Für die LeberExperte weiß, was besser ist als ein Alkoholverzicht in der Fastenzeit

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Ernste Erkrankungen wie eine Fettleber oder eine Zirrhose bemerken Patienten meist nicht, weil die Leber keine Schmerznerven hat.

Wussten Sie, dass die Leber keine Schmerznerven hat? Nein? Dann geht es Ihnen wie dem Autor Ulf Goettges vor seiner Lebererkrankung. Sie veranlasste ihn, sich intensiv mit dem Organ zu befassen. Warum ein Joghurt ihn auf die Idee brachte, gemeinsam mit seinem Arzt Professor Ansgar Lohse, Klinikleiter am Universitätsklinikum Hamburg- Eppendorf, ein Buch über die Leber zu schreiben, verrät er im Interview. Lohse berichtet über die Funktionen der Leber und erklärt, welches Verhalten ihr gut tut. „Dinner for One“ haben viele erst wieder zum Jahreswechsel geschaut. Butler James kippt nach Ihren Berechnungen gleich 16 Gläser in sich hinein, nimmt dabei 192 Gramm Alkohol auf und hat stolze 3,92 Promille. Mal abgesehen davon, dass bei solchen Promillewerten schon Lebensgefahr besteht: Wie schlimm ist ein solcher Vollrausch für die Leber? Ansgar Lohse: Erstaunlicherweise ist es gar nicht so schlimm für die Leber. Sie kann es wegstecken, was die enorme Leistungsfähigkeit des Organs zeigt – so lange es ein einmaliger oder seltener Vollrausch bleibt.

Nach Karneval legen viele Menschen eine Alkoholpause ein. Der Verzicht ist für die Leber wahrscheinlich ein wohl verdienter Jahresurlaub, oder? 

Lohse: Ich fürchte der Erholungseffekt ist für die Leber nicht so groß – es bringt dem Organ keine wesentliche Erholung, wenn danach wieder viel getrunken wird. Eine Pause kann sogar für Schädigungen danach empfindlicher machen. Dauerhaft weniger Alkohol zu trinken, ist viel besser als ein 40-tägiger Verzicht.

Die Leber als Entgiftungsorgan ist bekannt. Doch bei der Lektüre Ihres Buches war ich überrascht, was sie noch alles kann.

Lohse: Die Leber hat unzählige Funktionen. Sie spielt im Hormon- und im Medikamentenstoffwechsel eine große Rolle – manche Medikamente werden erst durch die Prozesse in der Leber wirksam. Praktisch alle Eiweiße, die wir im Körper haben, werden dort hergestellt. Nur durch die Leber können Menschen Hungerperioden überleben, das Organ wandelt unsere Reserven in verwertbare Glukose um. Auch für die Immunabwehr ist sie extrem wichtig.

Herr Goettges, Sie haben sich nach einer Leberkrankheit sehr für dieses Organ interessiert. Was sollten Laien Ihrer Meinung nach über die Leber wissen?

Ulf Goettges: Wissen ist die beste Medizin. Hätte ich vor meiner Lebererkrankung mehr über das Organ gewusst, hätte ich mir so manches Leid ersparen können. Diese Erfahrung hat mich gelehrt: Es hilft sehr, jede seriöse Informationsquelle zu nutzen. Löchern Sie ihren Hausarzt, vor allem: Lassen Sie Ihre Leberwerte regelmäßig testen. Nur im vertrauensvollen Arzt-Gespräch erfahren Sie, wie Sie Ihre Leber gut behandeln, damit sie die Aufgaben verrichten kann, für die sie bestimmt ist. Aber meiden Sie Dr. Google. Der hat kein Studium und verbreitet oft gefährliches Halbwissen.

Sie waren also vor Ihrer Krankheit auch so überrascht wie ich, dass die Leber so viel kann?

