Abo

Nach zehn Jahren SelbstversuchKanadier findet das Rezept gegen den Alkohol-Kater

Lesezeit 8 Minuten
verkatert

Wie ein Boxer, der in der Ecke liegt: Der Kater am Morgen danach

Es ist die Rechnung, die man für den Abend davor bezahlt. Nicht die monetäre, die ist beglichen oder angeschrieben. Sondern die physische. Drei Schlagzeuger trommeln von innen gegen die Schädeldecke, dazu ein ordentlicher Drehwurm, Übelkeit, allgemeines Unwohlsein; et voilà, der Kater am Morgen danach ist perfekt. Ein Gegenmittel, das ihn zuverlässig vertreibt, sucht man vergebens – bis jetzt.

Wer vom Kater betroffen ist, verflucht vielleicht den Abend davor. Oder die Freunde, die ihre Tricks gegen den Kater als Binsenweisheit verkauft haben. Klar, ein Liter Wasser vor dem Schlafengehen, und am Morgen geht es einem blendend. Dann aber wacht man auf und die offene Wasserflasche, nur zur Hälfte ausgetrunken, liegt in einer Pfütze neben dem Bett. Und noch bevor der Gedanke reift, das Malheurs zu beseitigen, schickt einen der Kater mit einem präzisen Faustschlag zurück auf die Matratze, die sich an diesem Morgen anfühlt wie die Bretter eines Boxrings.

Shaughnessy Bishop-Stall – ein Name wie ein Drink

Nun gibt es zwei Möglichkeiten, das Problem generell zu lösen. Entweder, man passt das Trinken an, was die meisten aber nicht wollen. Oder man reist zehn Jahre lang um die Welt, probiert alle möglichen alten und neuen Methoden gegen den Kater aus, und schreibt, wenn man das Heilmittel dann endlich irgendwann gefunden hat, ein Buch darüber. Shaughnessy Bishop-Stall hat sich für die zweite Variante entschieden.

Shaughnessy Bishop-Stall, der Name klingt nach einem Drink, den man in Kneipen im hintersten Schottland bekommen könnte. In Wahrheit ist Bishop-Stall Kanadier, Mitte 40, und arbeitet als Dozent für Kreatives Schreiben an der University of Toronto sowie als freier Journalist und Autor. Für ihn ist es unverständlich, dass sich Wissenschaftler nie so richtig mit einem Mittel gegen den Kater beschäftigt haben. Schließlich schießen sich Menschen seit jeher aus der Umlaufbahn der Wahrnehmung und spüren die Konsequenzen bei der harten Landung am Morgen danach. Also nimmt Bishop-Stall die Sache selbst in die Hand. Oder vielmehr das Glas.

Unzählige Kneipen, Bars und Pubs

Als freier Journalist kommt der Kanadier ohnehin viel rum. Wenn er ein Stück aus dem Ausland liefert, verbindet er das mit der Recherche für sein Buch. Das führt ihn in unzählige Kneipen, Bars und Pubs. Und am Ende immer wieder auf die harten Bretter seines Hotelbetts, das am Abend zuvor doch noch so schön weich war.

Bishop-Stall muss erst lernen, wie er sich richtig betrinkt, damit der Kater zu einem für seine Forschung günstigen Zeitpunkt einsetzt. Denn ist er am Morgen danach noch besoffen vom Vorabend, gibt es ja noch gar keinen richtigen Kater, der bekämpft werden könnte. In Las Vegas nimmt der Kanadier mit anderen Journalisten an diversen Freizeitangeboten teil, um darüber zu berichten. Die Aktivitäten versprechen Action, denkt man über Klischees für Erlebnisgutscheine nach, landet man schnell bei dem Programm, das Bishop-Stall erwartet: Fahren in einem Rennauto, Springen von einem Hochhaus, Fliegen mit einem Kampfjet, Schießen mit einem Maschinengewehr. Die USA, das Land der unbegrenzten Möglichkeiten. In Las Vegas trifft all das auf viel Alkohol und andere Verlockungen, hier erreicht es seine perverse Spitze.

