Droht eine neue Pandemie?„Übergang von Tier auf Mensch hat bereits stattgefunden“

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Wissenschaftler aus China haben ein neues Schweinegrippe-Virus identifiziert, von dem in Zukunft die Gefahr einer weiteren Pandemie ausgehen könnte.

  • Die Bewältigung der Corona-Pandemie ist längst nicht abgeschlossen. Doch viele Wissenschaftler treibt schon die nächste Pandemie um.
  • In China wurde ein verändertes H1N1-Virus entdeckt, das sich rasch verbreiten könnte.
  • Professor Oliver Cornely von der Kölner Uniklinik ordnet das Virus ein – und erklärt, warum wir uns mitten in einer pandemischen Phase befinden.

Herr Cornely, wie lassen sich Zoonosen von anderen Infektionskrankheiten unterscheiden?

Zoonosen sind alle Krankheiten, die vom Tier auf den Menschen übertragen werden. Man hat drei Beteiligte: Den Erreger, das Tier und den Mensch. Einige Zoonosen, beispielsweise die Influenza-Grippe, lassen sich eindeutig nachweisen. Es gibt auch Erreger, bei denen man nicht sicher von einer Zoonose sprechen kann, weil man sie im Tierreich bislang nicht gefunden hat. Ein Beispiel dafür wäre HIV.

Wo lässt sich Malaria hier verorten?

Bei Malaria sprechen wir von einem Sonderfall, weil die Krankheit vom Insekt auf den Menschen übertragen wird. Die Tierwelt funktioniert hier nicht als Reservoir der Krankheit, es ist eine Übertragung von Mensch zu Mensch, die über eine Mücke vonstattengeht. Man kann Antikörper gegen Malaria aber auch in Nutztieren wie Kühen nachweisen – von einer Zoonose ist hier dennoch nicht zu sprechen.

Sind einige Teile der Welt besonders anfällig für neuartige Zoonosen?

Bei der Verortung muss man immer aufpassen, denn sie hat oft einen geopolitischen und nichtwissenschaftlichen Hintergrund. In alten deutschen Lehrbüchern steht, die Grippe komme aus Russland. Das ist womöglich nicht falsch, aber dort ist das Virus mit Sicherheit nicht entstanden. Tatsächlich entstehen viele Zoonosen in Südostasien. Das liegt am engen Miteinander von Tier und Mensch. Besonders problematisch ist hier die häufige Haltung von Schweinen und Vögeln auf engem Raum. Hier kann es zu gefährlichen Übertragungen zwischen Tieren kommen – an dieser Stelle werden Mutationen von Grippeviren gefunden.

Wäre das Coronavirus nie aufgetreten, wenn es diese Enge zwischen verschiedenen Tieren und Menschen nicht geben würde?

Das Rekombinieren von Virusteilen beschränkt sich auf Influenzaviren. Bei Sars-CoV-2 habe ich eine andere Annahme: Vermutlich gab es das Virus schon länger, es wurde lediglich nicht auf den Menschen übertragen. Die Nähe zu Tieren ist mit Sicherheit ein begünstigender Faktor, ausschließen lassen sich Zoonosen aber keineswegs, indem man „Wet markets“ wie in Wuhan verbietet.

Im Mittelalter haben Mensch und Tier in Mitteleuropa auf engstem Raum zusammengelebt. Ist davon auszugehen, dass es auch dort Zoonosen gab – oder beschränkt sich das Phänomen auf die Massentierhaltung?

Zoonosen hat es schon immer gegeben. Es ist schwer, diese Dinge nachzuvollziehen, weil Wissen über die Ursachen von Krankheiten vor einigen Jahrhunderten kaum vorhanden war. Klar ist, dass es Zoonosen an sich – also die Übertragung vom Tier auf den Menschen – schon immer gegeben hat. Wirklich problematisch wird es, wenn diese Erreger auch von Mensch zu Mensch übertragen werden. Ohne diese haben Zoonosen kein pandemisches Potential.

