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Feuerwehr-Seelsorger„Ein gebrochenes Bein ist wie eine Trophäe, Angst eher peinlich“

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Feuerwehrmänner gelten als Helden. Wer hilft ihnen, wenn die seelische Belastung nach Einsätzen zu groß wird? 

Köln – Tote Menschen und Tiere, eingestürzte Häuser, Anwohner, die alles verloren haben: Die Helfer in den Hochwassergebieten haben unvorstellbare Szenen gesehen. Wie schafft man es, diese Eindrücke zu verarbeiten? Rettungsdienst und Feuerwehr sind noch immer Männer-Domänen. Wie gehen diese Männer mit psychischen Belastungen in ihrem Job um und wie wird ihnen geholfen? Ein Männerberater und ein Feuerwehr-Seelsorger geben Antworten.

Männer reden weniger über psychische Probleme

Männer reden meist nicht so gerne über Probleme, erst recht nicht über Probleme, die sich in ihrem Kopf abspielen. Ein gebrochenes Bein ist ok, Angst, Traurigkeit oder Schlafprobleme behält man lieber für sich. „Für Männer ist es schwieriger, mentale Belastungen zuzugeben“, sagt der Soziologe Dr. Richard Schneebauer, der seit mehr als 20 Jahren in der Männerberatung des Landes Oberösterreich arbeitet und als „Männerkenner“ schon mehrere Bücher geschrieben hat. In den vergangenen Jahren seien die Männer zwar offener geworden, wollten aber auf keinen Fall schwach wirken.

Diesen Eindruck bestätigt auch ein Faktenpapier zur Männergesundheit, das die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung 2020 veröffentlicht hat. Demnach fühlen sich in Deutschland deutlich weniger Männer (8 Prozent) als Frauen (13 Prozent) seelisch belastet. Zudem geben weniger Männer (3,3 Prozent) als Frauen (5,2 Prozent) an, jemals in ihrem Leben von einem Burn-out-Syndrom betroffen gewesen zu sein.

Rettungskräfte sind meist Männer und gelten als Helden

Für den Männerberater Schneebauer könnte das daran liegen, dass die Gesellschaft in den vergangenen Jahren nur oberflächlich offener und Männer zugänglicher geworden seien. In der Tiefe herrsche aber immer noch das traditionelle Männerbild vor – vor allem bei der Feuerwehr und im Rettungsdienst, wo immer noch hauptsächlich Männer arbeiten. „Die reden zwar über das, was passiert ist und was sie gesehen haben, aber meistens zu wenig darüber, wie es ihnen damit ergangen ist“, sagt Schneebauer. Dass die Retter im Vergleich zu vielen anderen Berufen als „Helden“ angesehen werden, macht es sicher nicht leichter für sie, über psychische Belastungen zu sprechen.

Wenn sie sich doch dazu entscheiden, bieten die Feuerwehren für sie Psychosoziale Unterstützung (PSU) an, zum Beispiel auch in Köln. Dazu werden Feuerwehr-Kollegen speziell geschult und arbeiten gemeinsam in Teams, zu denen meist auch ein Kirchenvertreter gehört. So wie Pfarrer Hendrik Münz aus dem evangelischen Kirchenkreis Dortmund. Er arbeitet als Seelsorger für die Feuerwehr Dortmund und steht dem Fachausschuss Psychosoziale Unterstützung und –Notfallversorgung (PSU/PSNV) im Verband der Feuerwehren in Nordrhein-Westfalen vor. Während der Flutkatastrophe war er mit Kameraden aus dem PSU-Team, dem er angehört, in Erftstadt. Auch aus anderen Städten und Regierungsbezirken wurden Kollegen zur seelischen Unterstützung geschickt, zum Beispiel nach Euskirchen.

„Wir wurden von Erftstadt aus angefordert, aber haben dann vor Ort nur sehr wenige Gespräche mit den Kollegen geführt. Dazu war einfach keine Zeit. Sie waren noch im Einsatz und beschäftigt“, erzählt er. Erstmal geht es ja ums Wegschaffen, ums Helfen. Die Erinnerungen und Gefühle kommen erst, wenn das Adrenalin nachlässt und man das erste Mal zur Ruhe kommt. An diesem Punkt stehen die PSU-Teams der Feuerwehren bereit.

Immer mehr Männer nehmen die Hilfe auch an

Psychosoziale Hilfe gibt es bei der Feuerwehr NRW seit mehr als 20 Jahren. Münz hat festgestellt, dass in den vergangenen Jahren deutlich mehr Männer Hilfe angenommen haben: „Vor 20 Jahren war das entweder gar nicht von Interesse oder man machte sich sogar ein bisschen über ‚die Psychos‘ lustig.“ Mittlerweile finde sich PSU als feste Einheit in den Strukturen der Feuerwehr wieder und werde von Führungskräften oder den Mitarbeitern selbst eingefordert. Es werde nur nicht so viel darüber geredet, „weil die Arbeit ja auch leise ist.

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Schweigepflicht muss gewahrt werden und ist das höchste Gut. Dadurch ist die Akzeptanz da“, wie Münz sagt. Nach seinem Eindruck kommen genauso viele Männer wie Frauen, um zu reden: „Die Probleme sind ja bei beiden die gleichen.“ Bevor es die PSU gab, hätten die Kollegen oft Angst gehabt, zu sagen, dass es ihnen nicht gut geht. „Wenn man sich im Einsatz das Bein bricht, ist das fast wie eine Trophäe, aber wenn einer nicht mehr schlafen kann, ist ihm das peinlich“, sagt Münz.

Unruhe, Herzrasen, Schlafprobleme und Alkohol

Psychische Belastungen nach einem Einsatz können sich ganz unterschiedlich äußern. Die Betroffenen sind zum Beispiel sehr unruhig, können nicht mehr schlafen, leiden unter Herzrasen, hohem Blutdruck, Schwindel oder unstillbarem Durst. Manche erinnern sich ständig an das Ereignis oder fangen bei bestimmten Gerüchen an zu weinen. Typisch ist auch, dass Orte und Tätigkeiten vermieden werden, die an das Ereignis erinnern.

Münz: „Die Betroffenen fahren dann zum Beispiel nicht mehr über die Straße, an der sie einen schlimmen Verkehrsunfall erlebt haben und nehmen dafür einen Umweg in Kauf. Manchmal sogar, ohne es zu merken.“ Häufig ist auch eine hohe Affinität zu Alkohol und Drogen. „Oft klingen diese Symptome mit der Zeit ab. Bei manchen Betroffenen werden sie aber schlimmer und sie entwickeln ein Trauma. Das zu erkennen und sie an einen Psychotherapeuten weiter zu verweisen, ist auch unsere Aufgabe“, erklärt Münz.

Rettungsarbeit ist hart, aber sinnstiftend

Die Arbeit im Rettungsdienst, bei der Feuerwehr oder dem THW ist hart, aber zugleich sehr sinnstiftend. „Das gibt einem Mann auch etwas. Viele Männer, die nur im Büro vor dem Computer sitzen und sich gar nicht körperlich erfahren, kennen dieses Gefühl gar nicht“, meint Schneebauer.

Wenn die Einsatzkräfte es schafften, Krisen anzusprechen und aufzuarbeiten, könnten sie daraus sogar gestärkter herausgehen: „Man weiß dann, worum es im Leben wirklich geht.“ Eine Voraussetzung dafür sei aber, dass man den negativen Gefühlen Raum gebe, sie zulasse und darüber spreche.

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