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Fragen und AntwortenCorona-Zahlen steigen – ist eine vierte Impfdosis jetzt sinnvoll?

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Symbolbild vierte Impfung

Den Impfpass hatten viele lange nicht in der Hand – wird es jetzt wieder Zeit?

Köln – Bei Impfung Nummer vier war Schluss. Während die Ständige Impfkommission (Stiko) noch (fast) allen Menschen eine dritte Impfung gegen Corona empfohlen hatte, rät sie nur bestimmten Personengruppen zum zweiten Booster. Nun aber steigen die Infektionszahlen wieder, Experten rechnen mit einer Sommerwelle. Bei vielen ist die letzte Impfung oder die letzte Infektion schon einige Zeit her. Sollte man sich jetzt also Gedanken über eine neue Auffrischung machen?

Seit Ende Mai gehen die Corona-Zahlen wieder nach oben, am 22. Juni liegt die Inzidenz bundesweit bei 488,7. Eine große Rolle in dieser Entwicklung nimmt die neue Omikron-Sublinie BA.5 ein, deren Anteil an allen Infektionen laut Wochenbericht des Robert Koch-Instituts (RKI) in der ersten Juni-Woche bei 23,7 Prozent lag – in der Woche zuvor waren es noch 11,5 Prozent gewesen. Das Labor Becker hat zwar nicht repräsentative, dafür aber aktuellere Zahlen. Demnach hatten BA.4 und BA.5 zusammen bei den dort ausgewerteten Proben in der vergangenen Woche einen Anteil von 66,7 Prozent.

Der Zeitpunkt für eine neue Sublinie und höhere Infektionszahlen ist ungünstig. Denn bei vielen Menschen liegt die letzte Infektion und auch die Booster-Impfung nun schon einige Zeit zurück. In Untersuchungen zeigte sich, dass die Zahl der relevanten Antikörper, die vor einer Ansteckung schützen, nach drei Monaten schon wieder abnimmt.

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Deshalb hat Janosch Dahmen, Grünen-Gesundheitspolitiker, vergangene Woche eine erneute Prüfung und gegebenenfalls rechtzeitige Ausweitung der Stiko-Empfehlung ins Gespräch gebracht: So könnten laut Dahmen etwa auch Menschen, die jünger als 70 Jahre sind und gerade diejenigen mit Risikofaktoren, vor dem Herbst ein weiteres Impfangebot sowohl gegen Corona als auch gegen Influenza bekommen.

Wie sinnvoll ist eine frühzeitige vierte Impfung bei Menschen ohne hohes Risiko überhaupt?

Eine flächendeckende Empfehlung für eine erneute Auffrischungsimpfung würde an dem aktuell vorgegebenen Impfziel vorbeigehen. Die hauptsächliche Aufgabe der Impfungen ist es zum jetzigen Zeitpunkt, „schwere Verläufe, Hospitalisierungen und Tod sowie Langzeitfolgen durch Covid-19 in der Bevölkerung Deutschlands so weit wie möglich zu reduzieren.“ So steht es in der wissenschaftlichen Empfehlung der Stiko. Dass zeitgleich auch einige Infektionen unterbunden werden, gerade dann, wenn die Impfung noch nicht allzu lange zurückliegt, ist zwar ein guter Nebeneffekt und auch gewünscht – allerdings nicht das hauptsächliche Ziel.

Gerade bei der derzeit zirkulierenden und leicht übertragbaren Omikron-Variante sind die aktuellen Impfstoffe auch gar nicht in der Lage, das zu leisten. „Bei BA.5 liegt beispielsweise auch nach drei Impfungen die Schutzwirkung vor einer Infektion inzwischen bei unter 20 Prozent“, sagt Tobias Welte von der Medizinischen Hochschule Hannover. Man sollte an den zweiten Booster besser nicht die Erwartung heften, so eine Infektion komplett vermeiden zu können.

Warum empfiehlt die Stiko aktuell nicht mehr Personengruppen eine vierte Impfung?

Ohnehin müssten erst Daten und Erkenntnisse zu einer Reihe von Punkten vorliegen, bevor eine neue Empfehlung ausgesprochen werden kann, erklärte Thomas Mertens, Vorsitzender der Stiko. Es gehe darum, was die bereits verfügbaren und die in Entwicklung befindlichen angepassten Covid-19-Impfstoffe in der aktuellen Situation leisten können: Wie gut schützen sie vor Infektion und Erkrankung durch alle bisher bekannten Virusvarianten? Und welche weiteren Entwicklungen bei Varianten lassen sich überhaupt erkennen?

