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Färben oder nichtSoll ich mit Anfang 30 zu meinen grauen Haaren stehen?

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Oh je, es sind schon wieder mehr geworden...

  • Plötzlich entdeckt man das erste auf dem Kopf: ein graues Haar. Auch unserer Autorin geht es seit einigen Jahren so.
  • Je mehr graue Haare es werden, desto häufiger fragt sie sich: Soll ich färben? Oder zu den grauen Strähnen stehen?
  • Von der Suche nach Vorbildern und dem gesellschaftlichen Druck jünger auszusehen.

Köln – Am Anfang redete ich mir ein, es seien bloß blonde Strähnen. Bestimmt ein bisschen von der Sonne gebleicht, dachte ich mir. Bis eines Tages eine Freundin sagte: „Na, bei dir wird’s aber auch langsam Zeit zu färben.“ Graue Haare? Ich? Nein, das konnte nicht sein. Doch dann fotografierte die Freundin meinen Kopf von oben – und ich konnte es nicht länger leugnen: Da hatten sich ein paar graue Strähnen zwischen meine dunkelblonden Haare gemogelt. Das ist jetzt gut zwei Jahre her. Seitdem sind es natürlich mehr geworden. Und seitdem sinniere ich: Färben ja oder nein? Ich könnte es doch machen wie…

… meine Mutter

Als ich meiner Mutter geschockt von meiner Entdeckung berichtete, entgegnete sie nur lapidar: „Das ging bei mir auch mit Anfang 30 los.“ Na, herzlichen Dank. Tatsächlich ist es – unter anderem – genetisch bedingt, wann man graue Haare bekommt, bestätigt Ralph Schwalbach. Er leitet den Salon „Ralph-Schwalbach-Friseure“ in Köln-Klettenberg.

Neben dem Alter gilt vor allem Stress als ein Faktor, der das Aufkommen grauer Haare begünstigen kann. Das zumindest wiesen Forscher der Harvard-Universität kürzlich bei Mäusen nach. Weitere Faktoren, die mit grauen Haaren im Zusammenhang stehen können, sind Krankheiten, Medikamente, Vitamin-B12-Mangel und Schilddrüsenprobleme.

Und Schwalbach sagt auch: „Bei vielen fängt es so mit 30 an und mit 50 Jahren sind die meisten ziemlich grau.“ Also ist Mama vielleicht doch nicht alleine Schuld. Fakt ist: Sie hat ihre grauen Haare niemals gefärbt. Als Jugendliche fand ich das richtig doof, fast schon peinlich. Graue Haare machten einen doch so viel älter! Damals schwor ich mir, zu färben, sollte es bei mir jemals so weit sein. 

… meine Freundin

Eine andere Freundin bekam ihre ersten grauen Strähnen schon mit 18. Das gibt es nämlich auch. Doch was passiert da eigentlich im Körper? Stellen wir uns das Haar mal wie einen Tannenzapfen vor: Die Haarwurzel produziert den Farbstoff Melanin. Der lagert sich dann in den Hornschichten des Haares, also zwischen den Schuppen des Tannenzapfens ab – und verleiht dem Haar seine Farbe. Je nachdem, wie das Melanin zusammengesetzt ist, sind die Haare blond, braun, schwarz oder rötlich. Doch mit zunehmendem Alter produziert die Haarwurzel nicht mehr genug Melanin, es kann sich kein Farbstoff mehr in den Hornschichten ablagern. „Deswegen sind graue Haare eigentlich gar nicht grau – sondern transparent“, sagt Ralph Schwalbach.

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Die Freundin jedenfalls färbt. Sie wollte nicht schon mit Anfang 20 alt aussehen. Und mit Anfang 30 auch nicht. Dafür nimmt sie übrigens fertige Mischungen aus dem Drogeriemarkt. Bei ihr sieht's gut aus. Allerdings kann das auch daneben gehen, warnt Schwalbach: „Viele lassen sich von den Bildern auf der Packung blenden. Wie die Farbe später aussieht, hängt aber vom Naturton ab.“

… die Kundinnen     

Dann doch lieber gleich in den Friseursalon, oder? Dort wird die Farbe nämlich individuell für die Kundin aus zwei bis drei unterschiedlichen Tönen zusammengemischt. 80 Prozent seiner ergrauten Kundinnen ließen sich die Haare färben, sagt Schwalbach. Färben heißt übrigens: mit Wasserstoffperoxid. Die Flüssigkeit bricht – um im Bild zu bleiben – den Tannenzapfen von außen auf, sodass sich die künstliche Farbe in der Schuppenschicht festsetzen kann. „Es existieren immer noch diese Märchen, dass Leute durch das Färben ihre Haare verlieren würden. Das ist Quatsch. Die Colorierungen sind heutzutage sehr schonend.“

