wofür man sich schämen müsste. Denn oft fragen sich betroffene Frauen ja, ob sie nicht selbst schuld waren an dem, was passiert ist. Das habe ich auch getan. Negative Erfahrungen mache ich, wenn ich über Themen schreibe, die eine Art Tabubruch für einige bedeuten: Wenn es um Themen wie Körperflüssigkeiten geht oder das Infragestellen des traditionellen Beziehungskonzepts.

„Für Heiratsanträge oder Ähnliches beträgt die momentane Bearbeitungszeit etwas dreitausend Jahre. Wir bitten daher von Anfragen amouröser Natur abzusehen“, schreiben Sie auf Ihrer Homepage. Gibt es viele Männer, die missverstehen, dass eine Frau, die über Sex schreibt, nicht mit allen und auch nicht mit ihnen Sex haben will? Offenbar, ja. Ich bediene vielleicht die Fantasie der verfügbaren Frau, wie sie auch im Porno bedient wird. Ich wirklichen Leben muss ein Mann ja etwas tun, um eine Frau zu kriegen. Er muss sich Mühe geben. Und wenn dann eine Frau öffentlich schreibt, sie hat gerne Sex, denken einige wohl: Wow, dann probiere ich doch mal mein Glück. Was natürlich totaler Käse ist.

Sie leben in Berlin, haben als Jugendliche aber auch in Köln gelebt und sind in Brühl aufgewachsen. Die Kölnerinnen und Kölner rühmen sich für ihre Offenheit und Toleranz, Berliner gelten als wesentlich unfreundlicher. Merkt man solche Unterschiede im Bett? Das weiß ich nicht, aber wenn es um die Anbahnung des Bettes geht, gibt es eklatante Unterschiede. Wenn ich in Köln aus dem Zug steige, geht das Flirten quasi schon auf dem Gleis los, während man sich in Berlin selbst in den allereindeutigsten Situationen zu cool ist, um sich mit dem Arsch anzugucken.

Die Gelegenheit, überhaupt miteinander im Bett zu landen, ist in Köln also höher? Lewina (lacht): Ich bin mir sicher, dass die Leute in Köln viel mehr Sex haben als in Berlin.

Das Gespräch führte Sarah Brasack

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