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Seit 16 Jahren ein Paar„Warum ich seit sieben Jahren eine offene Beziehung führe“

Lesezeit 10 Minuten
Zwei Menschen haben Sex, die Füße gucken raus

Um was geht es in einer offenen Beziehung? Nur um Sex? Wohl eher nicht. Es gibt auf jeden Fall auch viel Gesprächsbedarf. 

  • Anna und Max führen eine offene Ehe – das heißt, Affären sind erlaubt.
  • Trotzdem hat das Paar sich einige Regeln auferlegt.
  • Im Interview erzählt die Autorin, warum sie sich eine monogame Beziehung nicht mehr vorstellen kann.

Hamburg – Eines Abends sitzen Anna und Max auf ihrem Bett und reden darüber, wie es früher war, wenn man jemanden toll fand: die Magie, die Anziehung, die weichen Knie. Wie schön das war. Das Paar beschließt, seine Beziehung zu öffnen und Affären zuzulassen.

Zu diesem Zeitpunkt, sieben Jahre ist das jetzt her, sind beide schon lange zusammen. Mit 18 Jahren treffen sie sich bei gemeinsamen Freunden – und verlieben sich. „Wir wussten beide schnell, dass es die große echte Liebe ist.“ In diesem Frühling werden beide 34 Jahre alt. 

Anna Zimt, der Name ist ein Pseudonym, hat mit „In manchen Nächten hab ich einen anderen“ (Knaur, 9,99 Euro) ein Buch über ihre offene Beziehung geschrieben. Im Interview erklärt sie, warum ihre Partnerschaft für sie nun sogar besser und intimer als vorher ist.

Sie sind seit 16 Jahren ein Paar und kenne sich, seit Sie 18 Jahre alt sind. Aber immer zusammen waren Sie nicht, oder?

Anna Zimt: In der Geschichte von Max und Anna gab es auch mal zwei kleinere Trennungen. Für Paare, die so früh zusammenkommen, halte ich das auch für total gesund. Es ist total wichtig, auch mal ein paar Schritte alleine zu gehen, um mal zu gucken, wer man eigentlich ist und was man für Lebenspläne hat – unabhängig von dem großen „Wir“.

Was haben Sie in diesen Trennungsphasen getan? Hatten Sie Angst, den anderen zu verlieren?

Zimt: Nein, denn unsere Trennungen waren nie Gefühls-Trennungen, also Trennungen, weil wir uns nicht mehr toll fanden. Unsere Trennungen waren vielmehr wichtige Zeiten, in denen wir uns als Einzelpersonen Raum genommen haben – freiwillig und ohne Zwang. Natürlich hätten wir uns auch auseinanderleben können, aber wir haben immer wieder gemerkt, dass wir zwar ohneeinander können, aber gar nicht wollen.

Wie haben Sie Ihre Paarbeziehung von einer exklusiven in eine offene verwandelt?

Zimt: Als ich nach dem Studium alleine nach Berlin ging, haben wir noch nicht daran gedacht, dass eine offene Beziehung der Weg für uns wäre. Wir dachten uns: Entweder ist man Single oder man bleibt krampfhaft ein Paar.

Es gab zwischen schwarz und weiß nicht viel anderes – das merken wir auch noch heute oft an den Reaktionen der Menschen. Wir sind ja auch so sozialisiert worden. Wir sind auch Disney-Kinder und haben gelernt, dass es den einen Menschen für einen gibt und wenn man den gefunden hat, muss man sich körperlich und geistig – eben mit jeder Faser – immer treu sein.

Doch uns ist irgendwann klar geworden: Wir wollen ein Paar sein, aber wir wollen uns – auch sexuell – Freiheiten geben können. Und auf einmal haben wir bemerkt, dass es zwischen schwarz und weiß noch viel mehr zu entdecken gab.

Warum ist es so schwer, innerhalb einer Partnerschaft diese Bedürfnisse zu kommunizieren – ohne den anderen zu verletzen?

Zimt: So aus heiterem Himmel zu sagen, „Schatz, ich möchte unsere Beziehung öffnen“, das ist bestimmt eine schwierige Situation. Bei uns war das aber nicht so. Wir haben uns getrennt, haben in unterschiedlichen Städten gewohnt, Max in Göttingen, ich in Berlin. Wir haben dann aber eine Affäre miteinander angefangen. Und irgendwann gemerkt, dass uns eine Affäre nicht genug war.

Wir wollten Verantwortung für den anderen übernehmen, wir wollten im Austausch miteinander sein und uns gegenseitig unterstützen, wir wollten gemeinsame Lebenspläne schmieden. Gleichzeitig wollten wir aber auf unsere neu gewonnenen Freiheiten nicht wirklich verzichten, dafür gefiel uns beiden dieser Aspekt des Single-Lebens zu gut. Es war ein Prozess, in dem wir uns überlegt haben, wie eine offene Beziehung für uns aussehen könnte.

Und dann?