Vor allem zu diesen beiden Punkten lägen derzeit keine ausreichenden, belastbaren Daten vor, erklärte der Virologe. „Das Vorliegen der Daten ist eine Voraussetzung für eine begründete neue Impfempfehlung für alle und muss auch beim 'Handlungswillen' der Politik unbedingt Berücksichtigung finden.“ Außerdem müsse noch beachtet werden, ob es neue Aspekte bei der Sicherheit der Impfstoffe gibt und wie sich die Immunität von Geimpften und/oder Genesenen entwickelt.

Und so empfiehlt die Stiko eine zweite Auffrischungsimpfung aktuell vor allem über 70-Jährigen, dazu Menschen in Pflegeheimen, medizinischem Personal und Menschen mit einer Immunschwäche. Der Abstand zur vorherigen Impfung sollte mindestens drei Monate betragen, bei medizinischem Personal sechs Monate. 6,5 Prozent der deutschen Bevölkerung haben laut Impfdashboard des Bundesgesundheitsministeriums bislang eine zweite Auffrischungsimpfung erhalten.

Lohnt sich eine vierte Impfung auch für Menschen, die nicht unter die Stiko-Empfehlung fallen?

Eine eindeutige Antwort auf diese Frage kann es aktuell nicht geben. In jedem Fall muss die persönliche Situation abgewogen werden. Welche Risikofaktoren besitzt man, wie lange liegt die letzte Impfung zurück, mit wie vielen und welchen Menschen hat man Kontakt? „Wenn die letzte Impfung sechs Monate her ist und jemand nun im Sommer auf Festivals oder Großveranstaltungen gehen will, ist eine weitere Impfung wahrscheinlich ratsam“, sagt der Infektiologe Christoph Spinner. Er ist Oberarzt und Infektiologe am Universitätsklinikum rechts der Isar der Technischen Universität München. „Wer von zu Hause aus arbeitet und außerhalb von Familie und Freunden wenig Kontakte hat, kann sicher noch etwas warten.“

Die Kölner Infektiologin Clara Lehmann betont ebenfalls, die eigenen Risikofaktoren bei der Impfentscheidung einzubeziehen. „Einem dreimal geimpften Menschen, der zur Risikogruppe gehört und sich Sorgen wegen der Sommerwelle macht, würde ich auf jeden Fall jetzt zur vierten Impfung raten“, sagte sie im Interview mit dem Kölner Stadt-Anzeiger. Bei dreifach Geimpften, die eine Omikron-Infektion durchgemacht haben, unterscheide sie ebenfalls zwischen Risikogruppen und immunkompetenten Menschen. „Immunkompetenten Menschen rate ich: Lasst euch im Spätsommer oder Herbst nochmal impfen. Bei Risikopatienten rate ich jetzt zu einer vierten Impfung.“

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Entscheidend ist natürlich auch, was man mit der persönlichen Impfentscheidung erreichen möchte. Der Schutz vor einer Infektion nimmt schon nach einigen Monaten ab. „Es gibt nicht den vollständigen oder gar keinen Schutz, sondern der Schutz liegt abgestuft dazwischen“, sagt Christoph Spinner. Wie schnell und wie stark der Infektionsschutz nach einer Impfung abnimmt, ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Allein deshalb ist es schwierig, hier eine generelle Empfehlung auszusprechen.

Ich will mich vor einem schweren Verlauf schützen – sollte ich mich jetzt nochmal impfen lassen?

Der Schutz vor einem schweren Verlauf bleibt aber nach einer weiteren Impfung längerfristig bestehen, gerade dann, wenn man keine Risikofaktoren wie Alter oder Vorerkrankungen aufweist. Das betont auch der Kölner Virologe Florian Klein. „Der beste Schutz, um nicht schwer zu erkranken, ist die vollständige Impfung nach den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission. Stehen bei Personen noch Impfungen aus, sollte man diese jetzt nachholen und nicht zum Beispiel auf angepasste Impfstoffe warten“, empfiehlt Klein gegenüber dem Kölner Stadt-Anzeiger.

Der Immunologe Carsten Watzl sieht das ebenfalls so. „Bei immungesunden Personen unter 60 sehe ich aktuell keine Veranlassung zu einer vierten Impfung“, sagte er dem Redaktionsmetzwerk Deutschland (RND). „Diese Personen haben immer noch einen sehr guten Schutz vor der schweren Erkrankung, werden aber früher oder später eine Durchbruchsinfektion haben.“ Eine solche Infektion führe dann zu der sogenannten hybriden Immunität, die sehr gut vor Ansteckung und Erkrankung schützt. „Auf diese Weise werden sich die meisten Personen ihre Immunität alle paar Jahre auffrischen“, vermutet Watzl.

Meine letzte Impfung ist schon länger her – Muss ich jetzt meinen Antikörperspiegel auffrischen?

