Drei Szenarien vom WissenschaftsratWie es mit der Corona-Pandemie bis 2027 weitergeht

Lesezeit 5 Minuten
Pandemie Symbolbild

Wie wird es mit der Corona-Pandemie weitergehen?

Paris – Mit der Verbreitung des Coronavirus Anfang 2020 brach eine große Ungewissheit aus. Wenig bis gar nichts war zu Beginn der Pandemie über das Virus bekannt. Wie sich die Lage entwickeln würde, konnten selbst Expertinnen und Experten nur vermuten – und lagen dabei auch einige Male daneben. Jetzt, nach über zwei Jahren, in denen wir viel über Corona und die Pandemie gelernt haben, hat der Internationale Wissenschaftsrat eine Prognose gewagt. Wie wird sich die Corona-Lage in den kommenden fünf Jahren entwickeln? Wie wird die Situation im Jahr 2027 aussehen? Drei verschiedene Szenarien sind laut des „International Science Council“ (ISC) realistisch – von Versäumnissen bis hin zu guter Zusammenarbeit. Ein Überblick.

Eins ist klar: Vorbei ist Corona noch nicht. Obwohl gerade hierzulande die Immunität steigt und die Schutzmaßnahmen immer weniger werden, befinden wir uns nach wie vor in einer Pandemie. Die hat zwar weniger Auswirkungen auf unser Leben als vor zwei Jahren, trotzdem bestimmt sie weiterhin Teile unseres Alltags. Welche Teile das in Zukunft sein könnten, hat der International Science Council versucht, zu definieren. Der ISC ist ein Zusammenschluss von über 200 Wissenschaftsorganisationen, der sich als globale Stimme der Wissenschaft versteht.

Corona-Zukunft: Einschätzungen von 167 Experten

Für die groß angelegte Studie hat der Wissenschaftsrat mit 167 Expertinnen und Experten aus über 30 Ländern und unterschiedlichsten Fachrichtungen gesprochen, um möglichst viele verschiedene Blickwinkel in die Analyse einbeziehen zu können. Virologie, Immunologie, Gesundheitswesen, Wirtschaft, Politik und andere: Alle gaben aus der Sicht ihres Fachgebiets eine Prognose ab, wie sich die Corona-Pandemie in den kommenden Jahren entwickeln wird. Aus diesen Einschätzungen konnten die Forschenden drei realistische Szenarien ableiten. Andere Entwicklungen seien aber durchaus auch möglich, da die Pandemie weiterhin unvorhersagbar bleibe, betont der ISC.

Welches Szenario letztendlich eintreten wird, hängt vor allem davon ab, welche Entscheidungen die Politik in den kommenden Monaten und Jahren treffen wird. Wie sie die Bevölkerung Richtung Pandemie-Ende manövriert. So oder so sieht der Wissenschaftsrat weiterhin große Herausforderungen auf die Menschen zukommen. Denn die Pandemie ist nicht die einzige Aufgabe, die es zu lösen gilt. So stehen unter anderem die Klimakrise, die Bekämpfung von Hunger und Krieg oder auch die Entwicklung ärmerer Länder ebenfalls auf der Agenda. Sie alle haben eine Wechselwirkung mit den verschiedenen Corona-Szenarien, was sich vor allem bei dem pessimistischstem zeigt. Geschlossene Schulen beeinflussen Bildungschancen, geschlossene Grenzen den Handel und die wirtschaftliche Entwicklung.

„Kontinuitätsszenario“ – das wahrscheinlichste

Der Wissenschaftsrat bezeichnet dieses Szenario als das wahrscheinlichste. Hierbei wird Covid-19 endemischer, trotzdem sind immer wieder Auffrischungsimpfungen nötig, um die Pandemie kleinzuhalten. Weiterhin wird es aber auch viele ungeimpfte Menschen geben, vor allem in ärmeren Ländern. Ausbrüche wird es nur noch in Form von endemischen Seuchen und regional geben. Die betroffenen Gesundheitssysteme geraten dann unter Druck, in ärmeren Ländern können sie auch zusammenbrechen.

