Corona-ImpfstoffSo erklären Kölner Experten die neue Astrazeneca-Empfehlung

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Die Anpassung von Empfehlungen auf der Basis neuer Erkenntnisse „ist in der Medizin etwas Alltägliches“, sagt Prof. Edgar Schömig, Ärztlicher Direktor der Uniklinik Köln.

Köln – Es geht hin und her. Nachdem der Corona-Impfstoff von Astrazeneca Mitte März ausgesetzt wurde, gab die europäische Arzneimittelagentur schnell wieder Entwarnung: Die Kommunen durften nach wenigen Tagen mit den Impfungen fortfahren. Nun wieder zurück: Das Risiko auf unerwünschte Nebenwirkungen ist zu groß, Bund und Länder richten sich nach einer neuen Empfehlung der Impfkommission und geben Astrazeneca hauptsächlich für über 60-Jährige frei.

Wir haben mit Kölner Experten gesprochen und beantworten die wichtigsten Fragen zum Thema.

Was wird diskutiert?

Ob der Corona-Impfstoff des britisch-schwedischen Herstellers Astrazeneca für alle Gruppen geeignet ist. Hintergrund sind einzelne Hirnvenenthrombosen, die im zeitlichen Zusammenhang mit den Impfungen aufgetreten waren. Ob die Impfungen ursächlich dafür waren, ist bislang nicht eindeutig erwiesen. Doch die Hinweise verdichten sich. Bis Montagmittag wurden dem Paul-Ehrlich-Institut insgesamt 31 dieser Fälle gemeldet.

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Thrombosen sind keine Seltenheit, auf den Corona-Intensivstationen etwa entwickeln bis zu 30 Prozent der Patienten Thrombosen. Bei den Fällen kurz nach der Astrazeneca-Impfung handelt es sich jedoch um spezielle Hirnvenenthrombosen, oft gepaart mit einem Mangel an Blutplättchen. Diese sind grundsätzlich sehr selten. Mit Ausnahme von zwei Fällen betrafen alle Meldungen Frauen im Alter von 20 bis 63 Jahren. Neun Betroffene starben. Vor diesem Hintergrund halten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einen Zusammenhang zur Impfung für möglich.

Wie geht Köln vor?

Das Kölner Impfzentrum hat am Donnerstagnachmittag entschieden, alle Impfungen mit dem Mittel von Astrazeneca zu stoppen. Von 972 Astrazeneca-Impfungen, die für den Dienstag angesetzt waren, standen 488 zum Zeitpunkt der Entscheidung noch aus. Wer einen Impftermin für die laufende Woche gebucht hat, hat die Möglichkeit, sich alternativ mit dem Mittel von Biontech impfen zu lassen. Für Ostersonntag hatte die Stadt ursprünglich tausende Astrazeneca-Impfungen geplant. Geimpft werden soll nun dennoch – mit dem Biontech-Impfstoff, von dem das Gesundheitsministerium NRW kurzfristig zusätzliche Lieferungen in Aussicht gestellt hat.

Auch die Kölner Uniklinik hat ihr Vorgehen geändert. „Wir haben Ende letzter Woche begonnen, unsere Impflinge – das sind momentan nur Mitarbeitende – ausführlich über die neuen Entwicklungen aufzuklären. Bei Frauen unter 55 Jahren haben wir keine Empfehlung mehr ausgesprochen. Das gilt, bis die Situation geklärt ist“, sagt Prof. Edgar Schömig, Direktor der Klinik, dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Die Städtischen Kliniken haben bislang keine Astrazeneca-Lieferungen erhalten und erklärten auf Nachfrage, die weiteren Entwicklungen abzuwarten.

Ist das Risiko größer als der Nutzen?

Seriös lässt sich diese Frage bislang nicht beantworten. Klar ist: Junge Frauen erleiden vergleichsweise selten schwere Covid-Verläufe. „Junge Frauen haben per se ein geringeres Risiko, an Sars-Cov-2 zu versterben. Hier muss man also umso stärker auf unerwünschte Nebenwirkungen schauen“, sagt Edgar Schömig. Es habe „im Moment den Anschein, dass tödliche Nebenwirkungen in dieser Gruppe möglich sind“. Man müssen nun mit allen Daten, die zur Verfügung stehen, abwägen, ob das Risiko zu groß ist. Der Mediziner betont: „Es muss eine positive Nutzen-Risiko-Relation gegeben sein – nicht nur für die Gesamtheit der Bevölkerung, sondern auch für jeden Einzelnen.“ Wären die Einzelfälle bei älteren Menschen aufgetreten, „hätten wir einen möglichen Stopp wohl überhaupt nicht diskutiert – weil die Risiko-Nutzen-Abwägung klar positiv ausgefallen wäre. Bei jüngeren Menschen ist das komplizierter“, sagt Schömig.

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Jürgen Zastrow, leitender Impfarzt in Köln, blickt mit Sorge auf den erneuten Impfstopp. Er bezeichnet den fehlenden Schutz durch ausgesetzte Impfungen als „abstrakten Schaden“. Durch diesen entstehe „nicht der gleiche öffentliche Druck wie bei konkreten Schäden durch einzelne Impfreaktionen.“

War die bisherige Empfehlung fehlerhaft?

