Für MännerWie hoch ist die Gefahr einer Herzmuskelentzündung nach Biontech-Impfung?

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Besonders häufig sind Herzmuskelentzündungen bei jungen Männern in Zusammenhang mit dem Biontech-Impfstoff beobachtet worden.

Köln – Einem Bericht aus Israel zufolge kann der Covid-Impfstoff von Biontech/Pfizer in sehr seltenen Fällen eine Herzmuskelentzündung (Myokarditis) auslösen. Demnach traten unter den mehr als fünf Millionen geimpften Israelis nach Angaben des israelischen Gesundheitsministeriums zwischen Dezember und Mai insgesamt 275 Fälle von Myokarditis auf. Auffällig häufig waren junge Männer zwischen 16 und 29 Jahren betroffen. Auch in Deutschland hat das für die Sicherheit von Impfstoffen und Arzneimitteln zuständige Paul-Ehrlich-Institut die Nebenwirkung nun unter Beobachtung gestellt. Bis zum 31. Mai sind dem Institut insgesamt 92 Fälle von Herzmuskelentzündungen in zeitlich kurzem Abstand zu Corona-Impfungen gemeldet worden. Insgesamt 69 Fälle traten nach Impfungen mit dem Vakzin von Biontech/Pfizer auf, bundesweit sind bis zum 31. Mai im Verhältnis insgesamt knapp 36,9 Millionen Dosen des Biontech-Impfstoffs verimpft worden. Im Interview mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ erklärt der Kardiologe Professor Dr. Stephan Baldus vom Universitätsklinikum Köln die Bedeutung der Myokarditis-Fälle, den möglichen Zusammenhang zu dem Biontech-Impfstoff und ob bestimmte Personengruppen vorsichtig sein sollten.

Das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) hat mittlerweile insgesamt 92 Fälle von Myokarditiden, also Herzmuskelentzündungen, in zeitlich kurzem Abstand zu Covid-Impfungen verzeichnet. Den Großteil davon nach Impfungen mit dem Vakzin von Biontech/Pfizer. Besteht aus Ihrer Sicht ein möglicher Zusammenhang?

Professor Dr. Stephan Baldus: Der zeitliche Zusammenhang ist suggestiv. Einen Beweis für einen kausalen Zusammenhang gibt es bisher nicht – also einen klaren Beleg dafür, dass der Biontech-Impfstoff Myokarditiden provoziert. Aber da der zeitliche Zusammenhang besteht, muss man ihn zumindest ernst nehmen und auch in Zukunft hierzu Daten erheben.

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Professor Dr. Stephan Baldus ist Direktor der Klinik III für Innere Medizin am Universitätsklinikum Köln. Außerdem ist er Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie – Herz- und Kreislaufforschung e. V.

Professor Dr. Stephan Baldus ist Direktor der Klinik III für Innere Medizin am Universitätsklinikum Köln. Außerdem ist er Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie – Herz- und Kreislaufforschung e. V.

Welche mögliche Erklärung könnte es für das Auftreten von Herzmuskelentzündungen infolge von Covid-Impfungen geben?

Wir wissen, dass Covid-19 eine hohe Neigung hat, Herzmuskelentzündungen hervorzurufen. In der Kernspintomografie kann man bei Covid-Erkrankten bei bis zu 60 Prozent der Untersuchten Hinweise auf eine Myokarditis sehen. mRNA-Impfstoffe, wie der Biontech-Impfstoff, bewegen den Körper dazu, ein Eiweiß des Virus, nämlich das sogenannte Spike-Protein, herzustellen. Dieses ist für das Virus wichtig, um in die Zellen einzudringen. Dieses Spike-Protein hat eine hohe Neigung, Entzündungen im Herzmuskel zu provozieren. Das könnte eine Erklärung für Myokarditiden nach der Impfung sein.

Unabhängig von Corona: Welche Ursachen für Herzmuskelentzündungen gibt es?

Die häufigsten Auslöser sind in der Tat Viruserkrankungen. In überwiegender Anzahl verläuft so eine Myokarditis, ohne dass sie zu Beschwerden führt.

Unsichere Datenlage

Das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) betont im neuesten Sicherheitsbericht vom 10. Juni , dass die Datenlage zu den Myokarditis-Fällen noch äußerst gering sei. Wie hoch die Genesungsrate unter den Betroffenen sei, könne beispielweise aus den Daten bislang nicht herausgelesen werden. Ob außerdem die jüngere Altersgruppe tatsächlich statistisch überwiege, könne aktuell auch nicht berechnet werden, denn „bedauerlicherweise sind derzeit keine aktuellen alters- und geschlechtsstratifizierten Impfquoten der niedergelassenen Ärzte verfügbar“. Das heißt: Es ist nicht bekannt , wie viele Impfdosen an welche Alters- und Geschlechtsgruppen verimpft worden sind. Es könne daher nicht berechnet werden, ob die Zahl der gemeldeten Fälle „in jüngeren Altersgruppen höher ist, als statistisch zufällig in ihrer Altersgruppe zu erwarten wäre.“ Außerdem sei zu berücksichtigen, dass milde Verläufe möglicherweise unerkannt bleiben, die Dunkelzifferrate könnte also höher sein.

Wie gefährlich sind Herzmuskelentzündungen?