Und wo sonst, wenn nicht in Vegas, gibt es eine Klinik namens „Hangover Heaven“. Hier wird der Kater geheilt, Erfolgsquote: Angeblich 98 Prozent. Bei Bishop-Stall klappt es nicht. Trotz Infusion, Spritze, Pillen und Sauerstoffmaske. Auf dem Weg zur Rennstrecke muss Bishop-Stall sich arg zusammenreißen, um den Journalisten-Kollegen die Geschehnisse des Vorabends nicht mit dem Inhalt seines Magens zu erzählen. Erst später stellt Bishop-Stall fest: Das „Hangover Heaven“ konnte seinen Kater gar nicht heilen – weil er vor Ort noch gar keinen hatte. Er war schlichtweg noch betrunken vom Abend davor.

Natürlich zeigt der Kater sein hässliches Gesicht dann zum ungünstigsten Zeitpunkt: Kurz bevor Bishop-Stall mit 260 km/h über eine Rennstrecke rast. Doch während der Fahrt spürt er davon nichts. Das Adrenalin schießt durch seinen Körper und schickt den Kater in sein Körbchen. Das schnelle Ende der Suche? Tatsächlich soll es nicht wenige Amateurfußballer geben, die verkatert eines der besten Spiele ihres Lebens machen. Die ersten fünf Minuten sind kaum auszuhalten, doch danach schweben manche wie junge Götter über den Platz. Zumindest in ihrer eigenen Vorstellung. Nur um nach dem Spiel mit den zurückgekehrten Kopfschmerzen in der Kabine sitzend gesagt zu bekommen, dass man doch gar nicht mal so gut war. Aber wenigstens hat es sich so angefühlt.

260 km/h mit einem Sportwagen? Nicht das beste Mittel gegen den Kater

Auch bei Bishop-Stall tapert der Kater wieder aus dem Körbchen, nachdem der Journalist aus dem Sportwagen gestiegen und das Adrenalin weg ist. Und was lernen wir daraus? Mit 260 km/h Runde für Runde mit einem Sportwagen zu drehen, ist also kein geeignetes Mittel gegen den Kater. Zumindest nicht langfristig.

Ein Kater entsteht, so viel wissen wir, beim Abbau all jener Getränke, die am Vorabend den Hals hinunter flossen. Neben Ethanol befinden sich in Bier, Wein oder Schnaps auch Fuselalkohole. Methanol zum Beispiel. Beim Abbau dieser Fuselalkohole entsteht Formaldehyd, ein Zellgift. Der Kater schnurrt.

An der Theorie des Konterbiers ist etwas dran

In diesem Zustand lässt allein der Gedanke an ein weiteres alkoholhaltiges Getränk einige Mägen rotieren. Andere hingegen schwören auf das Konterbier. Und tatsächlich könnte diese Methode in der Theorie funktionieren. Denn laut Adam Rogers, einem weiteren Autor, der sich mit dem Kater beschäftigt hat, könne Ethanol bei einem Kater Abhilfe schaffen, da es den Körper an der Zersetzung von Methanol hindere. Tatsächlich erreicht der Kater seinen Höhepunkt, wenn der Alkoholpegel gerade die absolute Nullgrenze erreicht. Mit einem Bier oder anderen alkoholischen Getränk zu früher Stunde lässt sich der Kater also zumindest um einige Stunden nach hinten verschieben. Wer aber mit Brummschädel und Schwindelgefühl im Büro am Schreibtisch sitzen muss, für den ist das Konterbier auch keine wirklich gute Lösung.

Bishop-Stall sucht also weiter. Jahrelang, mit unzähligen Drinks. In England nimmt er es mit der Goldenen Meile, einer Kneipentour aus dem Film „The World´s End“ auf, in Österreich fällt er beinahe den Berg hinunter, beim Oktoberfest in München endet er schließlich mit geschröpfter Kreditkarte, ohne Bargeld und ohne Unterkunft.