Goettges: Ja! Bei der Behandlung meiner Erkrankung stieß ich zunehmend auf Fragen: Wie kann es sein, dass ich über ein zentral lebensbestimmendes Organ so wenig weiß? Die Initialzündung zu unserem Buch wurde schließlich profan durch Joghurt ausgelöst. Um wieder Körpergewicht zu gewinnen, bekam die ich die Empfehlung, Sahnejoghurt zu essen. Jedoch: keinen Fruchtjoghurt. Was hat Fruchtjoghurt bitte mit der Leber zu tun? Da machte es „klick“: Plötzlich war mir klar, dass Lebergesundheit nicht allein eine Aufgabe der Medizin ist, sondern viele Bereiche unseres persönlichen Alltags fordert, ohne dass wir es ahnen. Wenn ich also solche Fragen habe, überraschen die Antworten darauf auch viele andere und helfen ihnen, gesünder zu leben. Glücklicherweise teile ich diese Überzeugung mit Prof. Lohse. So entstand unser Buch.

Wenn Sie gerade schon den Fruchtjoghurt ansprechen. In Ihrem Buch steht: „Ein Apfel ist gesund, zwei machen die Leber fett“. Ist Obst gar nicht so gesund, wie man denkt?

Lohse: In der Evolution war es gar nicht vorgesehen, dass wir so viel Fruchtzucker essen, wie wir es heute tun. Unsere Leber kann die Fruktose nicht gut verarbeiten. Essen wir mehr als einen Apfel am Tag oder nehmen Fruktose aus anderen Quellen – zum Beispiel durch Fruchtjoghurt – zu uns, wird ein Teil davon zu Fett umgewandelt. Das führt zu einer Fettleber.

Eine Fettleber – können Sie erklären, was das genau ist?

Lohse: Überschüssige Kalorien kann die Leber zunächst noch als komplexen Zucker, wenn die Speicher aber voll sind, nur noch als Fett abspeichern. Dieses Fett wird direkt in der Leber gespeichert und wandert erst nach und nach auf die Hüfte. Dieses Fett mag die Leber nicht und es führt häufig zu einer Entzündungsreaktion, einer Fettleber-Entzündung. Das ist eine ernste Erkrankung. Problematisch: Betroffene spüren nicht, wie es um die Leber steht, weil die Entzündung ohne merkliche Symptome abläuft. Mittlerweile sind etwa 20 Prozent der Bevölkerung in Deutschland davon betroffen.

Hilft denn Fasten, um die Leber zu entlasten?

Lohse: So lange es nicht zu radikal ist, ja. Die Leber mag aber keine Extreme – weder Hunger noch zu viel Nahrung. Sie mag es in Maßen. Eine radikale Fastenkur kann zu einer Fettleber führen: Die Leber muss Glukose, den Brennstoff, den wir zum täglichen Funktionieren unserer Atemmuskulatur und unseres Gehirn brauchen, aus der Reserve herstellen. Es ist aber wahnsinnig anstrengend für sie.

Und warum können Mettbrötchen gefährlich werden?

Goettges: Rohes Fleisch von Haus- und Wildschweinen, also zum Beispiel die beliebte „Maurermarmelade“ frisches Mett, ist eine der wesentlichen Quellen für eine Infektion mit Hepatitis E. Darum treten in Regionen, in denen viel rohes Mett gegessen wird, mehr Hepatitis-E-Fälle auf als in anderen Gegenden. Auf den Verzehr von Mett folgt natürlich nicht zwangsweise eine Hepatitis E – doch die Gefahr, sich auf diesem Weg mit dem Virus zu infizieren, sollte man nicht unterschätzen. Denn unentdeckt und unbehandelt kann diese Form der Leberentzündung langfristig eine lebensbedrohliche Leberzirrhose verursachen. Darum ist es sehr begrüßenswert, dass Blutkonserven künftig immer auch auf die Erreger von Hepatitis E getestet werden. So wird verhindert, dass zum Beispiel Transplantations-Patienten unwissentlich infiziert werden und so der Gefahr eines schweren Leberschadens ausgesetzt sind. Denn das wäre doppelt tragisch: Durch die Transplantation gerettet – aber durch die Bluttransfusion in ernste Gefahr gebracht.

