Abo

Schule, Gastronomie, SportWo ist das Corona-Infektionsrisiko besonders hoch?

Lesezeit 8 Minuten
GettyImages-1226678910

Essen im Restaurant – wie sicher ist das?

Köln – Zu den Maßnahmen des „Teil-Lockdowns“ im November gehören geschlossene Restaurants und Bars, der Freizeit- und Amateursport hat Pause und in den Schulen wurde die Maskenpflicht wieder verschärft. Nicht jeder findet das angemessen, vor allem auf Betreiberseite. Das Robert-Koch-Institut veröffentlicht viele Zahlen, unter anderem auch solche, die Auskunft geben, wo die registrierten Infektionen stattfanden. Das geht allerdings nur bei jenen, bei denen sich dies auch zurückverfolgen lässt. Das ist nur jeder vierte Fall, knapp 75 Prozent der gemeldeten Covid-19-Fälle finden sich in dieser Statistik also gar nicht wieder. Umso wichtiger sind Studien, die versuchen aufzuzeigen, wie hoch das Infektionsrisiko an gewissen Orten wirklich ist. Ein Überblick. 

Der hohe Anteil an Infektionen in privaten Haushalten oder auf Feiern, sei zum Beispiel mit Vorsicht zu genießen, betont das RKI. Denn bei solchen Ausbrüchen ist die Rückverfolgung deutlich einfacher als beispielsweise in der Bahn oder im Restaurant. So handele es sich in den meisten Fällen um ein diffuses Geschehen. Allerdings gebe es Häufungen im Zusammenhang mit privaten Feiern im Familien- und Freundeskreis sowie in Gemeinschaftseinrichtungen, Alten- und Pflegeheimen.

Pandemie wird von „Superspreadern“ getrieben

Was viele Ausbrüche auch immer wieder zeigen: Wenn Menschen über einen längeren Zeitraum eng beieinander sind, keinen Mund-Nasen-Schutz tragen und sich eine hohe Konzentration an Tröpfchen und Aerosolen in der Luft befindet, hat das Virus leichtes Spiel. Es kommt zu sogenannten „Superspreader-Events“: Eine infizierte Person steckt viele andere auf einmal an. Viele Experten sind sich einig, dass diese Situationen eine immense Rolle in der Pandemie spielen. Auch Studien belegen dies. „Diese Pandemie wird nicht getrieben davon, dass jeder, der infiziert ist, einen oder zwei andere Personen ansteckt. Diese Pandemie ist hauptsächlich davon getrieben, dass es Situationen gibt, in denen ein sogenannter „Superspreader“ mehrere Dutzend Personen gleichzeitig infizieren kann“, sagt auch Prof. Dr. Ulf Dittmer, Direktor des Instituts für Virologie am Universitätsklinikum Essen.

Alles zum Thema Robert-Koch-Institut

Auch er sieht in Veranstaltungen, bei denen eine größere Anzahl von Menschen zugegen ist, eine Gefahr. „Bis in den Spätsommer hinein durfte man ja auch größere Feiern beispielsweise im Restaurant abhalten. Meiner Ansicht nach war es ein großer Fehler, das im Sommer zuzulassen. Das sind genau die Ereignisse, an denen diese „Superspreader“-Events eintreten.“

Eine Hochzeit, 177 Infektionen, sieben Tote

Wie groß die Auswirkungen einer einzigen Veranstaltung sein können, hat nun eine Untersuchung der US-Seuchenbehörde CDC erschreckend deutlich gezeigt. In einem ländlichen Ort im US-Bundesstaat Maine hatte ein Paar Anfang August geheiratet. 55 Gäste waren bei der Feier dabei, nicht viel mehr als die erlaubten 50. Am Eingang gab es Fiebermessungen, keiner der Anwesenden zeigte Krankheitssymptome, Schilder wiesen auf das Tragen von Masken und auf den Abstand hin. Die Bilanz der Veranstaltung: 177 Infizierte und sieben Todesfälle ließen sich auf die Hochzeit zurückführen.

Die Auswirkungen dieses „Superspreader-Events“ waren auch noch hunderte Kilometer weiter auszumachen. Ein Gast ging trotz Symptomen anfänglich weiter zur Arbeit in einer Pflegeeinrichtung, 160 Kilometer von der Hochzeit entfernt. 24 der 44 Bewohner infizierten sich mit dem Coronavirus, sechs Menschen starben. 320 Kilometer entfernt vom Ort der Feier ignorierte ein Gast anfänglich ebenfalls die Symptome, ging weiter zur Arbeit im Gefängnis. 66 von 159 Personen, Mitarbeiter und Häftlinge, infizierten sich.

