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Entdeckt in GroßbritannienDie wichtigsten Fragen und Antworten zur Corona-Mutation

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Coronatests

Coronatests stehen auf einem Tisch (Symbolbild)

Köln – Mutation, die. Häufigkeit: zwei von fünf. Das sagt der Duden. Doch in der Biologie kommen Mutationen häufiger vor als im Sprachgebrauch: Ständig, eigentlich immer, sagen die Experten. Dass Sars-Cov-2 mutiert, sei zu erwarten gewesen. In Großbritannien wurde jüngst eine Variante entdeckt, die sich offenbar deutlich schneller verbreitet. Grund zur Panik? Wir beantworten die wichtigsten Fragen zum Thema.

Warum mutieren Viren?

Das liegt in ihrer Natur. „Überall, wo es in der Medizin um Vermehrung geht, sehen wir spontane Veränderungen in der Erbmasse“, sagt Gerhard Wiesmüller, der stellvertretende Leiter des Kölner Gesundheitsamtes: So kann sich das Leben, auch das Leben eines Virus, weiterentwickeln und anpassen.“

Rolf Kaiser, Virologe an der Uniklinik Köln, stimmt zu: „Mutation und Selektion, das sind biologische Grundprinzipien, die auch hier wirken. Das Virus mit den meisten Vorteilen vermehrt sich am besten.“ Dass sich ein Erreger im Laufe der Zeit ändert, sei immer zu erwarten, „insbesondere dann, wenn es wie im Fall von Sars-Cov-2 von einen Kontinent auf einen anderen wandert.“

Alles zum Thema Christian Drosten

Sind Mutationen gefährlich?

Nicht unbedingt. „Mutationen in eine harmlosere Richtung sind denkbar – denn Viren wollen überleben“, sagt Wiesmüller. Stirbt ein Corona-Infizierter, stirbt auch das Virus in ihm. „Doch manchmal misslingt es der Natur des Virus, überlebensfähiger zu werden – und es wird doch tödlicher.“ Auch Rolf Kaiser hält Mutationen in eine harmlose Richtung grundsätzlich für wahrscheinlich: „Für das Virus ist Veränderung, die seinen Wirt am Leben lässt, grundsätzlich ideal.“

Wird Sars-Cov-2 langfristig gefährlicher?

Das ist Spekulation. „Noch ist unklar, in welche Richtung Sars-Cov-2 langfristig mutiert“, sagt Kaiser. „Hinweise finden wir bei anderen Coronaviren, die es bereits seit mehreren Jahrhunderten gibt: Hier ist die Todesrate sehr gering.“ Es sei durchaus wahrscheinlich, dass einmal deutlich mehr Menschen an älteren Coronaviren gestorben sind. Eine Entwicklung, in der das Virus harmloser wird, sei denkbar, aber nicht sicher.

Was wissen wir über die Mutation in Großbritannien?

Ersten Analysen britischer Wissenschaftler zufolge hat sich die Genetik des Virus in der neuen Variante verändert, vor allem im Spike-Protein. Dieses Protein sitzt auf der Oberfläche des Virus. Die Variante sei 70 Prozent ansteckender als bisherige. Das sei allerdings keinesfalls bewiesen, wendete Christian Drosten, Chefvirologe an der Berliner Charité, am Montag ein. Die 70-Prozent-Zahl sei „einfach so genannt worden“, so Drosten im Deutschlandfunk. Bestenfalls ein Schätzwert. Er sei über die Nachrichten von der Insel „nicht so sehr besorgt.“

Noch deutlicher wird Weltärztepräsident Frank Ulrich Montgomery im Gespräch mit dem RND. „Man sollt alle Angaben von Herr Johnson mit Vorsicht behandeln“, sagte der Mediziner. „Die Tatsache, dass die neue Variante derzeit im Südosten Englands grassiert, ist vor allem der Nachlässigkeit der Menschen dort geschuldet“. Auch Wiesmüller hält den Veränderungsschritt nach bisherigem Kenntnisstand für eher klein: „Die Nachrichten aus Großbritannien versetzen mich nicht in Panik. Doch wir sollten die Situation ernsthaft im Auge behalten.“

Können die Impfstoffe durch Mutationen unwirksam werden?

Nach dem bisherigen Kenntnisstand bleiben die Impfstoffe wirksam. „Die Firmen, deren Impfstoffe im Einsatz sind oder in Studien erprobt werden, haben genaue Informationen darüber, was in den Impfstoffen steckt“, erklärt Kaiser. Nun werde in Simulationen geprüft, wie gut die Impfungen gegen die neue Variante gerüstet sind. „Alle Vorab-Information, die wir bislang haben, sind eindeutig: Die Impfstoffe sind weiterhin wirksam – obwohl das Spike-Protein, auf das die Impfung abzielt, von der Mutation betroffen ist“, so Kaiser. Doch Anpassungen der Mittel seien in kürzester Zeit möglich, „insbesondere bei RNA-Impfstoffen. Das sehe ich als Plan B.“

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Gerhard Wiesmüller hält es Stand jetzt für „sehr unwahrscheinlich, dass die Impfstoffe durch diese Mutation unwirksam werden.“ Sind Kernmerkmale des Virus von einer Mutation betroffen, sei es theoretisch allerdings möglich, „dass bestimmte Varianten die Wirksamkeit von Impfungen unterlaufen.“ Doch auch Wiesmüller setzt in diesem Fall auf schnelle Anpassungen der Impfstoffe, insbesondere derjenigen auf RNA-Basis. Wahrscheinlicher als eine gänzliche Unwirksamkeit sei es, „dass Impfungen durch Virus-Mutationen ab einem gewissen Punkt aufgefrischt werden müssen.“ Auch Drosten und Montgomery denken nicht, dass eine Auswirkung auf die Wirksamkeit des Impfstoffs wahrscheinlich sei.

Ist es die erste Mutation des Virus?

Nein. „Wir beobachten kleine Veränderungen seit Februar“, sagt Kaiser. Auch in Südafrika zirkuliert seit einigen Monaten eine neue Variante, die derjenigen aus Großbritannien ähnelt. Nach aktuellem Kenntnisstand handelt es sich dabei um eine eigenständige Mutation, die nicht der Variante aus Großbritannien entspricht.

Ist die neue Variante schon in Deutschland angekommen?

„Die Wahrscheinlichkeit, dass die Mutation auch in Deutschland angekommen ist, ist groß“, sagt Wiesmüller. Man müsse allerdings entsprechende Analysen abwarten. Auch Rolf Kaiser hält eine schnelle internationale Verbreitung für möglich. „In unserer Welt sind Reisen rund um den Globus möglich. Das ist natürlich erfreulich, führt aber zu medizinischen Problemen“, sagt Kaiser: „Die Ausbreitung von Viren und ihren neuen Variationen lässt sich nicht effektiv verhindern.“ Bis man Genaueres über die spezifische Mutation in England weiß, hält der Virologe „Reisebeschränkungen nach Großbritannien für vernünftig.“

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