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Konstruktiv in der KriseWie man es schafft, derzeit nicht an der Welt zu verzweifeln

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Konstruktiv durch die Krise heißt auch: zugewandt bleiben.

Köln – Was war das für ein ermüdendes Jahr? Wir sind schon überfordert reingestartet und es wurde kaum besser. Ende Oktober lässt sich sagen: 2021 war Krise. Und zwar nicht irgendwo in der Welt, sondern bei uns, im krisenresistent geglaubten Deutschland. In Gestalt von Corona. In Gestalt der Jahrhundertflut. Beides eigentlich nur kleine Geschwister der großen und alles umfassenden Klimakrise. Und immer noch sitzen Menschen frierend und hungernd an EU-Grenzen – auch die Flüchtlingskrise war nie weg, nur verdrängt.

Krise definiert der Duden als Zeit, die den Höhe- und Wendepunkt einer gefährlichen Situation darstellt. Aber ist das noch der Höhepunkt – oder schon die Dauerkrise der kommenden Jahrzehnte? Wichtiger als der Zeithorizont ist unser Umgang mit der Situation. Was können wir machen, wenn uns die Nachrichten mal wieder überfordern? Wie bleibt man trotz der eigenen Machtlosigkeit konstruktiv? Diese und weitere Fragen haben wir einer Neurowissenschaftlerin, einer Psychologin und einer Engagierten gestellt – und daraus eine Anleitung zum Nicht-Verzweifeln in sechs Schritten gebastelt.

Warum überfordern uns schlechte Nachrichten?

Hitzerekorde und Jahrhundertfluten mitten in Europa, die Taliban in Afghanistan und hungernde Kinder im Jemen, alles begleitet von einem Virus, das auch im Oktober noch täglich tausende Menschenleben weltweit kostet. Katastrophenfilm-Meister Roland Emmerich hätte das Jahr 2021 nicht besser inszenieren können. Oder wird gar nicht alles immer schlimmer? „Grundsätzlich wissen wir, dass Negatives vom Gehirn schneller verarbeitet wird und länger hängen bleibt“, sagt Neurowissenschaftlerin Maren Urner. Das sei ein überlebenswichtiger Instinkt.

In ihrem Buch „Schluss mit dem täglichen Weltuntergang“ erklärt sie, dass dieser Automatismus heute dazu führt, dass uns die Informationsflut der digitalen Medien in einen dauerhaften Angstzustand versetzen kann. Sie sieht die Verantwortung auch bei den Medienschaffenden, die über Probleme berichten, für die sie nicht unbedingt Lösungen anbieten können. Wer dann online nur die Überschriften liest, kann schnell den Eindruck gewinnen: Überall nur Katastrophen. Aber die gute Nachricht: Dagegen kann man etwas tun. „Wir müssen mehr Demut und Akzeptanz für die Funktionsweisen unseres Gehirns entwickeln“, sagt Urner. Meint: Wer sich diesen Negativfokus des Gehirns bewusst macht, aber besser damit umgehen. Tendenziell merken wir uns eher die negativen Nachrichten, wir müssen also aktiv gegensteuern und auf die Suche nach Lösungen gehen.

Wie hat die Corona-Krise unser Empfinden für die Weltlage verändert?

Nun ist es ja wahr, dass die letzten eineinhalb Jahre besonders herausfordernd waren. Die Corona-Krise ist kein mediales Ereignis, sondern Fakt. Die Kölner Psychologin Meike Raabe sieht die Pandemie als doppelte Krise, persönlich und weltweit. Das gab es in Deutschland lange nicht, weil viele globale Probleme weit weg waren und oft um 20.15 Uhr nach der Tagesschau endeten.

Maren Urner spricht von einer Erschöpfung, die mit dem Zustand der dauerhaften Unsicherheit einhergeht. Unser Gehirn will Pläne machen, das ist aber – angesichts der wieder steigenden Infektionszahlen in Deutschland – immer noch schwierig. Außerdem zeigt eine britische Studie, dass Menschen  ihre private Situation negativer einschätzen, nachdem sie schlechte Nachrichten konsumiert haben. Der fragile Zustand der Welt und unsere ganz private Situation bedingen sich also auch in nicht-pandemischen Zeiten.

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Die Kontaktbeschränkungen hatten bei vielen einen erheblichen Einfluss auf die Weltsicht, sagt Raabe: „Je weniger wir im direkten Kontakt mit Menschen waren, desto mehr hatte unsere Psyche die Möglichkeit, um sich selbst zu kreisen.“ Die Folgen: Wir fühlen uns einsam, hilflos, nicht wahrgenommen und nicht handlungsfähig. Um nicht in diese Negativspirale zu verfallen, bleibt nur eins: den Kontakt zur Außenwelt nicht verlieren. Sich austauschen. Wir sind soziale Wesen.

Was kann ich generell gegen Überforderung tun?

