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Beziehungs-GlossarDu bist so sapiosexy!

Lesezeit 6 Minuten
Liebe hat viele Formen.

Liebe hat viele Formen.

Es gab Zeiten, da lernten sich Heinz und Hannelore auf dem Dorffest kennen. Es gab den ersten Kuss, die Verlobung, die Hochzeit. Dazu ein Haus, ein Hund, zwei Kinder. Fertig. Ihre Nachfahren sind heute experimentierfreudiger. Das macht es aber nicht immer leichter. Was sie sich ausdenken, könnte mittlerweile ein Lexikon füllen. Manchmal bekommt auch nur lang Erprobtes und schon immer Missglücktes einen neuen klangvollen Namen. Ein Glossar zum besseren Mitreden.

Mingle

Sie tun viele Dinge, die normale Paare auch tun. Händchen halten, sonntags im Park liegen, gemeinsam Tatort gucken. Fragt man sie aber: „Seid ihr ein Paar?“, lautet die Antwort: Nein! Mingles ist eine Wortschöpfung, die sich aus Mixed und Singles zusammensetzt. Zu Deutsch: Nichts Halbes und nichts Ganzes. Zwei, die sich Mingles nennen, haben keine feste Beziehung, allein sein wollen sie aber auch nicht. Sie treffen sich regelmäßig, ohne zu wissen, was sie gemeinsam eigentlich sind. Eindeutige Aussagen lehnen sie ab. Definitionen gibt es nicht. Von Anfang an versprechen sie sich nichts. Und halten sich doch alles offen. Besitzansprüche gelten nicht. Einzulösen gibt es nichts. Manche von ihnen empfinden sich als Freigeister, andere haben schlicht Bindungsangst. Ihr Liebesleben ist ein Haus mit offenen Türen. Jederzeit dürfen sie hinauslaufen, ohne sich zu entschuldigen. Soweit die Abmachung. Meist aber ist die Halb-Beziehung nicht so harmonisch, wie sie klingt. Facebook hat dafür einen eigenen Beziehungsstatus erfunden: „Es ist kompliziert.“ So hat einer von beiden häufig mehr Gefühle als der andere und wünscht sich ein klares Bekenntnis. Der andere schweigt und stammelt herum: „Ich weiß nicht“, „Mal schauen“, „Ich bin noch nicht bereit“ – und hält parallel nach etwas anderem Ausschau.

Wer hat es ausprobiert: fast jeder Kölner zwischen 15 und 35 Kuschelfaktor: mittelprächtig Bettlektüre: „Ego. Das Spiel des Lebens“ Liebeslied: „This Is Not A Lovesong“ (Nouvelle Vague)

Booty Call

Der One-Night-Stand stirbt aus. Vorbei sind die Zeiten, in denen zwei einander Fremde aus einer schummrigen Bar direkt ins Bett stolperten und am nächsten Morgen erschraken. Gelegenheitssex möchten Singles zunehmend mit Menschen haben, deren Gesicht sie schon bei Tageslicht und klarem Kopf gesehen haben, sagen Sexualforscher, die sich mit dem Phänomen des Booty Calls beschäftigen. „Die Abruf-auf-Anruf-Beziehung ereignet sich vor allem unter Freunden und Bekannten“, schreibt Peter Jonason von der Universität South Alabama in seiner Studie, für die er Schüler von Highschools befragt hat. Angebahnt wird das Zusammentreffen mit dem Flirtinstrument, das jeder in der Tasche bei sich trägt, dem Handy. Ein Single scrollt durch seine Telefonliste und wählt jemanden aus, von dem er weiß, dass er derzeit auch meist alleine einschläft und das durchaus ändern würde. „Bist du noch wach? Kommst du vorbei?“ Viel mehr Worte braucht es nicht. Noch einfacher ist es über eine Textnachricht. Wer sie empfängt, hat ausreichend Bedenkzeit, sich eine Ausrede zu überlegen, warum er gerade verhindert ist. Ablehnung ist weder in den Augen zu sehen noch in der Stimme zu hören. „Booty-Call-Beziehungen entwickeln sich häufig zu Affären, gehen also durchaus über die eine Nacht hinaus“, schreibt Jonason. Untereinander bezeichnen sich die Beteiligten dann als „friends with benefits“: Freunde mit Vorzügen. Manchmal sei dies aber auch der Anfang einer Langzeitbeziehung.

