Evolution von Covid-19Warum das Coronavirus 2022 gefährlich mutieren könnte

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Symbolbild.

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  • 2022 wird das dritte Jahr werden, in dem wir mit der Corona-Pandemie leben müssen.
  • Neue Mutationen verändern das Virus und stellen Politik wie Gesellschaft vor immer neue Herausforderungen.
  • Wird das Leben mit dem Coronavirus zum Normalzustand? Virologe Friedemann Weber wagt eine vorsichtige Prognose.

Es wäre zu schön, um wahr zu sein: Covid-19 wird uns zwar noch lange begleiten, der Erreger entwickelt sich aber zu einem eher harmlosen Schnupfen-Virus. Möglich wäre das schon. Nach den Gesetzen der Evolution setzen sich die Organismen durch, die am fittesten sind und die meisten Nachkommen in die Welt setzen, die sich dann selbst wieder besonders erfolgreich fortpflanzen.

Da Viren sich aus eigener Kraft nicht vermehren können, kapern sie einen Wirt und spannen ihn zur eifrigen Produktion neuer Viren ein. Ohne diese Hilfe wären sie zum Untergang verurteilt. Die Schlussfolgerung liegt daher nahe, gut angepasste Parasiten sollten ihrem Gastgeber am besten gar nicht oder zumindest nicht allzu sehr schaden.

Der Covid-19-Erreger SARS-CoV-2 hält sich zwar nicht so recht an diese Maxime, ist aber auch erst vor kurzem von einem Tier auf Menschen übergesprungen. Die Evolution hatte daher noch nicht genug Zeit, um ihn an die neuen Verhältnisse anzupassen – tatsächlich sterben nach Berechnungen des Berliner Robert-Koch-Instituts (RKI) 0,4 bis 0,9 Prozent der in Deutschland mit Covid-19 infizierten Menschen an und mit dem Erreger.

Da SARS-CoV-2 in absehbarer Zeit wohl kaum aus der Welt verschwinden und sich wohl dauerhaft oder „endemisch“ bei uns einrichten wird, sollte das Virus sich nach den Regeln der Evolution anpassen und seinen Wirt weniger schädigen. Das Sterberisiko sollte also in absehbarer Zukunft sinken und Covid-19 sich mit der Zeit vielleicht sogar zu einer Art Schnupfenvirus wandeln, das zwar lästig, aber viel weniger tödlich ist.

Corona: Virologen halten Entwicklung zum Schnupfenvirus möglich

„Eine solche Entwicklung kann zwar durchaus eintreten“, erklärt der Virologe Friedemann Weber von der Universität Gießen. „Allerdings ist der Weg zu harmloseren Viren keineswegs sicher, es gibt auch eine ganze Reihe von Gegenbeispielen.“ Besonders dramatisch wirkt das Tollwut-Virus, das sehr häufig durch den Biss eines infizierten Tieres übertragen wird. In der Wunde infizieren die Erreger Nervenzellen und wandern an diesen entlang bis ins Gehirn. Dort dringen sie über Strukturen wie den Nikotin-Rezeptor in die Nervenzellen ein und zwingen diese, neue Viren zu produzieren.

Allerdings sitzen diese neue Viren praktisch in einer Sackgasse, weil es aus dem Gehirn eines Fuchses praktisch kaum Wege gibt, über die sie zum Beispiel einen Menschen infizieren können. Als Ausweg aus dieser Sackgasse verändert der Erreger das Verhalten seines Wirts erheblich und macht aus einem scheuen Fuchs, der einen möglichst großen Bogen um Menschen schlägt, ein Tier, das eher die Nähe von anderen Arten sucht und daher recht zahm wirkt.

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Gleichzeitig macht die Infektion die Tiere aber auch aggressiver – deshalb schnappen tollwütige Hunde oder Füchse oft unverhofft zu. Gleichzeitig hat die Infektion den Speichelfluss seines Wirts angeregt und im Speichel auch größere Mengen Virus hinterlassen. Diese werden mit einem solchen Biss auf das neue Opfer übertragen und ein neuer Vermehrungszyklus beginnt.

Allerdings wird bei einem Biss nur ein kleiner Teil der neu produzierten Viren übertragen, der große Rest aber vermehrt sich im Gehirn weiter. Dort werden so immer mehr Nervenzellen zerstört, die normalen Funktionen fallen zunehmend aus, Lähmungen treten auf. Tollwut-infizierte Menschen werden von Angstzuständen geplagt, sind verwirrt, haben durch einen vermehrten Speichelfluss manchmal „Schaum vor dem Mund“ und bekommen aus den nichtigsten Gründen Wutanfälle, bei denen sie auch körperlich aggressiv werden und so das Virus übertragen können. Zwei bis zehn Tage lang häufen sich nach den ersten Symptomen die Schäden im Gehirn an, bis die betroffenen Menschen ohne die geringste Heilungschance sterben.

Tödlicher Kreislauf bei Viren funktioniert seit Jahrtausenden im Tierreich

„Wahrscheinlich funktioniert dieser tödliche Kreislauf bereits seit Jahrtausenden, harmloser sind die Tollwut-Viren in dieser Zeit offensichtlich nicht geworden“, erklärt Friedemann Weber. Aus Sicht der Evolution müssen sie das allerdings auch nicht. Schließlich können die Viren durch einen Biss aus der Sackgasse entkommen, die das Gehirn im Prinzip darstellt und auf einen weiteren Wirt überspringen. Dadurch entfällt der Druck der Evolution auf ein Überleben des bisherigen Gastgebers, seinen Tod können die Tollwut-Viren daher verkraften. Und da diese Erreger nicht nur Füchse, Hunde und Katzen, sondern noch sehr viel mehr verschiedene Säugetier-Arten infizieren können, dürfte die Tollwut trotz eines gut wirkenden Impfstoffs nicht vom Aussterben bedroht sein.