Egal, ob der oder die Einzelne vor einem privaten, beruflichen oder globalen Problem kapituliert –„Der erste Schritt ist die Überforderung einzugestehen und anzunehmen“, sagt Therapeutin Meike Raabe. Auch der so genannte „Weltschmerz“ – das Leiden an der Unzulänglichkeit der Welt – könne schlimmstenfalls zu Angst- und Zwangsstörungen oder Depressionen führen. Man müsse sich bewusst machen, dass man in einem Moment der maximalen Überforderung keine komplexen Probleme lösen kann. Und sollte das Gedankenkarussell, das permanent im Kopf kreist und keine Lösung findet, dringend stoppen.

Sie plädiert dafür, sich erst einmal kleine Aufgaben zu suchen: Wäsche waschen, etwas kochen, sich draußen an der frischen Luft bewegen. Dann erfährt die Psyche Selbstwirksamkeit: Ich kann etwas tun und ändern. Mit diesem Gefühl lassen sich Probleme besser anpacken.

Wie bleibe ich konstruktiv?

„Ich kann sehr viel besser aktiv und konstruktiv sein, wenn es mir gut geht“, sagt Urner. „Dafür muss ich Grenzen ziehen. Der Konsum von Facebook abends im Bett kann zum Beispiel die Schlafqualität beeinträchtigen und zu Schlafstörungen führen.“ Man sollte Nachrichten nicht ausblenden, aber in Maßen und zur richtigen Tageszeit konsumieren.

Psychologin Meike Raabe sagt, ob jemand auch in Krisenzeiten konstruktiv und positiv bleibt, hängt eben von seiner oder ihrer generellen Sicht auf die Umgebung ab. Diese Sicht ist sehr stark von den Genen und der Sozialisation beeinflusst. Erwachsene erklären sich die Welt immer noch ähnlich wie sie es in der Kindheit gelernt haben. Dabei ist wichtig: Kann ich mich trotz zehn Grad und Nieselregen über einen Kaffee oder ein nettes Lächeln freuen? „Manche werden das albern finden. Das ist aber eine ganz wichtige Kompetenz – nicht nur das Negative zu sehen.“ Das kann man üben, sagt Raabe, und sich von Menschen im Umfeld abschauen, die das schon gut hinkriegen. Ein Schlüssel dazu ist für Raabe Empathie. Trotz der eigenen Probleme offen bleiben für die Probleme der anderen.

Wie arrangiert man sich mit der eigenen Ohnmacht und Bedeutungslosigkeit?

Niemand kann den menschengemachten globalen Temperaturanstieg alleine auf 1,5 Grad begrenzen. Beide Expertinnen sind sich einig, dass man auch den Gedanken zulassen muss, dass der oder die Einzelne nicht alleine die Welt retten kann. „Und ich darf darüber auch mal frustriert, ängstlich und traurig sein“, sagt Urner. Aber jeder habe die Wahl: Ob er ein kleiner Teil des Problems oder ein kleiner Teil der Lösung sein will.

Und da niemand, der diesen Text liest, auf einer einsamen Insel lebt, ist er oder sie als minikleiner Teil des Systems eben dort relevant. „Jeder Mensch hat eine Verantwortung im sozialen Getriebe und beeinflust durch sein Handeln andere Menschen“, sagt Urner. „Wenn Sie im Alltag und im Beruf über die Klimakrise sprechen, schaffen Sie ein Bewusstsein bei anderen.“ Und so verändert sich das System langsam. Corona hat gezeigt: Wir können unser Verhalten ändern. Es muss nur jemand damit anfangen.

Was kann ich konkret tun, um die Welt besser zu machen?

Hier kommt Gabi Klein von der Kölner Freiwilligenagentur ins Spiel. Bei ihr rufen regelmäßig Menschen an, die etwas verändern wollen. In der Hochzeit der Flüchtlingskrise 2015 hatte sie regelmäßig nächtliche Nachrichten auf dem Anrufbeantworter – „Ich habe die Menschen auf der Balkanroute gesehen, ich möchte helfen.“ Klein vermittelt hauptsächlich in Projekte, die Geflüchteten helfen, sich bei uns zurecht zu finden. Sie macht dann Vorschläge: Wollen Sie  ein Kind aus einer Unterkunft betreuen? Oder lieber im Hintergrund tätig sein: Spenden sammeln, politische Lobbyarbeit machen, eine Internetseite betreuen?

Klein geht von etwa einem Drittel Menschen in unserer Gesellschaft aus, die sich engagieren wollen, es aber noch nicht machen. „Engagementpotenzial“ nennt sie das. Aktiviert wurde es definitiv, als die Flutkatastrophe ganze Landstriche verwüstete. Das Telefon stand nicht mehr still. Innerhalb von wenigen Tagen wurden Busse mit tausenden Freiwilligen organisiert, die in die betroffene Gebiete fuhren, um mitanzupacken.

Und wer sich nun der Klimakrise und der Weltrettung annehmen will: Das Bündnis Kommunale Nachhaltigkeit Köln setzt sich für die Umsetzung der 17 globalen Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen in der Stadt ein. Online listet es zahlreiche Initiativen und Projekte auf, in denen man sich unter anderem zum Thema Klimaschutz, nachhaltiger Konsum und Geschlechtergerechtigkeit in jeglicher Form engagieren kann.

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