Ist bei Zoonosen auch eine Übertragung von Mensch auf Tier denkbar?

Durchaus, ja. Wir wissen, dass Tiger im New Yorker Zoo und Nerze in den Niederlanden mit Coronaviren infiziert wurden. Und Elefanten können vom Menschen zum Beispiel mit Tuberkulose angesteckt werden.

Welche Aspekte begünstigen Zoonosen?

Neben der Kultivierung von Naturräumen, bei der eine Annäherung von Mensch und Tier unausweichlich ist, ist die Erderwärmung zu nennen. Beispielsweise gibt es afrikanische Bienen, die aufgrund von klimatischen Veränderungen plötzlich Nordamerika bevölkern. Auch das Dengue-Fieber ist aufgrund von veränderten Temperaturen heute in Nordamerika; vor einigen Jahrzehnten war es auf Mittel- und Südamerika beschränkt. Auch das plötzliche globale Auftreten des gefährlichen Candida auris-Pilzes könnte auf das veränderte Klima zurückzuführen sein. Auch das ständige Bevölkerungswachstum und hohe Mobilität begünstigen Pandemien, weil sie die globale Übertragung von Mensch zu Mensch erleichtern. Zwar hat es Zoonosen und Pandemien schon immer gegeben, heute allerdings ist die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten beider Phänomene besonders hoch.

Stehen wir am Beginn einer pandemischen Phase?

Ich würde sagen, dass wir in einer pandemischen Phase sind – mindestens seit rund hundert Jahren. Auf diesem Kontinuum steigern wir ständig die Wahrscheinlichkeit für Pandemien. Insbesondere die Gleichzeitigkeit von zwei leicht übertragbaren Viren, welche die Atemwege angreifen, ist problematisch. An der Uniklinik hatten wir diese Fälle bereits: Neben Sars-Cov-2 waren Patienten mit dem humanen Metapneumovirus infiziert. Dieses ist an sich zwar nicht besonders gefährlich, in der Kombination drohen allerdings schwerere Verläufe. Auch der Winter dürfte durch die Kombination von Influenza und Corona eine Herausforderung werden.

Vor kurzem wurde in China das Schweinegrippe-Virus G4 entdeckt. Müssen wir hier die nächste Pandemie befürchten?

Der Übergang vom Tier auf den Menschen hat bereits stattgefunden. Immerhin haben sich bei den Infizierten Antikörper gebildet. Ob sich das Virus von Mensch auf Mensch übertragen kann, ist noch unklar – es wird allerdings befürchtet. Was mir Sorgen macht, ist, dass es sich bei G4 um eine abgewandelte Form von H1N1 handelt. Dieses hat die Spanische Grippe vor rund hundert Jahren und die Schweinegrippe vor gut zehn Jahren ausgelöst. Vor diesem Hintergrund ist G4 durchaus beunruhigend.

In der anfänglichen Bewältigung des Coronavirus ging es darum, den Kollaps des Gesundheitssystems zu vermeiden. Ist ein massiver Ausbau unter Berücksichtigung derpandemischen Phase unausweichlich?

Ja. Und ich glaube, das hat jeder verstanden. Gesundheitsämter haben wir im Laufe der letzten Jahrzehnte heruntergespart. Das ist uns jetzt auf die Füße gefallen. Wir waren nicht in der Lage, alle Kontaktpersonen von Corona-Infizierten konsequent nachzuverfolgen. Unser Sparkurs war glücklicherweise nicht so radikal, dass es zu Triage-Situationen kam, in denen nicht jeder Intensivpatient behandelt werden kann. Man müsste die Kapazität erhöhen, um bei neuen Viren schnell eindämmen und umfänglich testen zu können. Sollten massenweise Intensivpatienten zu behandeln sein, reicht es allerdings nicht, ausreichend Material und Maschinen zu haben. Man braucht auch viel gutes Personal im Gesundheitswesen.

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