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Studios und Sportanlagen zuWie wirkt sich die Corona-Krise auf unsere Fitness aus?

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Gähnende Leere im Fitnessstudio – was macht der fehlende Sport mit unserem Wohlbefinden? 

  • Die WHO empfiehlt, 150 Minuten in der Woche moderaten Sport zu treiben.
  • Doch wie soll das gehen, wenn Fitnessstudios und Sportanlagen geschlossen sind?
  • Wissenschaftler untersuchen, wie sich die Krise auf die Fitness und das Wohlbefinden der Menschen weltweit auswirkt und haben schon erste Ergebnisse.

Frankfurt/Köln – „Surfen ist noch erlaubt“, sagt Steffen Willwacher. Wer an den Stränden in Australien Sport treiben will, der darf und sollte es auch tun. Von dem traumhaften Angebot macht der 35-Jährige an den Wochenenden reichlich Gebrauch. In der übrigen Zeit sitzt der Biomechaniker im Homeoffice. Willwacher ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Deutschen Sporthochschule Köln und aktuell über den DAAD an der University of Queensland in Brisbane eingeschrieben. Jetzt in der Corona-Krise ist er unverhofft Teil eines internationalen Forschungsverbunds geworden, der herausfinden will, wie sich die fast weltweiten Einschränkungen des öffentlichen Lebens auf das Bewegungsverhalten und das Wohlbefinden der Menschen auswirkt. Vereine und Fitness-Studios haben geschlossen, Sportanlagen dürfen nicht mehr betreten werden, Mannschaftssport – undenkbar. Und wie gehen die Australier damit um?

Internationaler Forschungsbund – 14 Länder beteiligt

Die Australier hätten den Ruf, besonders sportbegeistert zu sein, sagt Willwacher. Möglicherweise mache es die Kombination aus schönem Wetter, Weitläufigkeit, Strand und Meer der Bevölkerung aber leichter, sich auch weiterhin ausreichend zu bewegen. Ob das wirklich zutrifft, sollen die Daten zeigen, die er zurzeit mittels digitaler Umfrage in ganz Australien erhebt. Seine Erkenntnisse schickt er nach Frankfurt, wo die Umfrage-Resultate aus insgesamt vierzehn Ländern schließlich ausgewertet werden sollen (Unter diesem Link kann man an der Umfrage zur Studie teilnehmen).

In Frankfurt sitzt der Leiter des Forschungsprojektes Jan Wilke und wartet – ebenfalls im Homeoffice – auf die ersten Rückläufe. Der Sportwissenschaftler an der Goethe-Universität sorgt sich um einen weitreichenden Kollateral-Schaden der Pandemie. „Wir wissen, wie wichtig Sport für die physische und psychische Gesundheit ist“, sagt er. Sport oder körperliche Aktivität werde häufig mit einem Medikament verglichen, das nachweislich Krankheiten vorbeugen und die Mortalität senken kann. Jetzt fallen Infrastrukturen weg, Räume, Motivation und Anleitung. Allein in Deutschland gibt es 24 Millionen Vereinsmitglieder, die auf ihren Sport verzichten oder ausweichen müssen. Wie kompensieren Menschen den Wegfall? Machen sie weniger, gar nichts oder haben sie jetzt sogar mehr Zeit und Muße?

Neben Australien und Deutschland wird auch die Bevölkerung in Österreich, der Schweiz, Frankreich, Italien, Spanien, den Niederlanden, den USA, Chile, Brasilien, Singapur, Argentinien und Südafrika nach ihren Aktivitäten und ihrem seelischen Zustand in der Isolation gefragt. „Wir wollten einen möglichst globalen Überblick erhalten“, sagt Wilke. Die Auswahl der Länder erfolgte nach systematischen wie pragmatischen Kriterien. Es mussten Kooperationspartner in den stark betroffenen Ländern gefunden werden, die überhaupt verfügbar sind. Die zeigten sich schließlich besonders engagiert. Die obligatorischen Anträge für eine derartige Studie an den jeweiligen Universitäten wurden außerordentlich zügig bearbeitet; das Konsortium kam in einer Rekordzeit von zwei Wochen zustande.

„Auch die niedrig-intensiven Bewegungen im Alltag fehlen"

Erste Ergebnisse gibt es schon,. „Die Daten können wir noch nicht abschließend beurteilen. Aber einiges deutet darauf hin, dass ein substanzieller Anteil der Menschen auch in anderen Ländern vor der Krise auf Vereine, Studios und sonstige feste Einrichtungen zurückgegriffen hat. „Die Lücke kann man für wenige Wochen gut überbrücken, aber langfristig müssen andere Lösungen her.“ Dabei gehe es nicht nur um den Sport, der auf der Strecke bleibt. „Es geht auch um die niedrig intensiven Bewegungen im Alltag. Um die Wege, die ich zum Beispiel im Büro zurücklege“, sagt Wilke. Die aktuellen Gänge vom Wohnzimmer in die Küche, raus zum Müllcontainer und wieder zurück reichen zur Gesundheitsförderung kaum aus.