Zimt: Dann haben wir gesprochen, diskutiert, gestritten und über Regeln in dieser offenen Beziehung verhandelt – und auch viel gelacht. Das war ein sehr spannender und anstrengender Prozess. Wenn man das zum ersten Mal macht, hat man halt noch nicht die Ruhe weg, sondern jede Eventualität im Hinterkopf, die man direkt ausdiskutieren und festlegen möchte.

Haben sich die Regeln im Laufe der Zeit verändert?

Zimt: Ich glaube, die Regeln verändern sich mit der Sicherheit, die wir als Paar miteinander gewinnen. Für uns ist diese offene Beziehung wirklich Alltag geworden. Andere wissen, was in ihrer Beziehung nicht in Ordnung ist, wir hingegen wissen, was in Ordnung ist.

Ausnahmen besprechen wir natürlich auch. Lange Zeit hatten wir zum Beispiel die Regel, dass wir eine Affäre nur alle zwei Wochen treffen dürfen. Mittlerweile ist aber unser Alltag oft mit vielen Terminen so vollgepackt, dass wir da nicht mehr so streng sind. Es kann dann sein, dass ich „den Auswanderer“ – wir geben unseren Affären immer Spitznamen, von den wenigsten kennt der andere den richtigen Namen – zweimal innerhalb von zwei Wochen treffe und ihn dann mal länger nicht sehe, dann ist das auch okay.

Wie offen gehen Sie mit Ihrem Beziehungsmodell gegenüber der Familie oder Freunden um?

Zimt: Als wir uns mit unserem Beziehungskonzept sicher gefühlt haben und das Gefühl hatten, kritischen Nachfragen standhalten zu können, haben wir das anderen Freunden erzählt. Seitdem gehen wir ziemlich offen damit um. Im beruflichen Kontext sind wir da zögerlicher. Unsere Familien wissen es natürlich auch und sie wissen, wie gut es uns als Paar geht und wie glücklich wir mit unserem Lebensentwurf sind. Wir sind das Gegenteil von selbstzerstörerisch – und das merken und wissen auch unsere Familien.

Eine Regel beinhaltet, dass alle potentiellen Affären direkt wissen, woran sie sind: Eine Affäre, aus der garantiert nicht mehr wird.

Zimt: Genau. Noch vor dem ersten Kuss ist meist klar, worauf sich die Affäre einlassen kann – und worauf eben auch nicht. Es gibt natürlich immer wieder Nachfragen. Eine potentielle Affäre möchte dann manchmal schon genauer wissen, was das konkret bedeutet. Eine allgemeine Gebrauchsanweisung für eine offene Beziehung gibt es halt nicht. 

Also sind Ihre Affären rein körperlich?

Zimt: Nein, das ist ein großes Vorurteil. Viele denken automatisch, dass es uns nur um eine schnelle Sex-Nummer geht. Max und mir ist beiden wichtig, dass man sich mit der Affäre gut versteht, sie kennenlernt und einfach eine gute und entspannte Zeit miteinander hat. Ich kann vor allem dann besonders guten Sex haben, wenn ich dem Menschen vertraue und ihn besser kenne. Ich muss ihn spannend und vor allem auch intelligent finden. Deswegen sind anonyme Nummern echt nicht mein Ding für längere Affären.

Ist das nicht gerade ein Problem? Sind Sie nicht eifersüchtig oder haben Angst, dass Ihr Mann jemand trifft, mit dem er eine intensivere Verbindung hat?

Zimt: Nein, überhaupt nicht. Wir machen Sex oft zu einem exklusiven Ding zwischen zwei Menschen. Ich habe ja aber auch mehrere gute Freunde, mit denen ich unterschiedliche Dinge unternehme. Und dabei nehme ich dem einen Freund durch den anderen Freund ja auch nichts weg. Sex ist eine gute Art und Weise um Liebesgefühle auszudrücken und sich zu zeigen, dass man sich mag. Aber das muss nicht die einzige Art und Weise sein, seine Liebe auszudrücken. Man kann füreinander da sein, sich unterstützen – das alles stellt Intimität her. Ich für meinen Teil kann mit einer anderen Person eine aufregende Sexualität teilen, aber das bedeutet nicht, dass ich mit der Person dann auch ein exklusives Paar sein möchte. Und Max wiederum macht meine Liebe zu ihm nicht nur daran fest, dass ich mit ihm und nur mit ihm schlafe.

Es gibt viele Paare, wo der Wunsch nach anderen Partnern einseitig ist. Kann das klappen?

Zimt: Meiner Meinung nach kann es nur funktionieren, wenn beide mit diesem Modell wirklich zufrieden sind. Das heißt nicht, dass es beide gleichwertig nutzen müssen. Wenn ein Partner gar nicht wirklich Lust auf andere hat, aber seinem Partner ehrlich sein Okay gibt, dann ist das doch in Ordnung. Wenn einer allerdings seine Bedürfnisse aufgibt, damit der andere glücklich ist, ist es zum Scheitern verurteilt. So ist das ja bei anderen Dingen auch: Einer möchte in der Stadt, der andere auf dem Land wohnen. Einer von beiden wird ziemlich sicher unglücklich werden und eingehen. Deswegen halte ich zu viele Kompromisse machen für schwierig. Generell gilt für Beziehungen: Wenn man im selben Boot ist, aber jeder in eine andere Richtung rudert, das kann nicht klappen.