Auf seinem Weg hat er unzählige Geheimtipps bekommen. Von in warmer Milch aufgelöster Kaminkohle über das immer an Neujahr in seiner Heimat stattfindende Eisbärschwimmen bis hin zu modernen blauen Fläschchen und altmodischen Kräutermischungen. Manches hilft ein wenig. Anderes gar nicht. Später lässt Bishop-Stall seine Freunde auf einer Party einige Mittel testen. Die Rückmeldungen reichen von „Ein Wunder“ bis zu „Ich glaube nicht, dass es mir nach dem Trinken schon mal so schlecht ging.“

Bishop-Stalls Ziel gerät in Gefahr, als ihn ein Arzt nach einem heftigen Ausschlag mit einer Alkoholunverträglichkeit konfrontiert. Der Bösewicht ist in diesem Fall allerdings ausnahmsweise nicht der Alkohol, sondern eine Mischung aus Niacin und Vitamin B3, die Bishop-Stall auch als Mittel gegen den Alkohol getestet hatte. Zwischendurch verlässt ihn seine Freundin. Immer häufiger stößt er auch psychisch an seine Grenzen. Und grübelt: Ob es überhaupt gut sei, nur die kurzfristigen Katerleiden zu beheben, die langfristigen aber außer Acht zu lassen. Depressionen, Niedergeschlagenheit, Lethargie. Schließlich beschütze der Kater den Menschen ja auch vor übermäßigem Alkoholkonsum.

„Das Zeug ist richtig gut“

Doch allen Zweifeln zum Trotz entdeckt Bishop-Stall nach jahrelanger Suche endlich ein Rezept, das den Kater tatsächlich vermeidet. Es ist eine Mischung aus den Zutaten, die ihm in all den Jahren den so häufig schweren Kopf etwas leichter machten. Seine Pillen enthalten N-Acetylcystein, auch als NAC bekannt, die laut Bishop-Stall wichtigste Zutat. Dazu Weihrauch, das aber auch gegen jedes entzündungshemmende Analgetikum ausgetauscht werden kann, eine Mariendistel und die Vitamine B1, B6 und B12. Auf keinen Fall jedoch ein Vitaminpräparat oder ein B-Komplex.

Sein Rezept hat Bishop-Stall einer Ärztin in New Orleans gezeigt, bei dem vorläufigen Ende seiner Reise. Die ist durchaus der Meinung, dass Pillen aus diesen Zutaten den Kater verhindern könnten. Das haben auch Bekannte von Bishop-Stall bestätigt. So berichtete ein Mann aus Detroit , der früher zusammen mit seinem Bruder Pillen gegen den Kater verkauft und den Bishop-Stall auf seiner Suche kennengelernt hatte, von einem Urlaub in Mexiko: „Das Zeug ist richtig gut. Meins war schon gut, aber deins ist besser.“ Nur die Mariendistel, so die Ärztin aus New Orleans, sei überflüssig. Über den Einsatz von Magnesium sollte man hingegen nachdenken. Bishop-Stall verfeinert sein Rezept in jedem Fall weiter.

Die Pillen haben einen Haken

Seine Pillen, die nach dem erstem Fazit tatsächlich Wunder wirken, haben allerdings einen Haken. Sie müssen nach dem Trinken, aber noch vor dem Schlafengehen eingenommen werden. Was sich in betrunkenem Zustand als eine große Herausforderung herausstellen kann. Aber anders geht es nicht. Am Morgen danach sei es schon zu spät.

Denkt man jedoch am Abend noch daran, kann man laut Bishop-Stall die jecken Tage und alle anderen feucht-fröhlichen Abende im Jahr genießen, ohne Angst haben zu müssen, dass einen der Kater am Morgen danach gleich wieder auf die Bretter schickt.

KStA abonnieren