US-Studie analysiert Handydaten: „Restaurants sind mit Abstand die risikoreichsten Orte“

Allerdings sind es nicht nur die privaten Feiern, auf denen sich Menschen mit dem Coronavirus infizieren. Das zeigen Ergebnisse einer Studie, die in Zusammenarbeit zwischen der Stanford und der Northwestern University sowie dem Microsoft-Research-Labor und dem Biohub entstand und im Nature Science Journal veröffentlicht wurde. Die Herangehensweise war dabei grundlegend anders als die der Untersuchung des CDC. Anstatt ein Ereignis zu rekonstruieren, sammelten die Studienautoren im März und April in zehn amerikanischen Metropolregionen anonyme Handydaten von 98 Millionen Menschen und ihre Aufenthalte an 553.000 verschiedenen Orten wie Restaurants, Geschäften oder religiösen Einrichtungen. Dazu wurden nach und nach die Zahlen der Infektionsgeschehen in den jeweiligen Städten in die Datenbank eingeschleust und mit den Standardannahmen der Abläufe einer Pandemie ein Modell gestartet. Die Zahlen dieses Modells kamen dem realen Infektionsgeschehen sehr nah, wodurch die Forscherinnen und Forscher Rückschlüsse auf die Orte, an denen es Infektionen gegeben hatte, ziehen konnten.

Die Studie kommt zu dem Fazit, dass es am effektivsten sei, die maximale Kapazität der untersuchten Orte zu reduzieren. Vor allem in der Gastronomie müsste dies wohl geschehen. „Restaurants sind mit Abstand die risikoreichsten Orte“, sagte Jure Leskovec, Informatiker an der Stanford-Universität und Mitautor der Studie. Bezogen auf Neuinfektionen sei es laut der Studie in Restaurants „ungefähr viermal gefährlicher als in Fitnessstudios“ Die Datensimulation ergab, dass es bis Ende Mai zu 600.000 weiteren Infektionen gekommen wäre, wenn allein die Restaurants nicht geschlossen worden wären.

Zum Essen muss der Mund-Nase-Schutz abgenommen werden – der Schutz geht verloren

„Das ist interessant, wenn man die Mobilität von Menschen mit Infektionsketten übereinanderlegt“, sagt Ulf Dittmer. „Daraus kann man ableiten, wie gefährlich bestimmte Orte sind und ob andere Orte deutlich ungefährlicher sind. Das ist sehr wichtig für die Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie und auch für unser Verhalten.“ Und aufgrund der großen Menge an Zahlen sei man auch statistisch abgesichert. Eins zu eins übertragen auf die Situation in Deutschland lasse sich diese Studie allerdings nicht. „Es gibt Unterschiede in der Struktur zwischen den USA und Deutschland“, sagt Dittmer. „Die bauliche Struktur von Restaurants ist häufig anders, auch die der Fitnesscenter.“ Das Grundprinzip der Studie gelte allerdings auch für Deutschland.

Wie die Studie sieht auch Dittmer die Situation in Restaurants als nicht gänzlich gefahrlos an. Zwar könne es nicht zu einem „Superspreader-Event“ kommen, wenn man nur zu zweit essen gehe, die Tische weit genug auseinander stünden und alle sich an die Regeln hielten. Es sei aber so, „dass in einem Restaurant immer eine gewisse Gefährdung besteht, weil man den Mund-Nasen-Schutz ablegen muss. Das geht eben nicht anders beim Essen. Und dadurch geht der Schutz, den man sonst hat, verloren. Deshalb ist es noch wichtiger, dass dann andere Personen, die einem näherkommen, einen vernünftigen Mund-Nase-Schutz tragen.“ Bedenklich findet Dittmer, dass die Bedienenden in einigen Restaurants zwischenzeitlich keinen Mund-Nasen-Schutz trugen, sondern nur ein sogenanntes Face Shield, das nach unten hin offen ist. „Ohne Mund-Nasen-Schutz reicht das nicht. Wenn die Bedienung steht und man selbst sitzt, können sich sehr wohl Tröpfchen aus dem Face Shield nach unten hin verteilen. Das Face Shield ist ein guter Eigen-, aber ein schlechter Fremdschutz.“

Intensives Atmen beim Sport erhöht das Infektionsrisiko

Und wie sieht es beim Sport aus? Im Winter geht es für einige Sportarten, die nicht ohnehin dort sind, in die Halle. Auch Fitnessstudios sind geschlossene Räume. „Wenn beim Sport alle einen funktionierenden Mund-Nase-Schutz tragen würden, wäre die Gefahr vergleichsweise gering“, sagt Ulf Dittmer. Allerdings ist auch beim Sport das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes nicht immer möglich. Zum einen stört er, verrutscht vielleicht, zum anderen wird er schnell feucht und somit ineffektiv. Und zum Trinken muss er ohnehin kurz zur Seite.