Die Zahl der Antikörper nimmt einige Monate nach einer Impfung ab. Wie auch andere Experten zuletzt mehrfach betont hatten, bedeutet das aber nicht, dass man Sars-CoV-2 ohne jegliche Abwehr ausgeliefert ist. „Es ist absolut normal, gesund und wünschenswert, wenn der Antikörperspiegel im Verlauf einer Immunreaktion abfällt, denn so werden die Plasmazellen selektiert, die die besten Antikörper machen“, erklärte Immunologe Andreas Radbruch, Wissenschaftlicher Direktor des Deutschen Rheuma-Forschungszentrums in Berlin. Diese Plasmazellen würden dann „ins Knochenmark rekrutiert, wo sie uns über Jahre und Jahrzehnte mit den schützenden Antikörpern versorgen“.

Was spricht klar gegen eine frühere vierte Impfung?

Eine Rolle bei der individuellen Entscheidung spielt auch das Timing. „Wenn wir die wirklich starke Fallzahlen-Steigerung erst im Herbst bekommen, haben die jetzt Geimpften nicht mehr den besten Schutz“, sagt Welte. Der Nutzen einer Impfung wäre dann nicht mehr so groß. Allerdings schade sie auch nicht und man verbaue sich nichts in Bezug auf eine eventuell fünfte Impfung mit einem an Omikron angepassten Impfstoff, sagt Carsten Watzl.

Erfolgt die vierte Impfung allerdings nur kurz nach der dritten oder einer Infektion, würde ihre Wirkung wohl geringer ausfallen. In einer britischen Studie im Fachblatt „The Lancet“ erwähnen die Autoren einen möglichen Deckeneffekt: Der Nutzen einer vierten Dosis könne bei Menschen, die schon starke Immunantworten durch kürzlich erfolgte Infektion oder Impfung aufweisen, möglicherweise geringer ausfallen. Der Effekt könne etwa von der Art und Dosis des Impfstoffs abhängen, es seien dazu aber noch weitere Analysen nötig.

Was ist, wenn ich mich nach meiner dritten Impfung schon mit Omikron infiziert habe?

„Dann ist die Erkrankung quasi auch eine Art Booster“, sagt Tobias Welte. Wie lange die dadurch gebildeten Antikörper jedoch schützen, ist unklar. Genauso, wie gut sie gegen die neue Sublinie BA.5 wirken. Allgemein lässt sich jedoch sagen: „Jeder Kontakt mit dem Virus – sei es durch Impfung oder Infektion – steigert die Immunität“, fasst Christoph Spinner zusammen.

Wo kann ich eine vierte Corona-Impfung bekommen?

Die Impfung gegen das Coronavirus ist und bleibt eine individuelle Entscheidung. So können Menschen, denen eine vierte Spritze empfohlen wird, diese ablehnen, aber auch Menschen, die in die Empfehlung nicht mit eingeschlossen sind, eine vierte Impfung bekommen. Im zweiten Fall sollte, wenn eine erneute Auffrischung gewünscht ist, ein beratendes Gespräch mit der Hausärztin oder dem Hausarzt gesucht werden. Diese sind auch die Anlaufstelle für Menschen, die unter die aktuelle Stiko-Empfehlung fallen. Eine vierte Impfung können sie aber auch von mobilen Impfteams, Betriebsärztinnen und Betriebsärzten, in Einrichtungen des Öffentlichen Gesundheitsdienstes, Krankenhäuser, Impfzentren oder Apotheken erhalten.

Und wie sieht es im Herbst aus?

Mit mehr Sorge als beim Sommer blicken Experten Richtung Herbst. Denn dann treten, wie auch in den ersten beiden Jahren der Pandemie, wieder Faktoren ein, die Corona-Infektionen begünstigen. Es wird kälter, die Menschen versammeln sich wieder vermehrt in Innenräumen. Neue Varianten, auch die jetzt aufkommende Omikron-Sublinie BA.5, könnten das ausnutzen. Deshalb sollen im Herbst neue mRNA-Impfstoffe zugelassen werden, die besser auf Omikron angepasst sind. Dann könnte sich auch die Empfehlung der Stiko noch einmal ändern, diese soll Richtung Herbst erneut geprüft werden. Eine Entscheidung über die Zulassung seitens der Europäischen Arzneimittelbehörde EMA wird laut RND für September erwartet, Bund und Länder planen bereits mit einer Booster-Offensive für die breite Bevölkerung. Vieles ist aber noch in der Schwebe, so ist auch noch nicht vorherzusehen, ob und welche Varianten mit welchen Eigenschaften im Herbst zirkulieren werden. (mit dpa)

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