Kölner Psychologe über sechs Monate Pandemie„Wir haben uns ständig weiterentwickelt“

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„Bei alldem war eine humanistische Grundhaltung spürbar, deren Werte Grundlage des Handelns wurden“, sagt Peter Wehr über die Corona-Krise.

  • Seit gut sechs Monaten ist Deutschland im Ausnahmezustand: Das Coronavirus hat Grundlegendes verändert.
  • Wir haben den Psychologen Peter Wehr auf den bisherigen Verlauf der Corona-Pandemie zurückblicken lassen.
  • Was war sein eindrücklichstes Erlebnis? Was macht ihm Sorgen, was Hoffnung? Welcher Begriff beschreibt die Krise für ihn am besten?
  • Lesen Sie hier außerdem die Rückblicke sieben weiterer Experten.

Köln – Meine größte Sorge ist, dass die Bereitschaft zur Einhaltung der Schutzregeln nachlässt und dass diejenigen, die sich in der Krise vielleicht nicht so gut wahrgenommen und abgeholt fühlen, die keine oder aus ihrer Sicht ungenügende Unterstützung auch finanzieller Art erfahren haben, in extreme Positionen abdriften und entsprechend vehement gegen die Anti-Corona-Maßnahmen vorgehen. Das könnte, so meine Befürchtung, die erreichten Erfolge in der Pandemiebekämpfung gefährden. So nachvollziehbar der Wunsch – insbesondere der jungen Leute – nach einem sozialen Leben mit Partys ist, so sehr könnte daraus die Notwendigkeit erneuter harter Einschnitte folgen.

Zu Beginn konnten so viele Kräfte in so kurzer Zeit mobilisiert werden. Mich hat dabei vor allem beeindruckt, dass die politischen Parteien größtenteils zusammengestanden haben; dass die Wissenschaft so stark einbezogenen wurde - alles mit dem Ziel, der Krise bestmöglich zu begegnen. Bei alldem war eine humanistische Grundhaltung spürbar, deren Werte Grundlage des Handelns wurden. Damals war ich besonders froh, hier in einem demokratischen Deutschland zu leben.

In unserer Praxis war es schnell und reibungslos möglich, mit den Patienten unter Coronabedingungen mit den entsprechenden Vorgaben gut weiterzuarbeiten. Dazu gehörte auch die Videosprechstunde. Ich war sehr überrascht, welch gute Möglichkeit das darstellt, auch auf diese Weise therapeutisch zu arbeiten.

Mit dem Lockdown war plötzlich eine andere Freizeitgestaltung notwendig. Und andere Formen des Kontakts mit Freunden. Wir haben uns zum gemeinsamen Essen per Video verabredet oder auf ein Glas Wein. Das war irgendwie lustig. Selten zuvor sind wir abends so viel in der Natur spazieren gegangen, wie in der Zeit der Kontaktbeschränkungen. Das hat gutgetan und manchmal habe ich für diese Möglichkeit eine gewisse Dankbarkeit gespürt.

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Als Bild für die Krise fällt mir ein Netz ein. Solch eine engmaschige Verknüpfung zwischen den Akteuren und Experten verschiedenster Art – Politikern, Medizinern, Forschern – hat es nach meiner Wahrnehmung in der Vergangenheit nicht gegeben.

Als Begriff fällt mir analog zur „lernenden Organisation“ die „lernende Gesellschaft“ ein. Wir haben uns in einem fortwährenden Lernprozess ständig weiterentwickelt, aus neuen Ergebnissen neue Maßnahmen abgeleitet und umgesetzt; wir haben Fehler angeschaut und daraus gelernt.

Peter Wehr

Lesen Sie auch, wie der Kölner Infektiologe Gerd Fätkenheuer, der Mediziner Walter Möbius, die Psychologin Damaris Sander, der Apotheken-Vorsitzende Thomas PreisGerhard Wiesmüller vom Kölner Gesundheitsamt, die Juristin Gerlind Wisskirchen und Jürgen Zastrow, Vorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein, auf das erste halbe Jahr im Ausnahmezustand zurückblicken.

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