Die Aktivität insgesamt, so die Befürchtung, nimmt ab. Somit entfernten sich noch mehr Menschen von der Bewegungs-Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation als ohnehin schon: Demnach sollen Erwachsene mindestens 150 Minuten in der Woche mit moderater Intensität oder 75 Minuten in der Woche mit hoher Intensität trainieren. Außerdem wird zu einer muskelkräftigenden Aktivität an mindestens zwei Tagen in der Woche geraten.

Sport treiben: „Lieber ein bisschen als gar nicht“

„Wir fragen die Teilnehmer der Umfrage, was wir machen müssten, um sie zu aktivieren“, sagt Wilke. Also: Wie lange sie gerne Sport treiben würden, wie oft, täglich, wöchentlich? Lieber Ausdauer oder Kräftigung? „Basierend auf diesen Ergebnissen wollen wir in jedem Land ein Programm für ein effektives und zielgruppenspezifisches Online-Training ausarbeiten.“ Das sei zwar jetzt auch schon ein beliebter Trend. Kurse würden in großer Zahl, aber teilweise kostenpflichtig angeboten. Außerdem seien sie nicht differenziert genug, um auch Menschen mit Vorerkrankungen oder totale Anfänger optimal anzuleiten – ein grundsätzliches Problem des Heimtrainings. Wer aber trotzdem jetzt schon zuhause einem Youtube-Vorturner folgen möchte, will Wilke nicht davon abhalten. „Wer vorsichtig und langsam beginnt, ist auf der sicheren Seite“, sagt Wilke. „Lieber ein bisschen als gar nichts.“ Nur nicht übertreiben.

Die Umfrage-Erhebung ist beinahe beendet, eine Folgestudie zur Wirksamkeit eines Trainingsprogramms soll bis September abgeschlossen sein. Die Erkenntnisse, die man sich verspricht, seien in mehrerer Hinsicht wertvoll: Sollte die Pandemie und mit ihr die Einschränkungen länger andauern, könnten die Länder proaktiv kostenlose und effektive Kurse anbieten und den Stellenwert von Sport in aller Deutlichkeit kommunizieren.

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Die Studie habe aber auch einen allgemeinen Wert. „Soziale Isolation kann auch einzelne Menschen aus unterschiedlichen Gründen treffen“, sagt Wilke. Im Moment verstärke das Gebot des Social Distancing künstlich den Trend der Individualisierung in der modernen Gesellschaft. Es sei wie ein globales Experiment und „wir finden heraus, ob der Sport negative Folgen auf Körper und Seele verhindern kann“.

Wie die Deutschen Sport treiben

Im Gegensatz zu der Anzahl der Sportvereine hat sich deren Mitgliederzahl innerhalb der letzten Jahre erhöht und lag 2019 bei 24 Millionen. Rund 80 Prozent der Jungen zwischen sieben und 14 Jahren waren nach Angaben vom Deutschen Olympischen Sportbund Mitglied in einem Sportverein, bei den Männern über 60 Jahren mehr als jeder Vierte.

Insgesamt existierten im Jahr 2019 mehr als 88 000 Sportvereine in Deutschland, das sind 2500 weniger als noch 2014. Mit 18 300 hat Nordrhein-Westfalen die meisten Sportvereine. Die deutschen Fitnessstudios erreichten 2019 mit 11,09 Millionen Mitgliedschaften einen neuen Höchstwert.   „SPORT@HOME“ Das Sportamt der Stadt Köln präsentiert täglich ein kostenloses Online-Programm unter der professionellen Anleitung von Experten, wie etwa Kölner Haie- und DBB-Atheltikcoach Arne Greskowiak. Der Live-Stream ist täglich um 18.30 Uhr zu sehen. https://fit-koeln.de

Der Kölner Kooperationspartner der Studie, Willwacher in Australien, hat sich persönlich nur ein wenig umstellen müssen, sagt er. Das Krafttraining im Fitness-Studio stemmt er inzwischen mit seinem eigenen Gewicht. „Früher bin ich nach New South Wales gefahren, um zu surfen. Die Bundesstaaten darf jetzt aber niemand mehr ohne triftigen Grund verlassen.“

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