StudieEine Blutgruppe könnte höheres Risiko für einen schweren Covid-19-Verlauf haben

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Welche Blutgruppe ein Mensch hat, könnte einer neuen Studie zufolge verantwortlich für die Schwere einer Covid-19 Erkrankung sein.

Kiel/ Oslo – Vorerkrankungen, das Alter, Übergewicht, Rauchen – einige Risikofaktoren für einen schweren oder gar tödlichen Krankheitsverlauf mit der neuartigen Lungenkrankheit Covid-19 sind bereits seit längerem bekannt. Doch warum manche Menschen nach einer Infektion mit Sars-CoV-2 schwer erkranken, während andere gerade einmal ein Kratzen im Hals spüren, gibt der Wissenschaft noch immer Rätsel auf. Forscher des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein und der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel haben in Zusammenarbeit mit einer Arbeitsgruppe aus Norwegen in der weltweit ersten großangelegten genetischen Studie nun einen weiteren Faktor gefunden, der für die Schwere eines Covid-19 Verlaufes verantwortlich sein könnte: die Blutgruppe.

Besonders hohes Risiko bei Blutgruppe A

Unter der Leitung des Molekularbiologen Andre Franke von der Universität Kiel und des norwegischen Internisten Tom Karlsen von der Universität Oslo haben die Wissenschaftler kürzlich ein sogenanntes Preprint zu ihrer Studie veröffentlicht. Bei einer Preprint-Veröffentlichung handelt es sich um vorläufige Studienergebnisse, da diese noch nicht von unabhängigen Wissenschaftlern begutachtet wurden. Schon in Kürze sollen die Resultate jedoch nach dem abgeschlossenen Begutachtungsprozess in einem Fachmagazin veröffentlicht werden. Ihren Ergebnissen zufolge haben Menschen mit der Blutgruppe A ein um etwa 50 Prozent höheres Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf, als Menschen mit anderen Blutgruppen. Menschen mit der Blutgruppe 0 dagegen scheinen das geringste Risiko für einen schweren Verlauf von Covid-19 zu haben.

Für ihre Analyse untersuchten die Wissenschaftler insgesamt 1980 Blutproben von schwer erkrankten Covid-19-Patienten aus Norditalien und Spanien. Alle dieser Patienten litten an Lungenversagen und mussten beatmet oder mit zusätzlichem Sauerstoff versorgt werden. Als Kontrollgruppe dienten 2205 zufällig aus der Bevölkerung der beiden Länder ausgewählte Frauen und Männer. Die Forscher isolierten die DNA aus den Blutproben, und vermaßen anschließend über 8,5 Millionen sogenannte SNPs. Bei SNPs, gesprochen wie Snips, handelt es sich um Abschnitte auf der DNA, die von Mensch zu Mensch variieren und in den Varianten unterschiedlich häufig in einer Bevölkerung auftreten.

Signifikant häufig glich sich bei den schwer erkrankten Patienten ein SNP auf dem Chromosom 9, auch als AB0-Blutgruppen-Lokus bezeichnet, denn dieser Genabschnitt entscheidet darüber, welche Blutgruppe der Träger hat. Unter den besonders schwer erkrankten Patienten trugen auch besonders viele die Blutgruppe A. Menschen mit Blutgruppe 0 hingegen scheinen einen gewissen Schutz gegen das neuartige Coronavirus zu haben.

Das AB0-System

Ingesamt gibt es vier verschiedene Blutgruppen: A, B, AB und 0. Welche ein Mensch hat, bestimmt ein einzelnes Gen. Die Blutgruppe entscheided, welche Antikörper sich auf der Oberfläche der roten Blutkörperchen befinden. Zum Beispiel enthält die Blutgruppe A (Antigene "A" auf den roten Blutzellen) nur Antikörper gegen Blutgruppe B (Anti-B). Bei Bluttransfusionen ist es wichtig, dass Blutspender und Empfänger dieselben Blutgruppen haben – ansonsten würde das Blut verklumpen. Die Blutgruppen kommen unterschiedlich häufig in der Bevölkerung vor:

