Kölner Chefarzt Manfred LützWarum Ärzte zu dokumentierenden Robotern werden

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Ein Arzt bei der Arbeit

  • Der Kölner Chefarzt und Bestseller-Autor Manfred Lütz ist für seine scharfzüngige Meinung deutschlandweit bekannt.
  • So wettert er unter anderem gegen den Fitness-Kult und Diät-Sadismus. Aber der Psychiater gibt in seinen Büchern auch bewegende Einblicke in die Welt von Süchtigen, Depressiven und Schizophrenen.
  • In seiner KStA-PLUS-Kolumne „Wahn und Sinn – das ganze Leben” antwortet Lütz jede Woche auf eine von Lesern gestellte Sinnfrage – diesmal zum Thema Dokumentationswahn bei Ärzten.
  • Lesen Sie hier weitere Folgen.

Wenn ich zum Hausarzt gehe, sitzt er seit einiger Zeit am PC und tippt im Gespräch ständig irgendwelche Sachen ein. Mich stört das. Aber kann oder soll ich ihm das sagen?

Natürlich sollten Sie ihm das sagen. Der Hausarzt ist ja eine Vertrauensperson, da sollte man immer möglichst offen sein. Und ich bin überzeugt, dass er Ihnen das nicht übel nehmen wird. Sicher wird er dann versuchen, erst mit Ihnen zu sprechen und das Nötige anschließend zu dokumentieren.

Zur Person Manfred Lütz

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Manfred Lütz, geb. 1954, ist Psychiater, Psychotherapeut und katholischer Theologe. Der frühere Chefarzt des Kölner Alexianer-Krankenhauses ist auch Mitglied im Päpstlichen Laienrat.

Aber man muss wissen, dass es Gründe für dieses Verhalten des Hausarztes gibt. Da ist zum einen die Juridifizierung der Medizin. Was aus Amerika an sagenhaften Schadensersatzmillionen herüberklingt, das wirkt sich auch bei uns aus. Deswegen sichern sich die Ärzte durch präzise schriftliche Dokumentation ab. Man sagt, dass in Amerika Ärzte an Unfällen vorbeifahren, weil sie Angst haben, durch mögliche Schadensersatzprozesse später finanziell ruiniert zu werden. Die Angst vor Fehlern bestimmt auch bei uns inzwischen oft ärztliches Handeln. Dabei sind Fehler überall – und natürlich auch bei Ärzten – unvermeidlich. So werden Patienten nicht selten „aus juristischen Gründen“ ins Krankenhaus aufgenommen, weil man selbst das geringste Risiko ausschließen will. Freilich ist auch ein Krankenhausaufenthalt für den Patienten leidvoll, und so zahlen letztlich die Patienten den Preis für die übertriebene Juridifizierung der Medizin.

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Aber es gibt auch die Sorge, dass der Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK) wegen mangelhafter Dokumentation Bezahlungen durch die Krankenkassen verweigert. Wieweit das sich auswirkt, hängt von der Kompetenz des MDK ab und auch vom Selbstbewusstsein des jeweiligen ärztlichen Kollegen. Es gab unsinnige Parolen mancher MDK-Ärzte nach dem Motto: „Was nicht dokumentiert ist, ist auch nicht geschehen.“

Haben Sie auch eine Frage an Manfred Lütz?

Schreiben Sie bitte mit Angabe Ihres Namens an: 

luetz-kolumne@dumont.de

Dieser Satz ist völlig absurd. Die Dokumentation eines stationären Krankenhausaufenthalts kann nur jeweils Momente beschreiben, nicht zeitliche Kontinuitäten. Es gibt viele nonverbale Gesten, routinemäßige Abläufe, wirksames Abwarten im Krankenhaus und auch in der ambulanten Praxis, die therapeutisch beziehungsweise diagnostisch äußerst wichtig sind, aber aus prinzipiellen Gründen nicht eins zu eins dokumentiert werden können.

Außerdem kann die Dokumentation auch therapeutisch kontraproduktiv wirken. Wenn der MDK Ärzte zwingt, jeden Tag die Depression eines Patienten in eindrucksvollen Worten zu beschreiben, gerät der Therapeut selber in eine „Problemtrance“, die sich negativ auf den Patienten auswirkt. Ich habe damals mit einem kompetenten MDK-Arzt vereinbart, dass wir nicht täglich die Defizite des Patienten beschreiben, sondern ressourcenorientiert die – anfangs noch wenigen – Lichtblicke hervorheben, die kurzen Momente, in denen er sich freut, in denen es ihm gutgeht – ohne dass der MDK daraus sofort schließt, dass ein stationärer Aufenthalt gar nicht notwendig ist. Wenigstens einmal die Woche müssen wir natürlich dokumentieren, warum der Patient noch stationär behandelt wird. Deswegen müssen sich Ärzte dagegen wehren, einem unsinnigen Dokumentationsdruck nachzugeben, um stattdessen den Patienten zu helfen – und vor allem, um ihnen noch als Mensch zu begegnen, nicht als dokumentierender Roboter.

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