Aber könnte man nicht trotzdem mit natürlichen Mitteln was machen? „Bei 30 Prozent grauen Haaren kann man mit einer Tönung oder Henna einigermaßen dagegen steuern“, sagt der Friseur. „Danach geht mit natürlichen Mitteln nichts mehr, da bekommt man die hundertprozentige Abdeckung nur noch übers Färben.“ Er selbst findet: „Die Haare sind doch das Erste, was man sieht. Und mit gefärbten Haaren sieht man jünger und attraktiver aus, das Haar wirkt voller.“ Doch natürlich habe er auch Kundinnen, die sehr selbstbewusst mit ihren grauen Haaren umgingen.

… Birgit Schrowange

So selbstbewusst vielleicht wie Birgit Schrowange? Als die Moderatorin sich vor drei Jahren in einem Experiment die Farbe raus wachsen ließ, so lange Perücke trug, und dann plötzlich mit silbrig weißer Mähne moderierte, war die mediale Aufmerksamkeit groß. Sah Schrowange nicht attraktiv aus?

Ralph Schwalbach glaubt jedoch nicht daran, dass die grauen Haare ganz echt sind. „Ich bin mir sicher, dass sie mit Silberspülung nachgeholfen hat. So silbrige Haare gibt es in der Natur gar nicht. Normalerweise ist der Ton eher weiß oder gräulich.“

Doch Silber hin oder her: Manche Frauen inspirierte das, zu ihren grauen Strähnen zu stehen. Auch in den sozialen Netzwerken mehreren sich die Fotos der Grauen. Auf Instagram etwa unter dem Account „Grombre“. Auch Salma Hayek postete kürzlich – allerdings wohl coronabedingt – ein Foto mit grauen Strähnen. Und die ebenfalls leicht ergraute Autorin Charlotte Roche sagte letzten Sommer: „Ich freue mich, wenn ich Frauen sehe, die ihre Haare natürlich grau lassen.“

… die Männer

Denn, hat das alles nicht auch was mit Feminismus zu tun? Können wir Frauen nicht genauso würdig ergrauen wie die Männer? Den Herren mit grauem Haar sagt man schließlich sogar nach, auch noch sexy zu sein. Beispiele gefällig?

Googelt man die „Sexiest Man Alive“ der vergangenen fünf Jahre, sind zwei davon bereits ziemlich grau (Blake Shelton und Idris Elba), einer trägt Glatze (Dwayne Johnson) und die anderen beiden (David Beckham und John Legend) sind noch blond beziehungsweise dunkelhaarig. Oder vielleicht auch nicht. Denn ohne hier irgendwelche Gerüchte in die Welt setzen zu wollen, steht fest: „Die Zahl der Männer, die ihre grauen Haare färben lassen, hat extrem zugenommen“, sagt Ralph Schwalbach. Vor zehn Jahren hätten nur 15 Prozent aller Ergrauten nachgeholfen, heute tun das schon 40 Prozent. „Die Männer möchten eben auch nicht alt aussehen.“

Doch dafür mussten erst mal neue Colorationen erfunden werden. „Färbt man Männerhaar mit den gängigen Farben wird das oft rötlich“, sagt Schwalbach. Die Männer-Haarfarben seien eher aschfarben. Trotzdem: Graue Haare werden gesellschaftlich bei Männern immer noch viel eher akzeptiert als bei Frauen.

Und ich?

Ich wage einen letzten Versuch: Kann ich nicht präventiv irgendwie doch noch was retten? Ralph Schwalbach lacht: „Wenn es dafür ein Mittel gäbe, würde ich es längst verkaufen“, sagt er. Im Salon habe er über Wochen mal eine neue Tinktur getestet, die versprach, für die Rückpigmentierung in der Haarwurzel zu sorgen. „Das war sehr teuer – und hatte null Effekt.“

Tja, ich glaube, dann bleibe ich erstmal ein bisschen grau. Vieles spricht dafür: Ich bin zu faul, um alle drei Wochen zum Friseur zu gehen und meinen Ansatz nachfärben zu lassen (meine Haare wachsen sehr schnell). Ich bin zu unerfahren, um das selbst zu Hause zu machen (und habe zu viel Angst mich in der Packung zu vergreifen). Ich bin zu pedantisch, um den grauen Ansatz zu ignorieren. Und ich bin zu feministisch, um mich der immer noch vorherrschenden gesellschaftlichen Meinung zu beugen. Außerdem wurde ich sowieso immer zu jung geschätzt. Und gerade wird mir klar: Seit da die grauen Strähnen sind, musste ich beim Alkoholkauf nie mehr meinen Ausweis zeigen. Praktisch.

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