Kinderarzt„Kinder sind nicht dafür zuständig, die Krankenhausbetten frei zu halten“

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Seit dieser Woche können sich in Deutschland auch Fünf bis Elfjährige impfen lassen. 

Bonn – Die Corona-Impfung für Kinder rückt näher – jedenfalls in den USA: Die US-Arzneimittelbehörde FDA empfahl am Dienstag den Impfstoff von Biontech und Pfizer für Fünf- bis Elfjährige. In der EU steht eine Zulassung für diese Altersgruppe noch aus. Der Bonner Kinderarzt Axel Gerschlauer rät Eltern zu Geduld. Er rechne zurzeit damit, dass die Ständige Impfkommission (Stiko) den Corona-Impfstoff nur für Kinder mit schweren Vorerkrankungen empfiehlt.

Die FDA-Experten waren sich einig: Jüngere Kinder würden von Covid-19 „alles andere als verschont“, begründet Wissenschaftler Peter Marks die Entscheidung in den USA. In der Altersgruppe der Fünf- bis Elfjährigen mussten 8300 Kinder mit Corona im Krankenhaus behandelt werden, ein Drittel davon auf Intensiv. Rund 100 Kinder starben.

Mit der Situation in Deutschland seien diese Zahlen „nicht ansatzweise vergleichbar“, sagt Axel Gerschlauer, Sprecher des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte in NRW. „In den USA sind deutlich mehr Kinder übergewichtig, sie haben häufiger Vorerkrankungen wie beispielsweise Diabetes“, so der Kinderarzt. „Wegen des anderen Gesundheitssystems gehen die Menschen dort oft erst dann zum Arzt, wenn es sich wirklich nicht mehr vermeiden lässt, weil ein Arztbesuch sehr teuer sein kann. Durch unser besseres Gesundheitssystem ist die Lage hier im Vergleich harmlos.“

Empfehlung der Stiko womöglich erst 2022

Doch auch in Deutschland könnten Kinderärzte womöglich noch in diesem Jahr anfangen, Kinder unter 12 Jahren mit schweren Vorerkrankungen gegen gegen Covid-19 zu impfen: Kinder mit schweren Herz- oder Lungenerkrankungen zum Beispiel oder Trisomie 21. Voraussetzung ist eine Zulassung durch die Europäische Arzneimittelbehörde. Es würde ihn nicht wundern, wenn die Stiko-Empfehlung jedoch erst 2022 kommen würde, so Gerschlauer. 

Nach wie vor verlaufe Covid-19 bei Kindern meist asymptomatisch oder milde. Auch die Aufhebung der Maskenpflicht in den Schulen sei für die Diskussion über Kinderimpfungen unerheblich. „In den ersten drei Wellen haben wir versucht, Infektionen um jeden Preis zu vermeiden und das war auch richtig“, sagt Gerschlauer. „Jetzt sind wir in Welle vier: Der Preis, den Kinder und Jugendliche durch Shutdowns und Schulschließungen gezahlt haben, war viel zu hoch. Wir haben einen deutlichen Anstieg von psychischen Problemen und psychiatrischen Erkrankungen feststellen müssen. Außerdem hatten inzwischen alle Risikogruppen die Chance, sich impfen zu lassen.“

Sorge vor Doppelbelastung durch Corona und Grippe

In den Krankenhäusern blicken Ärzte und Pfleger nicht nur angesichts der Corona-Pandemie mit Sorge auf den Winter: Letztes Jahr fiel die Grippewelle nahezu aus, Stiko-Chef Thomas Mertens vermutet, dass sie dieses Jahr umso heftiger wütet. Fallen Grippe-Saison und Corona-Welle zusammen, könnten die Intensivbetten wieder knapp werden. Gerade Risikogruppen rät die Ständige Impfkommission zu einer Grippeimpfung. Für gesunde Kinder gab die Stiko keine Impfempfehlung heraus.

Wenn Eltern in seine Praxis kämen, um ihr achtjähriges Kind gegen Grippe zu impfen, dann komme er dem Wunsch nach, sagt Gerschlauer. Zugelassen ist der Impfstoff ja. Es solle dabei aber immer um den Schutz des Kindes gehen – nicht um den Schutz von anderen. „Ich sehe es nicht als die Aufgabe von Kindern, Omas und Opas zu schützen – die können sich selbst impfen lassen“, sagt Gerschlauer. „Von den Risikogruppen lassen sich jedes Jahr nur ein Drittel gegen Grippe impfen. Kinder sind nicht dafür zuständig, die Krankenhausbetten frei zu halten.“

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Besorgten Eltern, die schon jetzt ihre Kinder gegen Corona impfen lassen wollen, rät Gerschlauer zu Geduld. „Warten Sie ab, bis die EMA-Zulassung kommt“, so der Kinderarzt. Von Off-Label-Impfungen – Corona-Impfungen von Kindern ohne zugelassenen Impfstoff bei vereinzelten Ärzten – halte er gar nichts. Gerade bei gesunden, fünfjährigen Kindern sei so eine Corona-Impfung nicht nötig. „Bei den Eltern von sogenannten Schattenkindern mit schweren Erkrankungen kann ich die Sorge verstehen“, sagt er. In seiner Praxis behandelt er auch ein Mädchen, sechs Jahre, mit schwerstem Herzfehler. Falls die Eltern es wünschen, wird Gerschlauer noch am ersten Tag der Zulassung eine Impfdose für sie aufschrauben. 

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