Gefährliches Tabu„Selbst mit dem Arzt sprechen Menschen nicht gern über Darmkrebs“

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Darmkrebs hat oft einen genetischen Hintergrund. Bei einer Darmspiegelung kann auffälliges Gewebe frühzeitig entdeckt und sofort entfernt werden.

Darmkrebs hat oft einen genetischen Hintergrund. Bei einer Darmspiegelung kann auffälliges Gewebe frühzeitig entdeckt und sofort entfernt werden.

  • In unserer Serie „Gesund durchs Jahr” widmen wir uns in jedem Monat einem anderen Themenbereich.
  • Im Monat September dreht sich alles um unseren Darm.
  • In dieser Folge erklären wir, welche neuen Behandlungsmöglichkeiten es bei Darmkrebs gibt.

Über einen künstlichen Darmausgang, Blut im Stuhl und verringerte Potenz lässt es sich nicht allzu gut über den Gartenzaun hinweg oder in großer Runde sprechen: Darmkrebs ist noch stärker als andere Krebsarten mit Scham und Hemmungen verbunden. „Selbst mit dem Arzt ist das Menschen unangenehm, darüber zu sprechen“, sagt Professor Dr. Thomas Zander, stellvertretender Leiter des Onkologischen Zentrums im CIO Köln (Centrum für Integrierte Onkologie). Darmkrebs ist die zweithäufigste Krebsart in Deutschland. Pro Jahr erkranken in Deutschland über 70.000 Menschen. Etwa 30.000 Menschen sterben jährlich an Darmkrebs.

Dabei ist Darmkrebs – rechtzeitig erkannt – gut heilbar. Ursache sind meist Schleimhautwucherungen, die sich bösartig verändern, sogenannte Polypen. Betroffen ist meist der Dick- oder Mastdarm, nur in Ausnahmefällen der Dünndarm. Bei einer Darmspiegelung können diese Polypen entdeckt und gleich entfernt werden. Unentdeckt besteht die Gefahr, dass die Wucherung wächst, auf andere Organe übergreift und in die Blutgefäße und Lymphknoten gelangt.

Darmspiegelung meist nur alle zehn Jahre notwendig

Symptome bei Patienten sind Veränderungen der Verdauung und im Stuhl: Blähungen, Bauchschmerzen und schwarzer Stuhl. Darmkrebs wächst langsam, das macht die Erkrankung tückisch. Denn dass sie betroffen sind, merken Patienten oft überhaupt nicht. Ein eindeutiges Signal für Darmkrebs gibt es nicht. Wie auch bei den chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen, sind die Anzeichen diffus. Erst in einem sehr fortgeschrittenen Stadium von Darmkrebs werden sie deutlicher. Wenn Patienten dann zum Arzt gehen, stehen die Heilungschancen oft schon deutlich weniger gut.

Entscheidend ist darum regelmäßige Vorsorge. „Eine sehr wichtige Aufgabe haben hier die Hausärzte. Letztendlich muss man Überzeugungsarbeit leisten, damit Menschen zur Darmspiegelung gehen. Wir haben hausärztliche Kollegen, die direkter sind und vielleicht sofort Termine für ihre Patienten vereinbaren“, so Dr. Zander. Das funktioniere häufig besser, als die Terminsuche den Menschen selbst zu überlassen. Dann verdränge man, „weil es unangenehm ist“. Das hänge zum einen mit dem Tabu rund um Darmkrebs zusammen, aber auch damit, dass eine Darmspiegelung (Koloskopie) für die Patienten etwas aufwändig ist. Ab dem Vortag der Spiegelung müssen Menschen sich freinehmen. Rundherum ist mit etwa 1,5 Tagen Arbeitsausfall zu rechnen.