Eine andere ökologische Nische haben Ebola-Viren gefunden, die ebenfalls alles andere als harmlos für Menschen sind. Auch diese Erreger können eine Reihe von Arten infizieren, von denen einige in verschiedenen Regionen Afrikas in den Kochtöpfen landen. Beim Zubereiten kranker Tiere können Menschen sich durchaus anstecken.

Sackgasse für Methode der Tollwut-Erreger

Allerdings geraten die Viren dabei ähnlich wie die Tollwut-Erreger in eine vermeintliche Sackgasse: Da Kannibalismus verschwunden ist und verstorbene Menschen normalerweise auch nicht im Magen von großen Raubtieren oder Aasfressern landen, haben Ebola-Viren einen anderen Ausweg gefunden. Im Endstadium der Infektion finden sich im Blut extrem hohe Mengen an Erregern, während die Patienten gleichzeitig unter starken Blutungen leiden.

„Pflegen Angehörige und Freunde oder das Personal von Krankenhäusern diese Patienten, ist die Ansteckungsgefahr durch die riesigen Virusmengen im Blut natürlich groß und wird durch die häufig schlechten hygienischen Bedingungen in den betroffenen Ländern noch verstärkt“, erklärt Friedemann Weber. „Obendrein wissen die Patienten natürlich, dass die Ansteckungsgefahr in den Kliniken sehr hoch ist, viele von ihnen fliehen daher nach Hause und verbreiten so die Infektion auch in entlegene Dörfer.“

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Friedemann Weber

Auch wenn weit über die Hälfte der Erkrankten der Infektion erlag, konnte Ebola so von Februar 2014 bis Januar 2016 zwei lange Jahre in den Ländern West-Afrikas grassieren. Da die Viren bereits 1976 einen größeren Ausbruch am Ebola-Fluss in Zaire verursachten, scheint der Druck der Evolution in Richtung harmlosere Varianten eher gering zu sein. Und dann haben die Viren immer noch die Ausweichmöglichkeit auf eine Reihe weiterer Arten. Ähnliches gilt auch für SARS-CoV-2, das erst vor kurzen von Tieren auf Menschen übergesprungen ist und das sehr viele Tier-Arten infizieren kann. Los werden wir wohl weder Tollwut, noch Ebola und auch nicht Covid-19. Fragt sich nur, wie SARS-CoV-2 sich weiter entwickelt?

„Schon längst haben wir einen kräftigen Evolutionsdruck auf die Viren aufgebaut, indem wir mit Masken, Abstandhalten, Hygiene-Regeln, Quarantäne-Maßnahmen und vor allem mit der Impfung die Ausbreitung erheblich einschränken“, schildert Friedemann Weber die Situation der Viren. Dadurch wächst natürlich der Druck, und die Mechanismen der Evolution begünstigen eine Entwicklung von ansteckenderen Varianten – die ja bereits aufgetreten sind und von denen wahrscheinlich noch weitere auftreten werden.

Keine seriöse Vorhersagen für Mutationen von Covid-19

Aber wird Covid-19 mit der Zeit auch harmloser werden und sich zu einer Art Schnupfenvirus entwickeln? Wird es vielleicht sogar tödlicher werden? Oder ungefähr so gefährlich bleiben, wie es ist? Möglich sind alle diese Entwicklungen aus einem einfachen Grund: Ähnlich wie Ebola lassen SARS-CoV-2-Viren ihre Wirtszellen riesige Mengen an Nachkommen produzieren. Und das auch noch in einem atemberaubenden Tempo.

Dadurch verbreiten Infizierte die Viren oft schon sehr wenige Tage nach ihrer Infektion und bevor bei ihnen Symptome auftreten. Wenn Ärzte und Pflegepersonal auf den Intensivstationen um das Leben schwerer Covid-19-Fälle ringen, haben viele dieser Patienten daher schon lange vorher andere angesteckt. Nach starkem Evolutionsdruck hin zu Viren, die sich langsamer vermehren und so auch die Schwere der Erkrankung und die Sterblichkeit senken, sieht das eigentlich nicht aus. Andererseits gibt es aber auch kaum einen Evolutionsdruck hin zu schwereren Krankheitsverlauf und höheren Todesraten.

„Das Virus hat daher viele Möglichkeiten, es könnte sowohl harmloser wie auch gefährlicher werden“, erklärt Friedemann Weber. In welche Richtung das Pendel am Ende ausschlägt, kann er aber trotzdem nicht wissen: „Seriös lässt sich das einfach nicht vorhersagen!“

Wir werden uns daher überraschen lassen müssen. Zumindest bis zur nächsten Überraschung werden wir also Masken tragen, Abstand halten und alle weiteren Covid-19-Regeln beachten müssen, um es dem Virus so schwer wie möglich zu machen. „Vor allem aber sollten wir die Covid-19-Impfungen weiter vorantreiben“, betont Friedemann Weber. Schließlich haben die sehr erfolgreichen Vakzine gegen Tollwut und Masern diese Erreger bisher zwar nicht harmloser gemacht. Aber sie haben diese Infektionen weit zurück gedrängt und so die Zahl der Opfer drastisch reduziert.

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