Blutgruppe A: 43 Prozent (Antigene "A" auf den roten Blutzellen) Blutgruppe B: 11 Prozent (Antigene "B" auf den roten Blutzellen)

Blutgruppe AB: 5 Prozent (Antigene "A" und "B" auf den roten Blutzellen)

Blutgruppe 0: 41 Prozent (keine Antigene auf den roten Blutzellen)

100 Prozent erhöhtes Risiko bei Genvariante auf Chromosom 3

Auch ein Genabschnitt  auf dem Chromosom 3 kam auffällig häufig bei sehr schwer erkrankten Patienten vor. Welches der auf diesem Abschnitt lokalisierten Gene für die Häufung konkret verantwortlich ist, konnten die Forscher noch nicht klären. Jedoch konnten sie ein um 100 Prozent erhöhtes Risiko für einen sehr schweren Krankheitsverlauf von Covid-19 bei jenen Patienten feststellen, die Träger dieser genetischen Variante sind. Der Studie zufolge trugen unter den italienischen und spanischen Patientinnen und Patienten, die so krank waren, dass sie künstlich beatmet werden mussten, eine auffällig hohe Zahl diese genetische Anlage.

Wie der „Spiegel“ berichtete, haben Studien aus China und den USA  bereits im März und April Analysen veröffentlicht, denen zufolge Patienten mit der Blutgruppe A ein höheres Risiko für einen schweren Verlauf haben könnten. Die amerikanischen Forscher konnten einen Zusammenhang zwischen der Blutgruppe und dem Schweregrad der Covid-19-Erkrankung jedoch nur bei Patienten, die einen positiven Rhesusfaktor haben, feststellen.

Grund für erhöhtes Risiko noch unklar

Der Grund für das erhöhte Risiko bei Trägern einer bestimmten Blutgruppe ist noch nicht abschließend geklärt. Eine mögliche Erklärung der Forschungsgruppe aus Kiel und Oslo ist die Tatsache, dass der SNP auf dem Chromosom 9, der die Blutgruppe eines Menschen festlegt, ebenfalls mit bestimmten Entzündungsbotenstoffen assoziiert ist, sogenannten Interleukinen. Bei diesen handelt es sich um eine Untergruppe von Zytokinen, Botenstoffe der Zellen des Immunsystems, die für die Steuerung der Abwehrreaktionen verantwortlich sind.

Interleukine können auch Fieber auslösen – eine Möglichkeit des Körpers, sich gegen Krankheitserreger wie Viren zu wehren. Doch bei einigen Covid-19-Patienten scheinen die Botenstoffe überzureagieren und eine extreme Antwort des Immunsystems herbeizuführen. Bei vielen Covid-19-Patienten konnten in Folge anhaltend hohes Fieber, schwere Atemnot und eine starke Lungenentzündung beobachtet werden. Eine solche überschießende oder hyperaktive Immunantwort kann zum Tod führen.

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Ergebnisse könnten bessere Risikoeinschätzung ermöglichen

„Mit dem Chromosom 3 und dem AB0-Blutgruppen-Lokus beschreiben wir echte Ursachen für den schweren Verlauf von Covid-19“, so einer der Studienleiter, Professor Franke aus Kiel, über die Ergebnisse. „Unsere Ergebnisse schaffen daher eine hervorragende Grundlage für die Entwicklung von Wirkstoffen, die an den gefundenen Kandidatengenen ansetzen können. Eine klinische Studie, in der etwa ein Medikament getestet wird, hat erwiesenermaßen doppelt so häufig Erfolg, wenn eine genetische Evidenz für das Therapieziel bereits vorliegt.“ Zudem könnten die Befunde zu einer besseren Risikoeinschätzung für einen schweren Krankheitsverlauf beitragen. Patienten, die Träger einer oder beider Genvarianten sind, könnten etwa bereits frühzeitig intensivmedizinisch behandelt werden und stationär engmaschig beobachtet werden.

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