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Smalltalk, Witze, FlirtsNach dem Lockdown – Wie geht das nochmal, dieses Sozialleben?

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Man kann sich jetzt wieder mit Freunden in der Kneipe treffen. Doch nicht jedem fällt das Zusammensein so leicht. 

Köln – Nach vielen Monaten des Alleinseins und der Kontaktbeschränkungen scheint nun plötzlich alles wieder ganz normal zu sein. Die Parks quellen über, essen gehen ist ohne Test und Maske möglich, die Fußgängerzone ist voll und in den Kneipen sitzen Fußballfans dicht an dicht, um die Spiele der EM zu schauen. Corona – war da was? Mal ganz abgesehen vom Sicherheitsaspekt, ob so viel Zusammensein nicht doch die Zahlen wieder hochtreiben könnte, bleibt die Frage, wie man das jetzt plötzlich nach so langer Zeit wieder machen soll, mit anderen Menschen zu kommunizieren und zu interagieren. Die Psychologin Constanze Bossemeyer erklärt, warum uns das jetzt so schwer fällt und was wir jetzt beachten sollten.

Die Spielregeln haben sich verändert

Nach mehr als einem Jahr mit langen Lockdown-Zeiten und Homeoffice wissen wir nicht mehr, wie man locker mit Fremden plaudert, was Ironie bedeutet oder wie man flirtet. „Vor der Pandemie war uns klar, wie wir uns im öffentlichen Raum mit anderen Menschen zu verhalten haben. Jetzt haben sich die Spielregeln verändert“, sagt die Psychologin Constanze Bossemeyer, die in Hamburg als Seminarleiterin und Beraterin arbeitet und sich auf Kommunikation spezialisiert hat.

In ihrem Buch „Zuversicht trotz Corona-Blues – Psychologisches Handwerkszeug für Pandemiegeschüttelte“, das im Herbst erscheinen wird, beschreibt sie mit der Psychologin Dagmar Kumbier, was während der Pandemie mit unserer Psyche geschehen ist und wie es nun weitergehen kann.

Im Buch beschäftigen sich die beiden Psychologinnen ausführlich damit, wie sich unsere Einstellung in 15 Monaten Ausnahmezustand verändert hat. Während am Anfang trotz aller Sorgen noch eine Art Aufbruchstimmung und „Wir schaffen das!“-Mentalität geherrscht habe, seien die Menschen mit jedem Monat unsicherer, verzweifelter und auch gereizter geworden. Jede neue Lockdown-Verlängerung habe uns weiter zermürbt. Während der monatelangen Isolation – entweder ganz allein oder mit der Familie – fand die leichte Kommunikation mit anderen nicht statt. „Wir haben uns lange Zeit nur im Rahmen der Familie bewegt, die uns gut kennt. In Gesellschaft bewegen wir uns natürlich anders als zuhause. Wir haben andere Themen, bleiben mehr an der Oberfläche. Small-Talk haben wir ewig nicht gemacht“, erklärt Bossemeyer die derzeitige Unsicherheit vieler im sozialen Miteinander.

Interessant in diesem Zusammenhang ist auch, wie sich Corona auf unsere Identität ausgewirkt hat. Bossemeyer verdeutlicht das am Modell des Psychologen und Gestalttherapeuten Hilarion Petzold, demzufolge unsere Identität aus diesen fünf Säulen besteht: Arbeit, soziales Netz, Körper, materielle Absicherung und Sinn. In der Corona-Zeit seien bei vielen Menschen gleich mehrere dieser Säulen weggebrochen, was erhebliche Auswirkungen auf unser Selbst(wert)gefühl gehabt habe. Dies wiederum hat Einfluss darauf, wie wir jetzt mit anderen Menschen umgehen.

In unserem Gehirn läuft ein Schutzprogramm aus der Steinzeit

Der Hauptgrund für unsere Schwierigkeiten im Umgang mit solch einer bedrohlichen Situation wie einer Pandemie findet sich allerdings tief in unserem Gehirn. Denn da ist in der Corona-Zeit ein Programm aus der Steinzeit angesprungen, das uns vor Gefahr schützen soll. „Corona war für uns eine verstörende Erfahrung. Das Fundament unserer Sicherheit ist weggesprengt worden. Wir können aber nur gut mit anderen in Kontakt sein, wenn wir uns sicher fühlen“, erklärt Bossemeyer. Eine neurobiologische Erklärung dafür liefert die sogenannte Polyvagal-Theorie. Auf einer unbewussten Ebene scannen wir die ganze Zeit unsere Umwelt: „Ist sie sicher oder nicht?“ Fühlen wir uns sicher, springt der Schaltkreis für soziale Interaktion an. Doch wenn uns die Wahrnehmung meldet, das etwas gefährlich ist, wird der Körper auf Kampf und Flucht vorbereitet. In diesem Zustand können wir nicht mehr entspannt mit anderen Menschen plaudern und nehmen sie vielleicht sogar als bedrohlich war.