Was kann eine offene Beziehung leisten, was eine monogame nicht kann?

Zimt: Ich finde der Reise-Vergleich erklärt das sehr schön und anschaulich: Man hat sein Zuhause, seine Homebase. Und wenn es das richtige Zuhause ist, in das man immer gern zurückkommt, dann tut man das auch. Ich reise unglaublich gerne. Beispielsweise nach Südostasien, da war ich schon oft und finde es unglaublich spannend. Ich bekomme ab und an dieses Fernweh, wenn ich zu lange nur meine eigenen vier Wände habe und dann geht man raus und genießt diese Freiheit und das Unbekannte. Aber nach ein paar Wochen bekommt man Heimweh und es zieht einen zurück an diesen Ort. Und das kann für mich sehr wohl beides nebeneinander stehen. Eine tolle Reise gemacht zu haben würde ja niemals das eigene Zuhause in Frage stellen – es sei denn, man will wirklich auswandern. Das merke ich seit 16 Jahren nicht.

Was bedeutet die offene Beziehung also für Ihr Sexualleben?

Zimt: Wäre ich als Single auf der Suche nach der großen Liebe, hätte ich mich auf viele der Männer nicht eingelassen, weil ich vorher wusste, dass passt gar nicht so richtig. Aber dann hätte ich halt auch viel verpasst. Und fast das Wichtigste daran ist die Erfahrung, wie offen ich mit meinem Mann sein kann. Wir sprechen offen über unser Gefühlsleben und unsere Bedürfnisse: Diese Ehrlichkeit ist wirklich ein Geschenk. Natürlich kann man die auch in einer monogamen Beziehung pflegen. Trotzdem sind viele Menschen ihrem Partner gegenüber nicht ehrlich, was ihre Bedürfnisse angeht. Aus Angst, dem Partner könnte das nicht gefallen oder dass man mit der Äußerung der Wünsche etwas kaputt machen könnte. Meine Erfahrung ist aber, dass genau das Gegenteil der Fall ist. Wenn ich das Gefühl habe, dass ich mich, mit allem was ich mitbringe – Bedürfnisse, Träume und so weiter – meinen Partner nicht mit zumuten kann, dann ist das doch traurig. Das heißt ja nicht, dass alle Wünsche erfüllt werden müssen – aber alleine, dass ich sie äußern kann, das ist großartig.

Was wäre Ihr Rat an Menschen, die mit ihrem Partner über die Möglichkeit einer offenen Beziehung sprechen möchten? Wie stellt man das am besten an?

Zimt: Ich habe das Gefühl, dass dieser Gedanke oft erst entsteht, wenn man einen speziellen Menschen getroffen hat, den man interessant findet und mit dem man schlafen möchte. Deshalb auch die Idee, die Beziehung zu öffnen. Besser wäre es aber, wenn es diese Person noch gar nicht gibt und man erst einmal theoretisch über das Konzept einer offenen Beziehung nachdenkt. Natürlich kann es auch gelingen, wenn man aus konkreten Umsetzungswunsch an einer offene Beziehung herangeht, aber dann gilt dabei umso mehr: keinen Druck machen oder die Umsetzung an eine mögliche Trennung knüpfen. Das Gegenteil bringt einen eher zum Erfolg: dem anderen ganz viel Sicherheit geben. Das heißt, der Partner soll verstehen, dass der Wunsch nach einer offenen Beziehung nicht daraus entsteht, dass man ihn nicht mehr toll findet. Sondern dass das eine neben dem anderen stehen kann. Da ist ganz viel Feingefühl gefragt.

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Was sind also wichtige Regeln oder sogar Tabus, die Sie nicht überschreiten?

Ganz wichtig finde ich Transparenz, das heißt offene Kommunikation und ehrliche Auseinandersetzung mit sich selbst. Das heißt auch dem Partner und potentiellen Affären gegenüber. Außerdem ist Sicherheit wichtig. Allen soll klar sein: Die Paarbeziehung hat immer oberste Priorität. Zu wissen, dass der Partner sich immer für dich entscheiden wird. Das macht sich auch in dem Vetorecht bemerkbar: man muss es gar nicht nutzen, aber man weiß, dass es da ist – und dass der andere immer mitziehen würde. Punkt drei ist Safer Sex. Sichere Verhütung ist sehr wichtig und wird bei uns immer doppelt praktiziert. Das heißt: Kondom plus Pille, Hormonpflaster etc. Außerdem lassen wir uns regelmäßig testen. 

Anna Zimt: „In machen Nächten habe ich einen anderen. Mein sinnliches Leben in einer offenen Beziehung“, Knaur Verlag, 9,99 Euro.  

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