Erste Fälle in KölnWie die indische Variante die Corona-Pandemie verändern wird

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Was verändert die indische Mutation?

Köln – Indien steht vor dem Kollaps. Die zweite Corona-Welle überschwemmt das Land, nahezu täglich vermelden die Behörden neue Höchstwerte an Neuinfektionen. Angehörige feilschen für Mondpreise um Sauerstoffflaschen, die Medikamente werden knapp. Ein großer Teil dieser Neuinfektionen geht auf die indische Virusmutation B.1.617 zurück. Nun ist die Variante auch in Köln angekommen. Was hat das zu bedeuten, wie wird die Mutation die Pandemie verändern? Wir haben uns mit Experten unterhalten, erklären neue Studienergebnisse und blicken voraus auf die Sommermonate. Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Was sind Escape-Mutationen?

Wie die brasilianische und die südafrikanische Variante weist auch B.1.617 Escape-Mutationen auf. Escape-Mutationen, auf deutsch Fluchtmutationen, können der Immunantwort teilweise ausweichen. Hat der Körper bereits Antikörper gegen das Ursprungsvirus gebildet, können diese schlechter an die Mutation andocken. Das bedeutet: Sowohl Genesene als auch Geimpfte sind nicht ausreichend vor einer Neuinfektion geschützt, wenn auch die Wahrscheinlichkeit für einen schweren Verlauf sinkt. „Dass wir überhaupt Immun-Escape-Varianten haben, macht die Lage durchaus kompliziert“, sagt Prof. Florian Klein, Leiter der Virologie an der Kölner Uniklinik.

Wie gefährlich ist B.1.617?

Die indische Variante B.1.617 weist drei Mutationen an einem Protein der Virushülle auf. Die eine erleichtert es dem Virus, in menschliche Zellen einzudringen – ähnlich wie die britische Mutation B.1.1.7. Zugleich ermöglichen zwei Mutationen bei der indischen Variante einen Immun-Escape. „Das bedeutet: Manche Antikörper, die das Ursprungsvirus binden, verlieren ihre Wirkung“, sagt Klein. „Man muss solche Varianten also immer ernst nehmen.“ Dem stimmt SPD-Gesundheitsexperte Prof. Karl Lauterbach zu: „Ich halte die indische Variante für deutlich gefährlicher als die Ursprungsvariante und auch für gefährlicher als B.1.1.7“, so der Epidemiologe.

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Was unterscheidet die Variante von anderen?

Genau wie die brasilianische und die südafrikanische Variante weicht auch B.1.617 dem Immunsystem aus, zudem kann die Variante ähnlich gut in die menschlichen Zellen eindringen wie die britische Variante. Gefährlicher als die anderen Variationen des Virus ist B.1.617 dennoch nicht. „Die Größenordnung, in der die Variante der Antikörperantwort ausweicht war in ersten Studienergebnissen eher moderat“, sagt Florian Klein. Der Immun-Escape ist bei der indischen Variante also etwas niedriger.

Die schreckliche Lage in Indien, sagt Klein, führe er eher auf weitreichende Lockerungen bei wenigen Impfungen zurück. „Als die ersten Varianten wie B.1.1.7. in Deutschland auftraten, war schnell klar, dass wir hier eine ganz neue Situation in der Pandemie haben. Das sehe ich bei B.1.617 aktuell nicht“, sagt Klein. „Die indische Variante ist aus meiner Sicht vergleichbar mit den anderen Immun-Escape-Varianten, die wir in ähnlicher Form schon in Deutschland haben.“

Wie gut wirken die Impfstoffe gegen die Mutante?

In einer indischen Studie wurde untersucht, wie die Variante auf Impfungen und Antikörper reagiert. Die Variante habe „mit sehr großer Wahrscheinlichkeit in einer teilimmunen Bevölkerung einen Vorteil“, sagt Klein. „Eine fundamental andere Situation zu bereits bekannten Escape-Varianten erwarte ich aber nicht“.

Untersucht wurde in der Studie lediglich die Wirkung des Covaxin-Impfstoffes – ein Mittel, das auf inaktivierten Viren basiert und in der EU nicht zugelassen ist. Aber: Weil der Covaxin-Impfstoff „gegen B.1.617 gut wirkt, ist es sehr unwahrscheinlich, dass die hier zugelassenen Impfstoffe nicht wirksam sind“, sagt der Virologe.

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Ähnlich sieht es Lauterbach: „Covaxin ist kein besonders starker Impfstoff“, sagt der Epidemiologe. Da dieser jedoch gegen B.1.617 wirke, sei es wahrscheinlich, dass Biontech, Moderna oder Astrazeneca es auch tun. Auch die Immunreaktion von Menschen, die bereits infiziert waren, stimme ihn „optimistisch, dass auch die Impfungen wirken werden“. Die Größenordnung, in der die Neutralisierung der Antikörper in der Studie sank, sei „nicht besorgniserregend“.

Wie kam die Variante nach Köln?

Nach Angaben des Gesundheitsamtes durch zwei Reiserückkehrer aus Indien. Einer der Infizierten habe die Quarantäne inzwischen verlassen, der andere werde aktuell stationär behandelt.