Zum Weiterlesen

Prof. Dr. Ansgar W. Lohse, Ulf C. Goettges: „Das Schweigen der Leber. Die lebenswichtigen Geheimnisse eines stillen Organs.” Trias, 263 Seiten, 16,99 Euro

Foto: Trias

Was passiert bei einer Leberzirrhose?

Lohse: Die Zirrhose ist eine Vernarbung der Leber. Die Leber kann als einziges Organ nachwachsen, eine großartige Fähigkeit, aber durch Narben wird die Möglichkeit der Leber nachzuwachsen behindert. Die Leberzellen haben keinen Platz mehr zum Wachsen. Wenn immer mehr Narben entstehen, kann die Leber ihre Funktionen nicht mehr ausführen.

Warum bemerken Patienten oft nicht, dass ihre Leber leidet?

Lohse: Die meisten merken es nicht, weil die Leber keine Schmerznerven hat. Heißt: Sie schmerzt auch bei einer Zirrhose nicht. Man erkennt sie erst, wenn die Funktionen eingeschränkt sind und sich die Haut gelblich verfärbt oder sich Wasser im Bauchraum ansammelt.

Ich kann mich daran erinnern, dass eine Schulfreundin von mir ins Krankenhaus musste, weil sie bei einer Ohrenentzündung mehr Schmerzmittel (Paracetamol) genommen hat, als es ratsam ist. Wie gefährlich können Schmerzmittel werden?

Lohse: Paracetamol in einer normalen Dosierung wird von der Leber sehr gut vertragen. Wenn man deutlich mehr als drei Gramm an einem Tag nimmt, kann es bei diesem Wirkstoff zu einem akuten Leberversagen kommen. Es gibt aber auch allergische Reaktionen der Leber auf einige Schmerzmittel.

Kürzlich habe ich in einem Interview erfahren, dass die Etrusker ihre Schafe an unbekannten Orten weiden ließen, um zu prüfen, ob man sich dort ansiedelt. Nach einiger Zeit schlachteten sie einige Tiere und schauten sich ihre Leber an. War das Organ noch in Schuss, war es für die Etrusker ein Zeichen, dass der Boden und das Land gut ist, um dort eine Stadt aufzubauen. Eine gute Idee? Kann man an der Leber erkennen, dass es Umweltgifte gibt?

Lohse: Ein Beispiel ist der Knollenblätterpilz – er kann ein akutes Leberversagen verursachen. Das kann man auch mit Tieren testen, wenn sie es nicht fressen, sollten Menschen es besser auch nicht verzehren. Für einzelne Giftstoffe kann es also funktionieren, die Leber von Tieren zu untersuchen.

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Forschungen an der Leber könnten Menschen, die von Autoimmunkrankheiten oder Allergien geplagt werden, helfen. Können Sie kurz erklären, wie das funktioniert?

Lohse: Ich gehe noch mal einen Schritt zurück zu Hepatitis B und C – sie gehören heute zu den häufigsten Infektionskrankheiten. Warum? Das Virus sitzt in der Leber. Das Immunsystem in der Leber versucht generell möglichst selten zu reagieren, weil wir so viele Stoffwechselprodukte in diesem Organ haben – würden wir darauf reagieren, würden wir zu Grunde gehen. Das machen sich diese Viren zunutze und verstecken sich in der Leber. Diese Nichtreaktion nutzen wir in der Forschung: Indem wir das Antigen, wogegen das Immunsystem bei einer Autoimmunerkrankung oder Allergie reagiert, in die Leber packen und dem Immunsystem so beibringen, dass es nicht dagegen kämpfen soll. Im Tierexperiment funktioniert dieses Prinzip schon hervorragend und geht in die ersten klinischen Studien.

Herr Lohse, Herr Goettges, vielen Dank für das Gespräch.

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