Dem widersprechen Experten. Die Anpassung von Empfehlungen auf der Basis neuer Erkenntnisse „ist in der Medizin etwas Alltägliches“, sagt Schömig: „Man sollte die Einschätzung den zuständigen Behörden entspannt überlassen.“ An dem Vorgang sei nichts überraschend: „Einige sehr seltene Effekte können wir eben erst finden, wenn Millionen von Menschen geimpft werden.“

Die beste Methode, einen möglichen Vertrauensverlust in den Impfstoff zu verhindern, sei es, „offen und transparent mit den Daten und Überlegungen umzugehen“. Sollte sich herausstellen, dass das Mittel für junge Frauen nicht gut geeignet ist, „dann dürfen wir darüber nicht hinweg gehen“, so Schömig.

Bei welchen Nebenwirkungen sollte man zum Arzt gehen?

Impfreaktion sind eigentlich kein Grund zur Sorge: Sie spiegeln die Immunantwort des Körpers wieder und verschwinden meist nach kurzer Zeit. Das Vakzin von Astrazeneca ruft vergleichsweise häufig körperliche Reaktionen hervor. Über die Hälfte der Probanden in der klinischen Studie berichteten von Schmerzen an der Einstichstelle und Kopfschmerzen, ein Drittel hatte eine erhöhte Temperatur. Auch Schüttelfrost, Fieber, Übelkeit und Gliederschmerzen gelten als häufige Nebenwirkung. Diese Symptome lassen sich mit Schmerzmitteln wie Paracetamol lindern und sind kein Zeichen für eine Hirnthrombose. Sollten Geimpfte jedoch mehr als vier Tage nach der Impfung starke, anhaltende Kopfschmerzen oder punktförmige Hautblutungen haben, müssen sie so schnell wie möglich zum Arzt. In demFall, so das Paul-Ehrlich-Institut, ist eine Hirnthrombose möglich. Die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA) rät zu einem Arztbesuch bei folgenden Symptomen drei Tage nach der Impfung: Kurzatmigkeit,

Schmerzen in der Brust oder dem Magen, Schwellungen oder Kälte in einem Bein, verschlechternde Kopfschmerzen , verschwommene Sicht, Blutungen sowie viele kleine Punkte und Blutblasen unter der Haut.

Steht auch die immunisierende Wirkung des Impfstoffes infrage?

Nein, der Schutz vor einer Corona-Infektion durch den Astrazeneca-Impfstoff ist unumstritten. Neue Studien belegen, dass Todesfälle sogar ähnlich sicher verhindert werden wie bei den Mitteln von Biontech und Moderna. „Der Impfstoff von Astrazeneca ist hochwirksam, er verhindert schwere Verläufe zuverlässig. Es steht völlig außer Frage, dass das Mittel hilft, die Corona-Pandemie zu bekämpfen“, betont auch Schömig.

Ist der Impferfolg nun gefährdet?

Nicht grundsätzlich. „Wenn im Gegenzug verstärkt Ältere – die über 80-Jährigen und bald die über 70-Jährigen – mit Astrazenca geimpft würden, schreitet die Impfkampagne bei den besonders zu schützenden älteren Jahrgängen wegen des größeren Impfabstandes auch schneller voran“, sagt Thomas Preis, Vorsitzender der Kölner Apotheken. Denn grundsätzlich kann bei Astrazeneca zwölf Wochen bis zur zweiten Impfung gewartet werden, bei Biontech und Moderna hingegen nur sechs Wochen. In Großbritannien habe man mit einem solchen Vorgehen bereits „sehr gute Erfahrungen gesammelt“, so Preis weiter.

Zudem könne die Tatsache, dass jüngere Frauen nicht mehr mit Astrazeneca geimpft werden, dazu führen, dass die Impfbereitschaft in dieser Gruppe wächst. „Jüngere Frauen sind aktuell verunsichert und entscheiden sich möglicherweise sogar gegen eine Impfung. Mit einem Angebot für einen anderen Impfstoff könnte man ihnen die Sorge nehmen, sodass sie doch einer Impfung zustimmen – und wir die Impfkampagne beschleunigen können“, sagt Preis.

Jürgen Zastrow betont: „Wir brauchen jeden Impfstoff und jede Dosis, um diese Pandemie schnellstmöglich zu bekämpfen.“ An wen welches Mittel verimpft werde, sei dafür zweitrangig. „Wir können auf den Impfstoff von Astrazeneca nicht komplett verzichten. Das würde Leben kosten“, sagt Zastrow.

Die Impfkampagne „wird den Weg aus dieser Pandemie weisen. Davon bin ich weiterhin überzeugt, den Impferfolg sehe ich nicht gefährdet“, sagt Edgar Schömig. „Wir sind langsamer als erhofft, aber auch die Entwicklungen bei Astrazeneca werden nicht verhindern, dass es ab Sommer besser wird.“ 

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