„Wir wissen damit so umzugehen, dass es keiner besonderen Vorsichtsmaßnahmen im Vergleich zu der britischen oder südafrikanische Variante bedarf“, sagt Johannes Nießen, Leiter des Gesundheitsamtes: „Die AHA-Regeln gelten weiter, genauso wie die Quarantäne-Regeln.“ Es seien durch das Auftreten der Variante vorerst „keine weiteren Maßnahmen erforderlich, weil keine höhere Ansteckungsgefahr besteht“.

Wie wahrscheinlich ist eine Verbreitung in Deutschland?

Dass es weitere Infektionen mit B.1.617 geben wird, gilt als sicher. Eine flächendeckende Ausbreitung hingegen scheint eher unwahrscheinlich. „Die Frage ist, wie stark sie sich verbreitet“, sagt Lauterbach: „Wir haben auch schon sporadisch Fälle von der brasilianischen und südafrikanischen Variante in Deutschland gehabt.“ Einen großen Selektionsvorteil habe aktuell einzig die britische Variante, die das Infektionsgeschehen in Deutschland dominiert. Es gibt keine Hinweise dafür, dass sie zeitnah von der indischen Variante abgelöst wird. Wäre B.1.617 „früher nach Deutschland gekommen“, wäre die Lage schwieriger, meint Lauterbach.

Welche Varianten können bei einer teilimmunen Bevölkerung gefährlich werden?

Rund jeder vierte Deutsche hat bereits eine Erstimpfung gegen das Coronavirus erhalten. Läuft die Impfkampagne nach Plan, ist es im Sommer mehr als die Hälfte der Bevölkerung. In einer solchen Lage haben Virusvarianten, die Escape-Mutationen aufweisen, gegenüber anderen einen Vorteil. Darunter fällt die brasilianische und die südafrikanische, aber auch B.1.617. Die ersten beiden könnten unter diesen drei den Vorteil haben, sich früher verbreitet zu haben.

Ist eine Variante denkbar, gegen die zugelassene Impfstoffe nicht wirken?

Bei Varianten, die der Immunantwort entkommen können, sind Impfungen nicht zwingend wirkungslos. „Die Mutationen, die man findet, weisen häufig Ähnlichkeiten auf – teilweise sind sie sogar identisch“, sagt Klein. Das sei verständlich, „da das menschliche Immunsystem einen sehr ähnlichen Baukasten an Möglichkeiten zu Verfügung hat. Es zeigt aber auch, dass dieses Virus nicht unzählige Möglichkeiten hat, unserer Immunantwort zu entkommen.“ Für den Virologen ist klar: „Jemand, der schon einmal immunisiert wurde, hat eine viel bessere Ausgangslage, auch mit einer Variante zurecht zu kommen. Dadurch werden viele schwere Verläufe vermieden. Dass es eine Variante gibt, die alles auf null dreht, halte er zurzeit „für eher unwahrscheinlich“.

Man habe im Labor gesehen, dass Varianten, die Impfungen wirkungslos machen, theoretisch möglich sind, sagt Lauterbach. Doch es gebe „Faktoren, die hier entgegenwirken.“ Erstens: „Die Impfstoffe, die wir haben, greifen ein breites Spektrum der Immunantwort ab.“ Zweitens müsse das Virus für einen kompletten Immun-Escape „mehr machen als den Antikörpern auszuweichen – es müsste auch die T-Zellen abwehren.“ Das gelingt der Variante B.1.617 ebenso wie anderen Escape-Mutationen bisher nicht.

Was hilft gegen Corona-Mutationen?

Impfungen. „Um Infektionen in gleichem Maße zu reduzieren, müssen wir aufgrund der B.1.1.7 Variante aktuell mehr tun als vor einem Jahr“, sagt Klein mit Blick auf die politischen Maßnahmen. Doch er vermute, „dass wir mit der zu erwartenden Impf-Geschwindigkeit noch im Juli eine deutlich besser Situation haben.“ Man könne dies aktuell in Israel und Großbritannien sehen: „Infektionszahlen gehen dort nun trotz Lockerungen zurück. Wenn der R-Wert unter eins ist, gehen die Zahlen zurück.“ Wie man diesen Wert erreiche, „ob durch Impfungen oder Kontaktbeschränkungen“, sei für das Infektionsgeschehen „erstmal egal.“

Auch die Beobachtung der Virusvarianten und ihrer Verbreitung hilft gegen die neuen Varianten. Bundesweit gebe es „das vorgegebene Ziel, dass 20 Prozent der Proben sequenziert werden sollen. Damit entdeckt man nicht viel“, sagt Lauterbach. Doch „Köln geht an dieser Stelle voran“, betont er, denn die Stadt hat als erste in Deutschland beschlossen, jeden positiven PCR-Test auf Mutationen zu überprüfen. Auch deshalb wurden hier zwei der ersten Fälle entdeckt.

Drittens schützt die Vermeidung von Infektionen vor Mutationen. „Wenn wir sehr schnell vieles öffnen, dann haben wir auch sehr schnell steigende Fallzahlen“, sagt Lauterbach.  

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