Für die Covid-bedingte Myokarditis können wir das noch nicht sagen. Aber die Gefahr Nummer Eins bei einer Herzmuskelentzündung ist, dass es in der Folge zu einer Herzschwäche kommt. Denn in seltenen Fällen führen Immunreaktionen des Körpers auf die Viren, bzw. aggressive Viren selbst, zur Zerstörung der Herzmuskelzellen. Daraus kann eine Herzschwäche resultieren, und diese bestimmt die Prognose des Patienten. Es gibt dramatische Verläufe – glücklicherweise sehr selten. In diesen Fällen entwickeln die Patienten, auch akut, eine schwere Herzschwäche. Es gibt auch Patienten, die eine milde Form der Herzschwäche entwickeln. Bei den meisten Patienten tritt jedoch keine Herzschwäche auf.

Gibt es weitere Gefahren?

Die Gefahr Nummer Zwei ist, dass es zu Herzrhythmusstörungen kommen kann. Das ist auch etwas, das bei Sportlern zum plötzlichen Herztod führen kann. Der Punkt ist aber nicht, dass die Herzmuskelentzündung durch den Sport ausgelöst wird. Sondern typischerweise haben die betroffenen Sportler eine klinisch nicht auffällige Herzmuskelentzündung, machen ihren Sport, sind dann anfälliger für Herzrhythmusstörungen und die können eben lebensbedrohlich sein.

Gibt es Anzeichen, an denen man solche Herzrhythmusstörungen erkennen kann?

Nein. Dabei handelt es sich um plötzlich auftretende Herzrhythmusstörungen. Wenn Sie so wollen, ist es ein elektrisches Desaster, ein elektrischer Unfall. Wenn Sie sich stark körperlich belasten, ist das Risiko größer, als wenn Sie nur ruhig im Zimmer sitzen. Deshalb ist bei Menschen, die eine Myokarditis haben, Sport in der Anfangsphase nicht erlaubt.

Wäre es dann nicht sinnvoll, generell zu empfehlen, nach der Covid-Impfung erstmal auf Sport zu verzichten? Oder wäre das übertrieben?

Die Wahrscheinlichkeit infolge der Impfung eine Myokarditis zu entwickeln, ist extrem gering. Das Signal zu geben, man dürfe nach einer Impfung überhaupt keinen Sport mehr machen, wäre falsch. Aber: Wenn man sich nach einer Impfung nicht wohlfühlt, eingeschränkt in seiner Leistungsfähigkeit ist, eventuell auch Brustschmerzen verspürt, dann sollte man keinen Sport machen. Dann sollte man sich untersuchen lassen.

Den Zahlen des PEI und den zuvor veröffentlichten Daten aus Israel zufolge sind besonders häufig junge Männer und Jugendliche von den Entzündungen betroffen. Gibt es dafür eine mögliche Erklärung?

Es gibt keine belegte, keine etablierte Meinung dazu. Es gibt aber Hinweise, dass Sexualhormone, speziell Testosteron, eine Entzündungsreaktion am Herzen begünstigen kann. Denn es ist so, dass sich durch Testosteron vermehrt Bindegewebe am Herzen bildet und so mikroskopische Umbauvorgänge um die Herzmuskelzellen stattfinden. Wenn das zusammentrifft mit einer Entzündung des Herzmuskels, wie zum Beispiel durch die Covid-Erkrankung oder möglicherweise auch durch den Impfstoff, dann kann man sich vorstellen, dass es aus diesem Grund Männer häufiger trifft. Die Datenlage hierzu allerdings ist bisher unsicher.

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Treten Herzmuskelentzündungen denn auch unabhängig von den Covid-Vakzinen häufiger bei Männern auf?

Nein.

Der Impfstoff von Biontech/Pfizer ist mittlerweile für Kinder ab 12 Jahren zugelassen. Da das Risiko einer Myokarditis den bisherigen Daten nach steigt, je jünger die Impflinge sind, ist es möglich, dass die Nebenwirkung bei der Gruppe der 12- bis 15-Jährigen weiter zunimmt?

Die Ständige Impfkommission (Stiko) hat ja deutlich gemacht, wer in dieser Altersgruppe zu impfen ist. Nämlich diejenigen, die selber bestimmte Risikofaktoren haben oder aber in direktem Kontakt zu Risikogruppen stehen, die selber nicht geimpft werden können. Eine generelle Empfehlung zur Impfung aller Kinder gibt es bisher nicht.

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Und die würden Sie auch nicht aussprechen wollen?

Nein, die würde ich zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht aussprechen wollen. Denn die Zulassungsstudie ist an rund 1100 Kindern durchgeführt worden, der Nachbeobachtungszeitraum betrug nur zwei bis drei Monate. Die Datenlage ist noch sehr gering. Daher halte ich die Empfehlung der Stiko für richtig.

Gibt es eine Gruppe unter den Erwachsenen, der Sie aufgrund der bisherigen Datenlage davon abraten würden, sich mit dem Vakzin von Biontech/Pfizer impfen zu lassen?

Nein. Das Risiko der Myokarditis ist um Potenzen geringer als das Risiko einer kritischen Erkrankung mit Covid-19. Insofern sehe ich keine Bedenken oder Einschränkungen, sondern rate auf jeden Fall zur Impfung. 

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