Wer hat es ausprobiert: George Clooney und Sandra Bullock (laut „Bunte“) Kuschelfaktor: niedrig Bettlektüre: keine Liebeslied: „Save Tonight“ (Eagle Eye Cherry)

Sapiosexualität

Auf die inneren Werte kommt es an. Das haben schon viele behauptet. Die Sapiosexuellen meinen es ernst. Man findet sie etwa bei Online-Portalen für Singles. Gesinnung: sapiosexuell, steht dann da. Wer sich so vorstellt, schenkt dem physischen Eindruck eines Profilbildes wenig Beachtung. Plumpe Anmachen sind diesen Menschen ein Graus. In ihrem Posteingang wollen sie tiefsinnige Nachrichten finden. Ohne Rechtschreibfehler und länger als drei Zeilen. In Internet-Blogs definieren die Sapiosexuellen, was sie von anderen unterscheidet. So suchen sie jemanden, „für den philosophische Diskussion ein Vorspiel ist“ und „Kants Kritik am ontologischen Argument ein Aphrodisiakum“. Gescheit ist geil. „Es gibt nichts Erotischeres als eine gute Unterhaltung“ oder „Verführe meinen Verstand, und du kannst meinen Körper haben“ posten sie auf „I Am Sapiosexual“, einer Seite bei Facebook. Manche von ihnen, vor allem Frauen, sehen in ihrer Gesinnung eine Gegenbewegung zum Metrosexuellen – seit den 90ern ein Typ Mann, der sich vor allem um seine Oberfläche kümmert. Prototyp war der Fußballer David Beckham, einer seiner Nachfolger Cristiano Ronaldo. Männer, mit denen man sich zwar sehen lassen kann, die jedoch nicht durch Intellekt und Wortgewandtheit bestechen. Männliche Sapiosexuelle schwärmen manchmal vom sogenannten Geekgirl. Einer Frau, die an Computern herumbastelt, selbst programmiert und das Internet liebt. Lieber kauft sie einen neuen Mac als neue High-Heels. Einfach „sapiosexy“.

Wer hat es ausprobiert: Hermine Granger und Harry Potter Kuschelfaktor: mittel Bettlektüre: Von Nietzsche bis Stephen Hawking Liebeslied: „A Beautiful Mind“

Polyamore

Johannes Ponader saß in seiner Zeit als Geschäftsführer der Piraten-Partei in vielen Talkshows. Dabei sprach er manchmal weniger über Politik als über sein Liebesleben, in dem, so erzählt er es, nicht nur zwei, sondern viele Menschen gleichzeitig Platz haben. Polyamorie bedeutet, mit mehr als einem Partner eine Beziehung zu führen. Mit Fremdgehen hat das nichts zu tun. Jeder weiß über den anderen Bescheid. Alle Beteiligten sind informiert und einverstanden. Heimlichkeiten gibt es nicht. Berichte solcher Liebesgemeinschaften klingen nicht nach wilden Orgien. Manche wohnen gemeinsam unter einem Dach, schlafen einmal im Bett des einen, dann des anderen. Sie bestreiten den Alltag zusammen, sie frühstücken, gehen einkaufen, ziehen manchmal gemeinsam Kinder groß. Sie respektieren sich, reden viel über Gefühle – auch über Eifersucht. Bücher über Polyamorie beschäftigen sich ausführlich mit diesem Problem. Taucht es auf, soll es von den Beteiligten nicht geleugnet, sondern immer angesprochen und ausdiskutiert werden. Beziehungsarbeit hoch drei.

Wer hat es ausprobiert: Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir Kuschelfaktor: hoch Bettlektüre: „Das große Buch des Tantras“ Liebeslied: „Modern Love“ (David Bowie)

Ringle

Einem alten Phänomen einen neuen Namen zu geben, ist bei Werbefachleuten sehr beliebt. Bekanntes wird einfach in ein neues sprachliches Gewand gehüllt, schon klingt es viel frischer und moderner. Vor Kurzem wurden auch Menschen, die sich so etwas Altmodisches wie eine monogame, langfristige Zweierbeziehung wünschen, mit so einem neuen Wort beschenkt. Sie dürfen sich ab sofort als „Ringle“ bezeichnen. Eine Kurzform für Romantic Single. Klingt doch viel blumiger als „Ich suche eine feste Partnerschaft“. Ausgedacht haben sich das die PR-Menschen einer Online-Plattform für Singles, die eigentlich nicht daran interessiert sein dürften, dass Menschen allzu lange zusammenbleiben. Sie führten eine Umfrage unter 1 250 Singles unter 35 Jahren durch. Dabei fanden sie eine weit verbreitete Sehnsucht nach Zuverlässigkeit und Stabilität. Ein Ringle sei ein moderner junger Mensch, der zwar nach Selbstverwirklichung und Individualität strebe, der wirtschaftlich unabhängig und mobil sei, dem aber Treue, Verbindlichkeit und Exklusivität in seinem Liebesleben wichtig sind, heißt es dort.

Wer hat es ausprobiert: Carrie Bradshaw und Mr. Big Kuschelfaktor: hoch Bettlektüre: „Schöner Wohnen“, „Mein Garten“ Liebeslied: „Only You“

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