Relevante Heilungschancen auch bei metastasiertem Darmkrebs

Der Darmkrebs hat oft einen erblichen Hintergrund. Etwa fünf Prozent aller Darmkrebspatienten haben eine genetische Veranlagung für die Erkrankung. Sind nahe Verwandte an Darmkrebs erkrankt, liegt das Risiko selbst zu erkranken um etwa 12 Prozent höher, als wenn es keine Vorerkrankungen gibt. Abgesehen von den Genen steigt das Risiko zu erkranken ab 40 Jahren stark an. Menschen über 70 haben das höchste Risiko für Darmkrebs.

Unter den „soliden Tumoren“ – also jenen, die von einem bestimmten Organ ausgehen – sind die Heilungschancen für Darmkrebs relativ gut. Entscheidend ist, wie fortgeschritten die Krebserkrankung ist. „Solange der Krebs noch nicht in andere Organe gestreut hat, sind die Heilungschancen relativ gut. Aber auch wenn die Lymphknoten bereits befallen sind, liegen die Heilungschancen noch bei über 50 Prozent“, so Professor Zander.

Selbst im höchsten Stadium der Erkrankung – dem Stadium vier – wenn der Krebs in anderen Organen gestreut hat, beispielsweise in der Lunge, lägen die Chancen unter Umständen noch immer bei um die 20 bis 30 Prozent, sagt der Onkologe. Metastasierter Krebs werde häufig als Situation ohne Chance auf Heilung interpretiert. Diese Deutung sei wegen der technischen Möglichkeiten heute aber nicht mehr zwangsläufig richtig. Metastasen können heute besser gefunden und zielgenau angesteuert werden. „Die Bildgebung ist besser geworden. Das Trauma, das der Chirurg bei der Entfernung der Metastase macht, wird dadurch viel kleiner“, so Professor Zander. „Diese Chance sollte man wahrnehmen“.

Künstlicher Darmausgang ist „großes emotionales Thema“

Ein „riesiges Thema“ für alle Patienten mit Darmkrebs sei der künstliche Darmausgang, so Professor Thomas Zander. Er kommt zum Einsatz, wenn die Operationsnaht, an der der Darm wieder an den Darm angeschlossen wird, entlastet werden soll. „Das ist ein großes emotionales Thema. Aber der künstliche Darmausgang ist vorübergehend. Nach zwei bis drei Monaten kann er rückverlagert werden“, so Professor Zander. Auch dabei seien der Aufwand und das Trauma durch die heutigen technischen Möglichkeiten geringer als früher. Nur bei weit am Anus liegenden Enddarmtumoren bleibt nicht genügend Gewebe, um den Darm wieder anzuschließen. Dann ist ein dauerhafter künstlicher Darmausgang notwendig.

Aktuell erforschen Wissenschaftler zum Darmkrebs, welche Reihenfolge der Therapie am erfolgversprechendsten ist. Beispielsweise, wenn es um den besten Zeitpunkt von Chemotherapie und Strahlung geht. „Wir haben sehr viele Bausteine für die Behandlung zur Verfügung. Noch nicht geklärt ist, in welcher Kombination und Reihenfolge man diese Bausteine idealerweise anwendet“, so Professor Zander.

Neue Behandlungsmöglichkeiten von Darmkrebs jenseits von Chemotherapie

Große Fortschritte hat die Wissenschaft beim Thema Genetik und Vererbung erzielt. „In den letzten drei Jahren sind Untergruppen von Darmkrebs gefunden worden, die man nicht mehr mit Chemotherapie behandeln muss, sondern für die es andere Medikamente gibt. Ein Beispiel sind erbliche Darmtumore, wie das Lynch-Syndrom. Ein Teil der Patienten mit Lynch-Syndrom bekommt jetzt keine Chemotherapie mehr, sondern eine Immuntherapie. Die ist viel besser verträglich und gleichzeitig wirksamer“, so Professor Zander.

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In der klinischen Forschung der Medizin müsse man in Jahren rechnen. Doch gerade auf dem Gebiet der Biologie von Tumoren ziehe der Darm „endlich nach“ und man könne den Patienten besser verträgliche Behandlungen anbieten. Doch das Wissen, dass es heute Therapien gibt, die schonender für Patienten sind, müsse sich noch verbreiten, so Professor Dr. Thomas Zander.

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