Mehr Stress, Corona-Kilos„Durch Fasten kommen wir im Lockdown wieder ins Lot"

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Ein bisschen Brühe, Saft und Tee sind alles, was man beim Buchinger-Fasten zu sich nehmen darf. 

Köln – Herr Wilhelmi, die Corona-Zeit verlangt uns seit Monaten viele Entbehrungen ab. Warum sollten wir ausgerechnet jetzt auch noch auf Essen verzichten?

Leonard Wilhelmi: Der Begriff Verzicht spiegelt nicht das wider, was wir unter Heilfasten verstehen. Für uns ist Fasten nicht unangenehm und nichts, was einem schwer fällt, sondern eher ein natürlicher Prozess. Die Pause von externer Nahrung entspricht unserem natürlichen Rhythmus und unserem Naturell viel eher als das ständige Essen. Fasten kann uns dabei helfen, wieder in den Rhythmus hineinzukommen.

Das müssen Sie genauer erklären.

Die Corona-Zeit hat uns mit Homeoffice und Homeschooling völlig aus dem Rhythmus gebracht. Wir sind sehr aus dem Tritt, haben möglicherweise an Gewicht zugenommen und mehr Stress als früher. Das Fasten stellt die Uhren wieder auf Null und bringt uns körperlich und geistig wieder ins Lot.

Aber wie soll das praktisch funktionieren? Man hat ja jetzt zuhause noch weniger Ruhe als früher.

Sie könnten zuhause mit dem Intervallfasten beginnen, also nur in einem bestimmten Zeitfenster Nahrung zu sich nehmen und die restliche Zeit nicht. Nach zwölf bis 14 Stunden wird in der Leber die letzte Energiereserve verbraucht und der Körper wechselt in den Fastenstoffwechsel. Auf diese Weise aktivieren Sie jeden Tag für eine bestimmte Zeit einen Stoffwechsel, der bestimmte Prozesse im Körper aktiviert. So haben Sie eine Mischung aus einer Ernährungsstrategie und Fasten, die Sie sehr natürlich in Ihren Tag einbauen können.

Zur Person

Leonard Wilhelmi leitet seit 2019 die Fastenklinik Buchinger Wilhelmi in Überlingen am Bodensee. Gegründet wurde die Klinik 1953 von Dr. Otto Buchinger, seiner Tochter Maria und deren Mann Helmut Wilhelmi. Buchinger erprobte die positive Wirkung des Heilfastens 1919 am eigenen Leib, als er durch Nahrungsentzug sein schweres Gelenkrheuma besiegte. Die Buchinger-Wilhelmi-Methode wird kontinuierlich mit universitären Forschungszentren weiterentwickelt. Es geht dabei nicht nur um körperliche, sondern auch um geistige Entwicklung.

Nach fast einem Jahr Corona klagen viele Menschen über Rücken- und Kopfschmerzen, Übergewicht und schlechte Laune. Kann Fasten auch gegen diese Corona-Leiden helfen?

Ganz klar kann man sagen, dass sich Gewicht, Stimmung und allgemeines Wohlbefinden durch Fasten auf jeden Fall verbessern. Wir haben bei uns in der Klinik eine Studie – übrigens in Kooperation mit der Berliner Charité – mit 1422 Teilnehmern durchgeführt, die das gezeigt hat. Es werden Glückshormone ausgeschüttet und sie fühlen sich insgesamt leicht, auch geistig.

Was hat sich seit Corona in Ihrer Klinik verändert?

Es kommen viele Menschen zu uns, die sich jetzt eher mental erholen und eine Pause machen möchten. Die ganze Situation ist sehr anstrengend und belastend, die Patienten wollen das einordnen und aus der Belastung heraus treten. Durch den Fastenstoffwechsel fahren Sie insgesamt herunter, schlafen anders und erholen sich besser. Sie kommen in eine tiefe Entspannung, die in der jetzigen Situation natürlich sehr angenehm ist.

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Wie sollte Fasten nach der Buchinger-Wilhelmi-Methode optimalerweise ablaufen und wie lange bleibt man dran?

Bei uns in der Klinik beginnen Sie mit einem Entlastungstag, an dem die Kalorienzufuhr reduziert wird. Am ersten richtigen Fastentag führen Sie ab, um das Verdauungssystem in den Urlaub zu schicken und ihm so die Möglichkeit zur Regeneration zu geben. Von da an bekommen Sie morgens einen Tee mit Honig, mittags einen Fruchtsaft und abends eine Brühe. Dazwischen Leberwickel, Kunst, Sport, Massagen, Wandern und viel Schlaf, ganz wie Sie mögen. Wenn die Fastentage vorbei sind, gehen Sie langsam über drei bis vier Tage wieder aus dem Fasten hinaus, zum Beispiel mit einem Apfelmus und einer etwas dickeren Suppe. In den Aufbautagen werden Sie langsam wieder mit 600, 800 und 1200 Kalorien ans Essen herangeführt. Bei uns in der Klinik sind zehn Tage dafür das Minimum. Zur Eröffnung in den 1950er-Jahren waren es noch 21 Tage. Die meisten Patienten pendeln sich zwischen 14 und 21 Tagen ein.

Wie deutlich spüren Sie die Pandemie in Ihrer Einrichtung?

Vor Corona kamen 70 Prozent unserer Gäste aus dem Ausland, jetzt haben wir mehr Patienten aus Deutschland. Wer bei uns eincheckt, muss sich testen lassen und bleibt bis zum Testergebnis 24 Stunden auf dem Zimmer. Alle Mitarbeiter, die direkten Kontakt zu den Patienten haben, werden wöchentlich getestet. In den Kursen ist die Teilnehmerzahl begrenzt. Das gewährleistet uns einen relativ normalen Betrieb. Neu bei uns sind Programme, die entweder gezielt die Immunität der Gäste fördern sollen oder Methoden vermitteln, mit denen man sich psychisch gegen die Krise stärken und Stress reduzieren kann.

Zum Weiterlesen

Dr. med. Rainer Matejka: Fasten heilt. Welche Methoden es gibt, bei welchen Erkrankungen Fasten wirklich hilft, drei Praxisprogramme, Trias Verlag, 202 Seiten, 19,99 Euro

Was hat Sie 2020 besonders überrascht?

Der Sinn und Zweck unserer Klinik hat sich gewandelt. Wir sind jetzt viel mehr auf dem Körper-Geist-Thema unterwegs. Vor Corona hatten wir viele Gäste, die mitten im Job und stark unter Druck standen. Die haben den Aufenthalt bei uns genutzt, um ihre Leistungsfähigkeit zu erhalten. Seit Corona geht es eher darum, den Menschen eine Pause zu gönnen und sie regenerieren zu lassen. Einige kommen auch, um gezielt etwas gegen Bluthochdruck, Diabetes und Übergewicht zu tun. Die Menschen machen sich fit für den Fall einer Infektion. Und sie bleiben länger bei uns als normalerweise. Vielleicht, weil man gerade eh nicht reisen kann. Wie ein Urlaub für Körper und Geist.

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