Um sozial zu sein, müssen wir uns sicher fühlen

Wenn aber weder Kampf noch Flucht helfen, so wie in der Corona-Zeit, springt im Gehirn der Schaltkreis für existenzielle Bedrohung an und wir geraten in Erstarrung. So lässt sich auch erklären, warum so viele Menschen während des Lockdowns mehr Alkohol getrunken haben, exzessiv Serien geschaut haben, antriebslos oder depressiv oder hektisch betriebsam wurden und schlecht schlafen konnten. Das Gehirn schaltet auf reines Überleben, wir gehen auf Abwehr und machen zu. Schlechte Voraussetzungen, um mit anderen in Kontakt zu treten: „Um sozial zu sein, Witze zu erzählen, zu flirten und lustig zu sein, müssen wir uns sicher fühlen“, sagt Bossemeyer.

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Wie wir jetzt auf die Lockerungen reagieren, ist ganz verschieden. Manche stürzen sich ins Leben, als sei nie etwas gewesen, andere sind vorsichtig und ängstlich. Einige bleiben lieber auf Distanz und fühlen sich so wohler, andere brauchen mehr Nähe. Manche suchen Sicherheit und Stabilität, andere sind lieber spontan und brauchen ständig neue Reize. Diese Gegensätze werden in der Psychologie mit dem Riemann-Thomann-Kreuz beschrieben – und sind ein weiterer Grund dafür, dass wir oft unsicher sind, wie wir jetzt mit anderen umgehen sollen.

Wie soll man sich jetzt begrüßen? Wo und wie treffen?

Wir können nicht einschätzen, wie unser Gegenüber gestrickt ist: Umarmung oder nicht? Maske auflassen oder nicht? Treffen nur mit Test? In die volle Kneipe oder doch lieber zu zweit auf den Balkon? „Vorher hatten wir feste Rituale, wie man sich in Gesellschaft bewegt, wie man sich begrüßt und so weiter. Wir haben durch unsere Sozialisierung Tanzschritte gelernt, die gut funktioniert haben. Doch die sind seit Corona durcheinander geraten. Jetzt dürfen wir wieder auf die Tanzfläche, aber da spielt plötzlich eine ganz andere Musik“, erklärt Bossemeyer.

Selbst im Freundeskreis hätten sich Gräben aufgetan: „Das, was ich für selbstverständlich halte, wie ich mit Corona umgehe, können andere ganz anders sehen. Wir verhalten uns dann meist einfach irgendwie, ohne diese Diskrepanzen zu besprechen. Das kann uns auf der Beziehungsebene aber ganz schön vor den Kopf stoßen, wenn ich den anderen plötzlich nicht mehr umarmen kann, weil der noch Angst hat. Darüber muss man reden.“

Bossemeyer verwendet für die jetzige Situation das Bild eines Menschen, der von der Leiter gefallen ist: „Wenn Sie einmal von oben runtergefallen sind, können Sie da nicht einfach wieder hochhüpfen. Sie können sich nur Stufe für Stufe wieder hocharbeiten. Einige Menschen schaffen das leicht, andere brauchen ganz behutsame Schritte.“

Wenn wir uns wieder sicher fühlen, wird es auch wieder locker

Bossemeyer ist zuversichtlich, dass die soziale Interaktion automatisch wieder besser funktioniert, wenn wir uns wieder sicher und entspannt fühlen. Dafür sei es wichtig, dafür zu sorgen, dass sich alle Menschen, mit denen man in Kontakt sei, gut fühlen. Und vor allem, dass jeder seine Sorgen und Bedürfnisse äußern könne. Auf diese Weise könnten sich Beziehungen sogar noch vertiefen, weil nicht mehr nur über Oberflächlichkeiten gesprochen werde. Bossemeyer glaubt: „Wenn wir uns wieder sicher fühlen, kommen Plaudereien und Flirtereien von ganz allein zurück. Wir müssen die Tanzschritte vielleicht neu lernen, aber wenn wir das gut hinkriegen, kann das ein schöner neuer Tanz werden.“

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