Kölner Infektiologe„Bestätigt sich der Trend, ist ein Lockdown zu erwarten“

Lesezeit 4 Minuten
Neuer Inhalt

Das Symbol für die Corona-Lage in Köln: Leere Ränge im Rhein-Energie-Stadion.

  • Die Inzidenzzahl steigt, es gibt immer mehr aktuell Infizierte in Köln. Die Stadt verbot Zuschauer beim 1. FC Köln und sagte ein Event in der Lanxess Arena ab.
  • Zurecht? Der Kölner Infektiologe Oliver Cornely sagt: „ Die Grenzwerte haben eine gewisse Beliebigkeit – in der echten Welt gibt es keinen Corona-Schalter, der auf null oder eins liegt.“
  • Dennoch begrüßt er die Absagen, erklärt, warum er Philharmonie-Konzerte für weniger bedenklich hält – und warum er derzeit mit einem baldigen Lockdown in Deutschland rechnet.

In Köln steigt die Inzidenzzahl seit vielen Tagen stetig an. Was verrät uns das über die derzeitige Lage?

Seit Juli sehen wir grundsätzlich einen Anstieg der aktuellen Infektionszahlen, auch in Köln. Dieser ist mittlerweile nicht mehr auf Feiern oder Hotspots begrenzt, er findet eher in der Fläche statt. Für mich ist diese Entwicklung Anlass zu großer Sorge. Über viele Monate haben wir uns sehr erfolgreich geschützt, mittlerweile ist Deutschland kein großes Vorbild mehr.

Die Sorgen sind bei vielen Menschen dennoch eher klein – schließlich gibt es aktuell kaum Todesfälle.

Alles zum Thema Henriette Reker

Das Virus hat sich, soweit ich das einschätzen kann, bislang nicht verändert. Der Umgang hat sich verändert – insbesondere bei Pflegern, Angehörigen und den betreuten Senioren selbst. Vor allem deshalb sehen wir aktuell wenige Todesfälle. Diejenigen, die sich heute infizieren, sind jünger, als diejenigen, die negativ getestet werden. An der Uniklinik liegt zwischen diesen Gruppen fast ein Jahrzehnt Differenz. Es gibt keinen Grund, anzunehmen, dass die Zahlen sinken. Bestätigt sich der Trend, wird irgendwann dennoch wieder ein Seniorenheim erreicht.

Beruhigen Sie die geringen Todeszahlen überhaupt nicht?

Keineswegs. Höhere Zahlen führen mit kleinen Nachlässigkeiten sofort zu Todesfällen. Das ist eine Frage der Zeit. Die derzeitige Entwicklung ist im Übrigen nicht schicksalhaft, sie ist direkte Folge aus der durchaus verbreiteten Verweigerung, konsequent eine Maske zu tragen.

Der 1. FC Köln durfte am Samstag nicht vor Zuschauern spielen – obwohl der Inzidenz-Grenzwert von 35 nicht erreicht war. Begrüßen Sie die Entscheidung der Stadt?

Zur Person

Professor Oliver Cornely, geboren 1967, ist Direktor des Lehrstuhls für Translationale Forschung am interdisziplinären Altersforschungszentrum „Cecad“ der Universität zu Köln. Cornely leitet das Zentrum für Klinische Studien und ist Oberarzt in der Infektiologie der Uniklinik Köln.

Das ist eine ganz schwierige Frage. Die Grenzwerte haben eine gewisse Beliebigkeit – in der echten Welt gibt es keinen Corona-Schalter, der auf null oder eins liegt, sondern ein Kontinuum. Auf diesem werden künstliche Grenzen gezogen. Ob diese Grenze nun bei 34 oder 36 gezogen wird, ist infektiologisch betrachtet nicht wirklich relevant. Die Rechnung geht folgendermaßen: Wir gestatten eine gewisse Anzahl an Infektionen, kennen diese aber nicht genau. Zum Zeitpunkt der Absage war klar, dass die Tendenz steigend ist. Zudem ist grundsätzlich bekannt, dass Fußballspiele eher unkontrollierbare Veranstaltungen sind, es wird gesungen und gejubelt – wenngleich sie unter offenem Himmel stattfinden. Die Entscheidung ist sehr schwierig zu treffen, die Tendenz der Stadt zu mehr Sicherheit begrüße ich allerdings sehr. Insbesondere mit Blick auf die steigenden Zahlen. Analog bewerte ich auch die Absage der geplanten Show in der Lanxess Arena.

In der Philharmonie dürfen Vorstellungen mit halber Zuschauerkapazität stattfinden. Können Sie das nachvollziehen?

Es gilt, jede Veranstaltung einzeln zu analysieren. In der Philharmonie wird vom Publikum nicht gesungen, eher wird kollektiv geschwiegen oder geklatscht. Beides trägt nicht zur Aerosolbildung bei. Auf der anderen Seite finden die Veranstaltungen in einem geschlossenen Raum statt. Ich kann die Differenzierung der Stadt ebenso nachvollziehen wie die Empörung anderer Veranstalter – denn aktuell haben wir zu wenige Daten zum Thema Veranstaltungen. Jeder tappt im Dunkeln.

Wird sich das ändern?

Ja. In Richtung Oktober starten viele Studien zum Thema Veranstaltungen. Auch an der Uniklinik untersuchen wir in Kooperation mit anderen Universitäten und Kliniken die Verbreitung in Seniorenheimen, Schulen, Kitas und Betrieben. Die Frage, wie groß das Infektionsrisiko wo ist, gilt es noch zu beantworten.

Das könnte Sie auch interessieren:

Was ist über die AHA-Regeln hinaus entscheidend, um mehr Neuinfektionen zu verhindern?

Zunächst gilt: Es braucht eigentlich nicht mehr als Abstand, Handhygiene und Alltagsmasken. Hält sich eine Woche lang jeder Kölner an diese drei Regeln, geht die Kurve rapide nach unten – das wissen wir. Offensichtlich ist das leider nicht möglich. Über diese Regeln hinaus sehe ich bei Tests noch Luft nach oben: Jeder sollte sich schon bei leichten Symptomen umgehend testen lassen, außerdem wäre es gut, wenn Testergebnisse schneller zur Verfügung stehen würden. Wer negativ getestet ist, kann in den Folgetagen niemanden anstecken. Informationen wie diese sind sehr wertvoll.

Kann die Maskenempfehlung von Henriette Reker etwas bewirken?

Jede Empfehlung pro Maske ist eine gute, auch die von Frau Reker. Wer gegen die Maske argumentiert, hat wahrscheinlich dennoch eine Haftpflichtversicherung. Diese folgt demselben Prinzip, wird nur nicht ständig reflektiert. Masken sollten noch viel selbstverständlicher werden.

Welche Maßnahmen erwarten Sie ab einem Inzidenzwert, der die kritische Grenze von 50 übersteigt?

Israel sah sich als erstes Land gezwungen, einen erneuten Lockdown zu verhängen. Bestätigt sich der Trend hierzulande, ist aus meiner Sicht Ähnliches zu erwarten. Denn wir wissen aus dem Frühjahr, dass ein Lockdown zur Bekämpfung der Pandemie effektiv hilft. Für eine Stadt wie Köln erwarte ich zeitnah engere Beschränkungen der Gruppengrößen im öffentlichen Raum.

KStA abonnieren