Interview zu multiresistenten Keimen„Das ganze Konzept ist falsch“

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Krankenhaus Klinik symbol

„Das ganze Konzept ist falsch“ sagt Prof. Dr. Gerd Fätkenheuer.

Herr Professor Fätkenheuer, in den deutschen Krankenhäusern stecken sich jedes Jahr geschätzt eine halbe Million Menschen mit Bakterien an. 15.000 Menschen sterben demnach an diesen Infektionen. Wieso kann das immer noch nicht verhindert werden?

Zunächst muss man diese Zahl relativieren. Denn in einem Großteil der Fälle stecken sich die Patienten nicht in den Kliniken an, sie haben die entsprechenden Erreger von zu Hause oder zum Beispiel aus dem Pflegeheim mitgebracht. Nur hatte ihr Abwehrsystem sie bisher unter Kontrolle. Im Krankenhaus führen dann Behandlungen wie Operationen und Chemotherapien manchmal zu einer Schwächung der Immunfunktionen, so dass diese eigentlich harmlosen Bakterien plötzlich gefährliche Lungen- und Wundentzündungen verursachen.

Aber auf der anderen Seite gibt es eben auch die Patienten, die sich erst dort einen neuen gefährlichen Erreger einfangen...

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Man muss natürlich fordern, dass alles Menschenmögliche getan wird, um das zu vermeiden. Und dafür gibt es mehrere Mittel und Wege: So lässt sich zum Beispiel durch steriles Arbeiten und sorgfältige Pflege verhindern, dass Bakterien über Infusions-Kanülen und Nadeln in den Körper dringen.

Zur Person

Prof. Dr. Gerd Fätkenheuer leitet die Infektiologie an der Uniklinik Köln und ist Präsident der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie.

Das Risiko lässt sich so fast auf Null senken. Von ganz entscheidender Bedeutung ist das Desinfizieren der Hände vor und nach jedem Kontakt mit einem Patienten. Wenn das immer konsequent angewandt würde, müssten wir dem Problem Krankenhausinfektionen viel weniger Aufmerksamkeit widmen.

Hier gibt es offensichtlich noch Luft nach oben...

Man sieht zumindest große Unterschiede zwischen den einzelnen Krankenhäusern und Stationen. In machen Abteilungen muss man leider beobachten, dass eine Händedesinfektion nur etwa halb so oft stattfindet, wie es eigentlich der Fall sein sollte.

Welche Rolle spielen in diesem Zusammenhang multiresistente Erreger?

In Deutschland zum Glück eine vergleichsweise geringe. Nach unseren Berechnungen werden etwa fünf bis sechs Prozent der Klinikinfektionen durch multiresistente Bakterien ausgelöst, gegen die häufig nur noch wenige oder sehr wenige Antibiotika wirken. Aber nicht alle Erreger aus dieser Kategorie bereiten uns die gleichen Schwierigkeiten. So nimmt zum Beispiel die Zahl der Fälle, die durch MRSA – Methicillin-resistente Staphylococcus aureus-Stämme – verursacht werden, kontinuierlich ab. Zudem ist dieses Bakterium, der in der Öffentlichkeit meistens als der Krankenhauskeim schlechthin wahrgenommen wird, immer besser mit Antibiotika in den Griff zu bekommen.

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Andere Erreger wie Vancomycin-resistente Enterokokken oder bestimmte Klebsiellen- oder E. Coli-Darmbakterien stellen uns dagegen mit ihrer zunehmenden Antibiotika-Unempfindlichkeit vor größere Probleme.

Die Niederlande zum Beispiel haben das viel besser in den Griff bekommen. Was hat uns unser Nachbar voraus, was können wir von ihm lernen?

Dort fährt man seit langem die Strategie, jeden neuen Krankenhaus-Patienten auf MRSA zu untersuchen. Darauf wird in diesem Zusammenhang gerne verwiesen. Finden sich dabei entsprechende Bakterien, wird der Betreffende isoliert und mit Antibiotika-haltigen Nasensalben und desinfizierenden Waschlotionen dekolonisiert. Das bedeutet, man versucht, die MRSA-Bakterien zu entfernen. Ich bin allerdings überzeugt, dass andere Faktoren viel entscheidender sind: In den Niederlanden steht den Kliniken viel mehr Personal zur Verfügung. Während sich auf unseren Intensivstationen eine Pflegekraft um drei Patienten kümmert, kann sie sich dort auf einen einzigen konzentrieren. Und dass zwischen Personalschlüssel und Infektionsrate ein Zusammenhang besteht, wurde mehrfach nachgewiesen. Zudem gibt es dort viel mehr gut ausgebildete Infektionsmediziner. Das heißt, die Ärzte in den Kliniken haben einen besseren Umgang mit Infektionen allgemein und mit Antibiotika im Besonderen gelernt. Das trägt dazu bei dass sich weniger resistente Bakterien entwickeln.