Dabei ist ein Mund-Nase-Schutz beim Sport drinnen noch wichtiger als im Restaurant. „Wir wissen, dass es häufig zu „Superspreading-Events“ kommt, wenn Leute singen, länger schreien oder eben sehr stark ein- und ausatmen, weil sie intensiven Sport treiben“, so Dittmer. Ist man außer Atem, atmet man also kräftiger, die Aufnahme, aber auch die Abgabe von viruslastigen Tröpfchen ist somit verstärkt. Schweiß spielt, anders als bei Ebola, bei Sars-CoV-2 laut Dittmer übrigens keine Rolle, ist nicht infektiös.

Dunkelziffer bei Schulkindern wohl nicht so hoch wie oft angenommen

Geöffnet sind, im Gegensatz zu Restaurants und Fitnessstudios, die Schulen. Sie liegen bei der Priorität deutlich über beiden Erstgenannten. Doch auch hier gibt es Diskussionen, ob eine teilweise Schließung oder zumindest eine Aufteilung von Schulklassen nicht besser sei. Die Befürchtung derjenigen, die dies befürworten: Kinder zeigten häufig keine Symptome, wenn sie das Coronavirus in sich tragen und auch infektiös sind. Die Dunkelziffer sei hier hoch, was einem unbemerkten Ausbruch entgegenkommen würden. Dagegen spricht eine Untersuchung der Universitätskinderklinik Regensburg, unter deren Leitung eine Abfrage der Corona-Tests von über 110.000 Kindern und Jugendlichen an 105 deutschen Kinderkliniken erfolgte.

Demnach seien die Annahmen zur Dunkelziffer so nicht richtig, schreibt der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte in seiner Pressemitteilung. Die Rate an positiv getesteten Kindern und Jugendlichen liege bei Kliniken, die Verdachtsfälle getestet haben, bei 3 Prozent. Bei knapp 80 Prozent der Kliniken, die eine generelle Testung unabhängig von Symptomen und Kontakten durchführen, liege die Positivrate bei 0,2 Prozent. Im Mittel seien demnach 0,53 Prozent der Kinder positiv getestet worden. Der Verband bewertet die Vermutung, dass es über die 0,53 Prozent positiv Getesteten hinaus eine hohe Dunkelziffer unter Kindern und Jugendlichen gebe, als „sehr unwahrscheinlich“. Zudem gebe es deutliche Hinweise darauf, dass die Infektionsquelle in der Mehrzahl außerhalb des schulischen Bereichs liege.

Das könnte Sie auch interessieren:

Zu diesen Ergebnissen passt eine Untersuchung aus Hamburg. Demnach hätten sich 78 Prozent der 372 Schülerinnen und Schüler, die sich zwischen Sommer- und Herbstferien infiziert hatten, laut Schulsenator Ties Rabe „höchstwahrscheinlich“ außerhalb der Schule angesteckt. Bei 70 Prozent habe es im entsprechenden Zeitraum keine weiteren Infektionen in derselben Schule gegeben, bei 36 weiteren Fällen habe man durch Gespräche die Schule als Infektionsort ausschließen können. So hätten sich maximal die übrig gebliebenen 80 Fälle in der Schule anstecken können. Sehr valide ist diese Beobachtung nicht. Als die Zahlen auch in Hamburg mit Beginn der Herbstferien wieder deutlich nach oben gingen, endete der Betrachtungszeitraum, die Betrachtungszahl ist klein. Zudem sind die ausgeschlossenen 70 Prozent keine wasserdichte Zahl, da es in der betreffenden Schule zum betreffenden Zeitpunkt auch unbemerkte Infektionen ohne Symptome gegeben haben könnte. So betonte Rabe auch, dass es sich lediglich um eine „Voruntersuchung“ handele. Eine vollwertige Studie mit medizinischem Anspruch soll nun folgen.

KStA abonnieren