Derweil sinken das Vertrauen in den Staat und der soziale Zusammenhalt, die Gesellschaft driftet auseinander. Der Populismus wird stärker. Bei Lieferketten kommt es immer wieder zu Problemen, was sich auch negativ auf die Lebensmittelversorgung in ärmeren Ländern auswirkt. Auch die Bildung wird weiterhin in Mitleidenschaft gezogen. Laut Wissenschaftsrat kündigt sich in diesem Szenario eine Bildungsmisere an, als Folge sinken Verdienstchancen der jüngeren Generation.

„Szenario der versäumten Besserung“ – das pessimistische

Nicht ganz so wahrscheinlich, dafür deutlich pessimistischer ist das Szenario der versäumten Besserung. Hierbei führen der Impfstoffmangel in ärmeren Ländern und die Verweigerungshaltung einiger in reicheren Ländern zu einer weltweit niedrigen Impfquote. Die Folge: Etliche Virusvarianten sind in der Lage, die Immunantwort des Menschen zu unterlaufen. Mehr Infektionen bedeuten auch eine höhere Wahrscheinlichkeit auf noch immunresistentere Varianten. Regional werden Lockdowns notwendig, um Corona-Ausbrüche einzudämmen. Die Gesundheitssysteme geraten schwer unter Druck.

Auch die sozialen Folgen werden in diesem Szenario nicht aufgefangen. Staaten handeln egoistisch und nationalistisch, es kommt zu geopolitischen Spannungen und Kriegen. Dies erhöht die weltweite Ungleichheit. Starker Populismus erschwert die internationale Zusammenarbeit zusätzlich und lässt auch das Vertrauen in die Wissenschaft weiter sinken. Auch die Bildung der jüngeren Generation leidet. Weil die Corona-Krise weiterhin sehr akut bleibt, werden andere wichtige Ziele wie der Klimaschutz oder Kampf gegen Terror und Hunger vernachlässigt und nicht erreicht.

„Szenario von Zusammenarbeit Plus“ – das optimistische

Der Name verrät es bereits: Für das optimistischste der drei Szenarien ist eine internationale Zusammenarbeit auf gutem Niveau die Grundvoraussetzung. So könnten Impfstoffe gerecht verteilt werden, die weltweite Impfquote auf über 80 Prozent klettern. Die Gesundheitsbehörden reicher Länder haben die Pandemie in diesem Fall – auch dank Investitionen in die Digitalisierung und das Gesundheitssystem – im Griff, strenge Maßnahmen zur Infektionseindämmung sind nicht notwendig. Im Infektionsfall sind antivirale Medikamente verfügbar sowie günstig und sorgen für eine gute Behandlung.

Weil sich die Corona-Pandemie in diesem Szenario entspannt, können auch andere Ziele wieder stärker in den Fokus rücken. So räumt der Wissenschaftsrat beispielsweise dem Klimaschutz in diesem Szenario die besten Chancen ein. Aber auch das Aufholen der verpassten Bildung während der ersten Jahre der Pandemie gelingt in diesem Fall.

Das könnte Sie auch interessieren:

Dem optimistischen Szenario räumt der Wissenschaftsrat allerdings die geringsten Chancen ein. Denn Anzeichen für eine gute internationale Zusammenarbeit, die dafür notwendig wäre, habe es in der bisherigen Pandemie nicht gegeben. „Politiker haben sich vornehmlich auf nationale Lösungen fokussiert. Allerdings erfordert eine globale Krise globale sowie regionale Zusammenarbeit und Lösungen“, heißt es in dem Bericht des ISC. Damit das optimistische Szenario eintritt, müsste die Politik altruistisch, also ohne Egoismen handeln. Nur wenn die Menschheit kooperiert, so das Fazit der Studie, kann sie Covid-19 endgültig überwinden.

KStA abonnieren