Inwiefern?

Viele der Probleme hierzulande werden dadurch verursacht, dass Antibiotika zu großzügig, zu schnell und zu lange verabreicht werden. In den Niederlanden sind die Ärzte viel sparsamer. Das gilt für Virusinfektionen wie die akute Bronchitis, wo Antibiotika gar nicht wirken. Es trifft aber auch auf den Einsatz sogenannter Breitbandmittel zu, die sich gegen viele Erreger gleichzeitig richten. Wenn man unsicher ist und sich nicht so gut auskennt, verfällt man schnell auf den Gedanken: Mit der Schrotschussmethode, also einem möglichst breit wirksamen Mittel, habe ich die besten Chancen, den verantwortlichen Erreger zu erwischen.

Das mag stimmen, hat aber einen großen Nachteil. Die vielen Bakterien, die wir im Körper haben und die nicht durch die umherirrenden Schrotkugeln abgetötet werden, lernen sich zu schützen. Und das geschieht durch die Ausbildung von Resistenzen gegen Antibiotika. Je gezielter wir behandeln, desto weniger Resistenzen können sich also bilden.

Und in den deutschen Kliniken mangelt es an solchen infektiologischen Kompetenzen?

Ja, zumindest gilt das für einen Großteil von ihnen. Nur ein Beispiel: Heute wurde mir ein Patient vorgestellt, dem hatte man allein wegen erhöhter Entzündungswerte im Blut ein Antibiotikum gegeben, ohne dass andere Symptome bestanden. Solche Laborveränderungen können zwar tatsächlich für eine bakterielle Entzündung sprechen, aber es gibt auch viele andere mögliche Erklärungen: Thrombosen oder Autoimmunreaktionen, um nur zwei zu nennen. Ein Laborwert allein ist noch kein Grund, ein Antibiotikum zu geben. Wenn durch eine sorgfältige Untersuchung eine genaue Diagnose gestellt wird, lassen sich solche unnötigen Gaben häufig vermeiden.

Aber die niederländische MRSA-Strategie würden Sie sich nicht zum Vorbild nehmen?

Nein, weil es keine wissenschaftlichen Beweise für ihre Wirksamkeit gibt. Trotzdem werden wir auch in Deutschland gezwungen, nach einer ganz ähnlichen Strategie zu verfahren. Nur konzentrieren wir uns dabei hierzulande auf sogenannte Risikopatienten. Dazu zählen zum Beispiel Pflegeheimbewohner und alle, die in den vergangenen zwölf Monaten im Krankenhaus gelegen haben. Ich halte das ganze Konzept für falsch.

Der Unsinn des Ansatzes zeigt sich schon allein daran, dass hinter 90 Prozent der Staphylococcus aureus-Infektionen ganz normale, nicht-multiresistente Erreger stecken. Die verursachen genau dieselben Infektionen wie MRSA und sind nicht weniger gefährlich, werden aber bei diesem Konzept völlig ignoriert. Das heißt, wir konzentrieren uns mit unseren Maßnahmen auf eine Minderheit der Erreger und lassen die Mehrheit der Übeltäter unbehelligt. Dadurch werden unnötig Ressourcen verbraucht, die an anderer Stelle dringend fehlen.

Was wäre Ihrer Meinung nach die Alternative?

Wir sollten Strategien verfolgen, die sich nicht nur gegen einzelne Bakterien richten, sondern gegen alle potenziellen Krankheitserreger. Das ist schon allein deshalb sinnvoll, weil wir nie ganz genau wissen können, mit welchem wir rechnen müssen. Und wir finden bei gezielten Untersuchungen natürlich nur die Bakterien, nach denen wir suchen. An erster Stelle steht auch hier die Händehygiene. Dem Alkohol ist es egal, welche Staphylokokken er abtötet. Zu diesem Programm gehört aber auch die Desinfizierung von Räumen und Geräten. Die Amerikaner gehen auf ihren Intensivstationen noch einen Schritt weiter: Dort werden sogar alle Patienten mit desinfizierenden Lösungen gewaschen. Ähnliches könnte ich mir hierzulande für Risikobereiche wie Intensivstationen für Frisch-Operierte vorstellen.

Riskiere ich dadurch nicht wiederum neue Probleme und züchte beispielsweise Resistenzen gegen die Desinfektionsmittel?

Das ist ein gängiges Gegenargument – aber es gibt bisher keine Belege dafür, dass das tatsächlich ein relevantes Problem darstellen könnte. Im Vergleich zu Antibiotika fällt es den Bakterien viel schwerer, gegen diese Mittel unempfindlich zu werden.

Das Gespräch führte Michael Brendler.

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